TE Vwgh Erkenntnis 2008/11/20 2006/21/0048

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Veröffentlicht am 20.11.2008
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §57 impl;
AVG §59 Abs1;
FrG 1997 §61 Abs1;
FrPolG 2005 §46 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §83;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des I, vertreten durch die Anwaltspartnerschaft Dr. Karl Krückl und Dr. Kurt Lichtl in 4020 Linz, Harrachstraße 14/I, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 2. Februar 2006, Zl. VwSen- 400763/5/Ste/Wb/Be, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, eingebrachte Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG als unbegründet ab und stellte gleichzeitig fest, dass im Zeitpunkt ihrer Entscheidung die Voraussetzungen für die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft weiterhin vorlägen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, gegen den Beschwerdeführer, der viermal rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden sei (zuletzt zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, sechs Monaten und 24 Tagen) bestehe seit 2002 ein rechtskräftiges unbefristetes Aufenthaltsverbot. Am 26. Jänner 2006 sei der zu dieser Zeit in der Justizanstalt Garsten in Strafhaft angehaltene Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land davon informiert worden, dass er am 30. Jänner 2006, dem Tag seiner Entlassung aus der Strafhaft, in Schubhaft genommen werde. Der Schubhaftbescheid sei am 27. Jänner 2006 erlassen und die Schubhaft ab 30. Jänner 2006 vollzogen worden.

Die Fremdenpolizeibehörde habe sich bei der Schubhaftanordnung zu Recht darauf stützen können, dass gegen den Beschwerdeführer ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot vorliege. Inwieweit ein gelinderes Mittel in gleicher Weise hätte zuverlässig sicherstellen können, dass der Beschwerdeführer, der keinen Zweifel daran offen gelassen habe, unter allen Umständen in Österreich bleiben zu wollen, nicht versuchen werde, sich den zu erwartenden Zwangsmaßnahmen zu entziehen oder sie zumindest zu erschweren, sei objektiv nicht erkennbar. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argumente und zusätzlichen Dokumente würden "zum Zeitpunkt Oktober 2005" bestätigen, dass ihn Verwandte beschäftigen und in deren Wohnung aufnehmen würden. Mit dem Hinweis, er habe familiäre Beziehungen in Österreich, in der Türkei hingegen keinerlei Anknüpfungspunkte, habe er aber letztlich selbst "implizit offen gelegt", dass er gar nicht gewillt sei, seiner Ausreiseverpflichtung aus eigenem zu entsprechen. Das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers und "seine jedenfalls in diesem Punkt mangelnde Vertrauenswürdigkeit" spreche gegen die Anwendung eines gelinderen Mittels im Sinne des § 77 FPG. Die Aufhebung eines früher von der Bundespolizeidirektion Wien erlassenen Bescheides, womit die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft angeordnet worden sei, sei nicht notwendig gewesen, weil diesem durch die Erlassung des nunmehr mit Schubhaftbeschwerde angefochtenen Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land jedenfalls materiell derogiert worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, die Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land hätte den bei der belangten Behörde in Beschwerde gezogenen Schubhaftbescheid wegen entschiedener Sache nicht erlassen dürfen. Die Bundespolizeidirektion Wien habe bereits zuvor mittels Bescheides die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft angeordnet gehabt.

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass die Bundespolizeidirektion Wien nach Durchführung eines ordentlichen Verfahrens mit Bescheid vom 2. Mai 2005 (noch nach den Vorschriften des am 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 - FrG) anordnete, den damals in der Justizanstalt Wien-Mittersteig wegen Vollzuges einer Freiheitsstrafe inhaftierten Beschwerdeführer zur Sicherung seiner Abschiebung in Schubhaft anzuhalten. Zum zeitlichen Beginn der Anhaltung wurde im Spruch ausdrücklich festgelegt, die Rechtsfolgen dieses Bescheides hätten nach Entlassung des Beschwerdeführers aus der Gerichtshaft einzutreten.

In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 16. August 2005 zwecks Verbüßung der restlichen Strafhaft in die Justizanstalt Garsten überstellt.

Nunmehr erließ die Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land gestützt auf § 76 Abs. 1 FPG in Verbindung mit § 57 AVG den Bescheid vom 27. Jänner 2006, womit die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung angeordnet wurde.

Die belangte Behörde ging in ihrer Entscheidung nun davon aus, der letztgenannte Bescheid habe dem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 2. Mai 2005 materiell derogiert und sei (daher) rechtmäßig. Eine nähere Begründung für diese Ansicht enthält der angefochtene Bescheid nicht.

Der Beschwerdeführer richtet sich dagegen mit dem Hinweis, dass es bei Zutreffen dieser Ansicht der Behörde immer frei stünde, nachfolgend Bescheide zu erlassen, und es das Hindernis der entschiedenen Rechtssache überhaupt nicht mehr geben würde.

Der Verwaltungsgerichtshof ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Spruchteil eines Bescheides, wonach die Rechtsfolgen nach der Entlassung aus der Gerichtshaft einzutreten haben, im Sinne des Bestimmtheitserfordernisses des § 59 Abs. 1 AVG nur so verstanden werden könne, dass der Eintritt der Rechtsfolgen im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Entlassung aus der Gerichtshaft zu erfolgen hat. Wird die im Schubhaftbescheid genannte Person - aus welchen Gründen auch immer - nach der Entlassung aus der Gerichtshaft nicht (auf Grund dieses Bescheides) in Schubhaft genommen, so darf dieser Schubhaftbescheid zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr vollstreckt werden. Lediglich der Erlassung eines neuen Schubhaftbescheides stünde wegen geänderten Sachverhalts nicht das Hindernis der entschiedenen Sache entgegen (vgl. den hg. Beschluss vom 19. Dezember 2006, Zl. 2005/21/0402). An den Verwaltungsgerichtshof gegen solche Schubhaftbescheide erhobene Beschwerden (was nach der Rechtslage nach dem FrG grundsätzlich zulässig war) wurden infolge Eintritts der mangelnden Vollzugsfähigkeit als gegenstandslos geworden erklärt und die diesbezüglichen Beschwerdeverfahren eingestellt; und zwar nicht nur dann, wenn der tatsächliche Vollzug unterblieb, sondern auch, wenn der Beschwerdeführer nicht auf Grund des angefochtenen Bescheides, sondern eines anderen in Schubhaft genommen wurde (vgl. den bereits erwähnten Beschluss vom 19. Dezember 2006, mwH).

Im vorliegenden Fall liegt eine vergleichbare Konstellation vor. Der Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 2. Mai 2005 wurde nämlich nie in Vollzug gesetzt, weshalb dieser jedenfalls nach Beginn des Vollzuges der Schubhaft auf Grund des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land vom 27. Jänner 2006 - ungeachtet dessen, dass er formell nicht aufgehoben wurde - keine rechtliche Maßgeblichkeit mehr haben konnte. Die belangte Behörde hat sich daher zu Recht ohne Bedachtnahme auf den früher von der Bundespolizeidirektion Wien erlassenen Bescheid nur mit den von der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land gesetzten Maßnahmen auseinander gesetzt, zumal auf Grund des durch die in der Schubhaftbeschwerde enthaltene Anfechtungserklärung abgesteckten Prozessgegenstandes auch nur diese Gegenstand des Schubhaftbeschwerdeverfahrens waren.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass, wenn die Behörde in einem neuerlichen Abspruch in derselben Sache bloß eine vorangegangene, gegenüber dem Betroffenen rechtskräftige Entscheidung - ohne Bestehen der Gefahr einer zweimaligen Vollstreckung - (lediglich) wiederholt, zwar ein Verstoß gegen die Rechtskraft des ersten Bescheides vorliegt, aber ungeachtet dieser inhaltlichen Rechtswidrigkeit des zweiten Bescheides in einem solchen Fall eine Verletzung von Rechten des Betroffenen nicht erfolgt (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 23. Dezember 1987, Zl. 87/18/0086, vom 25. Februar 1988, Zl. 87/08/0040, und vom 27. Februar 1990, Zl. 89/08/0200). Sohin wäre der Beschwerdeführer, selbst wenn sich die Sach- und Rechtslage zwischen Erlassung der Bescheide der Bundespolizeidirektion Wien und der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land nicht geändert hätte, durch die nochmalige Anordnung seiner Anhaltung in Schubhaft ab Entlassung aus der strafgerichtlichen Haft nicht in Rechten verletzt, zumal nach dem oben Ausgeführten eine spätere Vollstreckung des von der Bundespolizeidirektion Wien erlassenen Bescheides nicht mehr in Betracht kommt.

Der Beschwerde ist allerdings dennoch Erfolg beschieden.

§ 76 Abs. 1 FPG sieht vor, dass Fremde festgenommen und

angehalten werden können (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Gemäß § 77 Abs. 1 FPG kann die Behörde von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann.

Zu den vom Beschwerdeführer geltend gemachten familiären Beziehungen in Österreich führte die belangte Behörde aus, er habe damit "selbst implizit offen gelegt", dass er nicht gewillt sei, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Dabei verkennt die belangte Behörde aber, dass die mangelnde Ausreisewilligkeit für sich genommen noch keinen Grund darstellte, die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft anzuordnen, sondern die Fremdenpolizeibehörde vielmehr gemäß § 46 Abs. 1 Z 3 FPG berechtigte, seine Abschiebung vornehmen zu dürfen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0107, und 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0246). Damit die Durchführung dieser Abschiebung auch durch Anhaltung in Schubhaft gesichert hätte werden dürfen, hätten jedoch weitere Umstände hinzuzutreten, die nahe gelegt hätten, der Beschwerdeführer würde sich der Abschiebung durch "Untertauchen" zu entziehen trachten (vgl. neuerlich das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008).

Eine nähere und für die Dartuung eines Sicherungsbedarfes taugliche Begründung, warum in diesem Sinne die Befürchtung seines "Untertauchens" gerechtfertigt wäre, enthält der angefochtene Bescheid nicht. Dazu wird lediglich unter dem Gesichtspunkt der Beurteilung nach § 77 FPG ausgeführt, die Anwendung eines gelinderen Mittels sei im Hinblick auf das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers und "seine jedenfalls in diesem Punkt mangelnde Vertrauenswürdigkeit" nicht gerechtfertigt gewesen. Von welchem "Gesamtverhalten" die belangte Behörde dabei ausging und worauf sie die mangelnde Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers stützte, ist dem angefochtenen Bescheid aber nicht zu entnehmen.

Da die belange Behörde die Zulässigkeit der Schubhaft im Ergebnis nur mit der fehlenden Ausreisewilligkeit des Beschwerdeführers bejahte und den vorgebrachten Bindungen im Bundesgebiet keine maßgebliche Bedeutung bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes beimaß, sondern diese Bindungen bloß als weiteren Umstand zur Bekräftigung seiner Ausreiseunwilligkeit wertete, verkannte sie die Rechtslage und missachte demgemäß hinsichtlich der Prüfung des Sicherungsbedarfes ihre Ermittlungs- und Begründungspflichten. Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2  Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 20. November 2008

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteIndividuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1Spruch Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006210048.X00

Im RIS seit

22.12.2008

Zuletzt aktualisiert am

09.04.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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