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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §9;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des P B (alias M K) in H, geboren 1969 (1970), vertreten durch seinen Sachwalter Mag. Michael Schleich in 4020 Linz, Tummelplatz 5, dieser vertreten durch Mag. Rainer Storch, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Bürgerstraße 62, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 24. November 2005, Zl. St - 153/05, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit von Kosten der Vollziehung einer Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger, reiste Anfang des Jahres 2003 illegal in Österreich ein. Er wurde im März 2003 nach Tschechien zurückgeschoben. Nach einer neuerlichen illegalen Einreise stellte er am 7. August 2003 beim Bundesasylamt, Außenstelle Linz, einen Asylantrag. Am 9. Dezember 2003 wurde ihm eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 19 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997 - AsylG zuerkannt. Nach Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG iVm einer (negativen) Feststellung nach § 8 leg. cit. wurde die vorläufige Aufenthaltsberechtigung laut AIS am 16. März 2004 "widerrufen".
Mit Bescheid vom 9. April 2005 verhängte die Bundespolizeidirektion Linz über den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes bzw. einer Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung bzw. Zurückschiebung. Zur Begründung führte sie aus, dass der Beschwerdeführer am selben Tag von der Polizei kontrolliert worden sei und weder ein gültiges Reisedokument noch einen anderen Ausweis habe vorweisen können. Außerdem habe er kaum Bargeld bei sich gehabt und nach seinen Angaben in Österreich keinen Wohnsitz. Die Schubhaft wurde ab dem 9. April 2005 vollzogen.
Am 22. April 2005 verständigte das Bundesasylamt die Bundespolizeidirektion Linz, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers gemäß § 69 Abs. 1 AVG mit Bescheid vom 21. April 2005 wieder aufgenommen wurde. Der Beschwerdeführer wurde am 29. April 2005 aus der Schubhaft entlassen.
Mit Bescheid vom 26. August 2005 wies der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich eine - die Anhaltung vom 22. bis zum 29. April 2005 bekämpfende - Schubhaftbeschwerde des Beschwerdeführers vom 30. Mai 2005 gemäß § 72 Abs. 1 und § 73 FrG als unbegründet ab. Diesen Bescheid hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 29. April 2008, Zl. 2005/21/0405, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf. Infolge Wiederaufnahme des Asylverfahrens mit Bescheid vom 21. April 2005 sei - so führte der Verwaltungsgerichtshof zusammengefasst aus - die zunächst gemäß § 19 Abs. 4 AsylG erloschene vorläufige Aufenthaltsberechtigung wieder aufgelebt. Da gemäß § 21 Abs. 1 AsylG die Bestimmungen des FrG über die Schubhaft im Falle "initiativer Antragstellung" nicht auf Asylwerber mit vorläufiger Aufenthaltsberechtigung - wie den Beschwerdeführer - Anwendung fänden, erweise sich die nach Wiederaufnahme des Asylverfahrens aufrecht erhaltene Schubhaft als rechtswidrig.
Mit - vom Beschwerdeführer am selben Tag übernommenen - Bescheid vom 29. April 2005 hatte ihm die Bundespolizeidirektion Linz gemäß § 103 Abs. 1 FrG iVm § 10 der Fremdengesetz-Durchführungsverordnung 1997 für die in der Zeit vom 9. April 2005 bis zum 29. April 2005 in Schubhaft zugebrachte Zeit von 21 Tagen einen zu ersetzenden Betrag von EUR 551,04 vorgeschrieben.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid am 17. Mai 2005 erhobene Berufung gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück.
Begründend führte sie aus, der Lauf der zweiwöchigen Berufungsfrist gemäß § 63 Abs. 5 AVG habe am Tag der Zustellung (am 29. April 2005) begonnen. Die Berufung hätte daher spätestens am 13. Mai 2005 eingebracht werden müssen. Ein Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 17. Oktober 2005 (rechtskräftig) gemäß § 71 Abs. 2 AVG als unzulässig zurückgewiesen worden. Die gegenständliche, erst am 17. Mai 2005 erhobene Berufung erweise sich somit als verspätet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:
Der Beschwerdeführer verweist auf sein vor dem Bezirksgericht Urfahr-Umgebung geführtes "Sachwalterverfahren", in dessen Rahmen für ihn ein Mitarbeiter von SOS-Mitmensch mit Beschluss vom 22. Juni 2005 zum einstweiligen Sachwalter (u.a. zur Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und Gerichten) bestellt worden sei. Er leide (wie er bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht hatte) seit Jahren an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose und sei daher, auch mangels Krankheitseinsicht, schon davor nicht in der Lage gewesen, seine Angelegenheiten gehörig zu besorgen. Daraus folge, dass keine ordnungsgemäße Zustellung des Bescheides vom 29. April 2005 erfolgt sei.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg:
Die Bestellung eines Sachwalters wirkt insofern konstitutiv, als ab ihrer Wirksamkeit die Prozess- und Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers im dort umschriebenen Ausmaß keinesfalls mehr gegeben ist. Für die Zeit davor ist jedoch, wofür das wiedergegebene Vorbringen des Beschwerdeführers und sein vor dem Bezirksgericht Urfahr-Umgebung geführtes Sachwalterschaftsverfahren ausreichend Anhaltspunkte geboten haben, zu prüfen, ob er schon damals nicht mehr prozessfähig, also nicht mehr in der Lage war, die Bedeutung und Tragweite des Verfahrens zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten. Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Im Hinblick auf die wiedergegebenen Umstände durfte die belangte Behörde daher nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer am 29. April 2005 prozess- und handlungsfähig war (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. August 2007, Zl. 2006/19/0480, vom 29. November 2007, Zl. 2007/21/0308, und vom 8. Mai 2008, Zl. 2007/06/0167, jeweils mwN).
Hätte diese - bisher unterlassene - Prüfung ergeben, dass dem Beschwerdeführer damals die prozessuale Handlungsfähigkeit fehlte, dann wäre der erwähnte Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 29. April 2005 noch nicht einmal wirksam zugestellt, sodass auch von einer Versäumung der Berufungsfrist nicht die Rede sein könnte.
Da die belangte Behörde die Wirksamkeit des Zustellvorganges vom 29. April 2005 - unter Anlegung des dargestellten Gesichtspunktes - ungeprüft gelassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 23. Oktober 2008
Schlagworte
SachwalterVerfahrensbestimmungen AllgemeinBesondere RechtsgebieteHandlungsfähigkeit ProzeßfähigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2008210419.X00Im RIS seit
14.11.2008Zuletzt aktualisiert am
27.02.2009