TE Vwgh Erkenntnis 2008/11/19 2004/04/0085

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.11.2008
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
22/02 Zivilprozessordnung;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
GewO 1994 §79a Abs3;
VwRallg;
ZPO §274 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde 1. der

L J, 2. des H J, 3. des H B, 4. der M K, 5. des S K, 6. des G P,

7.

der T P, 8. des W E, 9. des P E, 10. des S R, 11. des S R,

12.

der E R, 13. des W M, 14. des G M, 15. der G M, 16. der H N,

17.

des A B, 18. der E B, 19. des J T, 20. des J T, 21. der A T,

22.

des H H, 23. des J H, 24. der I H, 25. des A S, 26. des A S,

27.

des F A, 28. des E A, 29. der G A, 30. der E K, 31. des J R,

32.

der F R, 33. des P M, 34. des F M, 35. der M M, 36. des H E,

37.

des J E, 38. der J E, 39. des E R, 40. der M R, 41. des F G,

42.

der A G, 43. der W B, 44. des G B, 45. der S B, 46. des J P,

47.

der F P, 48. der M S, 49. der E K, 50. des E T, 51. der G T,

52.

der E W, 53. des H D, 54. der E R, 55. des F D, 56. der U D,

57.

der M G, 58. der M A, 59. des H K, 60. der O W, 61. der C. ,

62.

der P, 63. der P-H, 64. der C GmbH, 65. der P handelsgmbH,

66.

der Pr L, 67. der Pr Z, 68. der U M, 69. des C P, 70. der F P, 1.- bis 61.-Beschwerdeführer sowie 69. und 70. Beschwerdeführer

in L, 62.- bis 68.-Beschwerdeführer in T, alle vertreten durch Mag. Michael Poduschka, Rechtsanwalt in 4320 Perg, Leharstraße 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 25. März 2004, Zl. VwSen-530106/2 /Re/Sta, betreffend Vorschreibung zusätzlicher Auflagen gemäß § 79 GewO (mitbeteiligte Partei: B GmbH (vormals: N Gesellschaft m.b.H.) in W, vertreten durch NH Niederhuber Hager Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Wollzeile 24/12), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 24. November 2003 wurde der Antrag der beschwerdeführenden Parteien vom 15. Juli 2003 auf Vorschreibung nachträglicher Auflagen für den Betrieb der mitbeteiligten Partei, die "1. im Sinne von § 79 Abs 1 GewO 1994 den hinreichenden Schutz unseres Lebens, unserer Gesundheit und unseres Eigentums (§§ 74 f GewO 1994 bewirken, oder 2. die gemäß § 79 Abs 1 GewO 1994 iVm Art 12 Abs 1 Seveso II-Richtlinie bewirken, dass kraft Reduktion des von der Betriebsanlage ausgehenden Gefahrenpotentials fortan ein 'angemessener Abstand' zwischen der Betriebsanlage und unseren Grundstücken bzw. Wohnungen bzw. Betrieben besteht", abgewiesen.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Der erstinstanzliche Bescheid wurde "mit der Maßgabe bestätigt, als der zu Grunde liegende Antrag vom 15.7.2003 zurückgewiesen wird".

Begründend führte die belangte Behörde aus, der verfahrenseinleitende Antrag gründe offenbar auf Aussagen des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz bei der 57. Sitzung des Gemeinderates im Rahmen der Beantwortung einer Anfrage einer Gemeinderätin betreffend die unmittelbare Nähe der Betriebe der F. GmbH (Gasabfüll- und -lageranlage) und der mitbeteiligten Partei (Chemikalienlager) zum Siedlungsgebiet. Ein in dieser Anfrage angesprochener Schutzzonenbereich im Umkreis von 800 m um diese Betriebe werde vom Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz dahingehend erläutert, dass in Bezug auf Artikel 12 der Seveso-II-RL im Auftrag des Bauamtes des Magistrates der Landeshauptstadt Linz durch Sachverständige des Amtes für Technik und der Feuerwehr ein Gefährdungsbereich, ausgehend von der F. GmbH, "gerechnet" und darin ein angemessener Abstand von 830 m festgelegt worden sei. In diesem Gefährdungsbereich seien laut Ansicht des Leiters der Baurechtsabteilung des Landes Oberösterreich, also des Amtes der oberösterreichischen Landesregierung, sämtliche Bauten und Bauführungen, die dem Aufenthalt von Menschen dienen, seitens der Behörde zu untersagen. Die Einsichtnahme in den bezughabenden Verfahrensakt des Magistrates der Landeshauptstadt Linz habe ergeben, dass sich dieses Gutachten als Aktenvermerk des Amtes für Technik bzw. als gemeinsame Stellungnahme der Vertreter des Amtes für Technik und der Feuerwehr zur Festlegung von Gefährdungsbereichen um die Flüssiggasanlage der F. GmbH bezeichne. Als Ausgangsituation und Beurteilungsumfang seien dabei, ausgehend von dem Szenario eines schweren Unfalls, "die Wirkung von Wärmestrahlen und Explosionsdruck in Abhängigkeit der Entfernung" dargestellt worden. Als Annahme sei den Berechnungen das Szenario eines schweren Unfalls zu Grunde gelegt worden, wobei auf die vergleichbare Vorgangsweise des bundesweit tagenden "Arbeitskreises Seveso" verwiesen werde, welcher unter dem Titel "Empfehlung zur Ermittlung von angemessenen Abständen für die Zwecke der Raumordnung, des Katastrophenschutzes und der Dominoeffekte" auf der Grundlage der Seveso-II-RL tätig sei. Dem Szenario sei der so genannte "'BLEVE' (Boiling Liquid Expanding Vapour Explosion)" als Folge einer Behälterexplosion eines oberirdischen Gasbehälters zu Grunde gelegt worden. Zusammenfassend werde von den Bearbeitern in diesem Aktenvermerk festgestellt, dass dieses Szenario "BLEVE" vom "Arbeitskreis Seveso" für die Zwecke der Raumordnung und des Katastrophenschutzes vorgeschlagen werde. Unter einem "schweren Unfall" iSd § 84b GewO 1994 sei ein Ereignis zu verstehen, das sich aus unkontrollierten Vorgängen in einem unter diesen Abschnitt (gemeint: Abschnitt 8a. der GewO 1994) fallenden Betrieb ergebe (etwa eine Emission, ein Brand oder eine Explosion größeren Ausmaßes), welches unmittelbar oder später innerhalb oder außerhalb des Betriebes zu einer ernsten Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt führe und bei dem ein oder mehrere gefährliche Stoffe beteiligt seien. Die Äußerungen des Sachverständigen des Magistrates der Landeshauptstadt Linz bezögen sich ausschließlich auf die Anlagen der F. GmbH und nicht auf jene der mitbeteiligten Partei, weshalb schon aus diesem Grund der darauf aufbauende Antrag der Beschwerdeführer nicht als zulässig angesehen werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1994 hat die Behörde, wenn sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, dass die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben. Die Auflagen haben gegebenenfalls auch die zur Erreichung dieses Schutzes erforderliche Beseitigung eingetretener Folgen von Auswirkungen der Anlage zu umfassen.

Gemäß § 79a Abs. 1 GewO 1994 hat die Behörde ein Verfahren gemäß § 79 Abs. 1 u.a. nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag eines Nachbarn einzuleiten. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung muss der Nachbar in seinem Antrag gemäß Abs. 1 glaubhaft machen, dass er als Nachbar vor den Auswirkungen der Betriebsanlage nicht hinreichend geschützt ist, und nachweisen, dass er bereits im Zeitpunkt der Genehmigung der Betriebsanlage oder der betreffenden Betriebsanlagenänderung Nachbar im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 war.

Gemäß § 79a Abs. 4 erster Satz GewO 1994 erlangt der Nachbar durch die Einbringung des dem Abs. 3 entsprechenden Antrages Parteistellung.

In ihrer Beschwerde bringen die beschwerdeführenden Parteien zu der von § 79a Abs. 3 GewO 1994 geforderten Glaubhaftmachung, sie seien vor den Auswirkungen der Betriebsanlage nicht ausreichend geschützt, vor, dass sich ihre "potentielle Gefährdung

und damit implizit (ihre) Nachbarposition ... zweifellos aus dem

oben zitierten, beim Magistrat der Stadt Linz aufliegenden Sachverständigengutachten sowie aus den Ausführungen des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz" ergebe. Selbst wenn das beigeschaffte Gutachten lediglich eine Beurteilung der F. GmbH vornehme, könnten die dortigen Ergebnisse auch auf die Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei übertragen werden und es sei auf Grund des zu berücksichtigenden "Domino-Effektes" eine Gesamtbetrachtung des Standortes der mitbeteiligten Partei unter Einbeziehung der benachbarten Betriebsanlage der F. GmbH geboten.

Dem ist Folgendes zu entgegnen:

Die beschwerdeführenden Parteien haben sich in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag vom 15. Juli 2003 zur Glaubhaftmachung iSd § 79a Abs. 3 GewO 1994 lediglich auf das oben genannte Gutachten gestützt. Die Beschwerdeführer haben nichts vorgebracht, was eine unmittelbare Vergleichbarkeit indizieren würde. Wörtlich heißt es:

"Zur Glaubhaftmachung des Umstandes, dass wir als Nachbarn vor den Auswirkungen der Betriebsanlagen nicht ausreichend geschützt sind, weisen wir auf die Darstellungen des

Bürgermeisters ... hin, wonach der Magistrat der Stadt Linz die

Gefahr als so gravierend einschätzt, dass er die Erteilung weiterer Baubewilligungen für nicht zulässig erachtet."

Dem bezogenen Gutachten liegt jedoch die Beurteilung eines schweren Unfalls auf dem Betriebsgelände der F. GmbH zu Grunde und werden alleine die von der Betriebsanlage der F. GmbH ausgehenden Gefährdungen behandelt. Wie die belangte Behörde bereits zutreffend ausgeführt hat, wird die mitbeteiligte Partei darin mit keinem Wort erwähnt. Die F. GmbH betreibt - unstrittig - eine Gasabfüll- und -lageranlage, die mitbeteiligte Partei jedoch ein Chemikalienlager. Schon auf Grund der unterschiedlichen Betriebsgegenstände kann dem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien, wonach die Ergebnisse des Gutachtens betreffend die F. GmbH auf die Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei zu übertragen seien, nicht gefolgt werden.

Unter "Glaubhaftmachung" des nicht hinreichenden Schutzes vor den Auswirkungen der Betriebsanlage ist zu verstehen, dass der Antragsteller die Behörde von der Wahrscheinlichkeit - und nicht von der Richtigkeit - des Vorliegens der Tatsache, als Nachbar vor den Auswirkungen der Betriebsanlage nicht hinreichend geschützt zu sein, zu überzeugen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 2003, Zl. 2000/04/0092).

Nach dem Vorgesagten ermangelt es dem von den beschwerdeführenden Parteien eingebrachten Antrag an der von § 79a Abs. 3 GewO geforderten Glaubhaftmachung, vor den Auswirkungen der Betriebsanlage nicht hinreichend geschützt zu sein schon deshalb, weil darin niemals ein konkretes Vorbringen, vor welchen Auswirkungen der Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei sie nicht hinreichend geschützt seien, erstattet wurde.

Aus diesem Grund kann es im vorliegenden Fall auch dahinstehen, inwiefern das im Gutachten beschriebene Szenario eines schweren Unfalls überhaupt - selbst wenn konkrete Behauptungen hinsichtlich der Auswirkungen der Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei erfolgt wären - für eine Glaubhaftmachung nach § 79a Abs. 3 herangezogen werden könnte. Daher erübrigt sich auch ein Eingehen auf die weitwendigen Beschwerdeausführungen in Bezug auf die Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso-II-RL) und die damit zusammenhängende Anregung einer Vorlage gemäß Art 234 EGV sowie die behauptete Eigentumsgefährdung auf Grund einer Änderung des Flächenwidmungsplanes.

Soweit die Beschwerde vorbringt, dass eine Sicherheitsanalyse hinsichtlich der mitbeteiligten Partei vorliege, in die die beschwerdeführenden Parteien allerdings keine Einsicht erhalten hätten, weiters ein Brandereignis in der Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei - infolge dessen auch eine Schule evakuiert habe werden müssen - und einen Chlorgasunfall aus dem Jahr 1994 behauptet, ist darauf zu verweisen, dass diese Umstände im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht wurden und einer Behandlung derselben daher schon das verwaltungsgerichtliche Neuerungsverbot (vgl. § 41 VwGG) entgegensteht.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich demnach auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren der mitbeteiligten Partei war abzuweisen, weil im pauschalierten Ersatz für den Schriftsatzaufwand Umsatzsteuer bereits enthalten ist.

Wien, am 19. November 2008

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2004040085.X00

Im RIS seit

11.12.2008

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten