TE Vwgh Erkenntnis 2008/11/11 2006/19/0352

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Veröffentlicht am 11.11.2008
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §13 Abs1;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnF;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Rehak und den Hofrat Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. Klaus Kocher und Mag. Wilfried Bucher, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den am 26. Jänner 2005 verkündeten und am 16. Juni 2005 ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 232.043/12-VI/18/05, betreffend § 13 Abs. 1 AsylG 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, gelangte am 29. August 2002 in das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

Mit dem angefochtenen, am 26. Jänner 2005 verkündeten und am 16. Juni 2005 schriftlich ausgefertigten Bescheid wies die belangte Behörde im Instanzenzug den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß "§§ 7, 13 AsylG" ab, erklärte aber die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig und gewährte dem Beschwerdeführer gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 31. Dezember 2005.

Begründend stellte die belangte Behörde fest, dass sich der Beschwerdeführer im zweiten Tschetschenien-Krieg zwischen den Jahren 1999 und 2002 an Aktionen diverser tschetschenischer Rebellengruppen beteiligt habe. Der Beschwerdeführer habe dabei an bewaffneten Kampfhandlungen teilgenommen und "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" sowohl russische Militärangehörige als auch tschetschenische Zivilisten getötet, von denen er bzw. seine Rebellengruppe angenommen habe, dass sie mit dem russischen Geheimdienst oder für die "russische Sache" gearbeitet hätten. Somit lägen "ernsthafte Gründe" für den Verdacht vor, dass der Beschwerdeführer persönlich für Handlungen verantwortlich sei, die in den Anwendungsbereich von Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) fallen würden.

Zur Gewährung von Refoulementschutz führte die belangte Behörde begründend aus, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation und einer "allfälligen zwangsweisen Rückbringung in die tschetschenische Republik" schwerste Repressalien im Zusammenhang mit der "für ihn festgestellten Tätigkeit bei diversen Rebellengruppen" drohen würden. Im Falle einer Festnahme des Beschwerdeführers könnte es zu "Beeinträchtigungen seiner Rechtsstellung" kommen. So seien "extralegale Handlungen der russischen Sicherheitsapparate in Tschetschenien" keinesfalls ausgeschlossen. Selbst Folter bzw. "Verschwinden" seien angesichts der aktuellen eingesehenen Berichte mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Dem Beschwerdeführer stünde "mit großer Wahrscheinlichkeit kein faires rechtsstaatliches Verfahren zur Einräumung seiner Rechte" offen. Zudem würde auch bei den tschetschenischen Sicherheitskräften bekannt sein, dass sich der Beschwerdeführer an der Tötung von russischen Militärs und auch "pro-russisch eingestellten Zivilisten" beteiligt habe. Dies sei ohne Zweifel ein Indiz für besonders schwere Verfolgungshandlungen.

Nach Vorlage der Verwaltungsakten hat der Verwaltungsgerichtshof über die Beschwerde erwogen:

Die belangte Behörde stützte ihren Bescheid im Asylteil auf das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes nach § 13 Abs. 1 AsylG (in der hier maßgeblichen Fassung vor der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101).

Danach ist Asyl ausgeschlossen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F FlKonv genannten Ausschlussgründe vorliegt. Art. 1 Abschnitt F FlKonv erklärt die Bestimmungen dieses Abkommens auf Personen für nicht anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie

a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben, und zwar im Sinne jener internationalen Einrichtungen, die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen gegen solche Verbrechen zu schaffen;

b) bevor sie als Flüchtlinge in das Gastland zugelassen wurden, ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen haben;

c) sich Handlungen schuldig gemacht haben, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten.

Die belangte Behörde begründete den Ausschluss von der Asylgewährung damit, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat an bewaffneten Kampfhandlungen beteiligt gewesen sei und dabei "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" russische Militärangehörige und (des Verrates bezichtigte) tschetschnische Zivilisten getötet habe. Sie stellt weder die Einzelheiten der von ihr angenommenen Tötungshandlungen fest noch präzisiert sie, welchen der oben genannten Ausschlusstatbestände der Beschwerdeführer dadurch verwirklicht hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in der Vergangenheit bereits mehrfach erkannt, dass die Teilnahme an bewaffneten Kampfhandlungen oder der Vorwurf einer strafbaren Handlung die Anerkennung als Konventionsflüchtling nicht von vornherein hindert, sofern nicht ein Ausschlussgrund nach Art. 1 Abschnitt F FlKonv vorliegt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0372, mwN).

In Anbetracht der schwer wiegenden Folgen, die ein Asylausschluss für die betreffende Person hat, sind die Ausschlussklauseln aber restriktiv auszulegen (vgl. etwa die Position des UNHCR zur Auslegung von Art. 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, April 2001, Rz 38, mwN). Auch bedarf es ausreichender Sachverhaltsfeststellungen um beurteilen zu können, durch welches Verhalten der Asylwerber einen Ausschlusstatbestand erfüllt hat. Im Zusammenhang mit dem Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abschnitt F lit. b FlKonv hat der Verwaltungsgerichtshof überdies betont, dass der Ausschlusstatbestand eine Abwägung zwischen der Verwerflichkeit der Tat, derer der Asylwerber verdächtig ist, und seinen Schutzinteressen (Grad der befürchteten Verfolgung) erfordert. Das setzt wiederum eine umfassende Klärung des Sachverhalts voraus. So sind z.B. Milderungsgründe, Schuldausschließungs- und Rechtfertigungsgründe zu berücksichtigen und muss die Tat auch in subjektiver Hinsicht schwer wiegend sein (vgl. dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 99/20/0372; weiters das hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 2000/20/0189).

Im vorliegenden Fall reichen die Erwägungen der belangten Behörde nicht aus, um das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes zu beurteilen.

So nimmt die belangte Behörde zwar an, dass der Beschwerdeführer an bewaffneten Kampfhandlungen beteiligt war und dabei russische Militärangehörige sowie tschetschenische Zivilisten getötet habe. Wann, bei welchen Gelegenheiten und unter welchen Umständen diese Taten vom Beschwerdeführer gesetzt worden sein sollen, bleibt hingegen offen.

Fallbezogen kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer die ursprünglich (nur allgemein) zugestandenen Tötungshandlungen im weiteren Verfahren bestritt. Auf Grund der im Verlauf der mehrstündigen Berufungsverhandlung aufgetretenen und der belangten Behörde nicht erklärbar erscheinenden Widersprüche im Aussageverhalten des Beschwerdeführers wurde ein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses kam zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass Erinnerungen des Beschwerdeführers, die er in Stresssituationen gesammelt habe, nur mehr "bruchstückhaft und in chaotischer Unordnung" in seinem Gedächtnis verankert seien. Der "merkwürdige Gesamteindruck, der dadurch" entstehe, werde "durch das Bemühen (des Beschwerdeführers) 'abgerundet', normal und 'respektabel' zu wirken" hervorgerufen. Der Sachverständige "vermutete" auch, dass sich der Beschwerdeführer "in manchen Belangen nicht hundertprozentig an die Wahrheit" halte, "dies allerdings nicht wegen des Verfahrens, sondern weil er nach wie vor im inneren Konflikt mit seinem Vater steht und vor diesem keine klägliche Figur abgeben möchte".

Daraus lässt sich ableiten, dass die Angaben des Beschwerdeführers über seine Erlebnisse im Herkunftsstaat mit großer Vorsicht zu würdigen sind und es auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beschwerdeführer seine eigenen Beiträge zu den "Kampfhandlungen" nicht den Tatsachen entsprechend dargestellt haben könnte. Angesichts dessen wäre es auf Seiten der belangten Behörde umso notwendiger gewesen, die einen Asylausschluss begründenden Tathandlungen sowie das Umfeld, in dem sich diese ereignet haben, präzise festzustellen, um die Subsumtion unter einen der Tatbestände des Art. 1 Abschnitt F FlKonv möglich zu machen.

Dem entspricht der angefochtene Bescheid nicht, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufzuheben war.

Der Kostenausspruch gründet sich - im begehrten Ausmaß - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 11. November 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006190352.X00

Im RIS seit

11.12.2008

Zuletzt aktualisiert am

09.04.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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