TE Vwgh Erkenntnis 2008/12/16 2007/18/0794

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Veröffentlicht am 16.12.2008
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
22/01 Jurisdiktionsnorm;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Melderecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §1;
AVG §3 Z3;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2;
FrPolG 2005 §6 Abs1;
FrPolG 2005 §6 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
JN §66 Abs1;
MeldeG 1991 §1 Abs6;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des I A in W, geboren am 10. März 1978, vertreten durch Dr. Georg Uitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Doblhoffgasse 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 6. September 2007, Zl. E1/296.548/2007, betreffend Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 6. September 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer lebe jedenfalls seit 1992 ständig im Bundesgebiet. Er habe von der Bundespolizeidirektion Wien einen von seinem Vater abgeleiteten, vom 11. August 1992 bis zum 21. Jänner 1993 gültigen und später mehrfach verlängerten Sichtvermerk erhalten. Am 4. November 2004 sei ihm ein unbefristet gültiger "Niederlassungsausweis" ausgestellt worden.

Bereits im jugendlichen Alter (von fünfzehn Jahren) sei der Beschwerdeführer am 5. November 1993 wegen des Verdachtes der Entwendung bei der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof angezeigt worden. Das diesbezügliche Verfahren sei am 18. Jänner 1994 gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 JGG erledigt worden. Ein weiteres gegen den Beschwerdeführer eingeleitetes gerichtliches Verfahren wegen des Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung sei im Weg der Diversion erledigt worden. Mit Strafverfügung des Polizeikommissariates Favoriten vom 2. Dezember 2003 sei er u. a. wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges im "minderalkoholisierten" Zustand rechtskräftig bestraft worden. Am 11. April 2005 habe er ein Kraftfahrzug im alkoholisierten Zustand gelenkt. Er sei deshalb von der Bundespolizeidirektion Wien am 14. Oktober 2005 gemäß § 99 Abs. 1 lit. a StVO rechtskräftig bestraft worden. Er weise zwei weitere rechtskräftige Bestrafungen wegen eines Verstoßes nach der StVO bzw. dem KFG auf.

Am 4. April 2006 sei der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Josefstadt wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt worden. Er habe am 11. April 2005 in einem in Wien gelegenen Lokal einem Streitgegner mit einem Pfefferspray ins Gesicht gesprüht, sodass dieser eine Verätzung beider Augen erlitten habe. Diese Verurteilung habe den Beschwerdeführer nicht davon abhalten können, neuerlich und noch dazu mit gesteigerter krimineller Energie straffällig zu werden. Er sei am 28. November 2006 vom Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls nach § 127, § 128 Abs. 1 Z. 4, § 130 zweiter Satz erster Fall StGB sowie wegen des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z. 1 Waffengesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren verurteilt worden. Er habe am 8. März 2006 im Zusammenwirken mit mehreren Mittätern 1.500 Stangen Zigaretten mit einem Verkehrswert von ca. EUR 22.500,-- gestohlen, wobei er in der Absicht gehandelt habe, sich durch die wiederkehrende Begehung von Diebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Am 16. März 2006 habe er in Wien im Zusammenwirken mit mehreren Mittätern weitere 1.000 Stangen Zigaretten mit einem Verkehrswert von EUR 13.000,-- ebenso in gewerbsmäßiger Absicht gestohlen. Vom Gericht sei seine führende Tatbeteiligung als besonders erschwerend gewertet worden. Schließlich habe er am 18. März 2006 unbefugt eine Faustfeuerwaffe besessen.

Der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG sei erfüllt. Das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maße, sodass auch die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei.

Der Beschwerdeführer sei verheiratet und für vier Kinder sorgepflichtig. Seine Mutter, sein Bruder sowie zwei weitere Schwestern würden in Wien an einer anderen Wohnadresse wohnen. Obwohl nach der Aktenlage nicht nachgewiesen sei, dass er seit 1991 bzw. sogar - wie zuletzt behauptet - seit 1988 im Bundesgebiet sei, gehe die belangte Behörde davon aus, das der Beschwerdeführer jedenfalls seit 1992 im Bundesgebiet aufhältig sei.

Es sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- bzw. Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes sei im Grund des § 66 Abs. 1 FPG zu bejahen. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Eigentumskriminalität sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz fremden Vermögens, zum Schutz der körperlichen Integrität anderer, zur Aufrechterhaltung eines geordneten Kraftfahrwesens und der Sicherheit im Straßenverkehr) dringend geboten. Der Beschwerdeführer sei nicht gewillt, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Schon in Ansehung der gesteigerten kriminellen Energie, der Verwirklichung eines Verbrechenstatbestandes und der gewerbsmäßigen Tatbegehung könne eine Verhaltensprognose für den Beschwerdeführer nicht positiv ausfallen.

Bei der nach § 66 Abs. 2 FPG erforderlichen Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass einer allfälligen, aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Er habe im Bundesgebiet ein Jahr die Hauptschule, ein Jahr den polytechnischen Lehrgang und drei Jahre die Berufsschule für Maler und Anstreicher besucht. Von einer beruflichen Integration könne nicht gesprochen werden, weil der Beschwerdeführer vor seiner Inhaftierung Bezieher von Arbeitslosengeld gewesen sei. Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers hätten gegenüber den genannten hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten.

Angesichts des Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers und der Art und Schwere der ihm zur Last liegenden Straftaten habe die belangte Behörde von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können. Auch würde eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes sein, weil der Beschwerdeführer wegen eines Verbrechens zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren verurteilt worden sei. Weiters würden die aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen des FPG nicht zum Tragen kommen.

Ein Aufenthaltsverbot sei für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein werde. Es sei auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden könne. Wer, wie der Beschwerdeführer, kurz nach einer Verurteilung im großen Stil, in massiver Weise und in der Absicht, sich dadurch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, in fremdes Vermögen eingreife und dadurch einen Verbrechenstatbestand verwirkliche, lasse seine Geringschätzung für die maßgeblichen zum Rechtsgüterschutz aufgestellten Vorschriften erkennen. Vor diesem Hintergrund könne derzeit nicht vorhergesehen werden, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Grund weggefallen sein werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die Beschwerde bestreitet, dass die Bundespolizeidirektion Wien für die Erlassung des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbots zuständig gewesen ist, und bringt vor, der Beschwerdeführer sei vor seiner Inhaftierung (am 9. Mai 2006) bei seiner Familie in Wien, H.-Straße, wohnhaft gewesen. Er habe an dieser Adresse seinen Wohnsitz gehabt. Am 28. November 2006 sei er in die Justizanstalt Hirtenberg überstellt worden, wo er sich auch zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde noch befunden habe. Eine Meldung an der genannten Wiener Adresse liege nicht vor. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer

"mehrere sonstige Wohnsitze im Sinne des § 6 Abs 2 FPG hat. Demnach richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem zuletzt begründeten Wohnsitz, das ist der Wohnsitz an der Adresse der JA Hirtenberg."

1.2. Gemäß § 6 Abs. 1 FPG richtet sich die örtliche Zuständigkeit im Inland nach dem Hauptwohnsitz iSd § 1 Abs. 7 Meldegesetz 1991, in Ermangelung eines solchen nach einem sonstigen Wohnsitz des Fremden im Bundesgebiet. Bei Vorliegen mehrerer sonstiger Wohnsitze ist jener maßgeblich, welcher zuletzt begründet wurde. Hat der Fremde keinen Wohnsitz im Bundesgebiet, richtet sich die Zuständigkeit gemäß § 6 Abs. 2 FPG nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens nach dem FPG.

Gemäß § 1 Abs. 6 Meldegesetz 1991 ist ein Wohnsitz eines Menschen an einer Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, dort bis auf weiteres einen Anknüpfungspunkt von Lebensbeziehungen zu haben.

Gemäß § 1 Abs. 7 Meldegesetz 1991 ist der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat.

Ein - wie im Falle eines Untersuchungshäftlings oder Strafhäftlings - zwangsweise begründeter Aufenthaltsort stellt keinen Wohnsitz dar. Umso weniger kann in solchen Fällen das Vorliegen eines Hauptwohnsitzes angenommen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0238).

Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, zum Zeitpunkt seiner Verhaftung bei seiner Familie in Wien, H.-Straße, wohnhaft gewesen zu sein und an dieser Adresse seinen (Haupt-)Wohnsitz gehabt zu haben. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass durch die Inhaftierung des Beschwerdeführers die genannten Lebensbeziehungen bzw. der "Mittelpunktcharakter" des Hauptwohnsitzes verloren gegangen sind.

Für die örtliche Zuständigkeit iSd § 6 Abs. 1 FPG ist der Hauptwohnsitz bzw. Wohnsitz zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides maßgeblich (vgl. das zu § 91 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 ergangene hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2004, Zl. 2001/18/0230). Der Beschwerdeführer hatte am 11. Juni 2007 (dem Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes) an dieser Adresse zumindest einen (zuletzt begründeten) Wohnsitz iSd § 1 Abs. 6 Meldegesetz 1991. Die Bundespolizeidirektion Wien war daher zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes örtlich zuständig.

2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, bei der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose sei das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die im Gesetz umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. Es seien Feststellungen zum strafbaren Verhalten des Fremden, aber auch zu dessen Persönlichkeitsstruktur erforderlich.

2.2. Nach der Übergangsvorschrift des § 81 Abs. 2 erster Satz des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, gelten vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen innerhalb ihrer Gültigkeitsdauer und ihres Gültigkeitszweckes insoweit weiter, als sie nach dem Zweck des Aufenthaltes den Bestimmungen des NAG entsprechen. § 8 NAG regelt Arten und Form der Aufenthaltstitel. Gemäß § 8 Abs. 1 Z. 3 NAG wird der (im § 56 Abs. 1 NAG genannte) Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" (§ 45 NAG) für die Dokumentation des unbefristeten Niederlassungsrechts erteilt. Dementsprechend ordnet die (u.a.) auf Grund der Ermächtigung im § 81 Abs. 2 letzter Satz NAG erlassene Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung - NAG-DV, BGBl. II Nr. 451/2005, im § 11 Abs. 1 unter Punkt C. an, dass nach dem FrG erteilte Niederlassungsnachweise (im fallbezogen relevanten Zusammenhang der lit. b) als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" weiter gelten.

Dem Beschwerdeführer ist am 4. November 2004 ein unbefristet gültiger Niederlassungsnachweis ausgestellt worden. Dieser hat seit dem Inkrafttreten des NAG am 1. Jänner 2006 als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" weiter gegolten und berechtigte zur unbefristeten Niederlassung in Österreich.

2.3. Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt (Z. 1) die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder (Z. 2) anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Gemäß § 61 Z. 2 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre. Gemäß § 56 Abs. 1 FPG dürfen Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" oder "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" verfügen, nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

Die zuletzt genannte Bestimmung geht auf Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 zurück, wonach die Mitgliedstaaten nur dann gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen können, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt.

Im Verhältnis zu § 56 Abs. 1 FPG bezieht sich die Gefährdungsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") auf ein geringeres, die Gefährdungsprognose nach den ersten beiden Sätzen des § 86 Abs. 1 FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") auf ein höheres und die Gefährdungsprognose nach dem fünften Satz des § 86 Abs. 1 FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit") auf ein noch weiter gesteigertes Gefahrenmaß (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603).

2.4. Für die Beantwortung der für das vorliegende Aufenthaltsverbot gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten maßgeblichen Frage, ob die in § 60 Abs. 1 iVm § 56 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der Beurteilung der genannten, in § 56 Abs. 2 FPG beispielsweise konkretisierten Gefährdung kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2007/21/0533, und das zu § 86 Abs. 1 FPG ergangene hg. Erkenntnis vom 29. November 2006, Zl. 2006/18/0275).

Die belangte Behörde hat sich auf das hier vor allem maßgebliche Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 28. November 2006 gestützt und nicht nur die Gesetzesstellen, nach denen der Beschwerdeführer bestraft worden ist, zitiert, sondern ihren Feststellungen den Wahrspruch der Geschworenen zugrunde gelegt. Sie hat auf diese Weise ausreichende Feststellungen über das konkrete Fehlverhalten des Beschwerdeführers und das daraus abzuleitende Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers getroffen. Der Beschwerdeführer hat durch die von ihm verübten strafbaren Handlungen das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. März 2000, Zl. 99/18/0451), an der Verhinderung der Gewaltkriminalität sowie an der Verhinderung der von alkoholisierten Kfz-Lenkern ausgehenden Gefährdungen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2000, Zl. 99/18/0258, mwN) gravierend beeinträchtigt. Der Verwaltungsgerichtshof hegt - entgegen der Beschwerde - keine Bedenken dagegen, dass im Beschwerdefall die im § 56 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei diesem Ergebnis kommt dem von der Beschwerde aufgegriffenen Umstand, dass die belangte Behörde das Verhalten des Beschwerdeführers rechtsirrtümlich (nur) nach § 60 Abs. 1 FPG beurteilt hat, für den Ausgang des Verfahrens keine Bedeutung zu.

3.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grund des § 66 FPG. Auf Grund der ausgeprägten familiären und sozialen Integration des Beschwerdeführers in Österreich sei mit dem Aufenthaltsverbot ein massiver Eingriff in sein Privat- und Familienleben aber auch in das Privat- und Familienleben seiner Ehefrau, seiner vier minderjährigen Kinder, seiner Mutter und seiner Geschwister, verbunden. Er sei als Kind nach Österreich gekommen, halte sich seit nahezu zwanzig Jahren im Bundesgebiet auf, habe keine familiären oder sozialen Bindungen zu seinem Herkunftsland und dort keine Unterkunfts- und Arbeitsmöglichkeit. Seiner Familie sei die gemeinsame Rückkehr nach Serbien unzumutbar.

3.2. Angesichts der Dauer des bisherigen inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers jedenfalls seit 1992 und seiner daraus ableitbaren Integration sowie seiner familiären Bindungen zu seiner Ehegattin und den vier Kindern sowie zu den nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden weiteren Verwandten ist mit dem Aufenthaltsverbot ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Zwar hat die Integration des Beschwerdeführers in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die von ihm begangenen Straftaten (oben I.1.) eine ganz deutliche Beeinträchtigung erfahren. Dennoch kommt den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers auf Grund des zumindest 15 Jahre dauernden Aufenthalts und seiner familiären Bindungen zu seiner Kernfamilie und zu seinen sonstigen Angehörigen ein sehr großes Gewicht zu. Auch wenn das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers die aufenthaltsbeendende Maßnahme wegen Gefährdung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Rechtsgüter iSd § 66 Abs. 1 FPG als dringend geboten erscheinen lässt, wird angesichts des dargestellten Gewichts der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers die Ansicht der belangten Behörde, die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 FPG), vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

5. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 16. Dezember 2008

Schlagworte

Maßgebender ZeitpunktBesondere Rechtsgebieteörtliche Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007180794.X00

Im RIS seit

15.01.2009

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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