TE Vwgh Erkenntnis 2008/11/21 2008/02/0203

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.11.2008
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
25/01 Strafprozess;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ASchG 1994;
MRKZP 07te Art4 Abs1;
MRKZP 07te Art4;
StGB §88 Abs1;
StPO 1975 §90 Abs1;
StPO 1975 §90;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 28. Mai 2008, Zl. VwSen-281027/6/Wim/Da, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens in Angelegenheit Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (mitbeteiligte Partei:

GK in F, vertreten durch Mag. Sigrun Teufer-Peyrl, Rechtsanwältin in 4240 Freistadt, Pfarrgasse 20), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis vom 12. Juli 2007 verhängte die Behörde erster Instanz gegen den zur Vertretung der K GmbH mit Standort in F nach außen berufenen Mitbeteiligten eine Geldstrafe, weil am 2. Dezember 2006 von drei Arbeitnehmern auf der Baustelle in L die Demontage eines Aufzuges durchgeführt worden sei, wobei die T-Eisen, die weder fixiert noch an Hebezeugen mit Anschlagmittel gesichert gewesen seien, von den Halterungen getrennt worden seien und dadurch ein schwerer Arbeitsunfall zu beklagen gewesen sei, obwohl zu demontierende Konstruktionsteile so zu fixieren oder an Hebezeugen mit Anschlagmitteln gesichert sein müssten, dass sie nach dem Lösen oder Trennen der Verbindungen nicht gefahrbringend abstürzten oder ausschwängen.

Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung hob die belangte Behörde dieses Straferkenntnis mit dem angefochtenen Bescheid auf und verfügte die Einstellung des Verfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG. Begründet wurde dies damit, dass die Verhängung einer Verwaltungsstrafe zu einer unzulässigen Doppelbestrafung des Mitbeteiligten führen würde, weil die gegen diesen wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB erhobene Anzeige vom Bezirksanwalt beim BG Linz gemäß § 90 Abs. 1 StPO zurückgelegt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass die Zurücklegung einer Anzeige gemäß § 90 Abs. 1 StPO noch nicht dazu führt, dass eine Verfolgung einer (wie hier vorgeworfenen) Verwaltungsübertretung aus dem Grunde des Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolles zur Menschenrechtskonvention ausgeschlossen ist. So hat der Verwaltungsgerichtshof etwa im hg. Erkenntnis vom 29. April 2008, Zl. 2007/05/0125, ausgeführt:

"Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 29. Mai 2001 im Fall Franz Fischer gegen Österreich (deutsche Übersetzung publiziert in ÖJZ 2001/22) zum Ausdruck gebracht, Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK beschränke sich nicht auf das Recht, nicht zweimal bestraft zu werden, sondern beziehe sich auch auf das Recht, nicht zweimal vor Gericht gestellt zu werden. Die Verletzung des Rechtes, nicht zweimal bestraft zu werden im Sinne des Art. 4 Abs. 1 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK, ist bei einer Verfügung des Staatsanwaltes nach § 90 StPO, die an ihn gelangte Anzeige zurückzulegen, auszuschließen, kommt es doch dazu dann, wenn der Staatsanwalt - von vornherein oder nach Durchführung (von) Vorerhebungen - erkennt, dass die Anzeige haltlos, die angezeigte Tat nicht strafbar oder nicht verfolgbar ist (vgl. dazu u.a. die hg. Erkenntnisse vom 23. November 2001, Zl. 98/02/0287, vom 17. Dezember 2004, Zl. 2002/02/0129, und vom 21. April 2006, Zl. 2004/02/0405).

Es kann daher nicht davon die Rede sein, der Beschwerdeführer werde ein zweites Mal vor Gericht gestellt. Die nach § 90 StPO erfolgte Einstellung des gerichtlichen Strafverfahrens konnte keine Sperrwirkung für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren entwickeln."

Dem steht auch nicht das von der belangten Behörde zitierte, in einem Gesetzesprüfungsverfahren betreffend § 130 Abs. 5 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Oktober 1998, G 51/97, G 26/98, entgegen, weil dieses nicht den Fall der Zurücklegung einer Anzeige gemäß § 90 Abs. 1 StPO, sondern Fälle, in denen Verurteilungen durch Strafgerichte vorlagen, zum Gegenstand hatte.

Auch der auf eine Textstelle aus dem hg. Erkenntnis vom 4. Mai 2006, Zl. 2006/03/0049, gestützte, die Position der belangten Behörde verteidigende Hinweis des Mitbeteiligten in seiner Gegenschrift vom 29. September 2008 geht ins Leere. Denn aus der Wortfolge "selbst wenn man einer Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 90 StPO eine 'ne bis in idem' begründende Sperrwirkung beimessen wollte" ist keinesfalls abzuleiten, dass der Verwaltungsgerichtshof von der oben ausgeführten ständigen Rechtsprechung hätte abrücken wollen, weil in diesem Erkenntnis eine Doppelbestrafung schon wegen anderer Gründe auszuschließen war und der Verwaltungsgerichtshof sich mit der Frage der Wirkung einer Einstellung eines Strafverfahrens gemäß § 90 StPO deshalb nicht auseinander gesetzt hat.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 21. November 2008

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008020203.X00

Im RIS seit

25.12.2008

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten