TE Vfgh Erkenntnis 2003/10/8 B1746/02

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Veröffentlicht am 08.10.2003
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Kärnten ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der nunmehrige Beschwerdeführer ist Eigentümer des Grundstückes Nr. 494/14, KG Kleinedling (Stadtgemeinde Wolfsberg). Auf dem Nachbargrundstück Nr. 495/8 (mit eingeschlossener Baufläche Nr. .321) erteilte der Bürgermeister der Stadtgemeinde Wolfsberg mit Bescheid vom 1. März 2002 die Baubewilligung zur Änderung einer Terrassenüberdachung beim bestehenden Wohnhaus. Der Beschwerdeführer machte ua. eine Verletzung der Abstandsbestimmungen geltend; diesen Einwendungen trat der Bürgermeister mit dem Hinweis entgegen, dass die Abstände dem Bebauungsplan entsprechen würden. Der Stadtrat der Stadtgemeinde Wolfsberg wies die dagegen erhobene Berufung mit Bescheid vom 15. April 2002 als unbegründet ab. Er führte in seiner Begründung aus, dass der Bestand mit Bescheid vom 24. Mai 1995 rechtskräftig bewilligt worden sei. Die Kärntner Landesregierung wies die dagegen erhobene Vorstellung mit Bescheid vom 18. Oktober 2002 als unbegründet ab. Gemäß §4 Abs2 Kärntner Bauvorschriften 1985 seien, wenn und soweit in einem Bebauungsplan Abstände festgelegt sind, die Bestimmungen des Abs1 letzter Satz und der §§5 bis 10 Kärntner Bauvorschriften 1985 nicht anzuwenden. Gemäß §7 des anzuwendenden Teilbebauungsplanes vom 29. November 1994 seien die Abstände der bestehenden Gebäude zur Nordgrenze des Baugrundstücks durch eine zeichnerische Darstellung definiert. Für die übrigen Abstände würden die Bestimmungen der §§4 bis 10 der Kärntner Bauvorschriften 1985 gelten. Das Bauvorhaben entspreche hinsichtlich der Abstände zum Grundstück Nr. 494/14, KG Kleinedling, der zeichnerischen Darstellung zu §7 des Teilbebauungsplanes.

2. Gegen diesen Bescheid der Kärntner Landesregierung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Wolfsberg vom 29. November 1994 geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt. Der Teilbebauungsplan sei gesetzwidrig, da er der Sanierung "konsens- und rechtswidriger Bauzustände auf der Parzelle Nr. 495/8 bzw. 321" diene.

3. Die Kärntner Landesregierung als belangte Behörde erstattete keine Gegenschrift.

4. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Äußerung.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Wolfsberg vom 29. November 1994, genehmigt durch Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg vom 31. Jänner 1995 (dieser kundgemacht in der Kärntner Landeszeitung vom 23. Februar 1995), soweit sie sich auf das Grundstück Nr. 495/8, mit eingeschlossener Baufläche Nr. .321, KG Kleinedling, bezieht, mit Erkenntnis vom 8. Oktober 2003, V83/03, als gesetzwidrig aufgehoben.

II. 1. Gemäß Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988, VfGH vom 9. Juni 1998, B100/96).

Die nichtöffentliche Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren zu V83/03 begann am 8. Oktober 2003. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 2. Dezember 2002 eingelangt, war also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung im Verfahren zu V83/03 schon anhängig; der Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides den als gesetzwidrig aufgehobenen Teil der Verordnung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Verordnungsanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zuerkannten Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,- und eine Eingabegebühr in der Höhe von € 180,- enthalten.

3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B1746.2002

Dokumentnummer

JFT_09968992_02B01746_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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