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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §21 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. Lennart Binder, LL.M., Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 7. Juni 2006, Zl. UVS- 01/53/4854/2006/8, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen kurdischer Herkunft, eingebrachte Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) in Verbindung mit § 67c Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) als unbegründet ab und erklärte seine am 26. Mai 2006 erfolgte Festnahme, den Schubhaftbescheid vom 20. April 2006 (zugestellt am 26. Mai 2006), die Anhaltung ab diesem Tag (gemeint: 26. Mai 2006) sowie die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft für rechtmäßig. Unter einem wurde der Beschwerdeführer zum Ersatz der Verfahrenskosten verpflichtet.
Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 1 FPG zur Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers zwecks Durchsetzung einer vom Bundesasylamt erlassenen Ausweisung angeordnet worden sei. Aus dem beigeschafften Asylakt gehe hervor, dass am 11. April 2006 beim Bundesasylamt per Telefax eine mit dem Schriftzug des Beschwerdeführers unterzeichnete Erklärung eingelangt wäre, wonach er seinen Asylantrag zurückziehe und am 16. April 2006 in die Türkei zurückkehren werde. Daraufhin sei eine mit 18. April 2006 datierte Mitteilung des unabhängigen Bundesasylsenates an die Fremdenpolizeibehörde sowie an das Bundesasylamt ergangen, "dass das Berufungsverfahren des Einschreiters auf Grund der Zurückziehung seiner Berufung mit Aktenvermerk vom 18.4.2006 eingestellt" sei. Weiters sei mitgeteilt worden, dass der Bescheid des Bundesasylamtes in Rechtskraft erwachsen wäre. Der Beschwerdeführer habe ausschließlich vorgebracht, die Entscheidung des unabhängigen Bundesasylsenates, "sein Asylverfahren" einzustellen, sei zu Unrecht erfolgt. Mit der damit begehrten Überprüfung würde jedoch die belangte Behörde ihre Kompetenzen überschreiten, weil im Rahmen der Entscheidung über eine Schubhaftbeschwerde nur die Rechtmäßigkeit der Schubhaft, nicht jedoch die Frage der Rechtmäßigkeit vorangegangener behördlicher Entscheidungen, zu deren Durchsetzung die Schubhaft angeordnet werde, zu prüfen sei. Auch wenn die an das Bundesasylamt "gefaxte Zurückziehung der Berufung vom Beschwerdeführer bestritten" werde, so ändere dies "jedenfalls" nichts an der Tatsache, dass "das Asylverfahren" vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Aktenvermerk vom 18. April 2006 eingestellt worden sei, wobei dieser in seiner Mitteilung vom 18. April 2006 ausdrücklich die "nunmehr eingetretene Rechtskraft des Bescheides des Bundesasylamtes" festgestellt habe.
Im Übrigen tätigte die belangte Behörde Ausführungen zur Erforderlichkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt - wie bereits in der Schubhaftbeschwerde - vor, jenes die Zurückziehung enthaltende Telefax, das an das Bundesasylamt abgesetzt worden sei, sei mit einer gefälschten oder "aufkopierten" Unterschrift des Beschwerdeführers versehen gewesen. Das Schriftstück sei von einem Unbekannten, dessen Identität nur vermutet werden könne, übersendet worden. Der Beschwerdeführer sei nach wie vor Asylwerber. Es liege auf der Hand, dass ein Asylwerber nicht zur Sicherung der Abschiebung festgenommen werden müsse. Die belangte Behörde habe es verabsäumt, sich mit dem konkreten Fall auseinander zu setzen. Ein interner Aktenvermerk, wie im gegenständlichen Fall einer des unabhängigen Bundesasylsenates, wonach ein Berufungsverfahren eingestellt sei, stelle keine Entscheidung einer Behörde dar, die für die belangte Behörde präjudiziell sein könne. Zumindest wäre die Durchführung einer mündlichen Verhandlung geboten gewesen, damit sich die belangte Behörde ein Bild vom tatsächlichen Sachverhalt hätte machen können.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Unbestritten steht fest, dass das Bundesasylamt mit Bescheid vom 16. September 2004 den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 19. September 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abwies (Spruchpunkt I), die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig erklärte (Spruchpunkt II) und ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet auswies (Spruchpunkt III), sowie dass der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid (rechtzeitig) Berufung an den unabhängigen Bundesasylsenat erhob.
In den Verwaltungsakten findet sich ein an die Fremdenpolizeibehörde gerichtetes Schreiben des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. April 2006, worin mitgeteilt wurde, der unabhängige Bundesasylsenat habe das den Beschwerdeführer betreffende Berufungsverfahren wegen Zurückziehung der Berufung mit Aktenvermerk vom 18. April 2006 eingestellt, und der Bescheid des Bundesasylamtes sei "am 6. Oktober 2004" in Rechtskraft erwachsen.
Die fragliche, mit dem Namen des Beschwerdeführers versehene "Zurückziehungserklärung" vom 10. April 2006 enthält - in ihrem hier wesentlichen Teil - folgenden Wortlaut: "Ich (...) möchte hiemit mein Asylverfahren ab sofort zurückziehen, da ich am 16.04.2006 in die Türkei zurückkehren werde". Dazu stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer die Zurückziehung seines Asylantrages erklärt habe, was nach der Mitteilung des unabhängigen Bundesasylsenates die Rechtskraft des erstinstanzlichen Bescheides des Bundesasylamtes bewirkt habe.
Die letztgenannte Folgerung gründet offenbar auf § 23 Abs. 3 letzter Satz AsylG idF der AsylG-Novelle 2003, wonach eine Zurückziehung des Asylantrages im Stadium der Berufung als Zurückziehung der Berufung gilt. Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings zu dieser Bestimmung, die zufolge § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 iVm § 44 Abs. 3 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 auch im vorliegenden Fall zu tragen kommt, ausgesprochen, dass die Wirkung der Antragszurückziehung als fingierte Berufungszurückziehung dann nicht eintreten kann, wenn die Partei nicht nachweislich über diese Folge belehrt wurde (vgl. grundlegend das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2006, Zl. 2004/01/0289).
Dazu hat die belangte Behörde, weil sie davon ausging, an die Äußerung des unabhängigen Bundesasylsenates über die Einstellung des Berufungsverfahrens gebunden zu sein, keine Feststellungen getroffen.
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde stellte die in Form eines Aktenvermerkes dokumentierte Ansicht des unabhängigen Bundesasylsenates, das Berufungsverfahren sei wegen Zurückziehung der Berufung nicht mehr fortzuführen, keine die belangte Behörde bindende Entscheidung dar. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Beschwerdeführer im hier relevanten Zeitraum wegen Vorliegens einer allenfalls unbeachtlichen Zurückziehungserklärung (siehe oben) gegebenenfalls immer noch als Asylwerber angesehen werden müsste. Dann aber hätte die belangte Behörde mit Blick auf das Datum der Asylantragstellung (19. September 2003) zu prüfen gehabt, ob die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Asylgesetz 1997 in der Fassung vor der AsylG-Novelle 2003 für die Anwendbarkeit der die Schubhaft ermöglichenden Bestimmungen vorlagen (vgl. zur anzuwendenden Rechtslage im Falle vor dem 1. Mai 2004 gestellter Asylanträge das hg. Erkenntnis vom 22. November 2007, Zl. 2006/21/0333). Zudem läge dann auch keine von der Asylbehörde erlassene durchsetzbare Ausweisung vor, auf Grund derer eine Abschiebung, zu deren Sicherung die Schubhaft angeordnet und aufrechterhalten wurde, zulässig gewesen wäre (vgl. § 46 Abs. 1 FPG).
Die belangte Behörde erachtete sich jedoch in Verkennung der Rechtslage an die Äußerung des unabhängigen Bundesasylsenates gebunden.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordung 2003.
Wien, am 18. September 2008
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006210181.X00Im RIS seit
22.10.2008Zuletzt aktualisiert am
19.02.2009