TE Vwgh Erkenntnis 2008/11/20 2007/21/0517

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Veröffentlicht am 20.11.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
StGB §107 Abs1;
StGB §107 Abs2;
StGB §83 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. Oktober 2007, Zl. Fr 812/07, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen seit 23. Juli 2005 mit einer Österreicherin verheirateten serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte sie aus, dem Beschwerdeführer sei nach seiner Heirat mit der genannten, im Jahr 1967 geborenen Österreicherin S. eine Erstniederlassungsbewilligung für den Gültigkeitszeitraum vom 18. Oktober 2005 bis 17. Oktober 2006 erteilt worden. Er sei am 18. Oktober 2005 legal in das Bundesgebiet eingereist. Die Niederlassungsbewilligung sei bis zum 17. Oktober 2007 verlängert worden. Für den Gültigkeitszeitraum 12. Jänner 2007 bis 11. Jänner 2008 sei ihm eine quotenfreie "Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck 'Familienangehöriger (freier Zugang zum Arbeitsmarkt)'" erteilt worden.

Der Beschwerdeführer sei mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 27. März 2007 wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe (davon sieben Monate bedingt nachgesehen) verurteilt worden. Er habe am 19. Februar 2007 seine Ehefrau S. in B durch Versetzen eines Faustschlages, wodurch sie eine Kopfprellung und ein Hämatom auf der Stirn erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt, sowie sie gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar in B durch die Äußerung, er werde sie umbringen, sowie in S durch die Ankündigung, wenn er aus seiner Zelle komme, bringe er S. um.

Schon davor habe es durch den Beschwerdeführer - seit der Heirat, phasenweise auch früher - Drohungen und Beschimpfungen gegen S. und ihre Familie gegeben. Der Beschwerdeführer trinke viel Alkohol und werde dann aggressiv. S. habe befürchtet, dass er seine Drohung wahr machen und ihr etwas antun könnte. Gegen den Beschwerdeführer seien ein Rückkehrverbot gemäß § 38a SPG bzw. ein Betretungsverbot und eine Wegweisung ausgesprochen worden. Auch gegenüber den am 19. Februar 2007 einschreitenden Beamten habe sich der Beschwerdeführer außerordentlich aggressiv verhalten. S. sei somit über eine längere Zeit hinweg unter einer schweren vom Beschwerdeführer verursachten psychischen Belastung gestanden und habe sich ihres Lebens nicht mehr sicher sein können. Dem Beschwerdeführer gelinge es nämlich - zumal unter Alkoholeinfluss -

nicht, in Stresssituationen seine massiven Aggressionen unter Kontrolle zu halten. So seien ihm schließlich sogar mit einstweiliger Verfügung des Bezirksgerichtes Baden vom 2. März 2007 gemäß § 382b EO die Rückkehr und der Aufenthalt in der Ehewohnung und ihrer unmittelbaren Umgebung sowie ein Zusammentreffen bzw. eine Kontaktaufnahme mit S. untersagt worden.

Der Beschwerdeführer sei als Ehemann Familienangehöriger iSd § 87 FPG (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer nicht freizügigkeitsberechtigten Österreicherin, sodass die Bestimmung des § 86 Abs. 1 FPG auf ihn anzuwenden sei. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die dargestellte Verurteilung nicht auf einem einmaligen Fehlverhalten gegründet gewesen sei, sondern der Beschwerdeführer seine Ehefrau S. während der Ehe bereits mehrfach gefährlich bedroht und sie aggressiv unter Druck gesetzt habe, liege seiner Straftat ein "enormer Unrechtsgehalt" zu Grunde.

Für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen nach § 86 Abs. 1 FPG erfüllt seien, könne der Katalog des § 60 Abs. 2 FPG einen Orientierungsmaßstab bilden. Im Beschwerdefall sei nicht nur der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 zweiter Fall FPG verwirklicht. Vielmehr ergebe sich aus dem beschriebenen früheren Verhalten des Beschwerdeführers eine gegenüber der Freiheit anderer Personen und gegenüber der körperlichen Integrität und der Gesundheit seiner Mitmenschen gleichgültige Einstellung. Daher sei die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass aus seinem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit entstünde. Sein persönliches Verhalten stelle iSd § 86 Abs. 1 zweiter Satz FPG eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Das Aufenthaltsverbot sei daher nach dieser Bestimmung zulässig und geradezu geboten.

An dieser Einschätzung ändere sich auch dadurch nichts, dass das Bezirksgericht Baden die genannte einstweilige Verfügung - über entsprechenden Antrag der S. - mit Beschluss vom 18. April 2007 aufgehoben und dass S. dem Beschwerdeführer verziehen habe. Durch die schon früher wiederholten Bedrohungen und die Ausübung großen Drucks auf S. seien nämlich wesentliche Charaktermängel des Beschwerdeführers zu Tage getreten, die sein künftiges Wohlverhalten nicht wahrscheinlich machten.

Das Aufenthaltsverbot stelle - so begründete die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 66 FPG - einen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar. Er sei zwar - nach einer geringfügigen Erwerbstätigkeit von Dezember 2005 bis Februar 2006 -

keinem Beruf nachgegangen. Auch habe er keine Kinder und es hielten sich - außer S. - keine seiner Angehörigen im Bundesgebiet auf. Andererseits habe er mit seiner Ehefrau S. in Österreich ein gemeinsames Familieleben geführt. Die dadurch bewirkte Integration werde jedoch relativiert, weil diese auch ein gewisses Maß an Rechtstreue voraussetze und selbst S. ihn nicht von der Begehung von Straftaten habe abhalten können. Dem stehe das hohe Interesse an der Kriminalitätsbekämpfung gegenüber, sodass die Trennung von S., falls diese im Bundesgebiet verbleibe, auf Grund des öffentlichen Interesses an der Verhinderung von strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen in Kauf zu nehmen sei.

Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer sei dringend geboten. Die Abstandnahme von dieser Maßnahme würde wesentlich schwerer wiegen als ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau. Auch eine Ermessensübung im Sinn einer Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wäre im Hinblick auf die dargestellte Delinquenz und die Charaktermängel des Beschwerdeführers nicht im Sinn des Gesetzes gelegen. Die Gefahr, dass es bei Beziehungsproblemen wieder zu strafrechtlich relevanten Reaktionen des Beschwerdeführers komme, sei zu groß.

Die Befristung des Aufenthaltsverbotes mit zehn Jahren sei deshalb erfolgt, weil einerseits ein hohes Gefährdungspotenzial bestehe, andererseits jedoch wesentliche familiäre Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet vorlägen. Vor Ablauf von zehn Jahren sei eine günstige Prognosebeurteilung nicht möglich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gegen den Beschwerdeführer als Ehegatten einer Österreicherin, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat, ist gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Es ist der belangten Behörde zwar zuzustimmen, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Menschen handelt, der (insbesondere unter Alkoholeinfluss) zu Aggressivität gegenüber Dritten (insbesondere seiner Ehefrau S.) neigt und der dabei am 19. Februar 2007 auch nicht vor der Begehung einer Körperverletzung zurückgeschreckt ist. Es darf aber ebenfalls nicht übersehen werden, dass im Rahmen des genannten Vorfalls Familienstreitigkeiten zwischen den Ehegatten eskaliert sind und dass S. dem Beschwerdeführer - auch nach den Feststellungen des angefochtenen Bescheides - in der Folge verziehen hat. Da der Beschwerdeführer lediglich ein einziges Mal in einer Form auffällig wurde, dass dies auch zu einer gerichtlichen Verurteilung führte, kann die Auffassung der belangten Behörde, dass seine festgestellten Verhaltensweisen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellten, die Grundinteressen der Gesellschaft berührten, nicht geteilt werden.

Im Hinblick auf das beabsichtigte eheliche Zusammenleben mit der Österreicherin S. könnte das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer auch im Rahmen der Beurteilung nach § 66 (iVm § 60 Abs. 6) FPG nicht Bestand haben.

Nach dem Gesagten erweist sich der angefochtene Bescheid somit als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 20. November 2008

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007210517.X00

Im RIS seit

30.12.2008

Zuletzt aktualisiert am

09.04.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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