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E000 EU- Recht allgemein;Norm
12003T/TXT Beitrittsvertrag Europäische Union;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des R M in Wien, vertreten durch Dr. Michl Münzker, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landskrongasse 5, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 15. September 2006, Zl. LGSW/Abt. 3/08115/2006, betreffend Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 8. August 2006 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, als Kinder im Sinne des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG gälten in Anlehnung an die Bestimmung des ABGB zum Kindbegriff unabhängig von einer allfällig weiterbestehenden Unterhaltsleistung bzw. -verpflichtung nur Kinder, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten. Der Beschwerdeführer sei am 3. Februar 1987 geboren und habe somit das 18. Lebensjahr bereits vollendet, weshalb der Ausnahmetatbestand von ihm nicht erfüllt werde.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, welcher mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 15. September 2006 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG keine Folge gegeben wurde. Auch die belangte Behörde begründete ihren Bescheid im Wesentlichen dahingehend, die Kindeseigenschaft werde in § 2 Abs. 1 Z. 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) BGBl. I Nr. 100/2005 festgelegt, wonach Kinder unverheiratete und minderjährige Kinder seien. Die Minderjährigkeit richte sich gemäß § 2 Abs. 4 NAG nach den Bestimmungen des ABGB. Minderjährig seien danach Kinder, welche das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten. Daraus gehe hervor, dass § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG auf großjährige Kinder österreichischer Staatsbürger keine Anwendung zu finden habe. Die Ausstellung der Freizügigkeitsbestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG sei daher für den über 18 Jahre alten Beschwerdeführer nicht zulässig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend gemacht wird.
Der Beschwerdeführer steht auf dem Standpunkt, der Begriff "Kind" sei im Ausländerbeschäftigungsgesetz selbst nicht geregelt, weshalb davon auszugehen sei, dass unter "Kind" jeder leibliche Nachkomme und infolge des Wortlautes des § 1 Abs. 2 lit. m auch Stiefkinder zu verstehen seien. Entgegen der Meinung der belangten Behörde wäre in § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG nicht die Kindeseigenschaft, sondern der Begriff der Familienangehörigen, wozu Ehegatten und unverheiratete minderjährige Kinder gehörten, umschrieben. Daraus folge, dass nur dann, wenn das NAG von Familienangehörigen spreche, es damit (auch) minderjährige unverheiratete Kinder meine. Spreche aber dieses Gesetz von Kindern, so meine es damit leibliche Kinder. Umso weniger lasse sich aber der Schluss ziehen, in einem anderen Gesetz - wie hier dem AuslBG - seien im Sinne der Legaldefinition des NAG ebenfalls nur minderjährige Kinder zu verstehen. Eine solche Annahme gehe auch am Sinn des Gesetzes vorbei, weil die Zahl minderjähriger beschäftigter Ausländer wohl gegen Null gehen dürfte. Hätte der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG lediglich minderjährige Kinder gemeint, hätte er das Adjektiv "mj." eingebaut.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 Abs. 2 lit. m des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2005, sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht anzuwenden auf EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch nehmen, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) sowie die drittstaatsangehörigen Ehegatten und Kinder österreichischer Staatsbürger, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zur Niederlassung nach dem NAG berechtigt ist.
Diese durch die Novelle BGBl. I Nr. 101/2005 normierte Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG diente nach den Erläuterungen (RV 948 BlgNR 22. GP, S. 1 und 4) u.a. der Umsetzung der "Unionsbürgerrichtlinie" (RL 2004/38/EG vom 29. April 2004, in der Folge RL).
Gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG in der Fassung BGBl. I Nr. 99/2006 ist Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 2 lit. l und m auf deren Antrag von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Bestätigung auszustellen, dass sie vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sind.
Gemäß § 32a Abs. 1 AuslBG, in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2005, gilt § 1 Abs. 2 lit. l und m - mit Ausnahme der Staatsangehörigen der Republik Malta und der Republik Zypern - nicht für Staatsangehörige jener Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die am 1. Mai 2004 aufgrund des Vertrages über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (Beitrittsvertrag), Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 236 vom 23. September 2003, Seite 17 und Nr. C 227 E vom 23. September 2003, der Europäischen Union beigetreten sind, es sei denn, sie sind Ehegatten, Kinder, Eltern oder Schwiegereltern eines freizügigkeitsberechtigten Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR), der bereits vor In-Kraft-Treten des Beitrittsvertrages dem EWR angehörte, oder sie sind Ehegatten oder Kinder eines österreichischen Staatsbürgers oder eines Staatsangehörigen eines anderen EWR-Mitgliedstaates, der sein Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch nimmt.
Im Beschwerdefall handelt es sich um den Stiefsohn eines österreichischen Staatsbürgers, der die tschechische Staatsangehörigkeit besitzt und damit seit dem Beitritt Tschechiens zur EU per 1. Mai 2004 Unionsbürger ist. Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hatte der Antragsteller das 21. Lebensjahr noch nicht überschritten.
Die belangte Behörde hatte zur Interpretation des Begriffes "Kind" in § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG die Definition des § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG herangezogen. Damit hat sie verkannt, dass diese Bestimmung der Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung von Drittstaatsangehörigen (also nicht der Zusammenführung von Unionsbürgern und drittstaatsangehörigen Familienmitgliedern) dient, was bereits im hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2007, Zl. 2007/09/0228, dargelegt wurde.
Auf die Minderjährigkeit des Kindes im Sinne des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG in der hier in Rede stehenden Fassung kommt es nicht mehr an, weil - im Gegensatz der vorherigen Rechtslage - eine Altersbeschränkung nicht mehr vorgesehen ist. Dies ergibt sich sowohl aus der von jener des lit. l leg. cit. abweichenden Textierung als auch dem gänzlichen Fehlen entsprechender Hinweise in den Materialien. Davon ausgehend ist unter dem Begriff "Kind" im Sinne des § 42 ABGB jeder Verwandte in absteigender Linie zu verstehen (siehe dazu Bichl/Schmid/Szymanski, Das neue Recht der Arbeitsmigration, 2006, S.82). Im Übrigen ist - trotz Fehlens einer eindeutigen Bezugnahme auch auf Adoptiv- und Stiefkinder österreichischer Staatsbürger in § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG - kein Grund ersichtlich diese schlechter zu stellen als die ausdrücklich in § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG genannten Adoptiv- und Stiefkinder von EWR-Bürgern: Da Angehörige österreichischer Staatsbürger nicht schlechter behandelt werden dürfen als Angehörige von Unionsbürgern (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 14.863/1997 und 16.214/2001), kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden, dass er eine solche Schlechterstellung normieren wollte. Daher ist die Formulierung "Kinder österreichischer Staatsbürger" im Hinblick auf den verfassungsgesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verfassungskonform so auszulegen, dass davon auch Adoptiv- und Stiefkinder erfasst sind.
Im Beschwerdefall kommt es daher weder auf die tatsächliche Unterhaltsgewährung noch auf das Alter des (Stief-)Kindes des österreichischen Staatsbürgers an.
Dies hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 18. September 2008
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Richtlinie Umsetzungspflicht EURallg4/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006090200.X00Im RIS seit
19.11.2008Zuletzt aktualisiert am
08.01.2013