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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 2005 §8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der A D, geborene S, in T, geboren 1979, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 19. Juni 2007, Zl. Fr 1981/05, betreffend Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, am 25. April 2006 beantragte Aufhebung des gegen sie mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 4. August 2005 (gestützt auf die §§ 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 sowie 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG) für die Dauer von zehn Jahren befristet erlassenen Aufenthaltsverbotes gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab.
In ihrer Begründung stellte sie fest, die Beschwerdeführerin sei im Mai 1992 mit ihrer 1959 geborenen Mutter, der mit Wirksamkeit vom 1. März 2005 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei, in das Bundesgebiet eingereist. Ihre Mutter habe damals - ohne Erfolg - einen Asylantrag gestellt.
Vom 9. September 1994 bis zum 30. Juni 1995 sei die Beschwerdeführerin zum Aufenthalt auf Grund einer zu § 12 Aufenthaltsgesetz ergangenen Verordnung der Bundesregierung berechtigt gewesen. Vom 1. Juli 1995 bis zum 24. Juni 1996 habe sie über eine Aufenthaltsbewilligung für den Aufenthaltszweck "selbständige Erwerbstätigkeit", anschließend - bis 31. Juli 1998 -
wiederum über das Aufenthaltsrecht gemäß § 12 Aufenthaltsgesetz verfügt. Am 27. März 1997 habe sie E., einen Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, geheiratet; die Ehe sei im Mai 1999 geschieden worden. Aus der Verbindung stamme ihr Sohn A., geboren am 26. April 1997, ebenfalls ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina. A. verfüge über eine vom Magistrat der Stadt Wien ausgestellte Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "beschränkt" mit Gültigkeit bis zum 29. Mai 2008.
Nach ihrer Heirat sei der Beschwerdeführerin zunächst eine Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft, ausgenommen unselbständiger Erwerb" ausgestellt worden. Letztmalig sei ihre Niederlassungsbewilligung für "jeglichen Aufenthaltszweck, § 13 Abs. 2 Fremdengesetz 1997" am 23. Dezember 2003 bis zum 22. Dezember 2005 verlängert worden.
Die Beschwerdeführerin sei mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 23. November 2004 rechtskräftig wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls und des Vergehens der Urkundenunterdrückung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt worden. Sie habe am 23. Dezember 2003 in Baden einer anderen Person ein Mobiltelefon im Wert von zumindest EUR 60,--, eine Ledergeldbörse im Wert von EUR 10,--, Bargeld von EUR 75,-- sowie Verfügungsberechtigten eines Unternehmens 13 Parfumartikel im Wert von insgesamt EUR 543,-- weggenommen bzw. wegzunehmen versucht sowie einen Führerschein, einen Studentenausweis und eine "Fitnesskarte" unterdrückt.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28. April 2005 sei sie wegen des Vergehens des schweren Diebstahls und des Vergehens der Urkundenunterdrückung zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden. Sie habe einem Anderen eine Geldbörse mit Bargeld von EUR 60,--, als sich dieser in einem schweren Rauschzustand befunden habe, also unter Ausnützung eines Zustandes, der ihn hilflos gemacht habe, gestohlen, sowie weiters eine Sozialversicherungskarte und eine Bankkundenkarte des Bestohlenen unterdrückt.
Nach der Verhaftung der Beschwerdeführerin habe ihre Mutter zugesagt, den minderjährigen A., der während der Haft bei ihr lebte, zu versorgen. Auch die suchtmittelabhängige Beschwerdeführerin könne nach der am 8. August 2005 erfolgten bedingten Entlassung aus der Haft (während der eine Entzugsbehandlung durchgeführt worden war) wieder bei ihr leben. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Baden vom 16. Juli 2007 sei der Beschwerdeführerin die Obsorge über ihren Sohn A. entzogen und auf ihre Mutter übertragen worden.
Die Beschwerdeführerin habe am 8. Juni 2006 einen Asylantrag gestellt. Dieser sei jedoch mit - im Instanzenzug ergangenem - Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. Dezember 2006 abgewiesen worden "(Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten bzw. der subsidiär Schutzberechtigten)".
Ein Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 65 FPG könne - so argumentierte die belangte Behörde rechtlich - nur dann erfolgreich sein, wenn sich seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert hätten. Davon könne im Beschwerdefall jedoch nicht die Rede sein. Auch habe sich die von der Beschwerdeführerin, die Straftaten zugestandenermaßen im Zusammenhang mit ihrer Drogensucht begangen habe, ausgehende Gefahr seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht reduziert. Unter Berücksichtigung der äußerst großen Wiederholungsgefahr im Bereich der Beschaffungskriminalität suchtgiftkranker Personen sowie des raschen Rückfalls während offener Probezeit sei die seit der Haftentlassung (am 8. August 2005) in Freiheit verbrachte Zeit von weniger als zwei Jahren zu kurz, um eine günstige Prognosebeurteilung zu ermöglichen.
Wenn auch im Heimatstaat eine stationäre Drogentherapie nicht absolviert werden könne, sei dies im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Kauf zu nehmen. Der Umstand, dass sich die Mutter und der Sohn der Beschwerdeführerin, ebenso wie sie selbst, seit langem in Österreich aufhielten, sei bereits bei der Erlassung des Aufenthaltsverbotes bekannt gewesen und stelle daher keine - im vorliegenden Zusammenhang allein relevante - Änderung dar. Auch werde die von der Beschwerdeführerin seit 1992 erreichte ansatzweise Integration durch ihre strafbaren Handlungen sowie durch ihre mangelnde berufliche Verankerung im Inland erheblich beeinträchtigt. Durch die Begehung der dargestellten Straftaten habe sie ihre Trennung von der Familie selbst verschuldet. Zudem habe ihr Sohn seinen Hauptwohnsitz in einer Wohngemeinschaft in Wien und nur den Nebenwohnsitz an ihrer Adresse. Eingeschränkte Kontakte zu ihm und ihrer Mutter könnten auch nach einem Verlassen des Bundesgebietes durch die Beschwerdeführerin aufrecht erhalten werden. Das Weiterbestehen des Aufenthaltsverbotes liege somit nach wie vor im öffentlichen Interesse, eine maßgebliche Änderung im dargestellten Sinn sei nicht eingetreten.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 3. Oktober 2007, B 1642/07-3, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Über die vorliegende ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der im Beschwerdefall anzuwendende § 65 FPG lautet:
"Aufhebung und außer Kraft treten des Aufenthaltsverbotes oder des Rückkehrverbotes
§ 65. (1) Das Aufenthaltsverbot oder das Rückkehrverbot ist auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.
(2) Das Aufenthaltsverbot oder das Rückkehrverbot tritt außer Kraft, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird. Das Rückkehrverbot tritt weiters außer Kraft, wenn dem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde, ohne dass damit eine Ausweisung gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 verbunden wurde.
(3) Das Aufenthaltsverbot wird zu einem Rückkehrverbot, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird. Eine mit einem Rückkehrverbot verbundene Gebietsbeschränkung wird gegenstandslos. Solange der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt ist, entfaltet das Rückkehrverbot keine Wirkung. Das Rückkehrverbot ist nach jeder Verlängerung des Aufenthaltsrecht (§ 8 AsylG 2005) von Amts wegen zu überprüfen.
(4) Wird der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und wird eine Ausweisung durchsetzbar, gilt das Rückkehrverbot im Fall der Ausweisung als Aufenthaltsverbot."
Die Regierungsvorlage zu dieser Bestimmung (952 BlgNR 22. GP 101) führt (auszugsweise) aus:
"... Fremde, denen der Status des Asylberechtigten ... zuerkannt worden ist, sind von jeglichem fremdenpolizeilichen Ausreiseauftrag zu befreien. Wird nur der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, so ist davon auszugehen, dass dieser nicht auf Dauer bestehen wird. Daher können fremdenpolizeiliche Titel für eine Abschiebung aufrechterhalten werden. Es wird aber klar gestellt, dass bis zur Aberkennung des Status keinerlei Umsetzungsmaßnahmen für diesen Titel ergriffen werden dürfen. So darf auch eine Einreise in das Bundesgebiet nicht verweigert werden. Da der Fremde sich bei längerem Andauern des rechtmäßigen Aufenthalts zunehmend integriert, ist regelmäßig eine Verhältnismäßigkeitsabwägung vorzunehmen. Aus verwaltungsökonomischen Gründen wird auf die Verlängerung des Aufenthaltsrechts abgestellt. ..."
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit seiner Erlassung die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen. Allerdings kann bei der Entscheidung über die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden. Für den Zeitpunkt der Erlassung eines Bescheides über den Aufhebungsantrag ist daher lediglich zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes wegen einer Änderung der Umstände zu Gunsten des Fremden weggefallen sind (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2006/21/0368, mwN).
Im vorliegenden Fall wurde der Mutter der Beschwerdeführerin bereits mit Wirkung vom 1. März 2005 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen (vgl. den von der Beschwerdeführerin selbst vorgelegten Bescheid gleichen Datums, S. 975 der Verwaltungsakten). Auch hat sie der Beschwerdeführerin (wiederum selbst nach deren Vorbringen in ihrer als verspätet zurückgewiesenen Berufung gegen die Verhängung des Aufenthaltsverbotes) und ihrem Sohn A. schon damals Unterhaltsleistungen erbracht. Hieraus kann daher - unbeschadet des Unterbleibens einer Berücksichtigung dieser Umstände im Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 4. August 2005 - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht keine für den Standpunkt der Beschwerdeführerin im vorliegenden Verfahren relevante Änderung abgeleitet werden.
Allerdings geht aus den vorgelegten Verwaltungsakten hervor, dass der Beschwerdeführerin - entgegen den eingangs wiedergegebenen Tatsachenannahmen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid - mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. Dezember 2006 der - bei Erlassung des angefochtenen Bescheides noch aufrechte - Status einer subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Asylgesetz 2005 zuerkannt worden war. Hieraus folgt gemäß § 65 Abs. 3 FPG, dass das Aufenthaltsverbot zu einem Rückkehrverbot wurde und - jedenfalls vorübergehend - keine Wirkung entfaltete. Damit erweist sich allerdings auch der seitherige Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet - bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides - als rechtmäßig. Unter richtiger Berücksichtigung dieses Umstandes (vgl. auch die in § 65 Abs. 3 letzter Satz FPG besonders normierte Überprüfungsverpflichtung) kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde in ihrer Interessenabwägung, bei der sie bereits den Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet seit 1992 und das seit der Haftentlassung andauernde Wohlverhalten (vgl. dazu auch die wiedergegebene mit zunehmender Integration argumentierende Regierungsvorlage zu § 65 FPG) hervorgehoben hatte, zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Der angefochtene Bescheid ist daher mit einem wesentlichen Feststellungs- und Begründungsmangel belastet, sodass er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 23. Oktober 2008
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007210392.X00Im RIS seit
26.11.2008Zuletzt aktualisiert am
13.03.2009