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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrG 1997 §15 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der M M in W, geboren am 5. Februar 1985, vertreten durch Mag. Johann Galanda und Dr. Anja Oberkofler, Rechtsanwälte in 1120 Wien, Arndtstraße 87/12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. März 2008, Zl. E1/76.200/2008, betreffend Zurückweisung einer Berufung gegen eine Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 5. März 2008 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 7. Dezember 2007, mit dem die Beschwerdeführerin gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen.
Im Verfahren betreffend die Verlängerung des Aufenthaltstitels habe der Landeshauptmann von Wien (die Niederlassungsbehörde) der Beschwerdeführerin die Mitteilung iSd § 25 Abs. 1 NAG vom 27. September 2007 durch Hinterlegung beim Zustellpostamt 1050 Wien zugestellt. Darin habe die Niederlassungsbehörde u.a. ausgeführt, es wäre gemäß § 25 Abs. 1 NAG beabsichtigt, ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (§§ 52 ff FPG) einzuleiten, weil die Voraussetzungen für eine Verlängerung des Aufenthaltstitels fehlen würden. Nach Ablauf der für eine Stellungnahme eingeräumten Frist von 14 Tagen würde die Einleitung eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung veranlasst werden. Das fremdenpolizeiliche Büro würde sodann prüfen, ob gegen die Beschwerdeführerin ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung zu erlassen wäre. Daraufhin habe die Beschwerdeführerin der Niederlassungsbehörde eine mit 17. Oktober 2007 datierte Stellungnahme übermittelt. Darin habe sie zur fehlenden Voraussetzung für die Verlängerung des Aufenthaltstitels ("durch die kurze Ehedauer - kein Bleiberecht, keinen Rechtsanspruch auf eine für Inländer ortsübliche Unterkunft") dahin Stellung genommen, dass sie zwar vom 20. Jänner 2006 bis zum 10. Juli 2007 verheiratet gewesen wäre, ihr Ehemann sie aber vernachlässigt hätte und frech zu ihr gewesen wäre, weshalb sie ihn verlassen hätte. Sie würde sich bei ihren Cousinen befinden. Sie stehe in einem "Arbeitsverhältnis/selbständig" und würde sich selbst finanzieren können. Sie würde eine Zweckänderung für den Aufenthaltstitel "selbständig" begehren. Sie hätte keine Familie in Serbien und dort kein Zuhause. Sie hätte in Österreich ihre Heimat gefunden. Als Wohnanschrift habe die Beschwerdeführerin "Wien 5., A-Gasse 5/22", angegeben.
Im daraufhin eingeleiteten Aufenthaltsbeendigungsverfahren habe die Bundespolizeidirektion Wien (die Erstbehörde) versucht, den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid an die von der Beschwerdeführerin angeführte Zustelladresse Wien 5., A-Gasse 5/22, "mittels RSa-Kuvert" zuzustellen. Das Zustellstück sei vom Zustellorgan mit dem Vermerk "verzogen" an die Erstbehörde retourniert worden. Einem Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung sei keine Abgabestelle im Sinn des § 2 Zustellgesetz zu entnehmen gewesen. Daraufhin habe die Erstbehörde den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 8 Abs. 1 und 2 iVm § 23 Abs. 3 Zustellgesetz durch Hinterlegung zugestellt. Eine von der Erstbehörde beim Zentralen Melderegister eingeholte Auskunft habe zum Zustellzeitpunkt eine aufrechte Meldung in Wien 5., A-Gasse 5/22, ausgewiesen. In einem Aktenvermerk habe die Erstbehörde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin die Abgabestelle während des laufenden Verfahrens geändert und es unterlassen hätte, der Behörde eine neue Abgabestelle bekannt zu geben. Die Feststellung einer neuen Abgabestelle wäre nicht ohne Schwierigkeiten möglich gewesen. Das Schriftstück würde am 15. Dezember 2007 bei der Behörde hinterlegt und ab diesem Tag zur Abholung bereitgehalten. Die so hinterlegte Sendung würde gemäß § 23 Abs. 4 Zustellgesetz mit dem ersten Tag der Hinterlegung als zugestellt gelten. Parallel dazu - so die belangte Behörde weiter -
seien von der Erstbehörde Erhebungen über den tatsächlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin durchgeführt worden. Nach dem Bericht vom 10. Jänner 2008 sei die Beschwerdeführerin nach Wien 20, O-Gasse 32/19, verzogen und dem Zentralen Melderegister zufolge seit dem 8. Jänner 2008 an dieser Anschrift mit Hauptwohnsitz gemeldet. Daraufhin sei von der Erstbehörde eine zweite Zustellung durch Hinterlegung beim Postamt 1208 Wien (dem Beschwerdevorbringen zufolge am 31. Jänner 2008) vorgenommen worden.
Spätestens seit der Mitteilung des Landeshauptmannes von Wien vom 27. September 2005 habe der Beschwerdeführerin klar sein müssen, dass ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (§§ 52 ff FPG) eingeleitet würde, weil gewisse Voraussetzungen zur Verlängerung ihres Aufenthaltstitels fehlen würden. Darauf sei sie ausdrücklich hingewiesen worden. In ihrer Stellungnahme (vom 17. Oktober 2007) habe sie eine Zustelladresse angegeben, an welcher die Erstbehörde den angefochtenen Bescheid zuzustellen versucht habe. Das Zustellorgan, das nach § 3 Zustellgesetz funktionell zum Organ der Zustellbehörde werde, habe erhoben, dass die Beschwerdeführerin verzogen sei. Vor diesem Hintergrund sei die von der Erstbehörde vorgenommene Zustellung durch Hinterlegung am 15. Dezember 2007 zu Recht erfolgt. Die neuerliche Zustellung des angefochtenen Bescheides habe gemäß § 6 Zustellgesetz keine Rechtswirkungen ausgelöst. Die zweiwöchige Berufungsfrist habe am 31. Dezember 2007 geendet. Die erst am 14. Februar 2008 zur Post gegebene Berufung sei verspätet.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. § 25 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, lautet:
"(1) Fehlen in einem Verfahren zur Verlängerung des Aufenthalts- oder Niederlassungsrechts Erteilungsvoraussetzungen (§ 11 Abs. 1 und 2), so hat die Behörde - gegebenenfalls nach Einholung einer fremdenpolizeilichen Stellungnahme - den Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass eine Aufenthaltsbeendigung gemäß §§ 52 ff. FPG beabsichtigt ist und ihm darzulegen, warum dies unter Bedachtnahme auf den Schutz seines Privat- oder Familienlebens (§ 66 FPG) zulässig scheint. Außerdem hat sie ihn zu informieren, dass er das Recht hat, sich hiezu binnen einer gleichzeitig festzusetzenden, 14 Tage nicht unterschreitenden Frist zu äußern. Nach Ablauf dieser Frist hat die Behörde die zur Aufenthaltsbeendigung zuständige Fremdenpolizeibehörde - gegebenenfalls unter Anschluss der Stellungnahme des Fremden - zu verständigen. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 73 AVG gehemmt."
Die Niederlassungsbehörde hat bei gegebener Sachlage die Fremdenpolizeibehörde gemäß § 25 Abs. 1 NAG lediglich zu verständigen (vgl. § 15 Abs. 2 des außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997, wonach sie das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung zu veranlassen hatte). Die Einholung der Stellungnahme der Beschwerdeführerin iSd § 25 Abs. 1 NAG war kein Teil des erst danach durch eine andere Behörde (die Fremdenpolizeibehörde) einzuleitenden Aufenthaltsbeendigungsverfahrens. Die von der Beschwerdeführerin in ihrer - im Rahmen des Verfahrens nach § 25 Abs. 1 NAG abgegebenen - Stellungnahme bekannt gegebene Wohnanschrift Wien 5, A-Gasse 5/22, war daher keine "bisherige Abgabestelle" während eines (fremdenpolizeilichen) Verfahrens iSd § 8 Abs. 1 Zustellgesetz.
Zum Zeitpunkt der versuchten Zustellung der erstinstanzlichen Ausweisung (15. Dezember 2005) war die Wohnung in Wien 5, A-Gasse 5/22, keine "Abgabestelle" der Beschwerdeführerin iSd § 2 Z 5 Zustellgesetz, weil diese dort - den auf den Angaben des Zustellorgans beruhenden Feststellungen zufolge - nicht (mehr) gewohnt hat. Die Zustellung war unwirksam, sodass sich die auf den Ablauf der Rechtsmittelfrist am 31. Dezember 2007 gestützte Zurückweisung der am 14. Februar 2008 zur Post gegebenen Berufung als rechtswidrig erweist.
2. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Der Zuspruch von Aufwandersatz im Rahmen des gestellten Begehrens beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 2. Oktober 2008
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2008180430.X00Im RIS seit
30.10.2008Zuletzt aktualisiert am
19.02.2009