TE Vwgh Erkenntnis 2008/9/17 2008/22/0263

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Veröffentlicht am 17.09.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §66 Abs4 impl;
FrG 1997 §14 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der F, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 2. Dezember 2005, Zl. 314.871/2-III/4/05, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom 2. Dezember 2005 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, vom 19. Oktober 2000 auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "selbständige Erwerbstätigkeit" gemäß § 14 Abs. 2 Fremdengesetz 1997 - FrG abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen zugrunde, dass die Beschwerdeführerin laut Schreiben ihres Rechtsanwaltes vom 5. August 2002 im Frühjahr 1990 nach Österreich gekommen sei und bis 1995 über Aufenthaltsbewilligungen verfügt, jedoch ihren Reisepass verloren und erst im Jahr 2000 bei der bosnischen Botschaft in Wien einen neuen Reisepass erhalten habe.

Ein Cousin der Beschwerdeführerin habe mit Schreiben vom 8. Juli 2002 bestätigt, dass diese nach Ablauf ihrer letzten fremdenrechtlichen Bewilligung in Österreich verblieben sei. Diese Bestätigung unterliege jedoch der freien Beweiswürdigung. "Im Verfahren" sei "festgestellt" worden, dass auf Grund dieses Dokumentes nicht sicher davon ausgegangen werden könne, dass die Beschwerdeführerin über Aufenthaltsbewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz verfügt habe. Es gebe auch "keine anderen Anhaltspunkte", dass die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit über einen Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet verfügt habe, weshalb der vorliegende Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als Erstantrag gewertet werde.

Komme eine Partei ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung an der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht nach, so handle die Behörde im allgemeinen nicht rechtswidrig, wenn sie weitere Erhebungen unterlasse.

Die seit 29. August 2000 durchgehend in Wien 14 polizeilich gemeldete Beschwerdeführerin sei zum Zeitpunkt der Antragstellung im Inland aufhältig gewesen, was sie auch in ihrem Berufungsschreiben bekräftige.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der Bestimmung des § 14 Abs. 2 FrG im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag als Erstantrag vor der Einreise vom Ausland aus hätte stellen müssen; da auch kein ausreichender besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt (§ 10 Abs. 4 FrG) vorliege, sei der vorliegende Antrag wegen Verletzung des Prinzips der Auslandsantragstellung gemäß § 14 Abs. 2 FrG abzuweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Antrag der Beschwerdeführerin vom 19. Oktober 2000 ausgehend von dem Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides vor dem 1. Jänner 2006 (§ 82 Abs. 1 NAG) aufgrund der damals in Geltung gestandenen Bestimmungen des FrG zu beurteilen ist.

Gemäß § 14 Abs. 2 FrG sind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen". Der Antrag kann im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen ist und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigte oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt. Die zuletzt - in welcher Rechtsform immer - begründete Aufenthaltsberechtigung musste den Fremden zur Niederlassung, somit zur Begründung eines Mittelpunktes seiner Lebensbeziehungen in familiärer, beruflicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht berechtigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. Februar 2000, Zl. 98/19/0317).

Gemäß § 37 erster Satz AVG ist der Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgehenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach dem in dieser Bestimmung verankerten Grundsatz der materiellen Wahrheit hat die Behörde - unter Berücksichtigung des Parteienvorbringens - den wahren (objektiven) Sachverhalt festzustellen (vgl.  Hengstschläger/Leeb, AVG § 37 Rz 5 mit Hinweisen aus der hg. Rechtsprechung). Neben der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts dient das Ermittlungsverfahren gemäß § 37 AVG auch dazu, den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen einzuräumen, wobei ihnen insbesondere gemäß § 45 Abs. 3 AVG Gelegenheit zu geben ist, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen (Hengstschläger/Leeb Rz 11).

Dem Verwaltungsakt ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin im Administrativverfahren vorgebracht hat, dass ihr - nachdem sie im Frühjahr 1990 nach Österreich gekommen sei - "Visa bzw. Aufenthaltsbewilligungen bis zuletzt 1995 erteilt" worden seien. Sie habe ihren Reisepass verloren, und es sei ihr zunächst aufgrund ihrer persönlichen Familienverhältnisse bzw. der Kriegssituation in ihrem Heimatland nicht möglich gewesen, ein neues Reisedokument zu erhalten. Der gegenständliche Antrag sei daher als Verlängerungsantrag zu werten. Dazu legte die Beschwerdeführerin eine Bestätigung ihres Cousins vor, wonach sie "nach Ablauf ihrer letzten fremdenrechtlichen Bewilligung in Österreich geblieben" sei (Bekanntgabe vom 5. August 2002).

Nach einem Aktenvermerk vom 23. Jänner 2001 ist - da "weder bei der MA 20 noch im EKIS Voranträge" aufschienen - "von einem Erstantrag auszugehen".

Diese behördliche Auffassung wurde allerdings der Beschwerdeführerin - trotz deren Bekanntgabe vom 5. August 2002 - nicht mitgeteilt.

Der den gegenständlichen Antrag als unzulässigen Inlandsantrag abweisende Bescheid der Erstbehörde führte in diesem Zusammenhang lediglich aus, dass die Beschwerdeführerin "nicht belegen" habe können, dass sie tatsächlich über Sichtvermerke verfügt habe, und dass das Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls nicht über Aufenthaltsbewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz verfügt habe.

Die Beschwerdeführerin brachte in ihrer Berufung gegen diesen Bescheid vor, dass die Behörde den Sachverhalt nach den ihr zustehenden Mitteln zu erfassen habe und jedenfalls den Akt der Fremdenpolizei Wien einholen hätte müssen; weiters rügte die Berufung das Unterlassen einer Information über den beabsichtigten Ablehnungsgrund des nicht erfolgten Nachweises der früheren Aufenthaltstitel ausdrücklich als Verstoß gegen das Recht auf Parteiengehör.

Daraufhin erließ die belangte Behörde - ohne irgendwelche weiteren Verfahrensschritte zu setzen - den angefochtenen Bescheid.

Mit diesem Vorgehen hat die belangte Behörde aber tatsächlich - wie die Beschwerde zutreffend ausführt - gegen die Verfahrensgrundsätze der materiellen Wahrheit und der Gewährung von Parteiengehör (§§ 37, 45 Abs. 3 AVG) verstoßen; mangels vollständiger Wiedergabe der Ergebnisse des durchgeführten Ermittlungsverfahrens zu der Frage eines früheren Aufenthaltstitels im erstbehördlichen Bescheid ist auch nicht von einer Sanierung der erfolgten Verletzung des Parteiengehörs durch eine mit der Berufung verbundene Möglichkeit einer Stellungnahme auszugehen (s. dazu Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 40 mit Hinweisen aus der hg. Rechtsprechung).

Bei Vornahme der gebotenen weiteren Erhebungsschritte - etwa auch durch Befragung der Beschwerdeführerin und ihres Cousins zu den von der Beschwerdeführerin behaupteten früheren Aufenthaltstiteln - hätte die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid kommen können, sodass dem den angefochtenen Bescheid belastenden Verfahrensmangel auch Relevanz zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2005, 2003/18/0110 mwN). Dies umso mehr, als bereits die Eintragungen im von der belangten Behörde eingeholten, die Beschwerdeführerin betreffenden Auszug aus dem Asylwerberinformationssystem, wonach sich im am 6. März 1989 ausgestellten Reisepass der Beschwerdeführerin ein von der Bundespolizeidirektion Wien erteilter Wiedereinreise-Sichtvermerk befand, die Richtigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin indizieren.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c) VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 17. September 2008

Schlagworte

"zu einem anderen Bescheid"Parteiengehör Unmittelbarkeit Teilnahme an BeweisaufnahmenVerfahrensbestimmungen DiversesParteiengehör Verletzung des Parteiengehörs VerfahrensmangelParteiengehör AllgemeinParteiengehörHeilung von Verfahrensmängeln der Vorinstanz im Berufungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008220263.X00

Im RIS seit

16.10.2008

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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