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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §1 Z6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte MMag. Maislinger, Dr. Hofbauer und Mag.Dr. Wurdinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des A K in W, geboren am 19. August 1957, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats vom 4. August 2005, Zl. 207.574/23-VIII/22/05, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages gemäß § 68 Abs. 1 AVG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein georgischer Staatsangehöriger armenischer Volksgruppen- und christlicher Religionszugehörigkeit, hatte am 10. März 1998 erstmals die Gewährung von Asyl beantragt. Als Fluchtgrund hatte er zusammengefasst vorgebracht, in Adscharien wegen seiner christlichen Religionszugehörigkeit verfolgt worden zu sein. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der belangten Behörde vom 25. Jänner 1999 wurde der Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen und es wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien gemäß § 8 Asylgesetz 1997 zulässig sei. Mit hg. Beschlüssen vom 12. Dezember 2002, Zlen. 2000/20/0103, 0295, wurde die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerden abgelehnt.
Nach der Aktenlage reiste die Ehefrau des Beschwerdeführers im Jahr 2003 ins Bundesgebiet ein, stellte einen Asylantrag und erhob gegen den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem dieser Antrag abgewiesen worden war, Berufung.
Mit Schriftsatz vom 6. Mai 2005 stellte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf das "Familienverfahren" einen zweiten Asylantrag und begehrte darin "die Gewährung desselben Schutzes" in Bezug auf seine Ehefrau. Bei der (ersten) Einvernahme zu diesem Asylantrag gab der Beschwerdeführer am 3. Juni 2005 vor dem Bundesasylamt an, seine Ehefrau befinde sich seit zwei Jahren und drei Monaten als Asylwerberin in Österreich. Er habe Österreich seit seiner ersten Asylantragstellung nicht verlassen. Nach seiner Ausreise sei seine Ehefrau vom Geheimdienst verfolgt worden, weil dieser von ihr Informationen über den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers erlangen habe wollen.
Mit Bescheid vom 13. Juni 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag unter Berufung auf § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, da kein nach der ersten Asylantragstellung neu entstandener Sachverhalt vorgebracht worden sei. Auf den im schriftlichen Asylantrag enthaltenen Hinweis auf das Familienverfahren ging das Bundesasylamt ebensowenig ein, wie auf das Vorbringen, der Beschwerdeführer sei nach seiner Ausreise vom Geheimdienst gesucht worden.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wies der Beschwerdeführer nochmals unter Bezugnahme auf das Asylverfahren seiner Ehefrau, welches bei der Berufungsbehörde anhängig sei, darauf hin, dass er seinen zweiten Asylantrag im Familienverfahren gestellt habe. Auch sei vom Bundesasylamt übersehen worden, dass er einen neuen Sachverhalt geschildert habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid, in dem die Einvernahmen des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt wiedergegeben werden, wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 68 Abs. 1 AVG ab. Begründend führte sie einerseits aus, es sei vor dem Bundesasylamt "vom Geheimdienst kein Wort protokolliert worden", andererseits, "dass es sich beim Verfahren der Gattin um ein laufendes Berufungsverfahren handelt, welches noch keinen (vollen) Schutzumfang begründet", weshalb daraus für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nichts zu gewinnen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:
1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren - außer in hier nicht in Betracht kommenden Fällen - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Entschiedene Sache liegt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Einer neuen Sachentscheidung steht die Rechtskraft eines früher in der selben Angelegenheit ergangenen Bescheides nur dann nicht entgegen, wenn in den für die Entscheidung maßgebenden Umständen eine Änderung eingetreten ist.
2. Soweit die belangte Behörde davon ausgeht, der Beschwerdeführer habe keinen neuen Sachverhalt vorgebracht, da vor dem Bundesasylamt "vom Geheimdienst kein Wort protokolliert worden" sei, widerspricht diese Annahme der vom Bundesasylamt am 3. Juni 2005 aufgenommenen - auf Seite 8 des angefochtenen Bescheides wörtlich wiedergegebenen - Niederschrift. Diese Aktenwidrigkeit führt schon für sich genommen zu einer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. November 2006, Zl. 2006/19/0088, und vom 21. März 2007, Zl. 2006/19/0076). Überdies ist ihre Relevanz für das Verfahrensergebnis schon deshalb nicht auszuschließen, weil sich die belangte Behörde mit dem neuen Vorbringen inhaltlich nicht auseinander setzte.
3. Im vorliegenden Fall haben die Asylbehörden allerdings auch nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer seinen zweiten Asylantrag - aufgrund der seit der Entscheidung über den ersten Asylantrag geänderten Rechtslage - im Familienverfahren eingebracht hat.
3.1. Gemäß § 44 Abs. 1 Asylgesetz 1997 idF der Asylgesetznovelle BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) waren Verfahren über Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG zu führen. Der Beschwerdeführer hat den hier relevanten Asylantrag am 6. Mai 2005 gestellt; das Asylverfahren war daher nach dem AsylG zu führen.
3.2. Mit der Novelle, welche am 1. Mai 2004 in Kraft trat, wurde das im Asylgesetz 1997 vorgesehene System der "Asylerstreckung" durch das in § 10 AsylG geregelte Familienverfahren ersetzt. Die hier relevanten Bestimmungen lauten:
"§ 10. (1) Familienangehörige (§ 1 Z 6) eines
1.
Asylberechtigten;
2.
subsidiär Schutzberechtigten (§§ 8 in Verbindung mit 15) oder
3.
Asylwerbers
stellen einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Für Ehegatten gilt dies überdies nur dann, wenn die Ehe spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreise des Fremden geschlossen wird, der den ersten Asylantrag eingebracht hat.
...
(5) Die Behörde hat Asylanträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Dies ist entweder die Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz, wobei die Gewährung von Asyl vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Antragsteller erhält einen gesonderten Bescheid."
Gemäß § 1 Z 6 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind (Kernfamilie) eines Asylwerbers oder eines Asylberechtigten ist.
3.3. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (120 BlgNR 22. GP, 10) wird zur Einführung des Familienverfahrens ausgeführt, dass Familienverfahren "zum frühestmöglichen Zeitpunkt … erkannt und geführt werden" sollen. Daraus ergibt sich, dass es zur Einleitung eines Familienverfahrens - anders als bei der Asylerstreckung - nicht darauf ankommt, ob formal ein "Asylantrag" iSd § 3 AsylG oder ein "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes" iSd § 10 AsylG eingebracht wurde. Vielmehr hat die Behörde, sobald ein Familienangehöriger iSd § 1 Z 6 AsylG einen derartigen Antrag stellt, jedenfalls die Bestimmungen über das Familienverfahren anzuwenden (vgl. auch Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997, Praxiskommentar, 3. Ergänzungslieferung Juni 2004, 231).
Soweit in den Erläuterungen (120 BlgNR 22. GP, 10) davon die Rede ist, dass bei Vorliegen der Familieneigenschaft in Bezug auf einen anderen Asylwerber die Verfahren "verbunden" würden, bedeutet dies im Hinblick auf die in § 10 Abs. 5 AsylG angeordnete "gesonderte" Prüfung der Asylanträge keine Verbindung im technischen Sinn. Es soll vielmehr sichergestellt werden, dass der inhaltliche Zusammenhang zwischen den einzeln zu führenden Verfahren der Familienangehörigen nicht verloren geht und bei allen zum günstigsten Verfahrensergebnis führt (vgl. Feßl/Holzschuster, aaO., 238; 120 BlgNR 22. GP, 15).
3.4. Nach der Aktenlage war das Asylverfahren der Ehefrau des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Einbringung seines gegenständlichen Asylantrags und auch noch bei Erlassung des angefochtenen Bescheides bei der belangten Behörde anhängig. Der Beschwerdeführer hatte seinen Antrag somit als Familienangehöriger (iSd § 1 Z 6 AsylG) einer Asylwerberin (§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG) eingebracht. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zum Familienverfahren ergibt, wäre dieser Antrag daher jedenfalls unter dem Aspekt des § 10 AsylG zu prüfen gewesen, ohne dass es - wie die belangte Behörde meint - darauf ankäme, "dass es sich beim Verfahren der Gattin um ein laufendes Berufungsverfahren handelt, welches noch keinen (vollen) Schutzumfang begründet". Vielmehr gebietet § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG die Führung eines Familienverfahrens gerade schon dann, wenn ein Asylverfahren eines Angehörigen (noch) anhängig ist.
4. Vor diesem Hintergrund entsprach es nicht der Rechtslage, den Asylantrag des Beschwerdeführers wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Der Berufungsbehörde war es verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (Sache des Berufungsverfahrens war nur die Zurückweisung des Antrags durch die Vorinstanz), weshalb sie den Bescheid des Bundesasylamts ersatzlos zu beheben gehabt hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1995, Zl. 93/08/0207, mwN).
5. Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 11. November 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2008231251.X00Im RIS seit
11.12.2008Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009