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E000 EU- Recht allgemein;Norm
11997E039 EG Art39;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des L C in F, geboren am 14. Mai 1979, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Bahnhofstraße 20, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 15. Februar 2007, Zl. St 332/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 15. Februar 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 sowie §§ 60 Abs. 1 und 2 Z. 9, 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 5. August 2001 unter Umgehung der Grenzkontrolle mit Hilfe eines Schleppers und gegen Bezahlung eines Schlepperlohns versteckt in einem LKW illegal nach Österreich eingereist sei. Der in der Folge durch den Beschwerdeführer eingebrachte Asylantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes Linz vom 25. Juli 2002, der am 20. Mai 2005 in Rechtskraft erwachsen sei, abgewiesen worden.
Am 12. Mai 2005 habe der Beschwerdeführer am Standesamt in F (Oberösterreich) die deutsche Staatsangehörige A.Z., geboren am 25. März 1983, geheiratet, und am 19. August 2005 die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - EWR, § 47 Abs. 3 FrG" beantragt.
Bei einer Befragung der Ehefrau des Beschwerdeführers durch die Behörde am 19. September 2005 habe diese zunächst angegeben, es habe sich bei der Eheschließung um eine reine Liebesheirat gehandelt; bereits am 26. September 2005 habe die Ehefrau des Beschwerdeführers diese Aussage allerdings widerrufen und bei der Polizeiinspektion F zu Protokoll gegeben, die Ehe mit dem Beschwerdeführer nur zum Schein geschlossen zu haben, um diesem einen großen Gefallen zu tun. Die Ehe habe Ö.S. vermittelt, in dessen Kebab-Lokal A.Z. kurze Zeit gearbeitet gehabt und das sie auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses täglich besucht habe. Von Ö.S. sei ihr ein Betrag von EUR 6.000,-- angeboten worden, der allerdings nicht ausbezahlt worden sei.
Der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - sei mit Schreiben vom 12. Oktober 2004 (richtig: 14. Oktober 2005) ersucht worden, zu der geplanten Erlassung eines fünfjährigen Aufenthaltsverbotes in Österreich Stellung zu nehmen; er habe dazu in einem Brief vorgebracht, dass er seine Ehefrau geliebt und dasselbe auch von ihr geglaubt habe. Erst vor kurzem sei er dahinter gekommen, dass seine Ehefrau einen Freund habe und deshalb nicht so oft bei ihm gewohnt habe. Von der Behauptung seiner Ehefrau, dass ihr für die Eheschließung Geld angeboten worden sei, habe er ebenfalls keine Ahnung gehabt.
In rechtlicher Hinsicht stützte sich die belangte Behörde auf § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG, wobei sie von einer Aufenthaltsehe im Sinn des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG ausging und eine Interessenabwägung gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG vornahm.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften oder Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach dem von der belangten Behörde festgestellten und vom Beschwerdeführer insoweit nicht bekämpften Sachverhalt ist der Beschwerdeführer seit 12. Mai 2005 mit der deutschen Staatsangehörigen A.Z. verheiratet, die in dem Kebab-Lokal des Ö.S. gearbeitet hat. Jenes Lokal befand sich in F in Oberösterreich. A.Z. ist in F wohnhaft (Niederschrift der Polizeiinspektion F vom 26. September 2005), wurde allerdings am 25. März 1983 in P in Deutschland geboren (Heiratsurkunde vom 12. Mai 2005).
2. Aufgrund der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz, sofern nicht anderes bestimmt ist,
1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und
2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz.
Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG fällt unter den Begriff des "begünstigten Drittstaatsangehörigen" - soweit für den vorliegenden Fall relevant - der Ehegatte eines EWR-Bürgers, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/18/0149, mwN, vom 24. April 2007, Zl. 2006/18/0423, sowie vom 13. September 2006, Zl. 2006/18/0111).
Zwar enthält die angeführte Legaldefinition - in Anlehnung an Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten - die einschränkende Wendung "insofern dieser Drittstaatsangehöriger den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger (...), von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht"; der Europäische Gerichtshof hat allerdings mit Bezug auf diese Richtlinienbestimmung ausgesprochen, dass es keine Rolle spielt, ob Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind, bevor oder nachdem sie Familienangehörige des Unionsbürgers wurden (Urteil vom 25. Juli 2008, Rechtssache Metock u.a., C- 127/08, Rz 91ff).
3. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG liegen hier vor:
Die Ehefrau des Beschwerdeführers, eine in Deutschland geborene deutsche Staatsangehörige, ist nunmehr in Österreich ansässig, wo sie einer Beschäftigung nachgegangen ist. Sie hat somit ihr Recht auf Freizügigkeit als eine der Grundfreiheiten der Europäischen Gemeinschaft (vgl. Art. 39 ff EGV; zur erforderlichen Zwischenstaatlichkeit etwa Fischer/Köck/Karollus, Europarecht4, Rz 1614) in Anspruch genommen, sodass der Beschwerdeführer als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 erster Fall FPG zu qualifizieren ist.
Die Annahme der belangten Behörde, es handle sich bei der zwischen dem Beschwerdeführer und A.Z. geschlossenen Ehe um eine Scheinehe, ist dabei in Hinblick auf die hier zu beantwortende Frage der Zuständigkeit ohne Belang.
Damit aber hatte gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 dritter Fall FPG der unabhängige Verwaltungssenat (s. Art. 35 iVm Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG) und nicht die belangte Behörde als Berufungsinstanz tätig zu werden, sodass der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben war.
4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 28. Oktober 2008
Gerichtsentscheidung
EuGH 62008J0127 Metock VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4sachliche Zuständigkeit in einzelnen AngelegenheitenInstanzenzugBesondere RechtsgebieteGemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007180254.X00Im RIS seit
26.11.2008Zuletzt aktualisiert am
08.01.2013