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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art140 Abs7 zweiter SatzLeitsatz
Zurückweisung der Beschwerde im Anlassfall nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Hauptverbandsreform mangels Beschwerdelegitimation; Verwaltungsrat aufgrund Anlassfallwirkung als nicht mehr existent anzusehen; keine Unvereinbarkeit mehr der Gewerkschaftsfunktion des Beschwerdeführers mit der Mitgliedschaft im Verwaltungsrat; KostenzuspruchSpruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit EUR 1962,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Begründung:
1. Der Beschwerdeführer ist Vorsitzender der Gewerkschaft der Eisenbahner.
Mit Schreiben vom 31. August 2001 teilte die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte dem Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen mit, den Beschwerdeführer als Mitglied in den Verwaltungsrat des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger (im Folgenden kurz: Hauptverband) entsandt zu haben.
Am 14. September 2001 fand die konstituierende Sitzung des Verwaltungsrates am Sitz des Hauptverbandes statt. Noch vor Eingehen in die Tagesordnung und Feststellung der Beschlussfähigkeit wurde dem Beschwerdeführer von dem in den Verwaltungsrat entsendeten Vertreter des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen ein Bescheid dieses Bundesministers überreicht, mit dem der Beschwerdeführer "wegen Vorliegens einer Unvereinbarkeit gemäß §441e Abs2 ASVG" - "in Anwendung des §423 Abs1 Z1 [ASVG]" - von seinem Amt als Mitglied des Verwaltungsrates "mit sofortiger Wirkung" enthoben wurde.
§441e Abs2 ASVG (idF des Bundesgesetzes, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird - 58. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 99/2001) ordnet an, dass ua. die leitenden Funktionäre kollektivvertragsfähiger Körperschaften und Vereine, auch wenn sie die Kollektivvertragsfähigkeit in fremdem Namen ausüben, von einer Bestellung ua. zum Mitglied des Verwaltungsrates des Hauptverbandes ausgeschlossen sind.
Nach §423 Abs1 Z1 ASVG ist ein Versicherungsvertreter seines Amtes zu entheben, wenn "Tatsachen bekannt werden, die seine Bestellung ausschließen würden". Wie sich aus §441b Abs1 vorletzter Satz ASVG (idF der 58. Novelle) ergibt, ist diese Bestimmung auf die Mitglieder des Verwaltungsrates sinngemäß anzuwenden.
2. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, worin die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Rechtmäßigkeit des Bescheides sowie die Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Gesetzesbestimmungen verteidigt.
3. Aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. Juni 2002 von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §441b, des §441c Abs1 zweiter Satz, des §441e Abs1 bis 3 sowie des §442a ASVG (idF der 58. Novelle) ein.
Mit Erkenntnis vom 10. Oktober 2003, G222/02, G1/03, hat der Verfassungsgerichtshof ua. die den Ausschluss des Beschwerdeführers von der Mitgliedschaft im Verwaltungsrat des Hauptverbandes bewirkende Wendung in §441e Abs2 ASVG - unter Fristsetzung bis 31. Dezember 2004 - als verfassungswidrig aufgehoben sowie ausgesprochen, dass die §§441b Abs1 und 442a ASVG (idF der 58. Novelle) verfassungswidrig waren. §441b ASVG regelt die Zusammensetzung des Verwaltungsrates, §442a ASVG die Aufgaben dieses Organs des Hauptverbandes.
4. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes (ebenso wie die Feststellung, dass ein Gesetz verfassungswidrig war: VfSlg. 2342/1952, 10.834/1986) auf den Anlassfall zurück; dieser ist so zu beurteilen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Gesetzesbestimmung bereits im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr dem Rechtsbestand angehört hätte (vgl. zB VfSlg. 3539/1959, 3667/1959, 3674/1960, 7289/1974, 7397/1974, 7651/1975, 7964/1976, 8106/1977, 8690/1979 uva.).
5. Die Berechtigung zur Erhebung einer auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde ist nur gegeben, wenn der angefochtene Bescheid den Beschwerdeführer in einem subjektiven Recht verletzen konnte (vgl. VfSlg. 3286/1957, 3304/1958, 3425/1958, 3455/1958, 3669/1959, 3813/1960, 4101/1961, 4194/1962, 4305/1962 uva., zB VfSlg. 11.764/1988 mwN).
6. Die Beschwerde richtet sich gegen die Enthebung des Beschwerdeführers von seinem Amt als Mitglied des Verwaltungsrates. Art140 Abs7 B-VG ordnet zwingend an, dass eine als verfassungswidrig erkannte Bestimmung im Anlassfall nicht mehr anzuwenden ist. Daran ist der Verfassungsgerichtshof auch bei der Beurteilung dieses Falles gebunden. Die Anlassfallwirkung des im Gesetzesprüfungsverfahren G222/02 ergangenen Erkenntnisses, die verfassungsgesetzlich in keiner Weise beschränkt ist, besteht im vorliegenden Fall zum einen darin, dass in Folge der Teilaufhebung des §441e Abs2 ASVG für den Anlassfall gilt, dass die Gewerkschaftsfunktion des Beschwerdeführers nicht mehr als mit dem Amt eines Mitgliedes des Verwaltungsrates unvereinbar anzusehen ist. Zum anderen bedeutet die Feststellung der Einrichtung des Verwaltungsrates als verfassungswidrig, dass im Anlassfall so vorzugehen ist, als hätte der Verwaltungsrat im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr bestanden.
Ist aber jenes Organ, um dessen Zusammensetzung es im Beschwerdefall geht, als nicht existent anzusehen, so muss die Anfechtung der Enthebung aus einem solchen Organ ins Leere gehen. Dem Verfassungsgerichtshof ist es nicht möglich, den Beschwerdeführer zum Mitglied eines als verfassungswidrig erkannten Organs zu machen.
Der Beschwerdeführer kann daher durch den angefochtenen Bescheid - gemessen am Ergebnis des Gesetzesprüfungsverfahrens G222/02 - in einem subjektiven Recht nicht mehr verletzt sein.
Daraus ergibt sich aber in prozessualer Hinsicht der Verlust der - ursprünglich gegebenen - Beschwerdelegitimation. Dieser, wenn auch erst im Nachhinein, nämlich auf Grund des Gesetzesprüfungsverfahrens G222/02 eingetretene, Mangel ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (zur Unzulässigkeit von nach Art144 B-VG erhobenen Beschwerden in Folge der Anlassfallwirkung des Erkenntnisses in einem Gesetzesprüfungsverfahren vgl. die Beschlüsse VfSlg. 2342/1952, 13.308/1992 und 13.695/1994; zur Unzulässigkeit eines Individualantrages gemäß Art139 B-VG in Folge der Aufhebung des einen zumutbaren Weg verschließenden Gesetzes vgl. VfSlg. 13.238/1992).
Die Beschwerde war daher (nunmehr) mangels Legitimation des Beschwerdeführers als unzulässig zurückzuweisen.
7. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Trotz Zurückweisung der Beschwerde waren dem Beschwerdeführer Kosten zuzusprechen, da die belangte Behörde insofern als im Verfahren unterlegen anzusehen ist, als die Beschwerde die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Teilen des ASVG (idF der 58. Novelle) ausdrücklich angeregt und der Verfassungsgerichtshof die als verfassungswidrig kritisierten Bestimmungen zT tatsächlich als verfassungswidrig erkannt hat (vgl. VfSlg. 13.308/1992, 13.695/1994). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von EUR 327,-- enthalten. Ein Ersatz der entrichteten Eingabengebühr war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit des Verfahrens (§110 Abs1 Z3 ASVG) nicht zuzusprechen.
Schlagworte
Rechte subjektive öffentliche, Sozialversicherung, Unvereinbarkeit, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Feststellung Wirkung, VfGH / Kosten, VfGH / LegitimationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B1492.2001Dokumentnummer
JFT_09968990_01B01492_00