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L92007 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Tirol;Norm
ABGB §140 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde der Dr. AW in V, vertreten durch Mag. Ferdinand Kalchschmid, Rechtsanwalt in 8020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 2-4, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 23. März 2007, Zl. Va- 456-29086/1/16, betreffend Ersatz von Kosten der Grundsicherung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 23. März 2007 hat die Tiroler Landesregierung die Beschwerdeführerin verpflichtet, ab 1. Mai 2006 bis zur Wiedererlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit ihres Sohnes P. in Hinkunft einen monatlichen Beitrag zu den Kosten der P. gewährten Grundsicherung in der Höhe von EUR 144,41 zu leisten.
Zur Begründung führte die belangte Behörde - soweit für das verwaltungsgerichtliche Verfahren wesentlich - aus, P. werde seit September 2005 zunächst nach den Bestimmungen des Tiroler Sozialhilfegesetzes und ab März 2006 nach den Bestimmungen des Tiroler Grundsicherungsgesetzes, LGBl. Nr. 20/2006 (TGSG) unterstützt. Die Behörde erster Instanz habe die Beschwerdeführerin zur Leistung eines monatlichen Beitrages von EUR 229,-- ab 1. Mai 2006 verpflichtet. Zur Begründung habe die Erstbehörde ausgeführt, dass sich die Arbeitsunfähigkeit von P. aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 18. Jänner 2006, mit dem P. von der Unterhaltspflicht gegenüber seiner Tochter enthoben worden sei, ergebe. P. verfüge über keine eigenen Einkünfte und sei nach einjährigem Bezug von Krankengeld "ausgesteuert" worden. Er habe wegen fehlender Arbeitsfähigkeit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. Auf Grund der somit weggefallenen Selbsterhaltungsfähigkeit von P. sei es zum Wiederaufleben der Unterhaltspflicht der Beschwerdeführerin gekommen.
In der dagegen gerichteten Berufung habe die Beschwerdeführerin geltend gemacht, dass im pflegschaftsgerichtlichen Verfahren letztmalig im Jahr 2001 ein Gutachten eingeholt worden sei. Zur Abklärung der aktuellen Arbeitsfähigkeit wäre die Einholung eines neuerlichen Gutachtens erforderlich gewesen. Überdies hätte berücksichtigt werden müssen, dass die Beschwerdeführerin krankheitsbedingte Mehraufwendungen habe und bei Bezahlung eines Unterhaltsbeitrages an P. in ihrer Existenz gefährdet wäre.
Zu dem von der belangten Behörde im Berufungsverfahren eingeholten amtsärztlichen Gutachten über die Arbeitsfähigkeit von P. habe die Beschwerdeführerin darauf verwiesen, dass es sich um ein reines Aktengutachten handle, weil sich P. geweigert habe, zur ärztlichen Untersuchung zu kommen. Die Gutachten, auf die sich die Amtssachverständige gestützt habe, seien veraltet. Überdies komme die Amtssachverständige zum Schluss, dass P. noch für bestimmte Arbeiten geeignet sei. Die Weigerung, zur Untersuchung zu kommen, deute auf die Arbeitsunwilligkeit von P. hin. Auch das Argument der Amtsärztin, P. könne wegen mehr als zehn Vorstrafen am Arbeitsmarkt nicht vermittelt werden, sei falsch. Einerseits dürfe gemäß § 113 StGB eine verbüßte Strafe niemandem zum Nachteil gereichen, andererseits habe die Behörde nicht erhoben, ob allfällige Vorstrafen schon getilgt oder von der beschränkten Auskunft umfasst seien.
Die belangte Behörde stellte folgenden Sachverhalt fest:
P. erhalte eine monatliche Grundsicherungsleistung in der Höhe von EUR 946,09. Die Arbeitsunfähigkeit von P. ergebe sich einerseits aus den im Unterhaltsverfahren (betreffend die Unterhaltspflicht von P. gegenüber seinem Kind) erstellten Gutachten und andererseits aus dem Gutachten von Dr. Z. vom 14. Juli 2005, auf Grund dessen P. vom Arbeitsmarktservice Tirol als nicht arbeitsfähig eingestuft worden sei. Zur umfassenden Abklärung der Sachlage sei versucht worden, ein noch aktuelleres Gutachten zur Arbeitsfähigkeit von P. erstellen zu lassen. Herr P. habe der Ladung jedoch keine Folge geleistet und ausgeführt, dies auch in Hinkunft nicht tun zu wollen. Die Amtsärztin habe jedoch auf Grund der vorliegenden Unterlagen festgestellt, dass "eine Arbeitsfähigkeit bzw. Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt" tatsächlich nicht gegeben sei.
Die Beschwerdeführerin beziehe unter Berücksichtigung der aliquoten Sonderzahlungen ein monatliches Einkommen in der Höhe von EUR 1.043,43 und wohne in der Wohnung ihrer Tochter. Sie leide unter Polyarthrose, Periarthropie der Schultern, Fibromyalgie und incipienter chronischer Polyarthritis, weshalb sie in laufender medizinischer Behandlung stehe. Die Beschwerdeführerin habe für das Medikament Condrosulf einen monatlichen Betrag in der Höhe von EUR 28,60 und für eine Phytotherapie einen monatlichen Betrag von EUR 153,10 aufzuwenden.
Bei der Bemessung des von der Beschwerdeführerin für ihren nicht mehr selbsterhaltsunfähigen Sohn zu leistenden Unterhaltsbetrages seien monatliche Fixausgaben der Beschwerdeführerin für Medikamente und Therapie in der Höhe von insgesamt EUR 181,70 zu berücksichtigen. Zur Vermeidung einer unbilligen Härte würden im vorliegenden Fall auch die auf die Beschwerdeführerin entfallenden Betriebs- und Heizungskosten der Wohnung in der Höhe von insgesamt EUR 205,33 von der Bemessungsgrundlage abgezogen. Bezüglich der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Kosten für eine Haushaltshilfe in der Höhe von EUR 264,-- pro Monat gehe die Behörde davon aus, dass es der mit der Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt lebenden Tochter zumutbar sei, die notwendigen Hilfestellungen als Naturalunterhalt zu erbringen. Aus diesem Grund könne der angeführte monatliche Betrag nicht von der Bemessungsgrundlage in Abzug gebracht werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die hier maßgeblichen Rechtsvorschriften haben folgenden
Wortlaut:
"Tiroler Grundsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 20/2006 (TGSG):
§ 11. (1) Personen, die gesetzlich zum Unterhalt des Empfängers der Grundsicherung verpflichtet sind, haben die Kosten der Grundsicherung in dem durch Verordnung der Landesregierung festzusetzenden Ausmaß zu ersetzen. Dieses Ausmaß darf höchstens bis zur Höhe der Unterhaltspflicht festgesetzt werden.
(2) Bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber Unterhaltspflichtigen ist auf deren wirtschaftliche Verhältnisse und ihre sonstigen Sorgepflichten Bedacht zu nehmen.
...
Tiroler Grundsicherungsverordnung, LGBl. Nr. 28/2006:
§ 11. ...
(2) Die Höhe des Kostenersatzes durch Personen, die gesetzlich zum Unterhalt des Hilfeempfängers verpflichtet sind, bemisst sich insbesondere anhand der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gemäß den §§ 94, 140 und 143 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), ...
ABGB:
§ 140. (1) Die Eltern haben zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen.
...
(3) Der Anspruch auf Unterhalt mindert sich insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist.
...
§ 143. (1) Das Kind schuldet seinen Eltern und Großeltern unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt, soweit der Unterhaltsberechtigte nicht imstande ist, sich selbst zu erhalten, und sofern er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt hat.
..."
Die Beschwerdeführerin bringt zunächst vor, dass sie nicht unterhaltspflichtig sei, weil ihr Sohn als selbsterhaltungsfähig anzusehen sei. Das vom Bezirksgericht Innsbruck eingeholte arbeitsmedizinische Gutachten vom 12. Oktober 2000 und das darauf basierende berufskundliche Gutachten vom 27. Juni 2002 seien nicht mehr aktuell. Auch das psychiatrische Kurzgutachten von Dr. Z. sei bereits 16 Monate alt, beruhe auf "nicht objektiv fassbaren medizinischen Untersuchungsergebnissen" und berücksichtige insbesondere nicht, dass P. über all die Jahre nie in Behandlung gestanden sei. Aber auch nach diesem Gutachten sei P. noch für bestimmte Arbeiten, wie z.B. für Heimarbeiten, geeignet. Dazu fehlten Feststellungen im angefochtenen Bescheid. Die Weigerung von P., sich von der Amtsärztin untersuchen zu lassen, lasse auf dessen Arbeitsunwilligkeit schließen. Dass amtsärztliche Gutachten komme ebenfalls zum Schluss, dass P. noch leichte Arbeiten zumutbar seien.
Die Höhe der Kostenersatzpflicht der Beschwerdeführerin richtet sich gemäß § 11 TGSG iVm § 11 Abs. 2 der Grundsicherungsverordnung nach der gemäß § 140 ABGB zu bemessenden Verpflichtung zur Unterhaltsleistung an Kinder. Die gemäß § 140 Abs. 3 ABGB zum Erlöschen der Unterhaltspflicht führende Selbsterhaltungsfähigkeit ist gegeben, wenn das Kind die erforderlichen Mittel zur Deckung seines Unterhalts selbst erwirbt oder dazu auf Grund einer zumutbaren Beschäftigung in der Lage ist (vgl. die bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht2, Rz 318 1. zitierte Judikatur des Obersten Gerichtshofes). Die Unterhaltspflicht der Eltern lebt wieder auf, wenn die Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes wegfällt, was etwa bei längerfristiger Unmöglichkeit der Berufsausübung wegen Krankheit, unverschuldeter Arbeitslosigkeit oder aus ähnlichen Gründen der Fall sein kann (vgl. etwa die bei Gitschthaler, a.a.O., Rz 384 1. ff zitierte Judikatur des Obersten Gerichtshofes). Eine zum Wegfall der Selbsterhaltungsfähigkeit führende längerfristige Unmöglichkeit der Berufsausübung liegt auch vor, wenn der Unterhaltsberechtigte auf Grund von Vorstrafen auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar ist (vgl. dazu auch die Judikatur des Obersten Gerichtshofes, wonach ein Unterhaltspflichtiger, der wegen Verbüßung einer Haftstrafe keine Einkünfte erzielen kann (Gitschthaler, a.a.O., Rz 151a 1.) oder wegen exorbitanter Schulden und eines drohenden Kridaverfahrens nicht vermittelbar ist (Gitschthaler, a.a.O., Rz 156 2.), nicht auf ein fiktives Einkommen angespannt werden darf).
Aktenkundig ist ein in einem Pflegschaftsverfahren des Bezirksgerichtes Innsbruck eingeholtes arbeitsmedizinisches Gutachten über die Arbeitsfähigkeit von P. vom 12. Oktober 2000, das zu folgendem Ergebnis kommt:
P. leide an Depressionen mit Angstzuständigen, weshalb er in laufender Behandlung stehe. Er sei affektiv ausgeglichen und geringgradig depressiv. Es falle eine gewisse Aggravationstendenz auf. Es würden multiple Schmerzen angegeben, die aber in bestimmten Bewegungsabläufen (Aus- und Anziehen der Kleider) vergessen würden. Es sei fraglich, ob der Zusammenbruch von P. im Jahr 1993 wirklich mit einem Myokardinfarkt ident sei. Ein Nachweis dafür könne nicht geführt werden, sei P. doch bereits am nächsten Tag dem Spital "entsprungen". Das angebliche Infarktereignis aus dem Jahr 1996 sei eher ein Teilschicht-Infarkt gewesen. Aus dem aktuellen EKG könne keine Infarktnarbe abgelesen werden. P. sei übergewichtig mit einem Body-Mass-Index von 28. Er weise einen athletischen und muskelkräftigen Körperbau auf. Nicht zu übersehen seien grobe Hände, welche auch Schwielen aufwiesen. Es sei daher naheliegend, dass nicht selten Gelegenheitsarbeiten durchgeführt würden. P. könne aus medizinischer Sicht leichte Arbeiten ganztätig mit den üblichen Pausen durchführen. Halbtätig seien auch bis mittelschwere Arbeiten möglich. Wegen der nicht abgeklungenen Depression solle allerdings von Nacht- und Wechselschicht abgesehen werden.
Das darauf basierende berufskundliche Sachverständigengutachten vom 4. Juli 2002 kommt zum Ergebnis, dass P. auf Grund seines Gesundheitszustandes zwar noch für eine Reihe von Berufen geeignet wäre, auf Grund der mehr als zehn Vorstrafen jedoch nicht vermittelbar sei. Derart oft vorbestrafte Arbeitssuchende würden von Dienstgebern nicht eingestellt.
Auf Grund dieser Gutachten wurde P. mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 18. Jänner 2006, bestätigt mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 9. Februar 2006, von der Unterhaltspflicht gegenüber seiner Tochter enthoben.
Das vom Arbeitsmarktservice Innsbruck eingeholte Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. Z. vom 14. Juli 2005 kommt zu nachstehender Beurteilung der Arbeitsfähigkeit von P.:
"Beim Untersuchten besteht unverändert ein chronifiziertes depressives Zustandsbild und eine Angststörung. Durch Unfallfolgen nach einem Auffahrunfall könne er die rechte Hand nicht mehr gebrauchen.
An sich dürfte ihm berufliche Reintegration gut tun, es ist jedoch nur ein Arbeitsplatz vorstellbar, der keinerlei soziale Kompetenz verlangt und wo keine Teamfähigkeit gefordert ist.
Auf Grund der Komplexität und des Schweregrades des Erkrankungsbildes bzw. wegen der Chronizität des Verlaufes und bestehender Therapieresistenz erscheint mir der Untersuchte nicht arbeitsfähig zu sein."
Auf Grund dieses Gutachtens hat das Arbeitsmarktservice Innsbruck mit Bescheid vom 25. Juli 2005 den Notstandshilfebezug von P. mangels Arbeitsfähigkeit eingestellt.
Das von der belangten Behörde eingeholte amtsärztliche Gutachten hat - auszugsweise - folgenden Inhalt:
"Herr P. ... wurde für den 05.02.2007 ... zur amtsärztlichen
Begutachtung bezüglich seiner Arbeitsfähigkeit vorgeladen.
Herr P. ... teilte nach Erhalt der Vorladung bereits am
22.11.2007 telefonisch mit, dass er nicht zur Untersuchung kommen werde. Er sei bereits 'oft genug beim Arzt gewesen' und eine weitere Untersuchung 'interessiere ihn nicht'.
...
Auf Grund des Aktenstudiums darf amtsärztlicherseits angemerkt werden, dass sich vermutlich am arbeitsmedizinischen
Gutachten ... vom 12.10.2000 sowie am gerichtlich berufskundlichen
Sachverständigengutachten vom 04.07.2002 zwischenzeitlich keine wesentliche Änderung ergeben hat.
Gemäß diesen Gutachten wären gewisse leichte Arbeiten nach dem medizinischen Leistungskalkül zumutbar, jedoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf Grund der wegen mehr als zehn Vorstrafen fehlenden Vermittelbarkeit nicht realisierbar.
Auch im psychiatrischen Gutachten von Dr. Z. ... wird befunden, dass Herrn P. ... die berufliche Reintegration an sich gut tun dürfte jedoch nur ein Arbeitsplatz vorstellbar sei, der keinerlei soziale Kompetenz verlangt und wo keine Teamfähigkeit gefordert ist.
Die Vermittelbarkeit am freien Arbeitsmarkt erscheint unter diesen Bedingungen wohl nicht gegeben."
Die belangte Behörde führte zunächst aus, dass sich die Arbeitsunfähigkeit von P. aus den im pflegschaftsgerichtlichen Verfahren und im Verfahren vor dem AMS eingeholten Gutachten ergebe. Weiters hielt sie fest, dass die amtsärztliche Sachverständige auf Grund dieser Unterlagen zum Ergebnis gekommen sei, dass "eine Arbeitsfähigkeit bzw. Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt" tatsächlich nicht gegeben sei.
Daraus ist nicht ersichtlich, ob und aus welchen Gründen die belangte Behörde die Arbeitsfähigkeit von P. schon aus medizinischen bzw. habituellen Gründen verneint hat oder ob sie meinte, P. sei für die ihm noch zumutbaren Arbeiten nicht vermittelbar. Sollte die belangte Behörde der Ansicht gewesen sein, P. sei in Bezug auf die ihm aus medizinischer Sicht noch zumutbaren Arbeiten auf Grund seiner Vorstrafen nicht vermittelbar, so fehlen - jedenfalls im Hinblick auf das diesbezügliche Berufungsvorbringen erforderliche - Feststellungen, ob die Verurteilungen bereits getilgt sind bzw. der beschränkten Auskunft unterliegen. Getilgte oder der beschränkten Auskunft unterliegende Verurteilungen, die gemäß § 1 Abs. 4 und § 6 Abs. 5 Tilgungsgesetz einem potenziellen Arbeitgeber gegenüber nicht offen gelegt werden müssen, können nämlich einer Vermittelbarkeit nicht entgegen stehen. Andere Gründe, warum für P. derartige Arbeiten nicht erlangbar seien, sind aus dem angefochtenen Bescheid nicht ersichtlich.
Insoweit hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet.
Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, die von der belangten Behörde für die Unterhaltsbemessung herangezogene "Prozentmethode" sei nur für durchschnittliche Verhältnisse geeignet und daher auf Grund des besonders niedrigen Einkommens der Beschwerdeführerin vorliegend nicht heranzuziehen. Selbst nach der Berechnung der belangten Behörde verbliebe der Beschwerdeführerin nur ein monatlicher Betrag von EUR 562,62, der unter dem Existenzminimum liege. Es sei zu erwarten, dass sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtern werde und sie einen erhöhten krankheitsbedingten Aufwand haben werde. Die Tochter der Beschwerdeführerin lebe zwar in derselben Wohnung, führe aber einen eigenen Haushalt und sei berufstätig. Es stehe im Widerspruch zu den Grundsätzen des Unterhaltsrechts, von der Tochter Unterhaltsleistungen zu verlangen, um Unterhaltszahlungen der Beschwerdeführerin an eine dritte erwachsene Person zu sichern.
Die Bemessung des Kindesunterhaltes nach der Prozentkomponente stellt für durchschnittliche Verhältnisse eine brauchbare Handhabe dar (vgl. die bei Gitschthaler, a.a.O., Rz 238 5. wiedergegebene Judikatur des Obersten Gerichtshofes). Das unter Anwendung der Prozentkomponente gewonnene Ergebnis ist jedoch bei besonders atypischen Verhältnissen zu korrigieren (vgl. die bei Gitschthaler, a.a.O., Rz 241 3. zitierte Judikatur des Obersten Gerichtshofes). Die Beschwerdeführerin verfügt unstrittig über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von EUR 1.043,43. Sie trifft keine weitere Unterhaltspflicht. Angesichts dessen kann von "besonders atypischen Verhältnissen" nicht gesprochen werden. Im Übrigen hat die belangte Behörde auf die Umstände des Einzelfalles ohnehin insofern Bedacht genommen, als sie die Betriebskosten der Wohnung (die sonst von der Bemessungsgrundlage nicht abzuziehen sind; vgl. die bei Gitschthaler, a.a.O., Rz 223 2. zitierte Judikatur des Obersten Gerichtshofes) vor Anwendung des Prozentsatzes in Abzug gebracht hat.
Mit dem bloßen Hinweis auf künftig steigende krankheitsbedingte Mehraufwendungen gelingt es der Beschwerdeführerin schon mangels Konkretisierung nicht, eine Rechtsverletzung durch den angefochtenen Bescheid aufzuzeigen.
Die Beschwerdeführerin hat im Berufungsverfahren geltend gemacht, auf Grund ihres Gesundheitszustandes eine Haushaltshilfe im Ausmaß von 24 Stunden pro Monat in Anspruch nehmen zu müssen und dafür Mehraufwendungen von EUR 264,-- zu haben. Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich krankheitsbedingt Hilfe in diesem Ausmaß benötigt. Sie führte aus, dass die Tochter der Beschwerdeführerin diese Hilfestellung als Naturalunterhaltsleistung zu erbringen habe. Daher hat die belangte Behörde den - die Bemessungsgrundlage schmälernden (vgl. die bei Gitschthaler, a.a.O., Rz 201 1. zitierte Judikatur des Obersten Gerichtshofes) - zusätzlichen krankheitsbedingten Mehraufwand im vorliegenden Fall nicht abgezogen. Auf Grund der somit verbleibenden Bemessungsgrundlage von EUR 656,40 bejahte die belangte Behörde die Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin zur Erbringung einer monatlichen Unterhaltsleistung von EUR 144,41 an ihren Sohn P. Damit vertrat sie die Ansicht, dass die gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 143 ABGB unterhaltspflichtige Tochter verpflichtet sei, der Beschwerdeführerin (Natural-)Unterhaltsleistungen zu erbringen, damit diese ihrer Unterhaltspflicht gegenüber P. nachkommen könne.
Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt. Die Unterhaltspflicht eines Kindes gegenüber den Eltern besteht nämlich nur im Fall der Selbsterhaltungsunfähigkeit der Eltern. Diese Unterhaltspflicht kann hingegen nicht dazu dienen, die Eltern in die Lage zu versetzen, ihrer Unterhaltspflicht gegenüber den anderen Kindern nachkommen können (vgl. das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 14. Juni 1988, Zl. 8 Ob 79/87; vgl. auch das Urteil dieses Gerichtshofes vom 26. Juni 2001, Zl. 1 Ob 135/01m, wonach ein unterhaltspflichtiges Kind nicht verpflichtet werden kann, der Mutter Mittel zur Erfüllung deren Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Ehemann zur Verfügung zu stellen).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der pauschalierte Ersatz für den Schriftsatzaufwand Umsatzsteuer bereits enthält.
Wien, am 15. Dezember 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007100109.X00Im RIS seit
22.01.2009Zuletzt aktualisiert am
27.12.2011