TE Vfgh Erkenntnis 2003/11/24 B1701/02

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Veröffentlicht am 24.11.2003
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
EMRK Art8
AsylG 1997 §2
AsylG 1997 §10, §11
AsylG 1997 §16
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG 1997 §93

Leitsatz

Bescheidqualität eines Schreibens der Österreichischen Botschaft in Kiew betreffend Nichterteilung von Einreisevisa wegen Unwahrscheinlichkeit einer Asylgewährung; Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander infolge grober Missachtung der Verfahrensvorschriften für österreichische Vertretungsbehörden im Ausland

Spruch

Die Beschwerdeführerinnen sind durch den angefochtenen Bescheid in dem durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit 1962 €

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine ukrainische Staatsangehörige, ist die Ehegattin, die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen sind die Töchter eines afghanischen Staatsangehörigen, dem mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. März 2001 in Österreich Asyl gewährt wurde. Mit dem bei der Österreichischen Botschaft in Kiew eingebrachten Antrag vom 13. November 2001 begehrten die Beschwerdeführerinnen die Erstreckung des ihrem Ehegatten bzw. Vater gewährten Asyls sowie die Erteilung eines Einreisevisums nach §16 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG).

Mit Note vom 10. Dezember 2001 übermittelte die Österreichische Botschaft in Kiew diesen Antrag dem Bundesasylamt, welches mit Schreiben vom 23. Mai 2002 der Österreichischen Botschaft in Kiew Folgendes erwiderte:

"Der Gatte der Antragstellerin führte in seinem Verfahren aus, dass er von 1982 bis 1989 in Kiew rechtmäßig aufhältig gewesen sei. Er wäre seiner damaligen Meldeverpflichtung nachgekommen und in Besitz eines gültigen afghanischen Reisepasses mit russischen Visum gewesen. Sein Aufenthalt hätte zum Zweck des Studiums für Bauwesen gedient, welches er im Jahre 1989 beendet hätte. Im Jahre 1988 ehelichte er die Antragstellerin und wäre er mit seiner Gattin in seine Heimat Afghanistan zurückgekehrt. Das Ehepaar hätte gemeinsam in Afghanistan gelebt, bis es sich aufgrund der Kriegswirren im Jahre 1996 trennen hätte müssen. Die [Antragstellerin] sei folglich in die Ukraine zurückgekehrt und Herr M auch R A wäre in Afghanistan verblieben, bis er im August 2000 die Flucht angetreten hätte.

Das Bundesasylamt Außenstelle Wien erlaubt sich daher höflichst, aufgrund der Relevanz im hier amtlich durchgeführten Asylverfahren und allenfalls unter Einschaltung des do.

Vertrauensanwaltes, Erhebungen zu nachfolgenden Fragen zu pflegen:

1) Besteht für Herrn M auch R A (...), afghanischer StA., die Möglichkeit in der Ukraine ein dauerndes Aufenthaltsrecht bei seiner Gattin und seinen beiden Kindern zu erlangen?

2) Wenn ja, welche Voraussetzungen müssen für die Erlangung der Aufenthaltsberechtigung erfüllt werden?"

Die Österreichische Botschaft in Kiew ersuchte darauf hin mit Note vom 27. Mai 2002 das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten der Ukraine nach kurzer (anonymisierter) Darstellung des Falles um Beantwortung der Frage, ob für den Ehemann der Erstbeschwerdeführerin als afghanischen Staatsangehörigen die Möglichkeit bestehe, bei seiner Familie in der Ukraine ein dauerndes Aufenthaltsrecht zu erlangen und wenn ja, welche Voraussetzungen für die Erlangung der Aufenthaltsberechtigung erfüllt werden müssten. Die Konsularabteilung des ukrainischen Außenministeriums teilte dazu mit (es folgt eine im Verwaltungsakt befindliche "Arbeitsübersetzung"):

"Die Gewährung der Einwanderungsbewilligung und die Ausstellung des Ausweises für den ständigen Wohnsitz in der Ukraine (Niederlassungsbewilligung) werden durch das Gesetz der Ukraine 'Über die Einwanderung' v. 7.6.2001, das Gesetz der Ukraine 'Über den Rechtsstatus der Ausländer' v. 4.2.1994 sowie durch andere ukrainische Gesetzgebungsdokumente geregelt.

So wird im Sinne des Art9 des Gesetzes der Ukraine 'Über die Einwanderung' die Einwanderungsbewilligung von den Personen, die ihren ständigen Wohnsitz außerhalb der Ukraine haben, bei den diplomatischen und konsularischen Vertretungsbehörden der Ukraine im Ausland (dort, wo die betreffende Person ihren ständigen Wohnsitz hat) beantragt.

In der gleichen Zeit wird im Sinne des Art11 des o.g. Gesetzes der Person, die ihren ständigen Wohnsitz außerhalb der Ukraine hat und eine Einwanderungsbewilligung erhalten hat, auf Ansuchen dieser von einer diplomatischen bzw. konsularischen Vertretungsbehörde der Ukraine im Ausland ein sog. 'Immigrationsvisum' ausgestellt, das ab dem Tage der Ausstellung 1 Jahr lang gültig ist. Die Einreise dieser Person in das ukrainische Gebiet erfolgt dann gemäß den in der ukrainischen Gesetzgebung festgelegten Bestimmungen. Nach der erfolgten Einreise des Einwanderers in die Ukraine hat sich dieser innerhalb von 5 Werktagen bei einer für ihn territorial zuständigen Abteilung des speziellen bevollmächtigten zentralen Einwanderungsamtes zu melden und einen Ausweis für den ständigen Wohnsitz zu beantragen. Dem Antrag müssen eine Kopie des Reisepasses bzw. -dokumentes des Antragstellers mit seinem 'Immigrationsvisum' sowie eine Kopie des Bescheides über die Einwanderungsbewilligung beiliegen."

Im Wege elektronischer Datenübertragung leitete die Botschaft diese Auskunft sowie die Texte relevanter ukrainischer Gesetze in englischer Übersetzung weiter an das Bundesasylamt und teilte mit, dass es für den Ehegatten bzw. Vater der Beschwerdeführerinnen "sehr wohl möglich [sei], eine Aufenthaltserlaubnis für die Ukraine zu erhalten, um mit seiner Familie zusammen zu leben." Mit Schreiben vom 22. Juli 2002 teilte das Bundesasylamt der Österreichischen Botschaft in Kiew mit, dass im Hinblick auf den Antrag der Beschwerdeführerinnen vom 10. Dezember 2001 eine Asylgewährung unwahrscheinlich sei.

Mit Antrag vom 7. Oktober 2002 begehrten die Beschwerdeführerinnen durch einen bevollmächtigten Vertreter erneut Asyl durch Erstreckung sowie einen Einreisesichtvermerk nach §16 AsylG und führten ferner dazu aus:

"Mein Gatte bzw Vater, Herr M A, [...] lebt in Österreich. Ihm wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates Asyl in Österreich gewährt.

Ein Zusammenleben mit meinem Gatte[n] bzw Vater in der Ukraine ist unzumutbar. Zwar könnte er einen Sichtvermerk bekommen, einen Zugang zum Arbeitsmarkt, sozialer Unterstützung und dem Gesundheitssystem ist ihm nicht möglich. Uns selbst geht es gesundheitlich und wirtschaftlich sehr schlecht. Mein Vater bzw Großvater ist verstorben, meine Mutter bzw Großmutter ist schwer erkrankt (Invalide) - siehe Beilagen. Ich, die Erstantragstellerin, bin leider beschäftigungslos und habe, wie aus der beiliegenden Bestätigung hervorgeht, keinen Zugang zur Sozialhilfe. Wir die Zweit- und Drittantragstellerinnen sind krank, siehe Beilage, und können [uns] aufgrund unserer katastrophalen wirtschaftlichen Lage nicht behandeln lassen. Es gibt kein funktionierendes Gesundheitssystem. Uns ist daher ein Verbleib in der Ukraine unzumutbar."

Im Wege elektronischer Datenübertragung teilte die Österreichische Botschaft in Kiew dem Vertreter der Beschwerdeführerinnen am 8. Oktober 2002 mit, dass auf Grund der derzeitigen Aktenlage eine Visa-Erteilung nicht möglich sei, da gemäß dem beigelegten Schreiben des Bundesasylamtes eine Asylgewährung unwahrscheinlich sei; die Eingabe werde an das Bundesasylamt weitergeleitet. Am selben Tag leitete die Botschaft den Antrag vom 7. Oktober 2002 dem Bundesasylamt weiter, welches mit Schreiben vom 9. Oktober 2002 neuerlich erklärte, dass eine Asylgewährung unwahrscheinlich sei. Mit E-mail vom 10. Oktober 2002 legte der Vertreter der Beschwerdeführerinnen nochmals die im Wesentlichen dem Antrag vom 7. Oktober 2002 entsprechenden Gründe dar, die gegen eine Familienzusammenführung in der Ukraine sprächen. Mit dem per E-mail übermittelten Schreiben vom 14. Oktober 2002 teilte die Österreichische Botschaft in Kiew dem Vertreter der Beschwerdeführerinnen Folgendes mit:

"J V, geb. [...] ukr. StA. und Kinder;

Asylerstreckungsantrag - Sichtvermerkserteilung

Sehr geehrter Herr Mag. Ö !

Die Botschaft bedauert mitteilen zu müssen, dass das Bundesasylamt mit Schreiben vom 9.10.2002 neuerlich darauf hingewiesen hat, dass eine Asylgewährung an Obgenannte unwahrscheinlich ist.

Es wird daher um Verständnis gebeten, dass die Botschaft daher ohne Zustimmung des Bundesasylamtes keine Visa erteilen kann.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Für die Botschaft:

G F m.p.

Botschaftsrat und Konsul"

2. Gegen dieses - von den Beschwerdeführerinnen als Bescheid gewertete - Schreiben der Botschaft vom 14. Oktober 2002 richtet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Beschwerdeführerinnen die Verletzung in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art8 EMRK, auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander und - "in eventu" - die Verletzung in ihren Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Bestimmung geltend machen und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehren.

Dazu wird im Wesentlichen vorgebracht:

"A) Zum Vorliegen eines Bescheides

Hiezu wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu B966/93, B1089/93 vom 11.03.1994 verwiesen. Der Verfassungsgerichtshof hat in einem ähnlich gelagerten Fall die Erledigung einer österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland über einen Antrag auf Ausstellung eines Sichtvermerks als Bescheid qualifiziert. Mutatis mutandis ist daher auch hier vom Vorliegen eines Bescheides auszugehen.

B) Zur Verletzung in verfassungsmäßig gewährleisteten Rechten

a) Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(Art8 EMRK)

Der Ehegatte bzw. Vater der BF hat in Österreich Asyl erhalten, ihm wurde also die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Mit der Asylgewährung erhielt er freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt, also die Möglichkeit, in Österreich (zumindest vorübergehend, bis zum Wegfall seiner Fluchtgründe) eine neue Existenz zu gründen.

Gem. §14 Abs1 Z3 AsylG ist Asyl von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Fremden den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen in einem anderen Staat haben.

Die Frage, ob der Ehegatte bzw. Vater der BF zu seinen engsten Familienangehörigen in die Ukraine ausreisen sollte, war für diesen also zweifellos eine existenzielle in dem Sinn, als er sein eigenes Recht auf Privat- und Familien(!)leben (aber auch jenes seiner angesprochenen Angehörigen, der BF) nur durch den Verzicht auf eine eben gewonnene, sogut wie alle Lebensbereiche erfassende Existenz in privater, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht hätte erlangen können.

Vor diesem Hintergrund, der aber der österreichischen Vertretungsbehörde in Kiew bekannt war (vgl. vorgelegte Beilagen) war aber auch, klar, dass die von der österreichischen Vertretungsbehörde in Kiew zu treffende Entscheidung selbst zentral in das verfassungsmäßig gewährleistete Recht der BF auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens eingriff oder dieses zumindest doch entscheidend mit beeinflusste. Deshalb wäre die österreichische Vertretungsbehörde in Kiew aber zumindest gehalten gewesen, in ihre Entscheidung Erwägungen im Lichte des Art8 EMRK auch miteinfließen zu lassen.

Dies hat die österreichische Vertretungsbehörde in Kiew gänzlich unterlassen. Sie hat ihre Entscheidung lediglich mit dem Hinweis begründet, dass das Bundesasylamt (mit 2 Schreiben) darauf hingewiesen hätte, 'dass eine Asylgewährung' an die BF 'unwahrscheinlich' wäre.

Dadurch, dass die belangte Behörde die in diesem Fall überdeutlich zu Tage getretenen Implikationen betreffend Art8 EMRK (also ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht der BF) völlig unberücksichtigt gelassen hat, hat sie die BF aber in eben diesem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht verletzt.

b) Zum Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander

Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Judikatur den Grundsatz entwickelt, dass Fremde in ihrem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung untereinander unter anderem dann verletzt werden, wenn ein sie betreffender Bescheid am Mangel der sogenannten Willkür leidet. Unter 'Willkür' versteht die Verfassungsrechtssprechung unter anderem auch die völlige Außerachtlassung von zentralen Verfahrensgrundsätzen einerseits bzw. die (krasse) Verkennung der Rechtslage und (gehäufte) Verstöße gegen Verfahrensvorschriften andererseits.

Solches ist der belangten Behörde aber vorzuwerfen:

Die belangte Behörde hat nämlich die Rechtslage völlig verkannt:

[...] Die belangte Behörde hat diese Rechtsvorschrift unzulässigerweise dahingehend interpretiert, dass ihr die Ausstellung eines Visums an die BF zur Einreise nur und ausschließlich dann gestattet gewesen wäre, wenn das Bundesasylamt mitgeteilt hätte, dass die Asylgewährung wahrscheinlich ist (bzw. wenn das Bundesasylamt die Mitteilung, die Asylgewährung wäre unwahrscheinlich, unterlassen hätte).

Derartiges ist §16 Abs3 AsylG aber nicht zu entnehmen.

Gem. §93 Abs2 FrG hatte die belangte Behörde ihre Entscheidung schriftlich auszufertigen und hiebei 'aus der getroffenen Entscheidung die maßgeblichen Gesetzesbestimmungen anzuführen; einer weiteren Begründung bedarf es nicht'

Die belangte Behörde hat nicht einmal die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen angeführt. Sie hat darüber hinaus, und dies wird aus dem durch die Beilagen nachgewiesenen Gang des Verfahrens deutlich, nicht einmal die einschlägigen Gesetzesbestimmungen angewandt. Wenn und solange nämlich das Bundesasylamt eine Mitteilung gem. §16 Abs3 unterlässt (oder auch mitteilt, eine Asylgewährung wäre unwahrscheinlich), lag und liegt doch nichts desto weniger ein Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels im Sinne der §§6, 10 u.a. FrG vor. Die belangte Behörde hat die in diesen Bestimmungen enthaltenen Kriterien ganz offensichtlich nicht einmal in Betracht gezogen, geschweige denn geprüft, sie hat sie auch in der angefochtenen Entscheidung nicht einmal indirekt angesprochen.

Letztlich ist der belangten Behörde auch vorzuhalten, die Bestimmung des §16 Abs3 AsylG denkunmöglich ausgelegt zu haben. Diese Bestimmung normiert, dass die Vertretungsbehörde unter einer bestimmten Voraussetzung (wenn das Bundesasylamt mitgeteilt hat, dass die Asylgewährung wahrscheinlich ist) ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen hat. Sie normiert keinesfalls, dass im umgekehrten Fall (wenn das Bundesasylamt mitgeteilt hat, dass die Asylgewährung unwahrscheinlich ist) die Vertretungsbehörde ein Visum zur Einreise nicht erteilen darf.

Genau davon ist die belangte Behörde aber offenkundig ausgegangen und hat die BF deshalb auch im oben angeführten verfassungsmäßig gewährleisteten Recht durch denkunmögliche Anwendung des §16 Abs3 AsylG verletzt.

c) Zur Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes

Dieser Beschwerdepunkt wird nur hilfsweise für den Fall ausgeführt, dass der Verfassungsgerichtshof zum Schluss kommen sollte, §16 Abs3 wäre in eben jener Form auszulegen, wie dies die belangte Behörde offenkundig getan hat (quasi e contrario).

Für diesen Fall wäre diese Bestimmung verfassungswidrig.

Die Einreisebewilligung gem. §16 AsylG (zu verstehen als lex specialis zu §§6,10 u.a. FrG) wurde geschaffen, um über sogenannte Botschafts-Anträge auf Gewährung von Asyl (aber auch: auf Erstreckung von Asyl) ein zweistufiges Verfahren zu schaffen. Die Vertretungsbehörden Österreichs im Ausland sollten im Zusammenwirken mit den österreichischen Asylbehörden zunächst nur über die Einreisegewährung entscheiden, 'ohne zugleich - in Hinblick auf das relativ formalisierte Verfahren vor der österreichischen Vertretungsbehörde - durch eine negative Asylentscheidung res judicata zu bewirken und den Asylwerber für immer von einem ordentlichen Asylverfahren auszuschließen' (vgl. EB zur RV zu §16 AsylG, zitiert nach: Muzak/Taucher/Aigner/Lobner, Fremdenrechtskommentar).

Wird aber ein Sichtvermerk nicht erteilt, ist der betreffende Asylantrag als gegenstandslos abzulegen (aaO.; vgl. auch §31 AsylG).

Wie schon oben dargelegt, ist einem in Österreich anerkannten Flüchtling die Ausreise aus Österreich nicht ohne weiters zumutbar, sie kann (und wird in vielen Fällen) diesen anerkannten Flüchtling existenziell gefährden und würde bei Verlagerung des Lebensmittelpunktes in ein anderes Land zum Asylverlust führen.

Das bedeutet aber, dass die Einreisegewährung gem. §16 AsylG die oft einzige Möglichkeit für engste Angehörige eines Flüchtlings ist, das durch die Flucht unterbrochene Familienleben wieder fortsetzen zu können. Dies haben die BF auch im vorliegenden Fall vorgebracht und belegt.

Damit gerät aber die Einreiseentscheidung gem. §16 Abs3 AsylG selbst in engsten Zusammenhang mit Art8 EMRK. Mit anderen Worten: Durch eine Entscheidung im Sinn des §16 Abs3 leg cit kann und wird ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht - hier: Art8 EMRK - regelmäßig berührt, unter Umständen sogar verletzt werden.

§93 Abs2 FrG sieht aber für Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden nur ganz rudimentäre Kriterien vor. Entscheidungen sind schriftlich auszufertigen, außer der getroffenen Entscheidung sind die maßgeblichen Gesetzesbestimmungen anzuführen, einer weiteren Begründung bedarf es jedoch nicht.

Damit hätte der Gesetzgeber mit §16 Abs3 AsylG 1997 ein Verfahren geschaffen, in dem über ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht (hier: Art8 EMRK)

-

ohne Recht auf Wahrung des Parteiengehörs

-

ohne Recht auf Akteneinsicht

-

ohne Recht auf Bescheidbegründung und

-

ohne Recht auf die Anwendung weiterer Grundsätze des AVG

zu entscheiden wäre. Mag dies für 'gewöhnliche' Sichtvermerksanträge akzeptabel sein, scheint es doch in Verfahren, in welchen regelmäßig Menschenrechte mitberührt, ja womöglich verletzt werden, systemwidrig und verfassungswidrig. Ein solches Verfahren widerspräche nämlich der Notwendigkeit einer mühsamen Beschwerdemöglichkeit iSd Art13 EMRK.

Dies gälte umso mehr, weil in dieser Lesart (siehe oben:

Entscheidung sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht in jedem Falle von Stellungnahme des Bundesasylamts unmittelbar abhängig) der Antragsteller nicht einmal die Chance erhielte, sein unter Umständen menschenrechts-relevantes Vorbringen direkt bei jener Stelle einzubringen und zu argumentieren, die letztlich über die Einreise zu entscheiden hätte, nämlich dem Bundesasylamt!

Die hier angestellten Überlegungen könnten freilich auch die Schlussfolgerung begründen, dass §16 Abs3 verfassungskonform eben so auszulegen ist, dass die österreichischen Vertretungsbehörden im Sinn des §16 Abs3 AsylG an eine Stellungnahme des Bundesasylamts nur nach einer Richtung hin (Mitteilung, dass ... wahrscheinlich) gebunden sind. Diese Überlegungen mögen daher hilfsweise auch als Stütze der Argumentation verstanden werden, dass der belangten Behörde eine denkunmögliche Gesetzesanwendung vorzuwerfen ist."

3. Die Österreichische Botschaft in Kiew legte als belangte Behörde die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der sie Folgendes ausführt:

"Über die Gewährung von Sichtvermerken wird nicht bescheidmäßig entschieden und das E-Mail meines Amtsvorgängers vom 14.02.2002 war nur als Informationsschreiben außerhalb des ordentlichen und schon abgeschlossenen Verfahrens anzusehen und kann demgemäß unseres Erachtens keine Bescheidqualität haben.

Es ist dem Beschwerdeführer unbenommen jederzeit nochmals einen Sichtvermerksantrag zu stellen, der dann einer neuerlichen ordentlichen Prüfung unterzogen wird. Was insbesondere dann als erfolgsversprechend erscheint, sollte sich inzwischen wesentliche Änderungen der Sachlage ergeben haben.

Die ho. Botschaft ist dementsprechend der Meinung, dass die Beschwerde in Ermangelung der Bescheidqualität des zitierten ha. Schreibens mangels in eventu mangels Beschwerde des Beschwerdeführers, zurück- bzw. abzuweisen ist."

II. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des §16 sowie der §§10 f. AsylG 1997, BGBl. I 76/1997, lauten in der Stammfassung folgendermaßen:

"Einreisetitel

§16. (1) Asyl- und Asylerstreckungsanträge, die bei einer österreichischen Berufsvertretungsbehörde einlangen, in deren Amtsbereich sich die Antragsteller aufhalten, gelten außerdem als Anträge auf Erteilung eines Einreisetitels.

(2) Werden solche Anträge gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, daß die Fremden ein in einer ihnen verständlichen Sprache gehaltenes Antrags- und Befragungsformular ausfüllen; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge so festzulegen, daß dessen Ausfüllen der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde den Inhalt der ihr vorgelegten Urkunden aktenkundig zu machen. Der Asylantrag ist unverzüglich dem Bundesasylamt zuzuleiten.

(3) Die Vertretungsbehörde hat dem Antragsteller oder der Antragstellerin ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen, wenn ihr das Bundesasylamt mitgeteilt hat, daß die Asylgewährung wahrscheinlich ist.

Asylerstreckungsantrag

§10. (1) Fremde begehren mit einem Asylerstreckungsantrag die Erstreckung des einem Angehörigen auf Grund eines Asylantrages oder von Amts wegen gewährten Asyl.

(2) Asylerstreckungsanträge können frühestens zur selben Zeit wie der der Sache nach damit verbundene Asylantrag eingebracht werden. Sie sind nur für Eltern eines Minderjährigen oder für Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder zulässig; für Ehegatten überdies nur dann, wenn die Ehe spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreise des Fremden geschlossen wird, der den Asylantrag eingebracht hat.

Asylerstreckung

§11. (1) Die Behörde hat auf Grund eines zulässigen Antrages durch Erstreckung Asyl zu gewähren, wenn dem Asylwerber die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten EMRK, BGBl. Nr. 210/1958, mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

(2) Fremde, die einen Asylerstreckungsantrag eingebracht haben, können im Verfahren über den Asylantrag ihres Angehörigen aus eigenem alles vorbringen, was ihnen für dieses Verfahren maßgeblich erscheint. Wird der Asylantrag als unzulässig zurückgewiesen oder als offensichtlich unbegründet abgewiesen, so gelten die der Sache nach damit verbundenen Asylerstreckungsanträge, sofern der Betroffene nach Belehrung über die Folgen nicht ausdrücklich darauf verzichtet, als Asylanträge. Die Behörde hat über diese Anträge unverzüglich zu entscheiden; im Falle eines Verzichtes sind Asylanträge dieser Fremden innerhalb von 30 Tagen nach Eintritt der Rechtskraft der die Asylerstreckungsanträge abweisenden Entscheidung unzulässig.

(3) Bringen Fremde einen Asylerstreckungsantrag während eines bereits anhängigen Verfahrens gemäß §7 ein, ist mit der Erledigung dieses Antrages zuzuwarten, bis die Entscheidung über ihren Asylantrag ergangen ist. Asyl durch Erstreckung darf ihnen erst gewährt werden, wenn ihr Asylantrag rechtskräftig zurückgewiesen oder abgewiesen wurde.

(4) Bescheide, mit denen Angehörigen durch Erstreckung Asyl gewährt wurde, treten außer Kraft und Asylerstreckungsanträge werden gegenstandslos, wenn den Angehörigen gemäß §7 Asyl gewährt wird."

Die Bestimmungen der §§93 und 94 Abs2 Fremdengesetz 1997 lauten in der Fassung BGBl. I 75/1997 (der zweite Absatz des §94 ist von den Änderungen durch die Novellen BGBl. I 142/2001 und BGBl. I 126/2002 nicht betroffen) wie folgt:

"Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden

§93. (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes zweckdienlichen Urkunden und sonstige Beweismittel selbst vorzulegen; die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

(2) Über schriftlichen oder niederschriftlichen Antrag der Partei ist die Entscheidung gemäß Abs1 auch schriftlich auszufertigen; hiebei sind außer der getroffenen Entscheidung die maßgeblichen Gesetzesbestimmungen anzuführen; einer weiteren Begründung bedarf es nicht.

(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Behörde oder auf postalischem Wege zu erfolgen.

(4) Ergeht die Entscheidung in der Sache nicht binnen sechs Monaten nach Einbringung des Antrages, in den Fällen des Abs2 die schriftliche Ausfertigung nicht binnen zwei Monaten nach Einbringung des Antrages gemäß Abs2, so geht die Zuständigkeit zur Entscheidung oder Ausfertigung auf schriftlichen Antrag auf den Bundesminister für Inneres über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei ihm einzubringen. Er hat für die Entscheidung oder Ausfertigung die Abs1 bis 3 und 5 anzuwenden. Der Antrag ist jedoch abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Vertretungsbehörde zurückzuführen ist.

(5) Kann dem Antrag auf Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels auf Grund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht stattgegeben werden, so ist die Vertretungsbehörde, in den Fällen des Abs4 der Bundesminister für Inneres ermächtigt, sich auf den Hinweis des Vorliegens zwingender Sichtvermerksversagungsgründe zu beschränken. Der maßgebliche Sachverhalt muß auch in diesen Fällen im Akt nachvollziehbar sein.

Instanzenzug

§94.

(2) Gegen die Versagung oder die Ungültigerklärung von Visa ist eine Berufung nicht zulässig."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit:

a) Nach §16 Abs1 AsylG gelten Asyl- und Asylerstreckungsanträge, die bei einer österreichischen "Berufsvertretungsbehörde", in deren Amtsbereich sich die Antragsteller aufhalten, einlangen, außerdem als Anträge auf Erteilung eines Einreisetitels. Die Vertretungsbehörde hat die Anträge gem. §16 Abs2 letzter Satz AsylG dem Bundesasylamt unverzüglich zuzuleiten und nach Abs3 den Antragstellern "ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen, wenn ihr das Bundesasylamt mitgeteilt hat, dass die Asylgewährung wahrscheinlich ist". Wenngleich das AsylG keine ausdrückliche Anordnung trifft, ist davon auszugehen, dass auch für die Erteilung eines Einreisevisums gem. §16 AsylG die vom AVG abweichenden Bestimmungen über das Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden nach §93 Fremdengesetz 1997 (in der Folge: FrG) zur Anwendung kommen (vgl. die RV 686 BlgNR XX. GP zu §31, die von "einem besonderen Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden" spricht; ferner auch Feßl/Holzschuster, AsylG, zu §16, S. 270; Rohrböck, AsylG [1999] Rz 501; Schmid/Frank, Asylrecht [2001] 242).

Nach §93 Abs1 FrG darf in Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte. Die Entscheidung ist gemäß §93 Abs2 FrG über schriftlichen oder niederschriftlichen Antrag der Partei auch schriftlich auszufertigen, wobei außer der getroffenen Entscheidung die maßgeblichen Gesetzesbestimmungen anzuführen sind und es einer weiteren Begründung nicht bedarf. Nach der Rechtsprechung beider Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zur Vorläuferbestimmung des §93 FrG, nämlich §69 Fremdengesetz 1993 (BGBl. I 838/1992), sind Entscheidungen der Vertretungsbehörden nach dem FrG als Bescheide zu qualifizieren (vgl. VfSlg. 13.723/1994 sowie VwGH 30.5.2001, 97/21/0102; 28.10.1993, 93/18/0331).

b) Die Beschwerdeführerinnen hatten mit ihrem Schriftsatz vom 7. Oktober 2002 Asylerstreckung und die Erteilung von Einreisevisa beantragt. Dieser Antrag wurde an das Bundesasylamt weitergeleitet; nach dessen Mitteilung der Unwahrscheinlichkeit einer Asylgewährung tat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Schreiben vom 14. Oktober 2002 gegenüber den Beschwerdeführerinnen unter Hinweis auf diese Mitteilung dar, dass die Einreisevisa nicht erteilt werden könnten. Damit hat die belangte Behörde diese Verwaltungssache - in einer für die Beschwerdeführerinnen negativen Weise - abgeschlossen. Das von der belangten Behörde als bloßes Informationsschreiben bezeichnete Schreiben vom 14. Oktober 2002 ist daher als Bescheid zu werten (zu sehr ähnlich lautenden Schreiben von Botschaften vgl. VfSlg. 13.723/1994 sowie VwGH 30.5.2001, 97/21/0102). Der Bescheid wurde - entgegen §93 Abs3 letzter Satz FrG - im Wege elektronischer Datenverarbeitung zugestellt. Dennoch ist die Zustellung wirksam geworden (vgl. VwSlg. 13.760 A/1992).

Da sohin ein tauglicher Anfechtungsgegenstand iSd. Art144 Abs1 B-VG vorliegt, der Instanzenzug gem. §94 Abs2 FrG erschöpft ist, und auch die weiteren Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, ist die Beschwerde zulässig.

2. In der Sache selbst:

a) Die Beschwerdeführerinnen erheben die Bedenken, dass §16 Abs3 AsylG und §93 Abs2 FrG verfassungswidrig seien, da nach diesen Bestimmungen in einem rechtsstaatlich unzureichenden Verfahren über das Grundrecht nach Art8 EMRK abgesprochen werde.

Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen wird in einem Verfahren nach §16 AsylG bloß über die Erteilung eines Visums, nicht aber über den Asylerstreckungsantrag abgesprochen. Richtig ist zwar, dass die Ablehnung der Erteilung eines Visums gemäß §31 AsylG zur Folge hat, dass ein Asylerstreckungsantrag zunächst als gegenstandslos abzulegen ist; damit wird aber nicht über einen Asylerstreckungsantrag rechtskräftig abgesprochen. Der Stellung eines neuen Asylerstreckungsantrages direkt bei der Asylbehörde (postalisch oder durch einen Vertreter im Inland) steht die Erledigung, der keine res iudicata-Wirkung zukommt (vgl. RV 686 BlgNR XX. GP zu §16) ebensowenig entgegen, wie der Umstand, dass die Beschwerdeführerinnen sich im Ausland befinden. §2 AsylG lautet zwar:

"Fremde, die sich im Bundesgebiet aufhalten, erlangen nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes Asyl und die Feststellung, daß sie damit kraft Gesetzes Flüchtlinge sind."

Daraus leitet der Unabhängige Bundesasylsenat ab, dass Asylwerber sich bei Gewährung des Asyls im Inland aufhalten müssen (vgl. UBAS 7.9.1999, 209.580/1-II/04/99). Das Erfordernis des Aufenthaltes im Inland kann sich aber schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht auf die im Ausland befindlichen Angehörigen eines Asylberechtigten beziehen, da diese bei Abweisung eines Antrages nach §16 AsylG nie in die Lage kämen, dass über ihren Asylerstreckungsantrag nicht bloß nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen, sondern in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren, in dem sie alle Argumente, auch jene, die sie aus Art8 EMRK ableiten, vortragen können, in rechtsstaatlich einwandfreier Weise entschieden wird. Bei Antragstellung bei der österreichischen Vertretungsbehörde (§16 AsylG) oder an einer Grenzübergangsstelle (§17 AsylG) käme es immer wieder bloß zu einer Wahrscheinlichkeitsprüfung. Sie wären daher gezwungen, illegal nach Österreich einzureisen, bloß um eine Erledigung ihres Antrages in einem nicht bloß auf Wahrscheinlichkeitsprognosen beruhenden Verfahren, zu erreichen. Eine solche Auslegung wäre aber jedenfalls bei nachziehenden Angehörigen grob unsachlich.

Zu den Bedenken hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit des §93 Abs2 FrG ist auf das Erkenntnis VfSlg. 13.723/1994 hinzuweisen, das die Verfassungsgemäßheit der Vorgängerbestimmung, nämlich des §69 Abs2 FrG in der Fassung des BGBl. 838/1992, die gleich lautete wie '93 Abs2 FrG 1997, bestätigte. Aus der Sicht des vorliegenden Falles bestehen somit keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §16 Abs3 AsylG oder §93 Abs3 FrG.

b) Die vorliegende Beschwerde ist jedoch aus anderen Gründen gerechtfertigt:

In ständiger Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof den Standpunkt eingenommen, dass ein Bescheid das nur österreichischen Staatsbürgern verfassungsgesetzlich gewährleistete Gleichheitsrecht insbesondere dann verletzt, wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides Willkür übt. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre reicht, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere iVm einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 8808/1980, 11.718/1988). Das Gleiche gilt nach der Judikatur des Gerichtshofes im Hinblick auf den Schutzumfang des durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander für dieses Fremden zustehende Recht (vgl. VfSlg. 14.650/1996 mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

Solche in die Verfassungssphäre reichende Fehler, worunter auch gravierende Verfahrensmängel fallen, sind der belangten Behörde im vorliegenden Beschwerdefall anzulasten:

§93 FrG sieht für österreichische Vertretungsbehörden im Ausland besondere Verfahrensvorschriften vor. Nur dann, wenn wenigstens diese Minimalanforderungen eingehalten werden, entspricht das Verfahren den Voraussetzungen, die die Bundesverfassung aus rechtsstaatlicher Sicht postuliert (vgl. VfSlg. 13.723/1994). Wie der Verfassungsgerichtshof im Erk. VfSlg. 12.184/1989 erkannt hat, widerspricht die Erlassung begründungsloser belastender Bescheide dem Rechtsstaatsprinzip, da der Bescheidadressat nicht in Kenntnis der eine Entscheidung tragenden Erwägungen gelangen kann und ohne eine solche Kenntnis der verfassungsgerichtliche und verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz gegenüber dem belastenden Akt entscheidend beeinträchtigt wird. §93 Abs2 zweiter Halbsatz FrG normiert zwar, dass es einer näheren Begründung nicht bedarf, jedoch die für die Entscheidung maßgeblichen Gesetzesbestimmungen anzuführen sind, woraus sich die für die Ablehnung der Sichtvermerksanträge entscheidenden Gründe ableiten lassen. Daraus schloss der Verfassungsgerichtshof im Erk. VfSlg. 13.723/1994, dass es für den Rechtsschutz "gerade noch" hinreiche, wenn in der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen angeführt werden und der maßgebliche Sachverhalt im Akt nachvollziehbar ist.

Im vorliegenden Beschwerdefall hat die Behörde die Verfahrensvorschriften schon allein deshalb grob missachtet, weil sie nicht einmal die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen angegeben und somit den rechtsstaatlichen Mindeststandard verletzt hat. Die belangte Behörde hat damit die Beschwerdeführerinnen in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt. Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.

IV. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; vom antragsgemäß zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 327 € auf die Umsatzsteuer.

V. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Auslegung verfassungskonforme, Bescheidbegriff, Bescheidbegründung, Fremdenrecht, Privat- und Familienleben, Rechtsstaatsprinzip, Verwaltungsverfahren, Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B1701.2002

Dokumentnummer

JFT_09968876_02B01701_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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