TE Vwgh Erkenntnis 2008/9/17 2008/23/0589

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Veröffentlicht am 17.09.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie den Hofrat Dr. Berger, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Dr. Wurdinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des Bassam A B in G, geboren am 29. Oktober 1965, vertreten durch Mag. Friedrich Filzmaier, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 22, gegen den am 2. März 2005 mündlich verkündeten und am 3. Oktober 2005 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 210.954/0- VI/18/99, betreffend § 7 Asylgesetz 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus der Stadt Mosul (Mossul) stammender irakischer Staatsbürger und Angehöriger der chaldäischkatholischen Kirche, gelangte im August 1998 in das Bundesgebiet und beantragte am 1. September 1998 Asyl.

Bei seiner Vernehmung durch das Bundesasylamt am 10. September 1998 gab er an, er sei Ende Jänner 1998 von einem Offizier des Geheimdienstes aufgefordert worden, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er hätte andere Christen, welche für ausländische Mächte tätig sein sollten, ausspionieren sollen. Er habe diese Aufgabe nicht übernehmen wollen, der Geheimdienstoffizier habe jedoch darauf bestanden. Aus Angst, vom Geheimdienst festgenommen und misshandelt zu werden, habe sich der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Schwester zur Flucht aus dem Irak entschlossen. Am 18. August 1998 habe er mit seiner Schwester Mosul verlassen.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 1. Juni 1999 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig stellte das Bundesasylamt fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 8 AsylG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer Berufung, über die die belangte Behörde am 11. März 2003 und am 2. März 2005 eine Berufungsverhandlung durchführte. Mit dem angefochtenen, am 2. März 2005 mündlich verkündeten Bescheid wies sie die Berufung gemäß § 7 AsylG ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die vom Beschwerdeführer ursprünglich vorgetragenen Fluchtgründe, welche angesichts des politischen Umsturzes im Irak im Übrigen nicht mehr relevant wären, nicht glaubhaft seien. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die Schwester des Beschwerdeführers, die gemeinsam mit diesem den Irak illegal verlassen habe, bei ihrer eigenen Einvernahme im Asylverfahren ausschließlich wirtschaftliche Gründe und Probleme mit in der Nachbarschaft lebenden Moslems geschildert und die behauptete Verfolgung des Beschwerdeführers nicht erwähnt habe. Es sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen darzulegen, dass alle Angehörigen der christlichen Minderheit in der Gegend um Mosul einer konkreten Bedrohung ausgesetzt sein sollten, zumal weitere Mitglieder seiner Familie weiterhin im Irak aufhältig seien. Die im Verfahren erörterten Berichte ließen zwar erkennen, dass es im schiitisch dominierten Süden des Landes Anzeichen für eine zunehmende Islamisierung des öffentlichen Lebens gebe und aus dieser Region mehrere tausend Flüchtlinge Richtung Nordirak und Syrien aufgebrochen seien.

Dennoch würden sowohl christliche Politiker als auch christliche

Institutionen weiter einen Verbleib von Christen im Irak

befürworten und es werde "sogar um Rückkehr der über 1 Million im

Ausland lebenden irakischen Christen geworben". Viele

Repräsentanten der irakischen Christen würden es befürworten, die

Heimatregion des Beschwerdeführers östlich Mosuls "als zentralen

christlichen Siedlungskern im Irak zu führen". Im Hinblick darauf,

dass die "christliche Gemeinde Mosul ... sehr präsent sein soll

und christliche Parteien ... sich bei den Wahlen im Irak

beteiligen konnten", könne "eine allgemeine Gefährdung sämtlicher

Christen im Irak ... losgelöst von individuellen Momenten, somit

eine Gruppenverfolgung sämtlicher irakischer Staatsbürger mit christlichem Religionsbekenntnis, schlichtweg nicht erkannt werden". Eine im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung bestehende "individuelle Gefährdung bezogen auf den Irak nach dem politischen Umsturz" habe der Beschwerdeführer daher nicht glaubhaft machen können.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Erwägungen, auf deren Grundlage die belangte Behörde den vom Beschwerdeführer ursprünglich geltend gemachten Verfolgungsgründen keine Asylrelevanz zugebilligt hat, kann der Verwaltungsgerichtshof nicht als rechtswidrig erkennen. Insbesondere wird in der Beschwerde nicht behauptet, dass nach dem Sturz des Regimes des Saddam Hussein im Irak weiterhin asylrelevante Sanktionen an die illegale Ausreise und die Asylantragstellung im Ausland geknüpft würden.

In der Beschwerde wird aber auch geltend gemacht, dass die belangte Behörde der nach dem Sturz des vorherigen Regimes eingetretenen gravierenden Verschlechterung der Situation der Christen im Irak nicht ausreichend Rechnung getragen habe. Soweit die Beschwerde sich in diesem Zusammenhang auf Dokumente vom April 2005 (Bericht des UNHCR) bzw. Juni 2005 (Stellungnahme von amnesty international an ein deutsches Gericht) bezieht, konnten derartige Länderberichte von der belangten Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides am 2. März 2005 zwar noch nicht berücksichtigt werden. Es ist der belangten Behörde aber zum Vorwurf zu machen, dass sie dem angefochtenen Bescheid keine eingehende Analyse der Verfolgungsgefahr für Christen, unter besonderer Bedachtnahme auf die Angehörigen der chaldäischkatholischen Kirche in Mosul, zugrunde gelegt hat.

Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen stützte die belangte Behörde auf einen Bericht des deutschen auswärtigen Amtes vom 2. November 2004 sowie "diverse APA-Meldungen zur Lage der Christen im Irak im Jänner 2005", zog aber beispielsweise keinen der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Länderberichte des UNHCR heran. Schon im UNHCR-Bericht vom August 2004 (zitiert im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Dezember 2006, Zl. 2005/20/0027) heißt es aber, dass alle bei der Erstellung dieses Berichtes befragten Personen "einstimmig bestätigt (hätten), dass sich die Situation der Christen im Irak seit dem Sturz des vorigen Regimes dramatisch verschlechtert hat"; "die jüngsten Anschläge auf Kirchen in Bagdad und Mossul am 1. August 2004 sowie die steigende Zahl irakischer Christen, die in den vergangenen drei Monaten in das angrenzende Syrien geflüchtet sind", seien "Anzeichen für eine weitere Zuspitzung der Situation der Christen im Irak". Das sei darin begründet, dass Christen als "de facto-Unterstützer" der in der Regel aus christlichen Staaten stammenden Koalitionsstreitkräfte wahrgenommen und von islamischen Fundamentalisten und anderen extremistischen Gruppen der irakischen Gesellschaft als "ungläubig" betrachtet würden (Zitat nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Dezember 2006, Zl. 2005/20/0027).

Die Ausführungen in diesem Länderbericht vom August 2004 decken sich im Hinblick auf dessen im Beschwerdefall maßgeblichen Inhalt weitgehend mit jenen in dem von der Beschwerde zitierten Bericht des UNHCR vom April 2005. Hätte die belangte Behörde auch den zuerst genannten Länderbericht, zu dessen Berücksichtigung sie als Spezialbehörde von Amts wegen verpflichtet war, herangezogen, so ist nicht auszuschließen, dass sie zum Ergebnis gelangt wäre, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Irak (nach Mosul) asylrelevante Verfolgungsgefahr drohte, weil es sich bei ihm um einen Angehörigem der christlichen Minderheit handelt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 17. September 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008230589.X00

Im RIS seit

17.10.2008

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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