TE Vwgh Erkenntnis 2008/10/9 2006/01/0230

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Veröffentlicht am 09.10.2008
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §46;
AVG §69 Abs1 Z2;
StbG 1985 §11a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Hofbauer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des D D in E, vertreten durch Mag. Lothar Korn, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hessenplatz 8, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 6. April 2006, Zl. Gem(Stb)-426505/10- 2006/Gru/Ha, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Der Beschwerdeführer hat seit 17. Oktober 2001 einen ununterbrochenen Hauptwohnsitz in Österreich und heiratete am 22. März 2003 die österreichische Staatsbürgerin M K (im Folgenden: K).

2. Am 24. Mai 2005 beantragte er bei der belangten Behörde die österreichische Staatsbürgerschaft. Daraufhin beauftragte die belangte Behörde die Bezirkshauptmannschaft E (im Folgenden: BH) gemäß einem Erlass vom 1. Februar 2001 mit Erhebungen, die unter anderem ergaben, dass seitens der BH gegen den Beschwerdeführer in fremdenpolizeilicher Hinsicht zum Zeitpunkt 2. Juni 2005 nichts Nachteiliges bekannt sei. Mit e-mail vom 27. Oktober 2005 ersuchte die belangte Behörde die BH neuerlich um Stellungnahme, ob aus fremdenpolizeilicher Sicht Bedenken gegen eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer bestünden. Dieses Ersuchen blieb - der dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Aktenlage zufolge (OZ 10) - unbeantwortet. Daraufhin wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid der belangten Behörde vom 21. November 2005 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 1. Dezember 2005 bei der BH ausgefolgt. Anlässlich der Ausfolgung wurde mit dem Beschwerdeführer eine Niederschrift aufgenommen, in der er unter anderem erklärte, dass seine Ehe mit K immer noch aufrecht sei, sie im gemeinsamen Haushalt lebten und derzeit kein Verfahren auf Ehescheidung anhängig sei.

3. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2005 teilte die BH der belangten Behörde mit, ein auf Grund eines Antrages des Beschwerdeführers vom 29. August 2005 auf Verlängerung des Aufenthaltstitels geführtes Ermittlungsverfahren habe den Verdacht ergeben, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt mit K ein gemeinsames Familienleben geführt habe und die Ehe zum Schein geschlossen worden sei, um dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Dem Schreiben waren verschiedene Beweismittel angeschlossen, darunter ein Bericht der Polizeiinspektion E vom 4. Oktober 2005 über die Befragung der K und eine Nachschau in der Wohnung der K sowie eine Niederschrift mit K vom 9. Oktober 2005. Danach hat K angegeben, seit mehr als 3 Monaten nicht mit dem Beschwerdeführer in der gemeinsamen Wohnung zu leben. Nach dem Erhebungsersuchen der BH an die Polizeiinspektion E vom 10. November 2005, habe das Ermittlungsverfahren der BH den Verdacht ergeben, der Beschwerdeführer habe zu keinem Zeitpunkt ein gemeinsames Familienleben mit der K geführt; dabei erwähnte die BH Einvernahmen des Beschwerdeführers vom 31. Oktober 2005 und der K vom 17. Oktober 2005 sowie den Umstand, dass im Mietvertrag ausschließlich K als Mieterin angeführt sei. Nach einem weiteren Bericht der Polizeiinspektion E vom 16. November 2005, hätten die Nachbarn der K angegeben, dass sie den Beschwerdeführer in den letzten beiden Jahren nur gelegentlich im "dortigen Wohnblock" gesehen haben.

4. Mit Spruchteil A des vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides vom 6. April 2005 wurde das rechtskräftig abgeschlossene Verwaltungsverfahren zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer von Amts wegen mit der Wirkung wieder aufgenommen, dass es sich in dem Stadium befindet, in dem es sich vor Erlassung des Verleihungsbescheides vom 21. November 2005 befunden hat.

Mit Spruchteil B des angefochtenen Bescheides wurde sodann das Ansuchen des Beschwerdeführers vom 24. Mai 2005 um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 11a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (im Folgenden: StbG), abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde zu Spruchteil A (Wiederaufnahme) im Wesentlichen aus, dem Beschwerdeführer sei die österreichische Staatsbürgerschaft unter Anwendung des § 11a StbG verliehen worden. Dabei sei die Behörde unter anderem davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Verleihung mit K im gemeinsamen Haushalt gelebt habe und im Verleihungszeitpunkt kein Verfahren auf Ehescheidung anhängig gewesen sei.

Kurze Zeit nach der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sei durch ein Schreiben der BH bekannt geworden, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Verleihung keinen gemeinsamen Haushalt mit K gehabt habe. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens der BH sei davon auszugehen, dass die vom Beschwerdeführer angegebene Adresse nicht die gemeinsame eheliche Adresse gewesen sei und seit ca. drei Monaten die eheliche Gemeinschaft nicht mehr aufrecht gewesen sei. Auch habe der Beschwerdeführer am 31. Oktober 2005, also bereits einige Wochen vor Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, bei der BH zu Protokoll gegeben, dass er bereits seit ca. drei bis vier Monaten von K getrennt lebe. Auch K habe zu Protokoll gegeben, dass sie seit ca. drei Monaten vom Beschwerdeführer getrennt lebe.

Nach Durchführung des Parteiengehörs habe der Beschwerdeführer eine Ausfertigung des Ehescheidungsbeschlusses gemäß § 55a Ehegesetz vorgelegt, wonach die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und K am 25. Jänner 2006 geschieden worden sei. Dieser Ehescheidungsbeschluss sei am 23. Februar 2006 in Rechtskraft erwachsen.

Hätte die belangte Behörde im Zeitpunkt der Verleihung davon Kenntnis gehabt, dass die eheliche Gemeinschaft bzw. der gemeinsame Haushalt des Beschwerdeführers mit K bereits aufgehoben sei, hätte sie die österreichische Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer nicht verliehen. Aus diesem Grund sei gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG die Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens zu verfügen gewesen.

Da der Beschwerdeführer aus dem serbisch-montenegrinischen Staatsverband nicht ausgeschieden sei, sei die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens und die Abweisung seines Ansuchens auch im Hinblick auf § 24 StbG zulässig.

Zu Spruchteil B (Abweisung) führte die belangte Behörde weiter aus, § 11a Z 1 StbG setze voraus, dass der Verleihungswerber mit einem Ehegatten der österreichischer Staatsbürger ist, im gemeinsamen Haushalt lebe. Diese Verleihungsvoraussetzungen seien vom Beschwerdeführer im Nachhinein betrachtet im Verleihungszeitpunkt nicht erfüllt gewesen, da die eheliche Gemeinschaft am Tag der Verleihung bereits seit zumindest etwa drei Monaten aufgehoben gewesen sei. Hinsichtlich des Bestandes einer aufrechten Ehe im Verleihungszeitpunkt sei auszuführen, dass die Ehe des Beschwerdeführers am 25. Jänner 2006 einvernehmlich geschieden worden sei. Diese einvernehmliche Scheidung setze voraus, dass beide Ehegatten die unheilbare Zerrüttung und die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft zumindest über einen Zeitraum von sechs Monaten zurückgerechnet ab dem Scheidungstermin eingestünden. Diese beiden Eingeständnisse seien konstitutive Bestandteile eines einvernehmlichen Scheidungsverfahrens. Somit wirke das Eingeständnis der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft jedenfalls über den Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zurück. Dieser Umstand werde auch durch das Eingeständnis des Beschwerdeführers sowie der K in den genannten Niederschriften vor der BH bestätigt, sodass sich eine zusätzliche zeugenschaftliche Einvernahme der K erübrige. Bei den Behauptungen der K in einer vom Beschwerdeführer überreichten handschriftlichen Bestätigung handle es sich um reine Schutzbehauptungen, die jeglicher Glaubwürdigkeit entbehrten. Offenbar seien nach Bekanntwerden der Wiederaufnahmegründe bzw. der Konfrontation des Beschwerdeführers mit diesen zahlreiche Versuche unternommen worden, um die aufrechte Ehegemeinschaft im Verleihungszeitpunkt zu beweisen. Diese Versuche könnten jedoch die belangte Behörde nicht von der Überzeugung abbringen, dass im Verleihungszeitpunkt die eheliche Gemeinschaft nicht mehr aufrecht gewesen sei. Auch die vom Beschwerdeführer gegenüber der Verleihungsbehörde immer wieder an den Tag gelegte besondere Eile seines Verleihungsverfahrens spreche für diese Überzeugung. Die handschriftliche Erklärung von K sei nur als ein "weiterer kläglicher Versuch" zu verstehen, die für den Beschwerdeführer ungünstige Rechtssituation im letzten Moment noch günstig zu beeinflussen. Bemerkenswert sei auch die Tatsache, dass die Bestätigung der K etwa einen Monat nach Abschluss des Scheidungsverfahrens datiert sei. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung der belangten Behörde werde dieser Bestätigung keine Aussagekraft zugemessen.

Da somit ein Rechtsanspruch auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 11a StbG nicht bestehe und auch sonstige Verleihungstatbestände (insbesondere nach § 10 StbG) nicht in Frage kämen, sei der Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft im wieder aufgenommenen Verfahren abzuweisen gewesen.

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die belangte Behörde hat die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens (Spruchteil A des angefochtenen Bescheides) auf § 69 Abs. 1 Z 2 AVG gestützt.

2. Gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG iVm § 69 Abs. 3 AVG kann die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens von Amts wegen verfügt werden, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Behörde nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Die Wiederaufnahme eines Verfahrens zum Nachteil des Betroffenen gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ist nicht zulässig, wenn die Behörde daran ein Verschulden trifft, dass die neuen Beweismittel nicht schon im vorausgegangenen Verfahren Berücksichtigung gefunden haben. Ein solcher Vorwurf gegen die Behörde kann jedoch nur dann erhoben werden, wenn sie die Beweismittel infolge eines pflichtwidrigen Verhaltens nicht schon früher aufgefunden und verwertet hat. Organisationsfehler oder im Ermittlungsverfahren unterlaufene Fehler schließen die Annahme einer unverschuldeten Unkenntnis von Seiten der Behörde und damit die Zulässigkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter Berufung auf

§ 69 Abs. 1 Z 2 AVG aus (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), 1515f, E 265 und E 273 zu

§ 69 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

3. Die Beschwerde bringt gegen die vorliegende Wiederaufnahme vor, dem angefochtenen Bescheid lasse sich nicht entnehmen, warum kein Verschulden der belangten Behörde an der Unkenntnis der Beweismittel und Tatsachen vorliege.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine inhaltliche Rechtwidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Die belangte Behörde hat am 27. Oktober 2005 die BH um Stellungnahme ersucht, ob aus fremdenpolizeilicher Sicht Bedenken gegen eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer bestünden. Sie wartete jedoch die Stellungnahme der BH nicht ab, sondern verlieh dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 21. November 2005 die österreichische Staatsbürgerschaft. Zu diesem Zeitpunkt war aber bereits das fremdenpolizeiliche Ermittlungsverfahren der BH anhängig und lagen die oben angeführten Beweismittel zur Frage des Bestehens eines gemeinsamen Haushaltes vor. Die belangte Behörde hätte die Beweismittel daher - hätte sie die Stellungnahme der BH abgewartet - bereits im Verleihungsverfahren verwerten können (vgl. zur Verwertung von Ergebnissen eines anderen Verfahrens die bei Walter/Thienel, aaO, 742, E 80 zu § 46 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Die belangte Behörde trifft somit ein Verschulden daran, dass die neuen Beweismittel nicht schon im wiederaufzunehmenden Verleihungsverfahren berücksichtigt worden sind.

Somit fehlt eine Voraussetzung für die Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG, was die belangte Behörde verkannt hat.

4. Schon aus diesem Grund erweist sich daher Spruchteil A und davon ausgehend auch Spruchteil B des angefochtenen Bescheides als inhaltlich rechtwidrig, sodass der gesamte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 9. Oktober 2008

Schlagworte

Verschulden

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006010230.X00

Im RIS seit

10.12.2008

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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