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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des E, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. Juni 2006, Zl. 232.678/0-VIII/22/02, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde ein "Staatenloser aus Armenien", gelangte am 25. Februar 2002 nach Österreich und stellte am selben Tag einen Asylantrag.
Bei seiner Befragung vor dem Bundesasylamt am 24. April 2002 gab der Beschwerdeführer an, 1976 in Baku (in der damaligen Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik) geboren worden zu sein. Er entstamme einer Mischeche, fühle sich aber als Armenier. Sein Vater sei Armenier, seine Mutter Aserbaidschanerin. Im Dezember 1988 sei er aus Aserbaidschan nach Armenien gezogen, wo er sich bis zu seiner Flucht aufgehalten habe. In dieser Zeit habe er "ständig" um die armenische Staatsbürgerschaft angesucht, sie aber nicht erhalten. Während der Ableistung des Präsenzdienstes in Armenien - zu der man ihn als "Nichtstaatsbürger" gezwungen habe - sei er einen Monat in einem Militärgefängnis inhaftiert gewesen. Er sei Inhaber einer kleinen Bäckerei gewesen und von der Mafia verfolgt worden. Nach Schutzgeldforderungen sei seine Bäckerei schließlich am 16. oder 17. Februar 2002 in Brand gesteckt worden. Bereits am 15. Mai 2001 sei seine Frau entführt und vergewaltigt worden. Er habe für ihre Freilassung $ 10.000,-- Lösegeld bezahlt. In Armenien habe er bereits seit 1989 Probleme, da bekannt gewesen sei, dass in seinen Adern "türkisches Blut" fließe.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 14. Oktober 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien fest.
Begründend ging das Bundesasylamt davon aus, dass der Beschwerdeführer Armenien aus den von ihm angegebenen Gründen verlassen habe. Diese Gründe seien jedoch nicht unter einen der Tatbestände der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) subsumierbar.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung an die belangte Behörde, in der er u.a. vorbrachte, in Armenien auf Grund seiner gemischt-ethnischen Herkunft Diskriminierungen und Repressalien ausgesetzt gewesen zu sein. Deswegen sei ihm auch die armenische Staatsbürgerschaft verweigert worden.
Die belangte Behörde führte am 15. April 2005 eine mündliche Berufungsverhandlung durch.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung im Spruchpunkt 1. gemäß § 7 AsylG ab. Mit den Spruchpunkten 2. und 3. erklärte sie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien gemäß "§ 8 AsylG 1997 iVm § 50 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz" für nicht zulässig und erteilte ihm gemäß § 8 iVm § 15 Abs. 3 AsylG "eine befristete Aufenthaltsberechtigung".
Nach Darlegung des Verfahrensverlaufes stellte die belangte Behörde "zur Person des Berufungswerbers" fest, dass dieser einer gemischt-ethnischen Ehe entstamme, wobei sein Vater Armenier gewesen sei. Die Mutter sei ihrerseits aus einer Mischehe entstammt, wobei ihr Vater Aserbaidschaner, ihre Mutter Armenierin gewesen sei. Nicht festgestellt werden könne, dass dem Beschwerdeführer die Ausstellung eines armenischen Reisepasses verweigert worden und er in Armenien zwangsweise zum Militärdienst rekrutiert worden sei.
Zur Lage bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Armenien traf die belangte Behörde im Folgenden u.a. nachstehende Feststellungen:
"Es gibt keinerlei Hinweise für eine Verfolgung von Angehörigen binationaler Ehen durch staatliche Organe in Armenien, weder auf nationaler, noch regionaler oder lokaler Ebene. Weder der armenische Gesetzgeber noch die armenische Regierung diskriminieren Angehörige ethnischer Minderheiten in kollektiver oder individueller Weise. Diese fühlen sich jedoch in der zu 97 Prozent monoethnischen Gesellschaft von der armenischen Mehrheit überwältigt.
Eine unmenschliche Behandlung seitens der armenischen Behörden, welche den Tatbestand einer der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Tatbestände erfüllen würde, kann somit ausgeschlossen werden.
Für Verfolgungshandlungen durch Private und die Möglichkeit, in einem solchen Fall staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen, mangelt es an empirischen Indizien. Wegen der Nachlässigkeit armenischer Behörden und deren Organe lässt sich hieraus jedoch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit schließen, dass der Berufungswerber in seinem Fall staatliche Hilfe in Anspruch nehmen könnte. Die Probleme, die ihn zudem mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten, bestehen in seiner Herkunft und der damit zusammenhängenden verachtenden Stellung in den Augen vieler seiner Mitmenschen. Das Fortkommen des Berufungswerbers in der armenischen Gesellschaft würde durch seine gemischt-ethnische Abstammung stark behindert. Insbesondere dürfte es ihm verwehrt bleiben, neuerlich eine Existenz aufzubauen und so ein gesichertes Einkommen zu erzielen. Diesbezüglich könnte die seitens des EGMR zu Art 3 EMRK gesetzte Grenze überschritten werden."
In der rechtlichen Beurteilung verneinte die belangte Behörde - gestützt auf ihre Länderfeststellungen - eine dem Beschwerdeführer drohende Verfolgung aus den in der FlKonv genannten Gründen. Gleichzeitig begründete sie den gewährten Abschiebeschutz wie folgt:
"Da der (Beschwerdeführer) bei einer Rückkehr in seine Heimat aufgrund seiner Abstammung sowie seiner gemischt-ethnischen Ehe mit massiven Problemen bei der Schaffung einer neuerlichen Existenzgrundlage zu rechnen haben dürfte, könnte er Gefahr laufen, einer unmenschlichen Behandlung iSd Art 3 EMRK ausgesetzt zu sein. ..."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die Gewährung von Refoulementschutz stützt die belangte Behörde auf den Umstand, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Armenien auf Grund seiner gemischt-ethnischen Abstammung der neuerliche Aufbau einer Existenz verunmöglicht würde. In der Begründung zum Asylteil führt die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer in Armenien nicht aktuell asylrelevant bedroht sei. Dabei übersieht die belangte Behörde, dass auch die wirtschaftliche Benachteiligung einer ethnischen oder sozialen Gruppe, die den Angehörigen dieser Gruppe jegliche Existenzgrundlage entzieht, grundsätzlich asylrelevant sein kann (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 8. November 2007, Zl. 2006/19/0341, mwN).
Die Ausführungen der belangten Behörde zur Gewährung von Refoulementschutz sind daher mit ihrer Annahme, der Beschwerdeführer sei in seinem Herkunftsstaat nicht aktuell asylrelevant bedroht, nicht in Einklang zu bringen.
Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 7. Oktober 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006191142.X00Im RIS seit
04.11.2008Zuletzt aktualisiert am
04.03.2009