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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §1 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Mag. Nedwed, Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Gerhard Othmar Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Juni 2005, Zl. 229.239/0-VIII/22/02, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Ehefrau und drei Kindern (hg. Zlen. 2006/19/0842 bis 0845) am 8. April 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte an diesem Tag Asyl. Er sei in Vartenik (in der damaligen Armenischen Sozialistischen Sowjetrepublik) geboren worden, dort aufgewachsen und gehöre der armenischen Volksgruppe an. Seit seiner Heirat 1986 habe er in Aserbaidschan gelebt; seine Frau sei eine Aseri. Seine Eltern seien gegen diese Heirat gewesen. 1988 sei es zu Kämpfen zwischen Armenien und Aserbaidschan gekommen. Er sei des öfteren von Freischärlern aufgefordert worden, Aserbaidschan zu verlassen, da er Armenier sei. Anfang März 1989 sei er von Freischärlern festgehalten worden, er habe nach 21 Tagen fliehen können. Er sei sodann im Juni 1989 mit seiner Familie über Georgien in die Russische Föderation gereist. Dort (in Khamutez) habe er ein Haus gemietet und habe angefangen, seinem Beruf als Automechaniker nachzugehen. Kriminelle Gruppierungen hätten den Wohnbezirk unter ihrer Kontrolle gehalten; an diese habe er Schutzgeld bezahlt. Im Jahr 2000 habe er diese Gruppierung ersucht, ihm dabei zu helfen, eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Hiefür habe er USD 4.000,-
- an diese Gruppierung bezahlt. Da er in der Folge die Aufenthaltsbewilligung nicht erhalten habe, habe er den Betrag zurück verlangt; nachdem er auch den Betrag nicht zurück erhalten habe, habe er sich an die Polizei gewandt. Es seien sodann Mitglieder der kriminellen Gruppierung zu ihm gekommen und hätten ihm eine Woche Zeit gegeben, die Ortschaft zu verlassen. In der Folge sei auch das Haus angezündet worden. Der Beschwerdeführer sei daraufhin mit seiner Familie nach Österreich geflüchtet. Er habe keine Heimat. Um nach Armenien zurückfahren zu können, müsste er sich von seiner Frau und den Kindern trennen; ansonsten bestehe weder eine Möglichkeit nach Aserbaidschan, Armenien oder Russland zurückzukehren.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 29. Mai 2002 den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.) und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien gemäß § 8 AsylG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.). Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht asylrelevant. Es sei aber zu berücksichtigen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers eine Aseri sei. Der Umstand der Mischehe könnte im Falle einer Rückkehr nach Armenien aufgrund des dort in weiten Kreisen der Bevölkerung herrschenden historisch bedingten Misstrauens gegenüber Aserbaidschanern zu Einschränkungen dergestalt führen, dass eine ordnungsgemäße Führung des Familienlebens nicht aufrechterhalten werden könne. Im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien würde der Beschwerdeführer Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides gerichtete Berufung ab. Die belangte Behörde traf folgende Feststellungen:
"1. Zur Person des Berufungswerbers wird folgendes festgestellt:
Der am 21.08.1961 in Vartenik, in Armenien, geborene Berufungswerber gehört der armenischen Volksgruppe an. Er besitzt zehn Jahre Grundschulausbildung und ist von Beruf Automechaniker.
Am 07.11.1986 hat der Asylwerber in Baku eine Frau aserbaidschanischer Herkunft geheiratet, mit welcher er dann bis 1989 in Aserbaidschan gelebt hat und sich auch eine Existenz aufgebaut hat. Nach Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Aserbaidschan und Armenien wurde der Berufungswerber Anfang März 1989 von Freischärlern mit der Aufforderung, Aserbaidschan zu verlassen, psychisch terrorisiert und für 21 Tage gefangen gehalten. Für diese musste er auch gratis deren Autos reparieren. Diese Gefälligkeitsakte führten dann zu seiner Flucht, da einige wenige als Bewacher fungierende Freischärler den Asylwerber diese ermöglicht hatten. Über durch seinen Schwiegervater hergestellte Kontakte gelangte der Berufungswerber schließlich nach Khamutez in Russland, wo er sich ein Haus miete und seinem Beruf als Automechaniker nachging. Kriminellen Gruppierungen musste er monatlich zwischen 200 und 500 US Dollar an Schutzgeldern bezahlen, als Gegenleistung wurde er von den Kriminellen in der Form geschützt, dass er weder nach einem Pass befragt worden ist noch nach einer Aufenthaltsbewilligung. Im Jahr 2000 zahlte der Berufungswerber 4000 US Dollar an diese Leute, damit sie ihm gefälschte Dokumente bzw. eine Aufenthaltsbewilligung besorgen, was diese jedoch nie taten. Nach einem Jahr voller Vertröstungen wollte der Berufungswerber sein Geld vergeblich zurück haben, weswegen er bei der Polizei eine Anzeige erstattet hat. In der Folge räumten die Kriminellen dem Asylwerber eine Frist von einer Woche zum Verlassen der Ortschaft ein, widrigenfalls ihm und seiner Familie etwas angetan werden würde. Einige Tage später wurde das Haus in seiner Abwesenheit von den Kriminellen angezündet. Mit seiner Familie flüchtete er nach Moskau, von wo er dann mangels irgendwelcher Papiere schließlich schlepperunterstützt nach Österreich gereist ist.
Zur Situation der aserischen Minderheit sowie Personen gemischt ethnischer (armenisch aserbaidschanischer) Abstammung in Armenien wird folgendes festgestellt:
Die Verfassung der Republik Armenien (1995) garantiert in Artikel 15 die Rechtsgleichheit aller Bürger ungeachtet ihrer 'nationalen Abstammung, Rasse, Geschlechts, Sprache, Glaubens, politischen oder anderen Überzeugung, sozialen Herkunft, Vermögens oder anderen Status.
Weder der armenische Gesetzgeber, noch die armenische Regierung diskriminieren Angehörige ethnischer Minderheiten in kollektiver oder individueller Weise. Diese fühlen sich jedoch in einer zu 98 Prozent monoethnischen Gesellschaft oft von der armenischen Minderheit (sic!) überwältigt.
Mit 5,3 Prozent bzw. 161.000 Angehörigen (nach Eigenangaben sogar bis zu 250.000), bildeten die Aseris vor ihrer fast vollständigen Massenflucht 1988/1989 die größte ethnische Minderheit Armeniens. Seither ist das aserbaidschanisch-armenische Verhältnis sowohl auf zwischenstaatlicher, wie auch gesellschaftlicher Ebene durch die wechselseitige Vertreibung der Minoritäten stark belastet.
Im Herbst 1988 setzte der Massenexodus der aserbaidschanischen Minderheit aus Armenien ein.
Heute gibt es kaum noch Aserbaidschaner in Armenien. Die wenigen im Land verbliebenen sind meist mit Armenier/Innen verheiratet bzw. entstammen binationalen Ehen.
Als ethnische Gemeinschaft ist die aserische Minderheit nicht organisiert, aber die meisten ihrer Angehörigen sind ziemlich assimiliert und werden von ihren Nachbarn und ihrer lokalen Gemeinschaft akzeptiert.
Im Unterschied zum eigentlichen Armenien, wo nur wenige Aseris geblieben sind, leben in Berg-Karabach eine ganze Menge Aseris sowie binationale Ehepaare.
Es gibt keinerlei Hinweise für eine Verfolgung von Angehörigen binationaler Ehen durch staatliche Organe in Armenien, weder auf nationaler, noch regionaler oder lokaler Ebene".
Die belangte Behörde stützte die Feststellungen zur Situation in Armenien auf ein länderkundliches Gutachten der Sachverständigen Dr. Tessa Savvidis, zu welchem der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren Stellung genommen hatte.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Beschwerde behauptet, als Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sei nicht Armenien, sondern Aserbaidschan anzusehen. Der Begriff des Herkunftsstaates werde weder im Asylgesetz noch in der Genfer Flüchtlingskonvention definiert. Dies trifft nicht zu. Gemäß § 1 Z 4 AsylG ist Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.
Die belangte Behörde geht in ihrer Entscheidung (wie schon das Bundesasylamt) davon aus, dass der Beschwerdeführer armenischer Staatsangehöriger ist. Eine Begründung für diese Sachverhaltsannahme findet sich im angefochtenen Bescheid jedoch nicht und es erscheint dem Verwaltungsgerichtshof aus den nachstehenden Gründen erforderlich, das Ermittlungsverfahren zu ergänzen:
Der Beschwerdeführer wurde zwar im Jahr 1961 in der damaligen Armenischen Sozialistischen Sowjetrepublik geboren und gehört der armenischen Volksgruppe an. Er verließ die Armenische Sozialistische Sowjetrepublik aber nach eigenen Angaben im Jahr 1986 und lebte fortan in Aserbaidschan bzw. in Russland.
Es ist notorisch, dass sich die Republik Armenien erst im September 1991 für unabhängig erklärte. Angesichts dieses Umstandes geht aus dem angefochtenen Bescheid aber nicht nachvollziehbar hervor, ob der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Armenien aufhältige Beschwerdeführer nach den maßgeblichen Bestimmungen des armenischen Staatsbürgerschaftsrechts überhaupt die armenische Staatsbürgerschaft erworben hat. Seine zum Nachweis der Identität und Nationalität vorgelegten Urkunden (Heiratsurkunde vom 7. Februar 1987, ausgestellt von der Gemeinde Baku in Aserbaidschan, und ein am 30. Oktober 1980 ausgestelltes sowjetisches Wehrdienstbuch) stammen aus der Zeit vor der Unabhängigkeitserklärung Armeniens. Daraus kann die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf einen damals noch nicht existierenden unabhängigen Staat Armenien jedenfalls nicht abgeleitet werden.
Mangels ausreichender Feststellungen dazu, ob der Beschwerdeführer Staatsangehöriger Armeniens (oder allenfalls staatenlos) ist, steht derzeit nicht fest, welcher Staat als Herkunftsstaat zu beurteilen ist.
Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, dass der Beschwerdeführer nicht Staatsangehöriger Armeniens ist, wäre zu erheben, welcher Staat als Herkunftsland zu beurteilen ist; in der Folge wäre hinsichtlich dieses Staates die Rückkehrgefährdung zu prüfen.
Sollte Armenien als Herkunftsland zu beurteilen sein, so liegen zwar - gestützt auf das von der belangten Behörde eingeholte Gutachten - Feststellungen zur Rückkehrgefährdung vor. Zum einen ist aber darauf zu verweisen, dass sich diese Feststellungen nur auf staatliche Verfolgung, nicht auf Verfolgung durch Private beziehen (lediglich im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wird ausgeführt, dass eine Verfolgungsgefahr durch Private nicht zu erwarten sei; beweiswüdigende Erwägungen hiezu finden sich im angefochtenen Bescheid nicht). Zum anderen hatte aber die Sachverständige - worauf schon die Stellungnahme des Beschwerdeführers verwiesen hatte - ausgeführt, für die Rückkehrgefährdung ethnischer Aseris und von Personen aus binationalen Ehen sei entscheidend ("Schlüsselfrage"), wann die Ausreise aus Armenien erfolgt sei. Falls jemand aus einer binationalen Ehe vor längerer Zeit (z.B. fünf Jahren) ausgereist sei oder längere Zeit in Russland gelebt habe, bevor er nach Europa weitergereist sei, um Asyl zu beantragen, könnte die Rückkehr nach Armenien riskant sein, weil sich diese Person gegenüber ihrer Gemeinschaft nicht länger ausweisen könne und umgekehrt. Der Beschwerdeführer hat sich aber bereits seit 1986 nicht mehr in Armenien aufgehalten; seine Ehefrau und seine Kinder hielten sich niemals in Armenien auf. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das im Gutachten erwähnte Risiko nicht die Intensität asylrelevanter Verfolgung erreichen oder für den armenischen Ehegatten einer binationalen Ehe nicht zutreffen würde. Diese Darlegungen der Sachverständigen stehen damit in einem nicht aufgeklärten Widerspruch zu den Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde. Eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dieser Äußerung der Sachverständigen kann dem Bescheid nicht entnommen werden.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Wien, am 7. Oktober 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006190599.X00Im RIS seit
04.11.2008Zuletzt aktualisiert am
04.03.2009