TE Vwgh Erkenntnis 2008/10/7 2006/19/0349

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Veröffentlicht am 07.10.2008
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Index

E3R E19103000;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32003R0343 Dublin-II Art16 Abs1 litc;
32003R0343 Dublin-II Art21;
32003R0343 Dublin-II Art5 Abs2;
32003R0343 Dublin-II Art6;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AsylG 1997 §5a Abs1;
AsylG 1997 §5a Abs4 ;
AVG §66 Abs2;
Übk Rechte des Kindes 1993 Art3 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Mag. Nedwed, Dr. N. Bachler, MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres, 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Jänner 2005, Zl. 256.414/1-VII/19/05, betreffend Behebung eines Bescheides in einer Asylangelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG (mitbeteiligte Partei: A), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Moldau, reiste noch minderjährig im November 2004 in das Gebiet der EU-Mitgliedstaaten ein. Er stellte am 15. November 2004 in der Slowakei einen Asylantrag. Am 23. November 2004 reiste er in das Bundesgebiet ein und brachte noch am selben Tag einen (weiteren) Asylantrag ein.

Anlässlich einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25. November 2004 gab der Mitbeteiligte an, dass er im Bereich der "EU, in Norwegen oder in Island" keine Verwandten habe, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehe. Als Fluchtgrund gab er an, dass sein Vater - ein Geschäftsmann - verschwunden sei. Er sei eines Tages nach Hause gekommen und habe die ganze Wohnung durchwühlt vorgefunden. Von seinem Vater habe jede Spur gefehlt. Was genau passiert sei, wisse er nicht.

Mit Bescheid vom 3. Jänner 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Mitbeteiligten - nach Konsultationen mit den zuständigen slowakischen Behörden - gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte fest, für die Prüfung des Antrages sei gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der "Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" (im Folgenden: Dublin-Verordnung) die Slowakei zuständig, und wies den Mitbeteiligten gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei aus.

Dagegen erhob der Mitbeteiligte Berufung. Begründend verwies er auf Art. 6 zweiter Satz der Dublin-Verordnung. Sei nämlich kein Familienangehöriger in einem Mitgliedstaat der EU anwesend, so sei jener Mitgliedstaat zuständig, in dem sich der Minderjährige aufhalte. Da er sich in Österreich aufhalte und hier seinen Asylantrag gestellt habe, sei Österreich zur Prüfung seines Asylantrages zuständig.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung statt, behob den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Begründend führte sie aus, dass es seit dem Inkrafttreten der Dublin-Verordnung innerhalb der Europäischen Union eine besondere Schutz- bzw. Zuständigkeitsvorschrift für unbegleitete Minderjährige gebe. Handle es sich bei einem Asylwerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so sei der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhalte, für die Prüfung seines Antrages zuständig. Dies ergebe sich aus Art. 6 Dublin-Verordnung. Diese Bestimmung sei eines der wenigen neuen Zuständigkeitskriterien, welche durch die Einführung der Dublin-Verordnung geschaffen worden seien, und zeige durch seine "prominente Stellung" in der Rangfolge der Zuständigkeitskriterien die durch die Dublin-Verordnung gestärkte Wertigkeit der Familie auf. Diese Schutz- bzw. Zuständigkeitsvorschrift für "unbegleitete Minderjährige" stelle auch einen besonderen Ermittlungsauftrag an das Bundesasylamt dar, wenn im Zuge des Zulassungsverfahrens Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass sich ein Familienangehöriger eines minderjährigen Asylwerbers rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten könnte. Das Bundesasylamt sei in einem wie dem hier vorliegenden Fall verpflichtet, Ermittlungen über den weiteren Aufenthaltsort des Vaters und/oder der Mutter des Mitbeteiligten "im Hoheitsgebiet der EU-Mitgliedstaaten" durchzuführen, zumal das Vorhandensein eines Familienangehörigen in einem "(anderen) EU-Mitgliedstaat" die Zuständigkeit dieses Staates für die Prüfung des Asylantrages des Mitbeteiligten begründen würde. Daher obliege es dem Bundesasylamt im Rahmen der in Art. 21 Dublin-Verordnung vorgesehenen Verwaltungskooperation, in anderen Mitgliedstaaten Informationen über die Personalien des Vaters und/oder der Mutter des Mitbeteiligten einzuholen. Aus diesem Grund sei auch nicht gesichert, dass die Slowakei der zur inhaltlichen Prüfung des Asylantrages zuständige Mitgliedstaat sei. Dieser "schwere Mangel" sei im fortgesetzten Verfahren "vom Bundesasylamt zu sanieren".

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Art. 6 Dublin-Verordnung lautet:

"Handelt es sich bei dem Asylwerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrages zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt. Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig."

Die belangte Behörde vermeinte - wie sie allerdings erst in ihrer Gegenschrift näher ausführte - Anhaltspunkte für den Aufenthalt von Familienangehörigen des Mitbeteiligten (Vater und/oder Mutter) in einem Mitgliedstaat aus dessen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25. November 2004 ableiten zu können. Obwohl der Mitbeteiligte ausdrücklich verneint hatte "im Bereich der EU, in Norwegen oder in Island Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht" zu haben, erblickte die belangte Behörde einen solchen Anhaltspunkt in der Fluchtgeschichte des Mitbeteiligten, wonach sein Vater verschwunden sei. Von diesem fehle "jede Spur". Dieser Aussage könne nach Ansicht der belangten Behörde entnommen werden, dass jedenfalls der Vater des Mitbeteiligten aus Moldau geflohen sei.

Diese Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Vorbringen des Mitbeteiligten nicht ziehen. Seinen Aussagen sind keine konkreten Hinweise auf eine Flucht seines Vaters in das Gebiet der EU-Mitgliedstaaten zu entnehmen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde bestand somit kein Anlass, das Bundesasylamt zu weiteren Konsultationen zu verhalten. Ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG war schon deshalb nicht zulässig (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 21. April 2005, Zl. 2004/20/0399, mwN).

Bestätigt wird dies durch die Ausführungen des Mitbeteiligten in der Berufung. Darin bezieht er sich ausschließlich auf Art. 6 zweiter Satz Dublin-Verordnung, um eine Zuständigkeit Österreich für sein Asylverfahren zu begründen.

Die Anwendung dieser Regelung setzt aber voraus, dass sich kein Familienangehöriger des Minderjährigen im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhält, wovon im gegenständlichen Fall offensichtlich auch der Mitbeteiligte ausging.

Der in Bezug auf Art. 6 zweiter Satz Dublin-Verordnung in der Berufung des Mitbeteiligten vertretenen Rechtsauffassung ist abschließend Folgendes entgegen zu halten:

Auf Grund der in Art. 5 Abs. 2 Dublin-Verordnung vorgesehenen Versteinerung der Zuständigkeiten mit dem Zeitpunkt des ersten Asylantrages im Gebiet der Mitgliedstaaten ist Art. 6 zweiter Satz Dublin-Verordnung so zu lesen, dass damit die Zuständigkeit jenes Mitgliedstaates festgeschrieben wird, in dem der unbegleitete Minderjährige den ersten Asylantrag im Gebiet der Mitgliedstaaten gestellt hat (vgl. dazu allerdings auch den Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur Bewertung des Dublin-Systems vom 6. Juni 2007, KOM (200) 299 endgültig, wonach Wiederaufnahmegesuche an andere Mitgliedstaaten im Falle unbegleiteter Minderjähriger zwar nicht ausgeschlossen werden sollten, dabei jedoch stets das Wohl des Kindes Vorrang habe; in diesem Sinn auch der UNHCR in seinem "Discussion Paper" vom April 2006 "The Dublin II Regulation" unter Bezugnahme auf Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes, BGBl. Nr. 7/1993).

Der angefochtene Bescheid war schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Wien, am 7. Oktober 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006190349.X00

Im RIS seit

07.11.2008

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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