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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der DF in W, vertreten durch DDr. Wolfgang Schulter, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Marxergasse 21, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. November 2007, Zl. 315.221/3- III/4/07, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei mit einem vom 1. Jänner 2006 bis 1. März 2006 gültigen "Reisevisum" in das Bundesgebiet eingereist. Seit 4. Jänner 2006 sei sie in 1020 Wien gemeldet. Ihr Aufenthalt in Österreich sei ab 2. März 2006 nicht mehr rechtmäßig gewesen. Die Beschwerdeführerin hätte, weil keine für die Inlandsantragstellung genannten Voraussetzungen gemäß § 21 Abs. 2 NAG erfüllt seien, den als Erstantrag zu wertenden Antrag gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung im Ausland abwarten müssen. Weiters sei gemäß § 19 Abs. 1 NAG ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels persönlich bei der Behörde zu stellen. Die Antragstellung sei allerdings nicht persönlich vom Ausland aus erfolgt, sondern durch den "Rechtsvertreter im Inland". Im Hinblick auf den seit 2. März 2006 unrechtmäßigen Aufenthalt würde auch § 11 Abs. 2 Z 1 NAG einer Bewilligung entgegenstehen, jedoch erübrige sich "angesichts der Heranziehung des § 21 NAG" ein weiteres Eingehen auf diesen Versagungsgrund. In der Berufung sei zwar ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund im Sinne des § 72 NAG geltend gemacht worden, die Voraussetzungen zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen lägen jedoch nicht vor. Der "bloße Umstand der Erlangung von Aufenthaltstiteln" des Ehemanns und der Kinder der Beschwerdeführerin vermöge die Anwendbarkeit des § 74 NAG auf ihren Fall nicht zu bewirken. Die Inlandsantragstellung werde daher nicht von Amts wegen gemäß § 74 NAG zugelassen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen:
Voranzustellen ist, dass der gegenständliche Fall weder von dem vom Verwaltungsgerichtshof an den Europäischen Gerichtshof zur Zl. EU 2007/0009 gerichteten Vorabentscheidungsersuchen noch dem zur Zl. A 2008/0041 an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Anfechtungsantrag berührt ist. Die im Jahr 1976 geborene Beschwerdeführerin brachte zwar im Verwaltungsverfahren vor, ihre Mutter sei österreichische Staatsbürgerin (wofür allerdings kein Nachweis vorgelegt wurde - dem Verwaltungsakt zufolge ist lediglich belegt, dass die Mutter des Ehemannes der Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin ist), allerdings wurde in diesem Zusammenhang nie behauptet, diese würde der Beschwerdeführerin Unterhalt gewähren. Schon aus diesem Grund war es - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht - nicht geboten, eine Prüfung dahingehend durchzuführen, ob der Beschwerdeführerin aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen oder verfassungsrechtlichen Überlegungen eine sie begünstigende Rechtsstellung einzuräumen wäre (vgl. §§ 52 Z 2, 54 Abs. 1 NAG). Im Übrigen wird auch in der Beschwerde nicht vorgebracht, der Beschwerdeführerin werde von ihrer Mutter Unterhalt gewährt.
Sowohl in ihrem Antrag als auch im Verwaltungsverfahren führte die Beschwerdeführerin ausdrücklich aus, die Familienzusammenführung mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen Kindern, die alle serbische Staatsangehörige sind, anzustreben, wobei ihre Unterhaltsmittel durch das Einkommen des Ehemanns gesichert seien. Demgemäß stellt sich die Ansicht der belangten Behörde, der von der Beschwerdeführerin noch während der Geltung des am 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 (FrG) gestellte Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Zweck "Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG" sei - im Hinblick auf das zwischenzeitige In-Kraft-Treten des NAG - als Antrag auf Erstniederlassungsbewilligung für den Zweck "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zu werten, als unbedenklich dar.
Soweit die belangte Behörde meint, das Nichterfüllen des in § 19 Abs. 1 NAG festgelegten Erfordernisses der persönlichen Antragstellung würde einer Antragsbewilligung entgegen stehen, unterliegt sie einem Rechtsirrtum. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass § 19 Abs. 1 NAG auf Verfahren, in denen der Antrag noch vor In-Kraft-Treten des NAG gestellt wurde, nicht zur Anwendung kommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, 2008/22/0118, mwH, auf dessen Entscheidungsgründe diesbezüglich gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
In der Beschwerde wird weder in Abrede gestellt, dass es sich beim gegenständlichen Antrag um einen Erstantrag handelt, noch dass dieser gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen gewesen wäre und die Entscheidung darüber im Ausland hätte abgewartet werden müssen. An Hand der vorgelegten Akten begegnet diese Ansicht der belangten Behörde auch keinen Bedenken.
Das Recht, den Antrag auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung im Inland stellen und die Entscheidung darüber hier abwarten zu dürfen, kommt daher fallbezogen nur gemäß § 74 NAG in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (hier: auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, 2008/22/0103, 0104).
Unter dem Blickwinkel eines aus Art. 8 EMRK abzuleitenden Anspruches macht die Beschwerdeführerin geltend, es sei auf die Dauer ihres Inlandsaufenthalts, das Ausmaß ihrer Integration, ihre familiäre Anbindung und ihre bisherige Unbescholtenheit Bedacht zu nehmen. Ihr ist darin Recht zu geben, dass all diese Umstände bei der nach Art. 8 EMRK gebotenen Interessenabwägung zu berücksichtigen sind. Entgegen ihrer Ansicht ist jedoch aus ihrem im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde etwa zwei Jahre währenden Aufenthalt im Inland und dem (rechtmäßigen) Aufenthalt ihrer bereits oben genannten Familienangehörigen im Inland keine derartige Verdichtung ihrer Interessen abzuleiten, die es nach Art. 8 EMRK gebieten würde, ihr den - sofortigen (ohne Bedachtnahme auf den Grundsatz der Auslandsantragstellung) - Familiennachzug einzuräumen. Zwar handelt es sich bei den im Inland lebenden Familienangehörigen der Beschwerdeführerin auch um solche, die zur "Kernfamilie" zu zählen sind. Jedoch stellte sich der Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführerin nach Ablauf ihres (bloß für kurze Zeit geltenden und lediglich für Besuchszwecke erteilten) Visums stets als unsicher dar (vgl. zur Relevanz eines unsicheren Aufenthaltsstatus etwa das Urteil des EGMR vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie ua. gg. Norwegen, NL 2008, 229), zumal sie auch nach den im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Vorschriften des FrG nicht berechtigt war, den gegenständlichen Antrag im Inland zu stellen (vgl. § 14 Abs. 2 FrG), und daher bereits im Zeitpunkt ihrer Einreise nicht begründet darauf hoffen konnte, ein Familienleben in Österreich fortsetzen zu dürfen. Demgegenüber reichen die geltend gemachten Umstände nicht aus, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK hätte akzeptiert werden müssen, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Verhalten (unrechtmäßiger Verbleib im Bundesgebiet nach Ablauf ihres Visums) versucht, vollendete Tatsachen ("fait accompli") zu schaffen. Das Gewicht ihrer Interessen wird auch dadurch gemindert, dass nahezu alle integrationsbegründenden Umstände vorwiegend in einer Zeit entstanden sind, in der sie sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus hätte bewusst sein müssen.
Somit kann bei Gesamtbetrachtung (vgl. zur Erforderlichkeit einer solchen das hg. Erkenntnis vom 4. November 2008, 2008/22/0044) des vorliegenden Sachverhaltes nicht davon ausgegangen werden, es würde ein im Hinblick auf Art. 8 EMRK besonders berücksichtigungswürdiger Fall vorliegen. Eine vergleichbare Konstellation, wie sie den Urteilen des EGMR vom 21. Dezember 2001, Sen gg. die Niederlande (NL 2002, 11), und vom 1. Dezember 2005, Tuquabo-Tekle ua. gg. die Niederlande (NL 2005, 296), zugrunde lag, war hier nicht gegeben.
Soweit die Beschwerdeführerin - mit Blick auf § 50 Abs. 1 FPG - meint, die belangte Behörde wäre überdies gehalten gewesen, die Frage des "drohenden Existenzverlustes und der davon isoliert bestehenden Rückkehrproblematik der Beschwerdeführerin in ihre Überlegungen bei der Entscheidungsfindung einzubeziehen", ist sie darauf hinzuweisen, dass im Verwaltungsverfahren ein Vorbringen zu einem drohenden Existenzverlust im Falle der Rückkehr in ihr Heimatland nicht erstattet wurde, und sich diese - im Übrigen in der Beschwerde gar nicht konkretisierten - Behauptungen daher als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerungen (§ 41 Abs. 1 VwGG) erweisen.
Der belangten Behörde konnte sohin nicht erfolgreich entgegengetreten werden, wenn sie davon ausging, es liege gegenständlich kein besonders berücksichtigungswürdiger Fall iSd § 72 NAG vor, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 10. Dezember 2008
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2008220125.X00Im RIS seit
04.02.2009Zuletzt aktualisiert am
18.03.2009