TE Vfgh Erkenntnis 2003/10/10 V5/02

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Veröffentlicht am 10.10.2003
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
ASVG §31 Abs3 Z12
ASVG §441c, §442b
Heilmittelverzeichnis 19. Änderung
VfGG §61a

Leitsatz

Aufhebung der Streichung von Ginkgo-Präparaten aus dem Heilmittelverzeichnis im Anlassfall nach Aufhebung der die Geschäftsführung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger betreffenden Bestimmungen im ASVG; Kostenzuspruch

Spruch

I. In der 19. Änderung des Heilmittelverzeichnisses, Soziale Sicherheit, Amtliche Verlautbarung Nr. 160/2001, wird bei den unter Pkt. II. ("Der 'I. Teil - Arzneispezialitäten' wird wie folgt geändert:") angeführten Arzneispezialitäten

Tebofortan 4% Tropf.,

Tebofortan 40 mg Filmtabl. und Tebonin retard Drag.

jeweils das Wort "streichen" als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

II. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist schuldig, der Antragstellerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit EUR 1962,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Gemäß §31 Abs3 Z12 ASVG (in der im vorliegenden Fall maßgebenden Fassung vor der 60. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 140/2002) hat der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (im Folgenden kurz: Hauptverband) ein Heilmittelverzeichnis herauszugeben, das jene Arzneispezialitäten anzuführen hat, die entweder allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen (zB für gewisse Krankheitsgruppen oder Altersstufen von Patienten, in bestimmter Menge oder Darreichungsform) ohne die sonst notwendige chef- oder kontrollärztliche Bewilligung für Rechnung des Krankenversicherungsträgers abgegeben werden können. In diesem Verzeichnis sind ferner jene Stoffe für magistrale Zubereitungen anzuführen, die entweder allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen nur mit vorheriger chef- oder kontrollärztlicher Bewilligung für Rechnung des Krankenversicherungsträger abgegeben werden können.

Die Herausgabe des Heilmittelverzeichnisses bedarf der Beurkundung des gesetzmäßigen Zustandekommens durch den Bundesminister für Gesundheit und Frauen (§31 Abs8 ASVG).

2. Die antragstellende Gesellschaft mbH vertreibt ua. die Arzneispezialitäten "Tebonin retard", "Tebofortan Liq." sowie "Tebofortan Tabl." in Österreich. Es handelt sich dabei um sogenannte Ginkgo-Präparate, die - wie aus den jeweiligen arzneimittelrechtlichen Zulassungsbescheiden hervorgeht - ua. bei folgenden Indikationen verabreicht werden können: zerebrale Mangeldurchblutung und Mangelernährung bzw. Hirnleistungsstörungen (Symptome: nachlassende intellektuelle Leistungsfähigkeit und Vigilanz wie Schwindel, Ohrensausen, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Gedächtnisschwäche, depressive Verstimmung); dementielles Syndrom; periphere arterielle Durchblutungsstörungen.

Diese Arzneispezialitäten waren mit 1. Februar 1975, 1. April 1990 bzw. 1. Juli 1990 in das Heilmittelverzeichnis aufgenommen worden.

3. Am 6. November 2001 beschloss die Geschäftsführung des Hauptverbandes - nach Befassung des beim Hauptverband eingerichteten Kleinen und Großen Fachbeirates gemäß der vom Hauptverband erlassenen Verfahrensordnung -, die genannten Arzneispezialitäten mit 1. Jänner 2002 aus dem Heilmittelverzeichnis zu streichen. Das gesetzmäßige Zustandekommen dieses Beschlusses wurde vom (damals zuständigen) Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen am 13. November 2001 beurkundet.

Die sich daraus ergebende Änderung des Heilmittelverzeichnisses wurde in der Fachzeitschrift Soziale Sicherheit, Heft 12/2001, Amtliche Verlautbarung Nr. 160/2001, wie folgt kundgemacht:

"Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger verlautbart gemäß §31 Abs8 ASVG:

19. Änderung des Heilmittelverzeichnisses

[...]

II. Der 'I. Teil - Arzneispezialitäten' wird wie folgt geändert:

-----------------------------------------------------------------

       Arzneispezialität                   frei          Ind.-Gr.

                                          verschreibb.

                                          Menge

-----------------------------------------------------------------

[...]

       Tebofortan 4% Tropf. .............  20 ml  (2)    20 E 3.3

       streichen                           50 ml

       Tebofortan 40 mg Filmtabl. .......  20 St. (2)    20 E 3.2

       streichen                           50 St.

       Tebonin retard Drag. .............  20 St. (2)    20 E 3.2

       streichen                           50 St.

[...]

Diese Änderungen treten mit 1. Jänner 2002 in Kraft.

*

Diese Änderungen des Heilmittelverzeichnisses erfolgten mit Beschluss

der Geschäftsführung des Hauptverbandes der österreichischen

Sozialversicherungsträger vom 6. November 2001 ... Der Bundesminister

für soziale Sicherheit und Generationen hat ihr gesetzmäßiges

Zustandekommen mit Erlass vom 13. November 2001, Zl. GZ:

21.410/23-5/01 ... beurkundet.

                      Für die Geschäftsführung:

                   Probst                  Vanas"

4. Der vorliegende, auf Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestützte Antrag richtet sich gegen die Streichung der oben angeführten Arzneispezialitäten aus dem Heilmittelverzeichnis.

Der Hauptverband sowie der (damals zuständige) Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen haben eine Äußerung zum Gegenstand erstattet.

Die antragstellende Gesellschaft hat hiezu eine Replik erstattet.

5. Aus Anlass dieses Verordnungsprüfungsverfahrens leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 7. Dezember 2002 von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der die Zusammensetzung sowie die Aufgaben der Geschäftsführung des Hauptverbandes regelnden §§441c und 442b ASVG (idF 58. Novelle) ein.

Mit Erkenntnis vom heutigen Tag, G222/02, G1/03, hat der Verfassungsgerichtshof ua. diese Bestimmungen als verfassungswidrig aufgehoben.

6.1. Gemäß Art139 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen ua. auf Antrag einer Person, die behauptet, unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist unter einer Verordnung eine von einer Verwaltungsbehörde erlassene, generelle Rechtsnorm zu verstehen (zB VfSlg. 313/1924, 2071/1950, 2465/1953, 3896/1961, 7717/1975 uva.).

6.2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG sind für verfassungswidrig erkannte Gesetzesbestimmungen im Anlassfall nicht mehr anzuwenden.

6.3. Durch die Aufhebung der §§441c und 442b ASVG mit dem zitierten Erkenntnis hat die Geschäftsführung, also jener Verwaltungskörper des Hauptverbandes, der die 19. Änderung des Heilmittelverzeichnisses beschlossen hat, nicht nur seine Stellung als Organ des Hauptverbandes verloren, er ist überhaupt - vom Standpunkt des Anlassfalles - als aus dem Rechtsbestand beseitigt anzusehen. Im Anlassfall gelten die angefochtenen Teile der

19. Änderung des Heilmittelverzeichnisses demnach zwar als von einem nicht existenten Organ erlassen.

Daraus ergeben sich jedoch keine Zweifel an der Verordnungsqualität des in Prüfung stehenden Aktes, weil dieser weiterhin dem Hauptverband zuzurechnen ist (vgl. §31 Abs3 Z12 ASVG), dem bei allen Verfügungen, die das Heilmittelverzeichnis zum Gegenstand haben, die Stellung einer Behörde zukommt.

7. Der Antrag ist somit - auch gemessen an der bereinigten Rechtslage - weiterhin zulässig (s. im Übrigen das bereits genannte Erkenntnis vom heutigen Tag, G222/02, G1/03, Pkt. V.A.2.); er ist auch begründet:

Die 19. Änderung des Heilmittelverzeichnisses wurde nach dem vorhin Gesagten von einem Verwaltungskörper beschlossen, der nach der bereinigten Rechtslage zur Setzung dieses Aktes offenkundig nicht zuständig war (vgl. VfGH 28. Februar 2002, B1695/99). Der angefochtene Akt entbehrt damit der gesetzlichen Grundlage (vgl. VfSlg. 15.969/2000).

Die aus dem Spruch ersichtlichen Teile der 19. Änderung des Heilmittelverzeichnisses waren sohin als gesetzwidrig aufzuheben.

8. Die Kundmachungspflicht der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen ergibt sich aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG iVm §2 Abs2 Z4 BGBlG.

9. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §61a VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von EUR 327,-- enthalten.

10. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs4 erster Satz VfGG).

Schlagworte

Arzneimittel, Sozialversicherung, Verordnungsbegriff, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Kosten, VfGH / Prüfungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:V5.2002

Dokumentnummer

JFT_09968990_02V00005_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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