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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer Geschwindigkeitsbeschränkung mangelsDurchführung eines Ermittlungsverfahrens für die geboteneInteressenabwägung vor VerordnungserlassungSpruch
Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Traiskirchen vom 23. April 2003, Z35/262/03, war gesetzwidrig.
Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Bürgermeister der Stadtgemeinde Traiskirchen hat amrömisch eins. 1. Der Bürgermeister der Stadtgemeinde Traiskirchen hat am
23. April 2003 eine Verordnung folgenden Inhalts erlassen:
"Der Bürgermeister der Stadtgemeinde Traiskirchen verfügt gem. der §§43 Abs1 litb und 94d Z. 4 der Straßenverkehrsordnung StVO 1960, BGBl. 159, in der derzeit geltenden Fassung, aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, folgende Verkehrsmaßnahme: "Der Bürgermeister der Stadtgemeinde Traiskirchen verfügt gem. der §§43 Abs1 litb und 94d Ziffer 4, der Straßenverkehrsordnung StVO 1960, Bundesgesetzblatt 159, in der derzeit geltenden Fassung, aus Gründen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, folgende Verkehrsmaßnahme:
Für die Lenker von Fahrzeugen ist nunmehr das Befahren der Oberwaltersdorfer Straße, KG Tribuswinkel, zwischen der Oeynhausner Straße u. dem Wr. Neustädter Kanal, KG. Tribuswinkel mit einer höheren Geschwindigkeit als 40 km/h verboten.
Diese Verkehrsmaßnahme ist kundzumachen durch Verkehrszeichen gem. §52 Z. 10a StVO 1960 - 'Geschwindigkeitsbeschränkung' mit der Inschrift '40 km/h' und sowie durch Verkehrszeichen gem. §52 Z. 10b StVO 1960 - 'Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung'. Diese Verkehrsmaßnahme ist kundzumachen durch Verkehrszeichen gem. §52 Ziffer 10 a, StVO 1960 - 'Geschwindigkeitsbeschränkung' mit der Inschrift '40 km/h' und sowie durch Verkehrszeichen gem. §52 Ziffer 10 b, StVO 1960 - 'Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung'.
Gemäß §44 der Straßenverkehrsordnung StVO 1960 i.d.g.F. tritt die oben angeführte Verordnung mit dem Aufstellen der Verkehrszeichen in Kraft.
Der Bürgermeister
..."
Am 10. August 2006 wurde die Verordnung vom Bürgermeister der Stadtgemeinde Traiskirchen aufgehoben.
2. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt (im Folgenden: UVS), ist eine Berufung gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 13. März 2007 anhängig. Der Berufungswerber wurde schuldig erkannt, am 18. Oktober 2004 um
15.45 Uhr im Ortsgebiet von Tribuswinkel auf der Oberwaltersdorfer Straße die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h um 8 km/h überschritten zu haben. Über ihn wurde eine Geldstrafe in Höhe von € 36,- verhängt.
3. Aus Anlass dieses Berufungsverfahrens entstanden beim UVS Zweifel ob der Gesetzmäßigkeit der vorliegenden Verordnung, weshalb er gemäß Art129a Abs3 iVm Art89 Abs2 B-VG den beim Verfassungsgerichtshof zu V72/07 protokollierten Antrag stellte. In seiner Begründung führt der UVS aus, dass keine Erhebungen hinsichtlich der vorliegenden Verordnung durchgeführt worden seien. Die gesetzlichen Interessensvertretungen seien nicht befragt worden und ein verkehrstechnisches Gutachten sei erst im Mai 2005 eingeholt worden. 3. Aus Anlass dieses Berufungsverfahrens entstanden beim UVS Zweifel ob der Gesetzmäßigkeit der vorliegenden Verordnung, weshalb er gemäß Art129a Abs3 in Verbindung mit Art89 Abs2 B-VG den beim Verfassungsgerichtshof zu V72/07 protokollierten Antrag stellte. In seiner Begründung führt der UVS aus, dass keine Erhebungen hinsichtlich der vorliegenden Verordnung durchgeführt worden seien. Die gesetzlichen Interessensvertretungen seien nicht befragt worden und ein verkehrstechnisches Gutachten sei erst im Mai 2005 eingeholt worden.
4. Der Bürgermeister der Stadtgemeinde Traiskirchen legte die Verordnungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der er ausführt, dass die Verordnung erlassen worden sei, um die Sicherheit der dort wohnhaften Bevölkerung zu gewährleisten. Diese habe die Verordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung mehrfach gefordert.
5. Die Niederösterreichische Landesregierung erstattete keine Äußerung.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit erwogen:römisch II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit erwogen:
Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden UVS an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieser Behörde in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 14.464/1996, 15.293/1998, 16.632/2002, 16.925/2003). Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden UVS an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieser Behörde in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS im Anlassfall bildet vergleiche etwa VfSlg. 14.464/1996, 15.293/1998, 16.632/2002, 16.925/2003).
Unter Zugrundelegung des vorliegenden Sachverhalts ist es jedenfalls nicht denkunmöglich, wenn der UVS davon ausgeht, dass er die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Traiskirchen vom 23. April 2003 anzuwenden habe. Art89 Abs3 B-VG normiert ausdrücklich die Antragslegitimation im Hinblick auf bereits außer Kraft getretene Vorschriften, sodass kein Zweifel besteht, dass der UVS befugt ist, beim Verfassungsgerichtshof die Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer bereits außer Kraft getretenen Verordnung zu begehren, sofern sie für seine Entscheidung maßgeblich ist.
Da die Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 Abs1 B-VG und Art129a Abs3 iVm Art89 Abs2 und 3 B-VG zulässig. Da die Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren gemäß Art139 Abs1 B-VG und Art129a Abs3 in Verbindung mit Art89 Abs2 und 3 B-VG zulässig.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache erwogen:römisch III. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache erwogen:
1. §43 Abs1 litb StVO 1960 sieht die Erlassung dauernder oder vorübergehender Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung vor, wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert.
Wie der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg. 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und in zahlreichen nachfolgenden Erkenntnissen wiederholte (vgl. VfSlg. 13.371/1993, 14.051/1995, 15.643/1999, 16.016/2000, 16.805/2003, 17.573/2005), sind bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für die die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen. Der Verfassungsgerichtshof geht sohin in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Verkehrsbeschränkungen oder -verboten durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für welche eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie gegenüber anderen Straßen die Verhängung einer Geschwindigkeitsbeschränkung gebieten. Wie der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg. 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und in zahlreichen nachfolgenden Erkenntnissen wiederholte vergleiche VfSlg. 13.371/1993, 14.051/1995, 15.643/1999, 16.016/2000, 16.805/2003, 17.573/2005), sind bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für die die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen. Der Verfassungsgerichtshof geht sohin in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Verkehrsbeschränkungen oder -verboten durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für welche eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie gegenüber anderen Straßen die Verhängung einer Geschwindigkeitsbeschränkung gebieten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer Verordnung gemäß §43 StVO 1960 die im Einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993, 17.573/2005). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer Verordnung gemäß §43 StVO 1960 die im Einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen vergleiche VfSlg. 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993, 17.573/2005).
Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung "der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse" durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren (vgl. VfSlg. 12.485/1990, 16.805/2003). Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung "der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse" durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren vergleiche VfSlg. 12.485/1990, 16.805/2003).
2. Aus dem Verordnungsakt ist nicht ersichtlich, dass die Erforderlichkeit der angefochtenen Verordnung in einem Ermittlungsverfahren festgestellt wurde.
Das Ermittlungsverfahren dient dem Zweck, eine Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrsverhältnisse sowie eine sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, zu ermöglichen, damit die Behörde auf dieser Grundlage die gemäß §43 StVO 1960 vor Verordnungserlassung gebotene Interessenabwägung zwischen den Interessen an der Verkehrsbeschränkung und dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße vornehmen kann.
Daher kann das versäumte Ermittlungsverfahren nicht nach Verordnungserlassung nachgeholt werden (VfSlg. 15.643/1999, 16.805/2003, 17.573/2005). Das nachträgliche eingeholte verkehrstechnische Gutachten vom 10. Mai 2005 vermag die Gesetzwidrigkeit der Verordnung nicht zu beseitigen, zumal ein Fall, in dem die für die Beschränkung sprechenden Gründe evident waren, hier nicht vorliegt (vgl. bereits VfSlg. 15.643/1999, 16.805/2003, 17.573/2005 sowie jüngst VfGH 5.3.2008, V48/07). Daher kann das versäumte Ermittlungsverfahren nicht nach Verordnungserlassung nachgeholt werden (VfSlg. 15.643/1999, 16.805/2003, 17.573/2005). Das nachträgliche eingeholte verkehrstechnische Gutachten vom 10. Mai 2005 vermag die Gesetzwidrigkeit der Verordnung nicht zu beseitigen, zumal ein Fall, in dem die für die Beschränkung sprechenden Gründe evident waren, hier nicht vorliegt vergleiche bereits VfSlg. 15.643/1999, 16.805/2003, 17.573/2005 sowie jüngst VfGH 5.3.2008, V48/07).
4. Da die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Traiskirchen vom 23. April 2003 nicht mehr in Kraft steht, hat sich der Verfassungsgerichtshof auf den Ausspruch zu beschränken, dass die Verordnung gesetzwidrig war.
Die Verpflichtung zur Kundmachung dieser Feststellung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung, VerordnungserlassungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2008:V72.2007Zuletzt aktualisiert am
18.08.2010