TE Vwgh Erkenntnis 2008/9/18 2006/09/0193

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Veröffentlicht am 18.09.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

AuslBG §13a;
AuslBG §4 Abs6 idF 2005/I/101;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des Vereins H in W, vertreten durch Mag. Michael Stanzl, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Thaliastraße 155, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 18. August 2006, Zl. 3/08114/258 9538 betreffend Nichterteilung einer Beschäftigungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführende Partei stellte am 18. Juli 2006 den Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) für einen namentlich näher bezeichneten serbischen Staatsangehörigen für die Tätigkeit als Dolmetscher (Schriftführer) bei einer Bruttoentlohnung von EUR 700,-- im Monat bei einer Wochenstundenanzahl von 20 (Teilzeit). Als besondere Ausbildung und spezielle Kenntnisse wurden Fremdsprachen (Serbisch, Bosnisch, Kroatisch, Deutsch) angeführt.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 24. Juli 2006 wurde dieser Antrag im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, zum letzten Stichtag sei die Landeshöchstzahl für Wien überschritten gewesen und der Ausländer erfülle keine der Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Z. 2 bis 6 AuslBG. Der Regionalbeirat habe nicht einhellig die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung befürwortet.

In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung rügte die beschwerdeführende Partei (u. a.) eine Verletzung des Parteiengehörs, da die von der Behörde erster Instanz getroffene Feststellung einer Überschreitung der Landeshöchstzahl ohne Unterlagen nicht überprüfbar gewesen sei.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 4 Abs. 6 und § 13 AuslBG keine Folge. Begründend führte sie aus, die Statistik des Arbeitsmarktservice Österreich bezüglich der jeweiligen Ausschöpfung der Landeshöchstzahlen sowie der Bundeshöchstzahlen werde monatlich veröffentlicht. Die Landeshöchstzahl sei seit Beginn des Kalenderjahres 2006 in Permanenz überschritten. Nach der zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung für das Bundesland Wien evidenten Statistik des Arbeitsmarktservice Österreich, nämlich der für Juli 2006 kundgemachten Daten, seien mittels der in zuvor genannter Bestimmung aufgelisteten Berechtigungen insgesamt 66.084 ausländische Staatsbürger in Beschäftigung gestanden, seien 86 Sicherungsbescheinigungen gültig und 13.872 Ausländer mit Ausnahme der arbeitslosen Staatsangehörigen eines EWR-Mitgliedstaates und der arbeitslosen Konventionsflüchtlinge arbeitslos, was abzüglich der Doppel- und Mehrfachbeschäftigungen von 442 sowie nicht beanspruchter Bewilligungen von 949 in Summe eine Anzahl von 78.651 Personen ergeben habe, die auf die Landeshöchstzahl anzurechnen gewesen seien, was eine Überziehung von 19,2 % ergebe. Dem Hinweis auf eine "fortgeschrittene Integration" des beantragten Ausländers entgegnete die belangte Behörde, nach der vom Arbeitsmarktservice Österreich für August 2006 veröffentlichten Statistik rechneten nach dem zuvor dargelegten Berechnungsmodus insgesamt

78.173 Ausländer auf die Landeshöchstzahl, nämlich 66.743 Beschäftigte, 12.834 Arbeitslose und 31 sichergestellte ausländische Staatsbürger, in Summe 79.658, wovon 522 Doppel- und Mehrfachbeschäftigungen sowie 963 nicht beanspruchte Bewilligungen in Abzug zu bringen seien, was eine Überschreitung von 18,4 % bedeute. In Bezug auf die beabsichtigte Verwendung des beantragten Ausländers als Dolmetscher für eine Halbtagsbeschäftigung werde dieser der in § 4 Abs. 6 Z. 2 bis 6 AuslBG genannten Tatbestände nicht gerecht. Er weise vielmehr unabhängig von allenfalls in der Vergangenheit liegenden Aufenthaltszeiten in Österreich auf Grund des ihm gemäß § 51 Asylgesetz befristet bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens erteilten Aufenthaltsrechtes keine fortgeschrittene Integration im Bundesgebiet auf, zumal über ihn nach den eigenen Angaben im Antrag im Kalenderjahr 1995 ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot verhängt worden sei. Um eine Aufenthaltsverfestigung zu erlangen, müsse der ausländische Staatsangehörige mittels Niederlassungsbewilligung aufenthaltsberechtigt sein, die infolge einen dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet ermögliche. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Z. 2 AuslBG lägen daher nicht vor. Die anderen Kriterien des § 4 Abs. 6 Z. 3 bis 6 leg. cit. seien weder behauptet noch sonst erkennbar gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie sie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

In Ausführung der Beschwerde macht die beschwerdeführende Partei geltend, die belangte Behörde sei ihrer Ermittlungspflicht nicht in hinreichendem Maße nachgekommen und habe es insbesondere unterlassen, darauf einzugehen, dass mangels Unterlagen nicht habe nachvollzogen werden können, dass die Landeshöchstzahl für das Bundesland Wien für Beschäftigte und arbeitslose Ausländer erschöpft gewesen sei. Sie hätte diese - für die Behörde offensichtlich als offenkundig angesehene - Tatsache aber im Sinne des § 45 AVG der beschwerdeführenden Partei zur Kenntnis bringen und ihm Gelegenheit geben müssen, hiezu Stellung zu nehmen. Durch diese Vorgangsweise habe die Behörde der beschwerdeführenden Partei die Möglichkeit genommen, zu diesen Beweisergebnissen Stellung zu nehmen und insbesondere die Richtigkeit der von der Behörde herangezogenen Zahlen zu überprüfen. Hätte sie dies getan, wäre sie zu einem anders lautenden Bescheid gelangt.

Die belangte Behörde hatte den angefochtenen Bescheid ausschließlich auf § 4 Abs. 6 AuslBG gestützt. Diese Bestimmung (in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2005) lautet:

"Nach Überschreitung festgelegter Landeshöchstzahlen gemäß § 13 dürfen weitere Beschäftigungsbewilligungen nur dann erteilt werden, wenn die Voraussetzungen der Abs. 1 bis 3 vorliegen und

1. der Regionalbeirat die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung einhellig befürwortet oder

2. die Beschäftigung des Ausländers im Hinblick auf seine fortgeschrittene Integration geboten erscheint oder

3. die Beschäftigung im Rahmen eines Kontingents gemäß § 5 ausgeübt werden soll oder

4.

der Ausländer die Voraussetzungen des § 2 Abs. 5 erfüllt oder

4a.

der Ausländer Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind (einschließlich Stief- und Adoptivkind) eines auf Dauer rechtmäßig niedergelassenen und beschäftigten Ausländers ist oder

              5.              die Beschäftigung auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung ausgeübt werden soll oder

              6.              der Ausländer einer Personengruppe angehört, die auch nach Überziehung der Bundeshöchstzahl zu einer Beschäftigung zugelassen werden darf (§ 12a Abs. 2)."

Gemäß § 13a AuslBG kann der Bundesminister für Arbeit und Soziales u.a. zur Sicherung der Bundeshöchstzahl gemäß § 12a das für die einzelnen Bundesländer unter Bedachtnahme auf die örtliche Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes bestimmte Höchstausmaß beschäftigter und arbeitsloser Ausländer durch Verordnung bis spätestens 30. November für das nächstfolgende Jahr festsetzen (Landeshöchstzahlen).

Der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat mit Verordnung vom 25. November 2005, BGBl. II Nr. 384/2005, die Landeshöchstzahl für das Jahr 2006 für Wien mit 66.000 festgesetzt.

Die Anwendung des nach § 4 Abs. 6 AuslBG "erschwerten" Verfahrens für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung setzt voraus, dass entweder eine Kontingentüberschreitung oder eine Überschreitung der Landeshöchstzahl vorliegt und dass es an einer einhelligen Befürwortung des Antrags durch den Regionalbeirat fehlt.

Dass der Regionalbeirat den vorliegenden Antrag "nicht einhellig befürwortet" hat, wurde bereits im erstinstanzlichen Bescheid festgestellt; dieser Umstand wurde von der beschwerdeführenden Partei nicht in Zweifel gezogen.

Anders verhält es sich mit der von der belangten Behörde angenommenen Überschreitung der Landeshöchstzahl für 2006. Der Beschwerdeführer hatte bereits in seiner Berufung die Richtigkeit der Annahme der Überschreitung der Landeshöchstzahl gerügt und die Darlegung der statistischen Grundlagen beantragt. Darauf ging die belangte Behörde nicht ein.

Gemäß § 37 AVG ist Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.

Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen gemäß § 45 Abs. 1 AVG keines Beweises. Im Übrigen hat die Behörde nach § 45 Abs. 2 AVG unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

Als Beweismittel kommt gemäß § 46 AVG alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

Die Feststellung der Überschreitung der mit Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales festgesetzten Landeshöchstzahl ist eine Sachverhaltsfeststellung und nicht etwa eine dem Parteiengehör nicht zu unterziehende rechtliche Beurteilung (siehe die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. Juli 1993, Zl. 93/09/0059, vom 1. Juli 1993, Zl. 93/09/0096, und vom 8. September 1993, Zl. 93/09/0245).

Die Überschreitung der Landeshöchstzahl ist weder offenkundig noch besteht für ihr Vorhandensein eine gesetzliche Vermutung. Sie ist daher von der Behörde in einem ordnungsgemäßen Verfahren nach den Grundsätzen der oben wiedergegebenen §§ 37, 45 Abs. 2 und 3 sowie 46 AVG zu ermitteln und festzustellen.

Die belangte Behörde hat der beschwerdeführenden Partei lediglich die Zahlen der auf die Landeshöchstzahl von 66.000 anzurechnenden Ausländer per Stichtage Juli und August 2006 bekannt gegeben, wofür sie die vom Arbeitsmarktservice Österreich herausgegebene Statistik herangezogen hat. Sie hat jedoch trotz des darauf abzielenden Antrages der beschwerdeführenden Partei nicht offengelegt, aus welchen Daten diese Statistik gespeist und auf welche Weise sie auf dem Laufenden gehalten wird, sie hat vielmehr auf die als Bestreitung der Überschreitung der Landeshöchstzahl zu wertenden Einwendungen nicht weiter reagiert.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung des angefochtenen Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Er schließt keinesfalls eine derartige Kontrolle in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1999, Zl. 97/16/0370, mwN). Eine Tatsache darf in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern. Die Ansicht der belangten Behörde, gegen die sich aus der Statistik ergebenden Zahlen könne sowieso nichts mit Erfolg vorgebracht werden, stellt eine unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung dar.

Im Beschwerdefall hat sich die belangte Behörde zum Nachweis der Tatsache der Überschreitung der Landeshöchstzahl auf eine amtliche Statistik des Arbeitsmarktservice berufen, sie hat aber dieses Beweismittel trotz Bestreitung im Verfahren nicht offengelegt. Damit aber hat sie den Grundsatz verletzt, dass es in einem rechtsstaatlichen Verfahren keine geheimen Beweismittel geben darf, und dass auch in amtliche Urkunden Einsicht zu gewähren und der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme dazu zu geben ist. Durch diese Vorgangsweise der belangten Behörde ist aber nicht nur der beschwerdeführenden Partei die Möglichkeit verwehrt worden, konkret auf die von der belangten Behörde als Beweismittel verwertete Statistik einzugehen, sondern es ist dadurch auch dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich, den angefochtenen Bescheid diesbezüglich auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz zu prüfen. Erst eine Offenlegung aller von der belangten Behörde dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Beweismittel - insbesondere der amtlichen Statistik und des zu ihrer Erstellung angewandten Systems - wird eine Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes dahin ermöglichen, ob die von der belangten Behörde festgestellte Überschreitung der Landeshöchstzahl in den vorgenommenen Ermittlungen Deckung findet und - unter Berücksichtigung allfälliger von der beschwerdeführenden Partei zu konkretisierender Einwendungen - das Ergebnis einer mängelfreien Beweiswürdigung darstellt.

Die Feststellung der Überschreitung der Landeshöchstzahl ist daher im Beschwerdefall in einem mangelhaften Verfahren getroffen worden.

Die Beschwerde zeigt daher relevante Verfahrensmängel auf, bei deren Vermeidung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 18. September 2008

Schlagworte

Parteiengehör Rechtliche BeurteilungParteiengehör Verletzung des Parteiengehörs VerfahrensmangelSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006090193.X00

Im RIS seit

22.10.2008

Zuletzt aktualisiert am

26.01.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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