TE Vwgh Erkenntnis 2008/10/2 2007/18/0014

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Veröffentlicht am 02.10.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
StGB §133 Abs1;
StGB §133 Abs2;
StGB §159 Abs1;
StGB §159 Abs2;
StGB §159 Abs5 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des J G (vormals: R) in W, geboren am 3. November 1955, vertreten durch Dr. Michaela Iro, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Invalidenstraße 13/1/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. August 2006, Zl.  SD 474/06, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. August 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei von 29. August 1977 bis zum 26. März 1993 und ab dem 22. August 1997 in Österreich behördlich gemeldet gewesen. Er halte sich somit - abgesehen von einer etwa vierjährigen Unterbrechung in der Mitte der Neunzigerjahre - seit seinem 21. Lebensjahr im Bundesgebiet auf.

Er weise in den Jahren 1989, 1993, 1997, 1999 und 2005 rechtskräftige Verurteilungen auf, deren Grundlage dieser selbst in seiner Berufung schildere. Maßgebend für die belangte Behörde sei jedoch lediglich das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. November 2005. Darin sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der Veruntreuung gemäß § 133 Abs. 1 und Abs. 2, zweiter Fall StGB sowie wegen des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen gemäß § 159 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 5 Z. 3 StGB zu einer dreijährigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er habe - zum Teil mit seinem Sohn als Mittäter - bis November 2000 dadurch, dass er vom 22. Oktober 1997 bis 30. April 1999 als Geschäftsführer einer Firma geleaste Kraftfahrzeuge und Anhänger in die damalige Bundesrepublik Jugoslawien verbringen und dort habe veräußern lassen und sich und Dritten den Erlös mit Bereicherungsvorsatz zugeeignet habe, einen Schaden von etwa EUR 291.000,-- herbeigeführt. Er bestreite die wiederholten Verurteilungen nicht, bringe jedoch vor, dass seine Familie in Österreich aufhältig und er selbst ziemlich krank wäre, sodass er auf deren Hilfe und Pflege angewiesen wäre.

Die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes lägen vor. Zum einen sei auf Grund der Verurteilungen des Beschwerdeführers der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt. Das ihm zur Last liegende Fehlverhalten lasse die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde und überdies anderen in Art. 8 EMRK genannten öffentlichen Interessen, insbesondere der Verteidigung der Ordnung, des Eigentums und der Verhinderung von strafbaren Handlungen, zuwiderlaufe.

Der Beschwerdeführer halte sich bereits viele Jahre in Österreich auf. Er sei beinahe 51 Jahre alt und verheiratet. Er sei für seine Ehefrau, die selbst berufstätig sei, sorgepflichtig und weise keine beruflichen, jedoch starke familiäre Bindungen im Bundesgebiet auf. Seine Ehefrau, sein Sohn, dessen Ehefrau und ein Enkelkind wohnten ebenfalls im Bundesgebiet. Nach reiflicher Überlegung und Abwägung aller maßgebenden Umstände sei die belangte Behörde zu dem Schluss gekommen, dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme selbst unter Berücksichtigung des langen inländischen Aufenthaltes und der starken familiären Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, die einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben nach sich zögen, dennoch im Grund des § 66 FPG zulässig sei. In Hinblick auf die Gefährlichkeit der Eigentumskriminalität sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Das dargestellte Fehlverhalten des Beschwerdeführers verdeutliche seine Gefährlichkeit für fremdes Eigentum und sein Unvermögen bzw. seinen Unwillen, die Rechtsvorschriften des Landes, das ihm Gastfreundschaft gewährt habe, einzuhalten. Es sei angemerkt, dass auch die Nichtentrichtung von Sozialversicherungsabgaben (Verurteilung zu acht Monaten bedingter Freiheitsstrafe gemäß § 114 Abs. 1 und 2 ASVG) und der schwere Betrug gemäß § 146 und § 147 Abs. 3 StGB durch die Ausstellung eines ungedeckten Schecks mit einer sehr hohen Geldsumme (Verurteilung zu zwei Jahren bedingter Freiheitsstrafe) mit zu berücksichtigen seien.

Eine positive Verhaltensprognose für den Beschwerdeführer sei im Hinblick auf die beachtliche kriminelle Energie seiner Straftaten und den damit verbundenen, überaus erheblichen Unrechtsgehalt unter keinen Umständen möglich. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer seinem bisherigen Vorleben zufolge offensichtlich zu strafbaren Handlungen neige, die weniger körperliche Kräfte als vielmehr geistige Regheit beanspruchen würden. Daher könnten gewisse körperliche Gebrechen des Beschwerdeführers kein Hindernis für weitere Straftaten sein. Auch der Umstand, dass er strafhaftfähig sei, spreche gegen die Annahme einer "beachtlichen körperlichen Hinfälligkeit".

Hinsichtlich der gemäß § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass einer aus dem bisherigen langen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das wiederholte strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Von daher gesehen hätten die privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den genannten, hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten. Es sei nach den vorgelegten Urkunden unbestreitbar, dass der Beschwerdeführer herzkrank sei. Diese Erkrankung könne jedoch auch im Heimatland des Beschwerdeführers gut behandelt werden. Es sei auch nicht völlig unzumutbar, dass allenfalls die Ehefrau des Beschwerdeführers diesem in ihr gemeinsames Heimatland folge. Angesichts des Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers, der Art und der besonderen Schwere der ihm zur Last liegenden Straftaten sowie des Fehlens besonders berücksichtigungswürdiger Umstände habe von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden können.

Das Aufenthaltsverbot sei unbefristet auszusprechen gewesen. Der Beschwerdeführer sei mehrfach straffällig geworden, womit das Eigentum anderer nachhaltig gefährdet worden sei. Dadurch sei manifest geworden, dass der Beschwerdeführer maßgebliche, zum Rechtsgüterschutz aufgestellte Vorschriften gering schätze. Deshalb könne nicht vorhergesehen werden, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Grund, nämlich die erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, weggefallen sein werde.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 28. November 2006, B 1585/06-7, lehnte dieser die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof begehrt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf Grundlage der zuletzt erfolgten rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren begegnet die - unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

2. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8. November 2005 wurde der Beschwerdeführer zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt. Der Beschwerdeführer ließ im Zeitraum von Oktober 1997 bis April 1999 als Geschäftsführer der Firma seines Sohnes geleaste KFZ und Anhänger in die Bundesrepublik Jugoslawien verbringen und dort veräußern. Den Erlös eignete er sich oder Dritten zu und führte so einen Schaden von über EUR 290.000,-- herbei. Er hat dadurch das Verbrechen der Veruntreuung sowie das Vergehen der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen begangen. Der Beschwerdeführer hat durch sein Fehlverhalten gegen das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität verstoßen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2007, Zl. 2007/18/0324). Die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Das Aufenthaltsverbot erweist sich auch nicht iSd § 61 Z. 3 oder 4 FPG als unzulässig, weil diese Gesetzesstellen u.a. keine Anwendung finden, wenn der Fremde - wie vorliegend - mindestens zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem bzw. von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist.

3. Der 1955 geborene Beschwerdeführer kam 1977 im Alter von einundzwanzig Jahren nach Österreich. Seitdem lebt er - abgesehen von einer vierjährigen Unterbrechung von 1993 bis 1997 - im Bundesgebiet. Er ist verheiratet und für seine in Österreich lebende berufstätige Ehefrau sorgepflichtig. Ebenfalls im Bundesgebiet aufhältig sind der Sohn des Beschwerdeführers, dessen Ehefrau und sein Enkelkind, die alle drei die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Zwar wird die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration in ihrer sozialen Komponente durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers erheblich gemindert. Dennoch kommt den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers auf Grund des insgesamt 25 Jahre dauernden Aufenthalts, seiner familiären Bindungen zu seinen (österreichischen) Angehörigen und seiner gesundheitlichen Verfassung ein sehr großes Gewicht zu. Auch wenn das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers die aufenthaltsbeendende Maßnahme wegen Gefährdung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Rechtsgüter iSd § 66 Abs. 1 FPG als dringend geboten erscheinen lässt, wird angesichts des dargestellten Gewichts der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers die Ansicht der belangten Behörde, die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 FPG), vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt. Es ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde nicht nur keine Feststellungen zu den früheren Straftaten des Beschwerdeführers getroffen hat, sondern ausdrücklich ausgeführt hat, dass für sie nur das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8. November 2005 maßgebend sei.

4. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

5. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Die Umsatzsteuer ist mit dem pauschalierten Schriftsatzaufwand abgedeckt. Wien, am 2. Oktober 2008

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007180014.X00

Im RIS seit

30.10.2008

Zuletzt aktualisiert am

26.01.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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