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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §45 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des S K in W, geboren am 5. Mai 1966, vertreten durch Dr. Carl Benkhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 26, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. Juli 2008, Zl. E1/122.974/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 7. Juli 2008 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen kroatischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Feststellungen zu Grunde, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 14. Dezember 2001 nach § 114 Abs. 1 ASVG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten rechtskräftig verurteilt worden sei. Der Verurteilung liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer vor Mai 2001 und von Mai 2001 bis August 2001 als Geschäftsführer einer Restaurant GmbH - damit als Dienstgeber - Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung in Gesamthöhe von etwa ATS 245.000,-- einbehalten und der Krankenkasse vorenthalten habe.
Mit Urteil vom 12. April 2002 habe das Landesgericht Innsbruck über den Beschwerdeführer nach § 114 Abs. 1 und 2 ASVG eine bedingte (Zusatz-)Freiheitsstrafe von einem Monat unter Bedachtnahme auf die eben genannte Vorverurteilung verhängt. Der Beschwerdeführer sei für schuldig erkannt worden, in K von April 2001 bis September 2001 als Vertreter einer GmbH Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe von etwa EUR 5.600,-- einbehalten und solcherart der Gebietskrankenkasse vorenthalten zu haben.
Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 29. November 2002 sei der Beschwerdeführer nach den §§ 15, 299 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Er habe im April 2002 einen anderen, der ihn zuvor durch Versetzen eines Schlages sowie von Fußtritten verletzt gehabt habe, der Strafverfolgung zu entziehen versucht, indem er den eintreffenden Polizeibeamten gegenüber angegeben habe, sich diese Verletzungen durch einen Sturz zugezogen zu haben; später habe er diese Angaben jedoch widerrufen.
Mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 23. Juli 2004 sei der Beschwerdeführer nach den §§ 159 Abs. 1, 2 und 5, 146, 147 Abs. 2, 148 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten, davon 12 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt worden. Er habe als Geschäftsführer im Zeitraum von Juli 1996 bis September 2001 eine Pizzeria betrieben. Spätestens mit 31. Dezember 1999 habe er durch kridaträchtige Handlungen die Zahlungsunfähigkeit der Firma herbeigeführt und in weiterer Folge in Kenntnis bzw. fahrlässiger Unkenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit Gläubigerinteressen dadurch vereitelt, dass er ohne entsprechende vertragliche Vereinbarungen Lieferantenrechnungen einer Firma bezahlt habe, deren Geschäftsführer er ebenfalls gewesen sei, übermäßigen Aufwand durch mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in grobem Widerspruch stehende Privatentnahmen von mindestens EUR 52.000,-- getätigt, eine unvollständige Buchhaltung geführt habe und durch Vortäuschung seiner Zahlungsfähigkeit neue Verbindlichkeiten eingegangen sei, die bei fünf weiteren Firmen einen Gesamtschaden von nahezu EUR 20.000,-- verursacht hätten.
Zuletzt sei der Beschwerdeführer am 12. Mai 2006 vom Landesgericht für Strafsachen Wien nach den §§ 146, 147 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dem Urteil liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit einem Mittäter einem anderen vorgetäuscht habe, zahlungsfähiger und rückzahlungswilliger Darlehensnehmer zu sein, und diesen solcherart zur Auszahlung eines Darlehens von EUR 35.000,-- verleitet habe.
Der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Bundesgebiet nicht gemeldet und auch nicht zur Sozialversicherung gemeldet.
Der Beschwerdeführer sei verheiratet. Da er - nach Aufforderung durch Schreiben der belangten Behörde vom 9. Juni 2008, Namen, Geburtsdatum und Wohnanschrift seiner Familienangehörigen mitzuteilen und durch geeignete Urkunden zu belegen sowie zu belegen, dass diese Familienangehörigen zum Aufenthalt in Österreich berechtigt seien - keine Stellungnahme abgegeben habe und "allfällige Familienangehörige auch sonst nicht feststellbar" gewesen seien, seien "solche dem weiteren Verfahren auch nicht zugrunde zu legen". Es sei daher "nicht davon auszugehen", dass der Beschwerdeführer familiäre Bindungen im Bundesgebiet aufweise.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die angeführten Verurteilungen den in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierten Tatbestand erfüllten. Die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes seien daher - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG gegeben.
Es sei zwar von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen, dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer Straftaten, zum Schutz des Eigentums und des Vermögens Dritter - dringend geboten sei. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers lasse recht eindrücklich erkennen, dass dieser offenbar nicht willens oder imstande sei, maßgebliche, in Österreich gültige Rechtsvorschriften - insbesondere im Zusammenhang mit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit - einzuhalten. Auch vorangegangene Verurteilungen hätten ihn nicht davon abhalten können, immer wieder einschlägig strafbar zu werden. Solcherart sei eine zugunsten des Beschwerdeführers ausfallende Verhaltensprognose unmöglich. Es könne daher kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten und daher zulässig im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG sei.
Bei der gemäß § 66 Abs. 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen gewesen. Gleichzeitig zu berücksichtigen sei jedoch gewesen, dass die einer jeglichen Integration zu Grunde liegende soziale Komponente durch das wiederholte strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich an Gewicht gemindert werde.
Angesichts des "Mangels jeglicher familiärer Bindungen zu Österreich" sei das ihm insgesamt zuzusprechende Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet zwar keinesfalls zu unterschätzen, jedoch auch nicht besonders ausgeprägt. Bei Abwägung dieser Interessenlagen sei die belangte Behörde zu der Ansicht gelangt, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen als das in seinem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse an seinem Verlassen und Fernbleiben des Bundesgebietes. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich daher auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG als zulässig.
Ein Sachverhalt gemäß § 61 FPG sei nicht gegeben gewesen.
Mangels sonstiger, besonders zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes werde mit zehn Jahren festgelegt, weil vor Ablauf dieser Frist im Hinblick auf das dargestellte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers einerseits und dessen aktenkundige Lebenssituation andererseits nicht erwartet werden könne, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belange Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Auf der Grundlage der unstrittig feststehenden Straftaten des Beschwerdeführers und der deswegen erfolgten rechtskräftigen Verurteilungen begegnet die - unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.
1.2. Den zuletzt erfolgten Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 23. Juli 2004 sowie vom 12. Mai 2006 (siehe I.1.) lagen - teilweise im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Gastronom verübte - Vermögensdelikte zugrunde, durch die der Beschwerdeführer seine Vertragspartner im Ausmaß von insgesamt ca. EUR 100.000,-- schädigte.
In Anbetracht dieses massiven Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers ist die Ansicht der belangten Behörde, dass die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, nicht zu beanstanden.
1.3. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang auf die "bedingte Entlassung" (gemeint wohl: Begnadigung) des Beschwerdeführers durch Entschließung des Bundespräsidenten vom 14. Februar 2007 und die dieser zu Grunde liegende positive Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer verweist, so ist dem zu erwidern, dass die belangte Behörde ihre Beurteilung unabhängig von strafrechtlichen Erwägungen und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes vorzunehmen hatte (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 13. November 2007, Zl. 2007/18/0720, mwN, sowie vom 18. Mai 2006, Zl. 2005/21/0257).
2.1. Im Zusammenhang mit der durch die belangte Behörde vorgenommenen Interessenabwägung gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG macht der Beschwerdeführer als Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, dass die belangte Behörde von ihm gestellte Zeugenanträge trotz deren Relevanz unberücksichtigt gelassen habe.
Tatsächlich brachte der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid - der davon ausging, dass der Beschwerdeführer keine Angehörigen im Bundesgebiet habe - vor, dass seine Ehefrau und seine drei Kinder sich in Österreich aufhielten (wenn sich auch die Ehefrau "zuletzt" im Ausland aufgehalten habe); zum Beweis (unter anderem) dafür, dass er für seine Ehefrau und seine drei Töchter unterhaltspflichtig sei und mit diesen in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe und lebe, beantragte der Beschwerdeführer die Vernehmung von fünf Zeugen unter Anführung der jeweiligen (im Inland gelegenen) Anschriften dieser Zeugen.
Die belangte Behörde forderte mit einer - auf § 45 AVG gestützten - Note vom 9. Juni 2008 den Beschwerdeführer auf, Name, Geburtsdatum und Wohnanschrift seiner Familienangehörigen in Österreich mitzuteilen und diese Angaben durch Vorlage entsprechender Urkunden zu belegen sowie weiters zu belegen, dass seine Familienangehörigen zum Aufenthalt in Österreich berechtigt seien. Nachdem der Beschwerdeführer dieser Aufforderung nicht Folge geleistet hatte, fasste die belangte Behörde - ohne die beantragten Zeugen zu vernehmen oder vernehmen zu lassen (§ 66 Abs. 1 AVG) - den angefochtenen Bescheid.
2.2. Nach ständiger hg. Rechtsprechung dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2008/18/0102).
Die belangte Behörde stützte ihre im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung, dass der Beschwerdeführer keine familiären Bindungen im Bundesgebiet aufweise, erschließbar auf eine Verletzung der Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers (und hebt daher in der Gegenschrift auch eine in dieser Hinsicht "erhöhte Mitwirkungspflicht" des Beschwerdeführers hervor).
Dem ist allerdings zu erwidern, dass die Mitwirkungspflicht der Partei nach der hg. Rechtsprechung nicht soweit geht, dass sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie gesetzlich verpflichtet ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. März 1995, Zl. 94/19/0485); daran würde auch nichts ändern, dass die Partei zu ihr im Rahmen des Parteiengehörs gemachten Vorhalten keine Stellungnahme im Sinn des § 45 Abs. 3 AVG abgegeben hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 1999, Zl. 98/20/0246, mwN).
2.3. Die Unterlassung der Vernehmung der vom Beschwerdeführer im Administrativverfahren beantragten Zeugen stellt daher einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, dem auch Relevanz zukommt, weil die Behörde bei Zutreffen der Behauptungen des Beschwerdeführers ihrer Interessenabwägung gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG andere Feststellungen als die im angefochtenen Bescheid getroffenen zu Grunde legen hätte müssen und so zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des geltend gemachten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 28. Oktober 2008
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete"zu einem anderen Bescheid"Verfahrensbestimmungen Amtswegigkeit des Verfahrens Mitwirkungspflicht ManuduktionspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2008180631.X00Im RIS seit
26.11.2008Zuletzt aktualisiert am
19.02.2009