TE Vwgh Erkenntnis 2008/9/17 2008/23/0588

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Veröffentlicht am 17.09.2008
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §8 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs1;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie den Hofrat Dr. Berger, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Dr. Wurdinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des I O J in I, geboren am 1. Jänner 1970, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. November 2005, Zl. 222.978/0-VII/43/01, betreffend §§ 7 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Zulässigerklärung der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak) wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der kurdischen Volksgruppe zugehöriger Staatsangehöriger des Irak, gelangte am 8. März 2001 in das Bundesgebiet und beantragte am 14. März 2001 Asyl.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt begründete er seinen Asylantrag im Wesentlichen damit, dass er von einem Mitglied der Baath-Partei zur Spionage aufgefordert worden sei. Da er sich geweigert habe, sei er im Februar 2000 fünfzehn Tage eingesperrt und gefoltert worden; im März 2000 sei er zunächst in die Türkei geflüchtet und dann von dort nach Österreich gelangt. Er habe nicht in das autonome Kurdengebiet im Irak gewollt, weil sein Bruder im März 1993 getötet worden sei; er nehme an, dieser sei von Mitgliedern der KDP erschossen worden.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 7. Juni 2001 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte das Refoulement in den Irak gemäß § 8 AsylG für zulässig, weil die Angaben des Beschwerdeführers nicht glaubhaft gewesen seien. Die Angaben seien unplausibel und nicht nachvollziehbar gewesen; auch habe der Beschwerdeführer einen Ausweis vorgelegt, der entgegen seinen Angaben auf einen Wohnort im Nordirak (im autonomen Kurdengebiet) hingedeutet habe.

In der Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, der Ausweis sei ihm von seinem Vater besorgt worden; er selbst stamme aus dem Grenzgebiet zum autonomen Kurdengebiet, nicht aber aus der Kurdenzone. Er könne nicht belegen, dass der Tod seines Bruders der KDP zuzurechnen wäre, das bloße Gefühl genüge jedoch, um bei ihm ein ungutes Gefühl auszulösen.

Die belangte Behörde führte am 8. August 2002 und am 25. Oktober 2005 eine mündliche Berufungsverhandlung durch. In der Verhandlung brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, er könne nicht in den Irak zurückkehren, weil die Sicherheitslage und die Wirtschaftslage "katastrophal" seien, es werde "jeden Tag schlimmer", dies bestätigten auch seine Eltern.

Laut Verhandlungsschrift wurden folgende Länderberichte "dargetan": ein Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom Mai 2005, ein Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 15. Juni 2005, das UNHCR-Positionspapier zur Rückkehrgefährdung irakischer Schutzsuchender vom März 2004, ein die Schutzbedürftigkeit irakischer Flüchtlinge betreffendes "Dokument von Gabriela Wengert" (UNHCR Iraq Operation Unit, Amman) vom April 2005 sowie eine Stellungnahme des UNHCR "zur Anwendung des Art. 1 c (5) der Genfer Flüchtlingskonvention (Wegfall der Umständeklausel) auf irakische Flüchtlinge" vom April 2005.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass sie den Feststellungen der Erstbehörde in Bezug auf die Unglaubwürdigkeit der behaupteten Aufforderung zur Spionagetätigkeit zugunsten des Regimes des Saddam Hussein folge. Zudem könne im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme eingestanden habe, er sei für das damalige Regime völlig unwichtig gewesen, nicht erkannt werden, warum ihm im Falle seiner Rückkehr in den Irak, selbst wenn er zu einer solchen Spionagetätigkeit angehalten worden wäre, "heute noch ein asylrelevantes Problem erwachsen würde, zumal er dieser Aufforderung, für das Regime tätig zu werden, auch niemals gefolgt ist". Das Vorbringen, wonach der Bruder des Beschwerdeführers "von einer Kurdenpartei" ermordet worden sei, habe der Beschwerdeführer auch vor der belangten Behörde nicht unter Beweis stellen können, es handle sich hiebei lediglich um eine Vermutung des Asylwerbers. Der Umstand, dass dem Beschwerdeführer aus seiner illegalen Ausreise aus dem Irak und der Asylantragstellung im Ausland zum Zeitpunkt seiner Flucht ein asylrelevantes Problem erwachsen wäre, sei aufgrund der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse im Irak nicht mehr relevant; an die illegale Ausreise und die Asylantragstellung im Ausland würden im heutigen Irak keinerlei Sanktionen mehr geknüpft.

Hinsichtlich der Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak traf die belangte Behörde kurz gehaltene Feststellungen zum Herkunftsstaat, wonach die "Sicherheitssituation im Irak derzeit nicht befriedigend ist, von der mangelnden Sicherheitslage jedoch die gesamte irakische Bevölkerung, nicht spezifisch der Asylwerber alleine betroffen ist". Nicht festgestellt werden könne, "dass jedem Iraker im Irak jedwede Lebensgrundlage fehlen würde". Der Beschwerdeführer habe "mehrere familiäre Anknüpfungspunkte im Irak". Diese Feststellungen gründete die belangte Behörde auf die "in der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung dargetanenen Länderdokumente". Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dass eine an asylrechtlich relevante Merkmale anknüpfende Verfolgung nicht glaubhaft gemacht worden sei, sodass die Anwendbarkeit des § 57 Abs. 2 FrG von vornherein ausscheide. Was "die Frage des Vorliegens einer Folge im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG betrifft", sei festzuhalten, "dass eine solche nicht vorliegt". Eine Unzumutbarkeit der Rückkehr aufgrund der individuellen konkreten Lebensumstände habe der Beschwerdeführer nicht dartun können.

Über die Beschwerde gegen diesen Bescheid hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Erwägungen, auf deren Grundlage die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers im Instanzenzug abgewiesen hat, halten der auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle der Beweiswürdigung durch den Verwaltungsgerichtshof stand. In der Beschwerde wird die Relevanz behaupteter Verfahrensmängel zur Frage der - asylrelevanten - Verfolgung nicht dargetan. Insbesondere wird nicht konkret dargelegt, dass entgegen den Feststellungen der belangten Behörde im entscheidungsrelevanten Zeitraum (nach dem Sturz des Regimes des Saddam Hussein) im Irak weiterhin asylrelevante Sanktionen an die illegale Ausreise und die Asylantragstellung im Ausland geknüpft würden. Insoweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Berufung im Asylpunkt gemäß § 7 AsylG richtet, ist sie daher nicht erfolgreich.

In Bezug auf die Ansicht der belangten Behörde, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak könne gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig erklärt werden, kann der angefochtene Bescheid hingegen keinen Bestand haben.

Die belangte Behörde hat ihre im November 2005 - vor dem Hintergrund der notorisch instabilen Verhältnisse im Irak - getroffene Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Sicherheitssituation im Irak nicht befriedigend sei, davon jedoch "die gesamte irakische Bevölkerung" und "nicht spezifisch der Asylwerber alleine" betroffen sei.

Dabei hat die belangte Behörde verkannt, dass der Verwaltungsgerichtshof schon in seinen Erkenntnissen vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465, und vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0203, ausgesprochen hat, dass die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Landes in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG gewertet werden, im Widerspruch zur Rechtslage steht. Es kann auch eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in den Staat, in dem diese Gefahrenlage herrscht, abgeschoben wird, auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei der konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen.

Dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung in den Irak nicht der konkreten Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, lässt sich aus der in der Berufungsverhandlung herangezogenen Berichtslage nicht ableiten. In den dort angeführten Berichten wird

u. a. festgehalten, dass "die instabile Sicherheitslage, Eigentumskonflikte, Zerstörung von Dörfern oder der Lebensgrundlage, unzureichende Versorgung und beschränkte Kapazitäten des im Aufbau befindlichen Ministeriums für Vertreibung und Migration sowie irakischer und internationaler Hilfsorganisationen, Landminen sowie die Gefahr ethnischer Konflikte" landesweit die Gefahr erhöhten, "dass Rückkehrer zu Binnenvertriebenen werden"; auch der kurdische Nordirak - aus dem der Beschwerdeführer nach seinen Angaben nicht stammt - stelle "keine Fluchtalternative für Personen aus dem Zentral- oder Südirak" dar; der Zugang zu grundlegender Versorgung könne "aufgrund der instabilen Sicherheitslage jederzeit blockiert" sein (Irak-Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 15. Juni 2005); den Aufnahmestaaten werde vom UNHCR empfohlen, "irakischen Asylsuchenden und abgelehnten irakischen Asylbewerbern weiterhin zumindest temporären Schutz zu gewähren" und es spreche sich der UNHCR "bis auf weiteres für ein Abschiebeverbot hinsichtlich aller Landesteile des Irak aus" (UNHCR-Position zur Rückkehrgefährdung irakischer Schutzsuchender, März 2004; vgl. zur Indizwirkung entsprechender Empfehlungen internationaler Organisationen etwa das Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2003/01/0059).

Da die belangte Behörde nach dem oben Gesagten die Rechtslage verkannt und lediglich festgestellt hat, dass die Sicherheitssituation im Irak nicht befriedigend sei, ohne darauf einzugehen, ob der Beschwerdeführer damit der konkreten Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, war der die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak betreffende Spruchteil des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Im Übrigen - hinsichtlich der Bestätigung der Abweisung des Asylantrages - war die Beschwerde dagegen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 303.

Wien, am 17. September 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008230588.X00

Im RIS seit

17.10.2008

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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