TE Vwgh Erkenntnis 2008/12/3 2008/19/0246

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Veröffentlicht am 03.12.2008
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Index

E3R E19103000;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32003R0343 Dublin-II Art19;
32003R0343 Dublin-II Art9 Abs4;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §10 Abs4;
AsylG 2005 §37 Abs1;
AsylG 2005 §5 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2008/19/0247 2008/19/0270 2008/19/0269

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Rehak und den Hofrat Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerden 1. des F, 2. der S, 3. der M, und 4. des N, alle in Semriach, alle vertreten durch Dr. Hermann Kienast, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Friedrichgasse 6/IV/17, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom 31. Jänner 2008, Zlen. 316.588-1/5E-X/47/08 (ad 1.), 316.589-1/4E-X/47/08 (ad 2.), 316.590-1/3E-X/47/08 (ad 3.) und 316.591-1/3E-X/47/08 (ad 4.), betreffend §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind Mitglieder einer Familie (der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Eheleute, die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer ihre gemeinsamen Kinder) und Staatsangehörige der Russischen Föderation. Mit einem tschechischen Einreisevisum gelangten der Erstbeschwerdeführer am 20. Mai 2007 und die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer am 5. Juni 2007 von Polen kommend in das Gebiet der tschechischen Republik. Von dort reisten sie unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein, wo sie jeweils am 19. Juni 2007 Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Im Rahmen ihrer Einvernahme durch das Bundesasylamt am 28. September 2007 sprachen sich die Beschwerdeführer gegen ihre Überstellung nach Tschechien aus und brachten vor, dass der Viertbeschwerdeführer krank sei und medizinische Behandlung benötige. Er sei in Österreich bereits an einem Auge operiert worden und sei eine Operation auch des zweiten Auges geplant.

Mit Bescheiden jeweils vom 28. November 2007 wies das Bundesasylamt sämtliche Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück, stellte fest, dass gemäß Art. 9 Abs. 4 "der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" (im Folgenden: Dublin-Verordnung) Tschechien für die Prüfung der Anträge zuständig sei (Spruchpunkt I.), wies die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Tschechien aus und erklärte "demzufolge" die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer nach Tschechien gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 für zulässig (Spruchpunkt II.). Ein im besonderen Maße substantiiertes Vorbringen bzw. das Vorliegen besonderer von den Beschwerdeführern bescheinigter außergewöhnlicher Umstände - so die wesentliche Begründung der Bescheide -, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen ließen, seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die zweite Augenoperation des Viertbeschwerdeführers sei bereits durchgeführt worden, weshalb kein Ausweisungshindernis mehr vorliegen könne, da die ärztliche Versorgung von "Antragstellern" (gemeint: in der tschechischen Republik) gegeben und gewährleistet sei.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer eine gemeinsame Berufung, in welcher sie u.a. vorbrachten, dass dem Viertbeschwerdeführer in Österreich "die Augenlinsen" ausgetauscht worden seien und er jetzt viel besser sehen könne als früher. Tschechien sei ein kameradschaftliches und gegenüber Russland freundliches Land. Noch vor kurzem hätten dort die Kommunisten regiert.

Mit Bescheiden der belangten Behörde jeweils vom 10. Jänner 2008 wurde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich des Spruchpunktes II. der erstinstanzlichen Bescheide der Berufung des Erstbeschwerdeführers die aufschiebende Wirkung zuerkannt und bezüglich der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer festgestellt, dass ihrer Berufung insoweit die aufschiebende Wirkung zukommt.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführer gemäß §§ 5 und 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ab.

In der Begründung dieser Entscheidungen hielt sie u.a. fest, dass das Vorbringen in der Berufung zur tschechischen Republik derart vage sei, dass von einer Widerlegung der "Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG" nicht die Rede sein könne. In der Berufung werde nicht geltend gemacht, dass der Viertbeschwerdeführer in der tschechischen Republik nicht adäquat behandelt werden würde; auch die Berufungsbehörde habe keine Bedenken in diese Richtung, zumal die Behandlung in Österreich erfolgreich abgeschlossen worden sei. Das Bundesasylamt habe im erstinstanzlichen Bescheid auch Feststellungen zur Versorgungssituation in der tschechischen Republik getroffen, denen die Beschwerdeführer nicht entgegen getreten seien.

Gegen diese Bescheide wenden sich die vorliegenden - wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Die Beschwerden führen aus, dass die Frist für die Überstellung der Beschwerdeführer in den nach Ansicht der belangten Behörde zuständigen Mitgliedstaat abgelaufen sei, weshalb gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin-Verordnung die Zuständigkeit auf Österreich übergegangen sei. Tatsächlich seien seitens der Beschwerdeführer die Anträge am 19. Juni 2007 gestellt und die (erstinstanzlichen) Bescheide am 18. November 2007 erlassen worden. Mit Bescheiden der belangten Behörde vom 10. Jänner 2008 sei der Berufung der Beschwerdeführer lediglich hinsichtlich des Spruchpunktes II. die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden, nicht jedoch hinsichtlich des Spruchpunktes I., sodass der Berufung gegen die Zurückweisung der "Asylanträge" bzw. "Unzulässigkeitserklärung der Asylanträge" keine aufschiebende Wirkung zugekommen sei.

Die Beschwerden werfen der belangten Behörde zudem vor, nicht genau ermittelt zu haben, welche ärztliche Versorgung der Viertbeschwerdeführer nunmehr benötige und wie der aktuelle Zustand seiner Augen sei, um dann prüfen zu können, ob eine entsprechende ärztliche Versorgung in Tschechien tatsächlich gewährleistet sei.

Mit Schreiben vom 22. Juli 2008 legten die Beschwerdeführer dem Verwaltungsgerichtshof in russischer Sprache gehaltene Unterlagen "zum Beweis dafür vor, wie die momentane politische Situation in ihrem Heimatland ist, dass sie dort aufgrund ihres Religionsbekenntnisses verfolgt und diskriminiert werden".

2. Art. 19 Dublin-Verordnung lautet auszugsweise:

"(1) Stimmt der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme eines Antragstellers zu, so teilt der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, dem Antragsteller die Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen, sowie die Verpflichtung, den Antragsteller an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, mit.

(2) ... Ein gegen die Entscheidung eingelegter Rechtsbehelf hat keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist.

(3) Die Überstellung des Antragstellers von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. ...

(4) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. ..."

3. Der den Beschwerden offenbar zugrunde liegenden Rechtsansicht, wonach ein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung im Sinn des Art. 19 Abs. 3 Dublin-Verordnung nur dann vorliege, wenn der Berufung (auch) hinsichtlich des Spruchpunktes I. der erstinstanzlichen Bescheide aufschiebende Wirkung zuerkannt worden wäre, kann schon im Hinblick auf den klaren Wortlaut des Art. 19 Abs. 2 letzter Satz Dublin-Verordnung (arg. "Ein gegen die Entscheidung eingelegter Rechtsbehelf hat keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung ...") nicht gefolgt werden. Diese Bestimmung ist als Erlaubnis an die Mitgliedstaaten zu verstehen, Regelungen in ihrem innerstaatlichen Recht zu treffen, welche es den Gerichten oder den zuständigen Stellen ermöglichen, im Einzelfall dem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung einzuräumen (vgl. auch die von Funke-Kaiser in ihrem Kommentar zum dt. AsylVfG (August 2003), Rz 242, vertretene Ansicht, wonach "vom erkennbaren Sinn und Zweck der Regelung ausgehend, nämlich zu verhindern, dass der aus Rechtsgründen an einer Vollziehung bzw. auch Vollstreckung gehinderte Mitgliedstaat in nicht zurechenbarer Weise mit dem Zuständigkeitsübergang nach Art. 19 Abs. 4 VO konfrontiert" sei, in Art. 19 Abs. 3 Dublin-Verordnung "nur ein Vollstreckungshindernis gemeint sein" könne). Dass dem Rechtsbehelf auch hinsichtlich der in Art. 19 Abs. 1 Dublin-Verordnung genannten Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen, aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist, um sich bei der Berechnung der Überstellungsfrist auf das in Art. 19 Abs. 3 erster Satz

2. Fall Dublin-Verordnung geregelte fristauslösende Ereignis (Entscheidung über den Rechtsbehelf) stützen zu können, lässt sich den oben zitierten Bestimmungen hingegen nicht entnehmen.

4. Da der Berufung der Beschwerdeführer hinsichtlich der in Spruchpunkt II. der erstinstanzlichen Bescheide verfügten Ausweisung auf Grund der Bescheide der belangten Behörde vom 10. Jänner 2007 aufschiebende Wirkung zukam, wurde der Lauf der in Art. 19 Abs. 3 Dublin-Verordnung geregelten Überstellungsfrist vor Erlassung der angefochtenen Bescheide noch nicht in Gang gesetzt, weshalb auch ein Zuständigkeitsübergang nach Art. 19 Abs. 4 Dublin-Verordnung nicht eintreten konnte.

5. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften im Zusammenhang mit den in den Beschwerden gerügten unterlassenen Ermittlungen der belangten Behörde zum Gesundheitszustand des Viertbeschwerdeführers liegt nicht vor. Die Beschwerdeführer haben im Verwaltungsverfahren weder vorgebracht, dass der Viertbeschwerdeführer nach erfolgter Operation beider Augen (noch) eine weitere medizinische Behandlung benötigen würde, noch sind sie den im erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen Feststellungen zur medizinischen Versorgung in der tschechischen Republik entgegen getreten, weshalb die belangte Behörde nicht gehalten war, weiter gehende Ermittlungen zu dessen Gesundheitszustand durchzuführen (vgl. dazu insbesondere Punkt 3. der Erwägungen des hg. Erkenntnisses vom 23. Jänner 2007, 2006/01/0949).

6. Auf die von den Beschwerdeführern mit Schreiben vom 22. Juli 2007 vorgelegten Unterlagen war schon im Hinblick auf den Gegenstand der angefochtenen Bescheide nicht weiter einzugehen.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerden erkennen lässt, dass die von den Beschwerdeführern behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, waren die Beschwerden gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 3. Dezember 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008190246.X00

Im RIS seit

26.01.2009

Zuletzt aktualisiert am

20.05.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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