TE Vwgh Erkenntnis 2008/11/13 2003/01/0382

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Veröffentlicht am 13.11.2008
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Index

25/01 Strafprozess;
41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

SPG 1991 §29;
SPG 1991 §39;
StPO 1975 §175 Abs1 Z1;
StPO 1975 §175 Abs1 Z4;
StPO 1975 §177 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des Dr. E R in S, vertreten durch Dr. Klaus Perner, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom 25. Februar 2003, Zl. UVS-6/10126/9-2003, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe der Bundespolizeidirektion Salzburg, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Amtshandlung der Organe der Bundespolizeidirektion Salzburg nach Aufforderung zur Ausweisleistung erfasst und über die Verfahrenskosten abspricht, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit seiner auf § 67c AVG gestützten Beschwerde vom 27. August 2002 wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt begehrte der Beschwerdeführer, die belangte Behörde wolle ein von ihm näher geschildertes Vorgehen von Organen der Bundespolizeidirektion Salzburg im Rahmen einer Amtshandlung am 18. Juli 2002, und zwar dass diese eine einzige seinerseits erfolgte erregungsbedingte Reaktion, nämlich einem der Beamten von hinten einen leichten Stoß gegen den Rücken zu versetzen, in unverhältnismäßiger Weise als Anlass dazu benutzt hätten, ihn zu Boden zu reißen, zu würgen, ihn am Körper zu verletzen sowie in Handfesseln zu legen und mit dem Schlafanzug und bloßfüßig in das Wachzimmer Rathaus zu schaffen und sodann bis zum Morgen des 19. Juli 2002 im Polizeigefangenenhaus Salzburg in Haft zu belassen, für rechtswidrig zu erklären und die belangte Behörde zum Ersatz der Verfahrenskosten zu verpflichten.

Der Beschwerdeführer beantragte weiters die Rechtswidrigerklärung auch hinsichtlich früherer Phasen der Amtshandlung vom selben Abend (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom 29. Jänner 2008, Zl. 2005/11/0084).

Mit Bescheid vom 25. Februar 2003 wies die belangte Behörde den Beschwerdeantrag gemäß § 67a Abs. 1 Z 2 AVG als unbegründet ab, sprach aus, dass ein rechtswidriges Verhalten der Organe der Bundespolizeidirektion Salzburg nicht vorgelegen sei, und verpflichtete den Beschwerdeführer zum Ersatz der Verfahrenskosten.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass zwei Polizeibeamte der Bundespolizeidirektion Salzburg beauftragt worden seien, "Erhebungen zu einer behördlichen Zustellung" in einer führerscheinrechtlichen Angelegenheit durchzuführen. An der Wohnungsadresse des Beschwerdeführers sei vorerst nicht geöffnet worden. Da sie anschließend dem Pflegesohn des Beschwerdeführers begegnet seien und dieser ihnen erklärt habe, dass sich der Beschwerdeführer in der Wohnung befinden müsste, seien die Beamten wieder zur Wohnung gegangen und vom Pflegesohn des Beschwerdeführers in die Wohnung gelassen worden. Während sie im Vorraum dieser Wohnung gewartet hätten, habe der Pflegesohn den Beschwerdeführer geweckt, der sogleich lautstark seinen Unmut über die Anwesenheit der Polizeibeamten geäußert und diese zum Verlassen der Wohnung aufgefordert habe. Der die Erhebung durchführende Polizeibeamte habe den Beschwerdeführer aufgefordert, einen Ausweis vorzuzeigen, was der Beschwerdeführer allerdings nicht getan habe. Nach neuerlicher Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, sei der Beschwerdeführer insofern tätlich geworden, als er gegen jenen Polizeibeamten, der ihm einen Ausweis abverlangt habe, durch "Schubsen oder Stoßen" vorgegangen sei. "In Reaktion auf diese Tätlichkeit "sei der Beschwerdeführer festgenommen worden, wobei die Festnahme auf Grund der heftigen Gegenwehr nur unter Anwendung von Körperkraft und durch Anlegen von Handfesseln und im Zusammenwirken der beiden anwesenden Polizeibeamten durchgesetzt habe werden können. Anschließend sei der Beschwerdeführer in das Wachzimmer Rathaus und weiter in das Polizeigefangenenhaus Salzburg verbracht worden, wobei er zu dieser Zeit nur einen Schlafanzug angehabt hätte. Das Anziehen von anderen Kleidungsstücken und Schuhen habe der Beschwerdeführer verweigert. Am nächsten Vormittag sei er aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass die Festnahmegründe nach § 177 Abs. 1 iVm § 175 Abs. 1 Z 1 und Z 4 StPO vorgelegen seien. Die Tätlichkeit des Beschwerdeführers habe "Angriffsqualität" aufgewiesen. Die Durchsetzung der Festnahme sei nur durch Anwendung von Körperkraft möglich gewesen. Über das situationsadäquate Verhalten hinausgehende "Gewaltanwendungsexesse" seien nicht hervorgekommen. Die Art der Bekleidung während der Anhaltung habe sich der Beschwerdeführer selbst zuzuschreiben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sowohl für das Verwaltungsstrafverfahren als auch für Festnahmen im Dienste der Strafrechtspflege sei davon auszugehen, dass die Einvernahme bzw. Freilassung eines während der Nacht Verhafteten in den Morgenstunden oder zumindest am Vormittag zu erfolgen habe. Da der Beschwerdeführer um 21.35 Uhr des 18. Juli 2002 festgenommen worden sei, seine niederschriftliche Einvernahme am nächsten "Morgen/Vormittag" erfolgt und er unmittelbar danach um 10.25 Uhr (des 19. Juli 2002) entlassen worden sei, könne von einer unnötigen Verzögerung der Freilassung keine Rede sein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde, die nach der Ablehnung ihrer Behandlung vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 11. Juni 2003, B 577/03-5, an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten wurde. Soweit die - über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzte - Beschwerde die Abweisung des an die belangte Behörde gerichteten Antrags hinsichtlich der oben erwähnten früheren Phasen der Amtshandlung bekämpft, wurde deren Behandlung mit hg. Beschluss vom 29. Jänner 2008, Zl. 2005/11/0084, abgelehnt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde, soweit sie noch verfahrensgegenständlich ist, erwogen:

Die Beschwerde rügt (unter anderem), dass das Verhalten der einschreitenden Polizeibeamten unverhältnismäßig gewesen sei.

Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerde im Recht.

Den Feststellungen im angefochtenen Bescheid zufolge betraten die Polizeibeamten die Wohnung des Beschwerdeführers nach Gewährung des Zutritts durch dessen Pflegesohn, um ihn hinsichtlich der Umstände einer behördlichen Zustellung in einer führerscheinrechtlichen Angelegenheit zu befragen. Nachdem der Beschwerdeführer von seinem Pflegesohn geweckt worden war, forderte er die Polizeibeamten auf, die Wohnung zu verlassen, woraufhin er seinerseits durch einen Beamten aufgefordert wurde, sich (in seiner Wohnung) auszuweisen. Der Beschwerdeführer "äußerte" anschließend seine "mangelnde Kooperationsbereitschaft" nicht nur durch eine (neuerliche) verbale Aufforderung zum Verlassen der Wohnung, sondern auch durch "Schubsen oder Stoßen" eines Polizeibeamten. In Reaktion darauf wurde der Beschwerdeführer festgenommen.

Dazu ist zunächst anzumerken, dass der (unstrittig über die gegenständliche Wohnung verfügungsberechtigte) Beschwerdeführer zu Recht verlangen konnte, dass die Beamten ihre weitere Anwesenheit in seiner Wohnung beenden, zumal keine gesetzliche Vorschrift existiert, die Exekutivorgane zum Zwecke der Durchführung von Erhebungen zu Zustellungen in führerscheinrechtlichen Angelegenheiten zum (zwangsweisen) Betreten von Räumlichkeiten bzw. dortigem Verweilen ohne Zustimmung des Verfügungsberechtigten ermächtigen würde. Somit war der Verbleib der Polizeibeamten in der Wohnung ab der vom Beschwerdeführer ausgesprochenen Aufforderung, diese zu verlassen, ohne Rechtsgrundlage, woran auch der vom Pflegesohn zuvor gewährte Einlass in die Wohnung nichts änderte.

Der angefochtene Bescheid geht davon aus, dass das "Schubsen oder Stoßen" des Beschwerdeführers "Angriffsqualität" aufgewiesen habe, ohne die im Verfahren (nicht nur vom Beschwerdeführer, sondern auch von den Polizeibeamten) unterschiedlich dargestellten konkreten Handlungen näher festzustellen. Selbst wenn die Polizeibeamten die Handlungen des Beschwerdeführers, seiner Forderung nach Verlassen der Wohnung durch "Schubsen oder Stoßen" Nachdruck zu verleihen, als gefährlichen Angriff im Sinne des § 21 Abs. 2 iVm § 16 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1 SPG werteten, waren sie gehalten, sowohl bei der Beendigung eines derartigen Angriffes durch Ausübung von unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt als auch bei der Beurteilung, ob der Beschwerdeführer festzunehmen ist, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Gemäß § 29 Abs. 1 SPG darf ein Eingriff in Rechte von Menschen nur geschehen, soweit er die Verhältnismäßigkeit zum Anlass und zum angestrebten Erfolg wahrt. Insbesondere haben gemäß § 29 Abs. 2 SPG Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes von mehreren zielführenden Befugnissen jene auszuwählen, die voraussichtlich die Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt (Z 1), darauf Bedacht zu nehmen, dass der angestrebte Erfolg in einem vertretbaren Verhältnis zu den voraussichtlich bewirkten Schäden und Gefährdungen steht (Z 3), auch während der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt auf die Schonung der Rechte und schutzwürdigen Interessen der Betroffenen Bedacht zu nehmen (Z 4) und die Ausübung der Befehls- und Zwangsgewalt zu beenden, sobald der angestrebte Erfolg erreicht wurde oder sich zeigt, dass er auf diesem Wege nicht erreicht werden kann (Z 5). § 177 Abs. 4 StPO (idF vor der Novellierung BGBl. I Nr. 19/2004) sah ebenfalls vor, dass Festnahme und Anhaltung nach § 177 Abs. 1 und Abs. 2 StPO nicht zulässig sind, soweit sie zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis stehen.

Unter Berücksichtigung des Anlasses der Amtshandlung ("Erhebungen wegen einer behördlichen Zustellung in einer führerscheinrechtlichen Angelegenheit") und der bereits deutlich zum Ausdruck gebrachten mangelnden Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers, der die Beamten nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid mehrmals aufgefordert hat, die Wohnung zu verlassen, in Verbindung mit dem Umstand, dass Zweifel an der Identität des Beschwerdeführers nach dessen Identifizierung durch den (einem der einschreitenden Polizeibeamten der Aktenlage nach persönlich bekannten) Pflegesohn in dessen eigener Wohnung nicht ernsthaft bestehen konnten, muss es aber im hier vorliegenden Fall als überschießend angesehen werden, den Beschwerdeführer in Reaktion auf sein Fehlverhalten ohne weiteres (sofort) festzunehmen, zumal im Verfahren auch keine besonderen Gründe ins Treffen geführt wurden, warum mit dem ohnehin gebotenen Verhalten -

nämlich dem Verlassen der Wohnung und Abbruch der Amtshandlung - in Verbindung mit einer Anzeige des Beschwerdeführers nicht das Auslangen gefunden hätte werden können. War im vorliegenden Fall aber wegen Unverhältnismäßigkeit bereits die Festnahme rechtswidrig, so stellten sich auch die weiteren angefochtenen, damit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden behördlichen Maßnahmen (Anlegen der Handfesseln, Verbringen zum Wachzimmer und Anhaltung bis 10.25 Uhr des 19. Juli 2002 sowie allfällige Modalitäten der Anhaltung) als rechtswidrig dar (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0388, und vom 15. November 2000, Zl. 99/01/0067).

Indem die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts, weshalb er im Umfang der Abweisung dieses Beschwerdeteils gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war, was auch auf den Kostenausspruch durchschlug.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Im Beschwerdeschriftsatz wurden zwar weniger Kosten als in der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003 vorgesehen verzeichnet, jedoch erreichte das gesamte Kostenbegehren aufgrund weiterer für Schriftsatzaufwand verzeichneter Kosten das höchst zuzuerkennende Ausmaß. Darüber hinaus gehender Schriftsatzaufwand war aber aufgrund des § 48 Abs. 1 Z 2 VwGG nicht zuzusprechen, weil nur der mit der Einbringung der Beschwerde verbundene Schriftsatzaufwand ersatzfähig ist. Das betragsmäßig über dem Pauschalsatz des § 1 Z 1 lit. a VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003 liegende Mehrbegehren war daher abzuweisen.

Wien, am 13. November 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2003010382.X00

Im RIS seit

11.12.2008

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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