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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
SPG 1991 §16 Abs2 idF 2002/I/104;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Pallitsch, Dr. Handstanger, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde des S in Hard, vertreten durch Winkler-Heinzle Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid der Datenschutzkommission vom 14. September 2007, Zlen. K120.962/0003-DSK/2007, K 121.056/003-DSK/2007, betreffend eine Datenschutzangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich Spruchpunkt 1. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde am 22. November 2003 um 23:05 Uhr bei einer Fahrt nach Lindau (Grenzübertritt von Österreich nach Deutschland) von deutschen Exekutivbeamten einer Suchtmittelkontrolle unterzogen, welche positiv verlief. In seinem PKW wurde ein halber "Joint" sichergestellt. Er wurde daraufhin am 23. November 2003 den österreichischen Gendarmeriebeamten des Postens Bregenz übergeben, von denen er um 1:45 Uhr einvernommen wurde. Der Beschwerdeführer war sofort geständig und gab an, das Cannabiskraut Mitte Oktober 2003 von seiner Freundin zur Aufbewahrung und fallweisen Konsum erhalten zu haben. Seit 1992 verwende er gelegentlich Suchtmittel zum eigenen Gebrauch.
Am Gendarmerieposten Bregenz wurde der Beschwerdeführer erkennungsdienstlich behandelt. Diese Behandlung umfasste die Abnahme von Fingerabdrücken und die Anfertigung von Lichtbildern. Es wurde eine Strafanzeige wegen Verstoßes gegen § 27 Abs. 1 SMG aufgenommen. Die Strafanzeige wurde an das Amt der Vorarlberger Landesregierung sowie an die Finanzlandesdirektion für Vorarlberg übermittelt.
Der Beschwerdeführer erhob gegen die erkennungsdienstliche Behandlung Beschwerde an die Datenschutzkommission und meinte, die gesetzlichen Voraussetzungen für seine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 65 Abs. 1 SPG hätten nicht vorgelegen. Er sei dadurch sowie durch die Weiterleitung der Anzeige an die genannten Behörden in seinem Recht auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten verletzt worden. Gleichzeitig mit der Beschwerde an die Datenschutzkommission richtete der Beschwerdeführer ein Löschungsbegehren an die Sicherheitsdirektion für Vorarlberg.
Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz bestätigte die Sachverhaltsschilderung des Beschwerdeführers und brachte ihrerseits vor, der Beschwerdeführer sei verdächtig gewesen, einen "gefährlichen Angriff" im Sinn des § 16 Abs. 2 SPG, nämlich ein Vergehen nach § 27 Abs. 1 SMG, begangen zu haben. Besonders im Suchtgiftbereich hätte die Erfahrung gezeigt, dass Straftaten oft nur durch Vorlage von Lichtbildern geklärt werden könnten, da sich die in diesem Milieu miteinander verkehrenden Personen oft nur über Vor- und Spitznamen kennen würden. Sowohl die Anfertigung von Lichtbildern als auch die Abnahme von Fingerabdrücken habe sich als ein wirksames Mittel zur Abhaltung der Täter vom Handel mit Suchtgift bewährt. Da der Beschwerdeführer angegeben habe, seit 1992 Suchtmittel zu nehmen, könne angenommen werden, dass er auch weiterhin solches erwerben, besitzen, konsumieren und weitergeben werde. Der Beschwerdeführer habe freiwillig bei seiner erkennungsdienstlichen Behandlung mitgewirkt.
Mit Bescheid vom 2. August 2005 wies die Datenschutzkommission die Beschwerde gemäß §§ 77 Abs. 2 und 4, 78 und 90 SPG iVm § 6 Abs. 1 AVG zurück, weil sie sich für unzuständig erachtete. Die gegenständlichen, von der Behörde durchgeführten Maßnahmen seien in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der den angefochtenen Bescheid mit Erkenntnis vom 21. Februar 2007, Zl. 2005/06/0275, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufhob. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen. Ob die Datenermittlung durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgt sei, müsse jeweils an Hand der konkreten Vorgangsweise der amtshandelnden Beamten und des Verhaltens des Betroffenen beantwortet werden.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die Datenschutzkommission die Beschwerde des Beschwerdeführers, er sei durch die erkennungsdienstliche Behandlung am 23. November 2003 sowie durch das Weitergeben der Anzeige an das Amt der Vorarlberger Landesregierung und an die Finanzlandesdirektion Vorarlberg in seinem Recht auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten verletzt worden, ab (Spruchpunkt 1). Die Beschwerde hinsichtlich der behaupteten Verletzung im Recht auf Löschung der unzulässig verarbeiteten Daten wurde zurückgewiesen (Spruchpunkt 2).
Gestützt auf die Angaben der Bezirkshauptmannschaft Bregenz, wonach der Beschwerdeführer der Aufforderung zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen freiwillig Folge geleistet hat, folgerte die belangte Behörde, dass kein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorläge und führte sodann weiters aus, im vorliegenden Fall liege ein "gefährlicher Angriff" im Sinne des § 16 Abs. 2 SPG vor. Die Voraussetzungen für die erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers seien wegen des Verdachts des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG vorgelegen, "zumal der Beschwerdeführer bei der Einreise nach Deutschland betreten wurde und somit auch in dem Verdacht stand, ein Suchtmittel ausgeführt zu haben; die Art des Deliktes (Ausfuhr eines Suchtmittels) kann nach Ansicht der Datenschutzkommission als ausreichender Grund für die Ansicht der Sicherheitsbehörde gesehen werden, dass eine erkennungsdienstliche Maßnahme zur Vorbeugung (weiterer) gefährlicher Angriffe des Betroffenen (Ausfuhr von Suchtmitteln) erforderlich scheint. Erweist sich diese Annahme später auch als nicht gerechtfertigt, ist zwar nachträglich die Löschung der Daten zu erwägen, die Rechtmäßigkeit der vorherigen Ermittlung der erkennungsdienstlichen Daten wird dadurch jedoch nicht berührt, da der von § 5 Abs. 1 SPG geforderte Verdacht objektiv gegeben war". Die Freiwilligkeit bei der erkennungsdienstlichen Behandlung sei kein Kriterium für ihre rechtliche Zulässigkeit. Im vorliegenden Fall hätte die erkennungsdienstliche Behandlung den rechtlichen Voraussetzungen der § 16 Abs. 2 Z. 3 und § 65 Abs. 1, 2 und 4 SPG sowie § 27 Abs. 1 SMG entsprochen, daher läge keine Verletzung des Rechts auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten vor.
Nur gegen Spruchpunkt 1 dieses Bescheides richtet sich die gegenständliche Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich "in seinem Recht auf gesetzmäßige Anwendung der §§ 65 Abs. 1 und 77 SPG" verletzt. Er macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend und führt aus, die Ansicht der belangten Behörde, jegliche "Ausfuhr eines Suchtmittels" (§ 27 Abs. 1 5. Fall SMG) mache die erkennungsdienstliche Behandlung (Anfertigung von Lichtbildern und Abnahme von Fingerabdrücken) zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe des Beschwerdeführers erforderlich, stehe nicht mit der österreichischen Rechtslage im Einklang. Laut § 65 Abs. 1 SPG habe die Behörde eine konkrete fallbezogene Prognose zu treffen, bei der sie sich mit den Einzelheiten des von ihr im Sinn der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit der Art des dadurch verwirklichten Deliktes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer "Vorbeugung" durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinander zu setzen habe. Würde man der Rechtsansicht der belangten Behörde folgen, käme man zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine erkennungsdienstliche Behandlung immer gegeben seien, wenn die Anlasstat ein gefährlicher Angriff iSd § 16 SPG sei. Damit werde die in § 65 Abs. 1 SPG normierte spezialpräventive Erforderlichkeit ignoriert.
Der Beschwerdeführer beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Aufhebung des angefochtenen Bescheides sowie Kostenersatz durch die belangte Behörde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichthof hat erwogen:
Gemäß § 1 Abs. 1 DSG 2000 hat jedermann, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.
Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung sind Beschränkungen des Anspruches auf Geheimhaltung nur zur Wahrung überwiegend berechtigter Interessen eines anderen zulässig, und zwar bei Eingriff einer staatlichen Behörde nur auf Grund von Gesetzen und aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Gründen. Derartige Gesetze dürfen die Verwendung von Daten, die besonders schutzwürdig sind, nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen vorsehen und müssen gleichzeitig angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festlegen. Auch im Falle zulässiger Beschränkungen darf der Eingriff in das Grundrecht jedenfalls nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden.
§ 65 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) lautete in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 104/2002:
"Erkennungsdienstliche Behandlung
§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies sonst auf Grund von Umständen in der Person des Betroffenen oder nach der Art der begangenen mit Strafe bedrohten Handlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint".
Der 2. Satz des Abs. 5 der zitierten Bestimmung lautet:
"In den Fällen des Abs. 1 ist der Betroffene außerdem darauf hinzuweisen, dass die erkennungsdienstliche Behandlung deshalb erfolgte, um der Begehung gefährlicher Angriffe durch sein Wissen um die Möglichkeit seiner Wiedererkennung entgegenzuwirken."
Ein "gefährlicher Angriff" ist im § 16 Abs. 2 SPG, in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. I Nr. 104/2002, definiert als
"die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand
...
3. nach dem Suchtmittelgesetz (SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, handelt, es sei denn um den Erwerb oder Besitz eines Suchtmittels zum eigenen Gebrauch".
Im vorliegenden Fall hat es die belangte Behörde unterlassen, sich mit den Einzelheiten der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG auseinander zu setzen. Die belangte Behörde vermeint in irriger Rechtsansicht und ohne eine nähere Begründung, das Vorliegen eines "gefährlichen Angriffes" allein genüge für jede erkennungsdienstliche Behandlung. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.
Für die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 65 Abs. 1 SPG in der Fassung der SPG-Novelle 2002 ist es erforderlich, dass eine konkrete fallbezogene Prognose getroffen wird. Dabei hat sich die Behörde mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer "Vorbeugung" durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinander zu setzen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 17. September 2002, Zl. 2002/01/0320). Im Rahmen dieser so anzustellenden Überlegungen wird es immer auch auf die Art des Deliktes, dessen der Betroffene verdächtig ist, ankommen. Dass die im Beschwerdefall maßgebliche Textierung des § 65 SPG eine rein abstrakte Betrachtungsweise verbietet, steht insoweit mit den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur SPG-Novelle 2002 (1138 BlgNR 21. GP 33) im Einklang, als dort neben der Art des begangenen Delikts die konkreten Umstände bei der Tatbegehung als Maßstab für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe als Parameter genannt werden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0592).
Die Bestimmung des § 65 Abs. 1 SPG ist im Sinne ihres Schutzzwecks, nämlich der "Vorbeugung der Rückfallsgefährlichkeit", auszulegen. Das bedeutet, dass eine individuelle Prognose erstellt werden muss, die auf die besonderen Aspekte der Tat sowie die Person und deren persönliche Verhältnisse abstellt. Es muss begründet werden, warum in dem speziellen Fall eine Rückfallgefahr vorliegt. Die als Begründung ins Treffen geführte allgemeine Feststellung, im Suchtmittelbereich würde eine erkennungsdienstliche Behandlung der Abschreckung dienen und sei daher zulässig, kann der geforderten individuellen Prognose nicht genügen. Die Ansicht der belangten Behörde, das Vorliegen jedes gefährlichen Angriffes würde eine erkennungsdienstliche Behandlung ermöglichen, kann nicht geteilt werden.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die beantragte Abhaltung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG unterbleiben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 24. November 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007050224.X00Im RIS seit
19.12.2008Zuletzt aktualisiert am
08.01.2013