TE Vfgh Erkenntnis 2003/10/8 B1897/02

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Veröffentlicht am 08.10.2003
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 1.962,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, beantragte am 8. November 2001 bei der Österreichischen Botschaft in Ankara die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" mit ihrem Ehemann, mit dem sie seit 7. August 2001 verheiratet ist und der seit seiner Geburt in Österreich aufhältig ist.

Am 19. März 2002 richtete die Bezirkshauptmannschaft Bregenz ein Schreiben an den Ehemann der Beschwerdeführerin als Zustellbevollmächtigten, dass für das Kalenderjahr 2002 keine Quotenplätze für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" mehr zur Verfügung stehen, weshalb ihr Antrag gemäß §22 FrG auf das Kalenderjahr 2003 zu verschieben war.

Gegen diese Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Bregenz erhob die Beschwerdeführerin Berufung, die jedoch mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. November 2002 als unzulässig zurückgewiesen wurde, da das Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Bregenz keinerlei Bescheidcharakter aufweise.

II. 1. Gegen diesen letztinstanzlichen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher unter anderem die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (BVG BGBl. 390/1973), auf Privat- und Familienleben (Art8 EMRK) sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) gerügt und die Prüfung des §22 FrG angeregt wird.

2. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde abzuweisen.

III. Der Verfassungsgerichtshof leitete von Amts wegen ein Verfahren gemäß Art140 Abs1 B-VG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §18 Abs1 Z3 und des §22 FrG 1997 in der Stammfassung ein und stellte in seinem am heutigen Tag verkündeten Erkenntnis G119, 120/03 die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmungen fest.

IV. 1. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Grundsätzlich das Gleiche gilt, wenn der Gerichtshof nach Abs4 dieses Artikels ausgesprochen hat, dass ein Gesetz verfassungswidrig war (vgl. VfGH 27.11.1995, B314/95).

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

Die mündliche Verhandlung im erwähnten Gesetzesprüfungsverfahren G119, 120/03 fand am 26. September 2003 statt. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 30. Dezember 2002 eingelangt, war also zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig festgestellte Gesetzesbestimmung (§22 FrG in der Stammfassung) an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B1897.2002

Dokumentnummer

JFT_09968992_02B01897_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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