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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des S, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 22. Oktober 2007, Zl. uvs-2007/23/2248-4, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der 1964 geborene Beschwerdeführer, ein deutscher Staatsangehöriger, hält sich seit Ende 1987 in Österreich auf und ging in dieser Zeit immer einer Beschäftigung nach. Sein letztes, 2005 begonnenes Dienstverhältnis als leitender Angestellter bei einem Finanzdienstleistungsunternehmen ist nach wie vor aufrecht. Er lebt seit 1998 in Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin; die gemeinsame Tochter wurde 2001 geboren.
Der bis dahin unbescholtene Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. April 2007 wegen des teils versuchten, teils vollendeten Verbrechens nach § 28 Abs. 2 erster Fall und Abs. 3 erster Fall SMG und § 15 StGB, des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 vierter Fall SMG, des Vergehens nach § 28 Abs. 1 zweiter Fall SMG und des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Diesem Schuldspruch liegt zugrunde, der Beschwerdeführer habe ab etwa Sommer 2004 gewerbsmäßig durch Pflege, Aufzucht und Abernten von Cannabispflanzen insgesamt zumindest 5 kg Marihuana erzeugt und darüber hinaus eine nicht mehr quantifizierbare Menge von Cannabisprodukten zu gewinnen versucht sowie eine große Menge derartiger Produkte an Drogenkonsumenten verkauft und in geringem Umfang unentgeltlich weitergegeben. Weiters habe er rund 31/2 kg von ihm erzeugtes Marihuana von Frühsommer 2006 bis zur Sicherstellung am 19. Juli 2006 mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde. Schließlich wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, ab etwa 1988 wiederholt Suchtgift (Cannabisprodukte) in geringen Mengen für den Eigenbedarf erworben und besessen zu haben. Mit Beschluss des genannten Gerichtes vom 13. August 2007 wurde der Vollzug der über den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 39 SMG aufgeschoben und der Beschwerdeführer unterzieht sich seither einer wöchentlichen psychotherapeutischen Sitzung, einer ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustandes und einer wöchentlichen Kontrolle des Harns.
Im Hinblick auf die genannte Verurteilung erließ die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck mit Bescheid vom 6. August 2007 gemäß § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG gegen den Beschwerdeführer ein mit sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol (der belangten Behörde) vom 22. Oktober 2007 nur insoweit Folge gegeben, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf vier Jahre herabgesetzt wurde.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 14. Dezember 2007, B 2274/07-3, deren Behandlung ablehnte und sie an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten - die belangte Behörde verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift - erwogen:
Die belangte Behörde ging davon aus, dass gegen den Beschwerdeführer als "freizügigkeitsberechtigten" EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot nach § 86 Abs. 1 FPG dann zulässig sei, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet wäre. Das persönliche Verhalten müsse eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Strafrechtliche Verurteilungen könnten nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen und vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen seien nicht zulässig.
Daran anschließend verwies die belangte Behörde insbesondere darauf, dass der Deliktszeitraum hinsichtlich der Erzeugung und des Inverkehrsetzens des Marihuanas mehr als zwei Jahre betragen und der Suchtgifterwerb und -besitz für den Eigenbedarf bereits 1988 begonnen habe. Bei der Suchtmittelkriminalität bestehe eine besonders große Wiederholungsgefahr, die sich vorliegend auch in der sich insgesamt über 18 Jahre erstreckenden Tathandlung des Beschwerdeführers manifestiere. Die gewerbsmäßig und in Bezug auf eine große Menge begangene Straftat zeige die vom Beschwerdeführer ausgehende massive Gefahr für die Allgemeinheit, insbesondere für die Gesundheit anderer, und seine mangelnde Verbundenheit mit den in Österreich rechtlich geschützten Werten. Im vorliegenden Fall sei daher eine ausreichende Grundlage dafür vorhanden, aus dem Gesamtverhalten des Beschwerdeführers den Schluss zu ziehen, dass von ihm eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, und dass ein Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit nachhaltig und maßgeblich gefährden würde.
Gemäß § 39 Abs. 1 SMG könne - so begründete die belangte Behörde weiter - ein von der Durchführung gesundheitsbezogener Maßnahmen abhängiger Strafaufschub für die Dauer von höchstens zwei Jahren gewährt werden. Dies bedeute, dass die Frage, ob ein Aufenthaltsverbot erlassen werden dürfe, für diesen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit zu beurteilen sei. Daraus, dass die Erstbehörde ihre Beurteilung bezüglich des Aufenthaltsverbotes nicht auf diesen Zeitpunkt abgestellt habe, sei für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, weil ihm der Handel mit einer großen Suchtgiftmenge, sohin ein das öffentliche Interesse am Schutz der Gesundheit in besonders großem Ausmaß beeinträchtigendes Fehlverhalten, zur Last liege. Vor diesem Hintergrund böte selbst eine erfolgreiche Suchtgifttherapie keine Gewähr dafür, dass vom Beschwerdeführer keine Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen mehr ausgehe. Ebenso wenig könne angenommen werden, dass vom Beschwerdeführer nach - aufgrund erfolgloser Suchtgifttherapie - vollzogener Freiheitsstrafe keine solche Gefahr mehr ausginge.
Im Rahmen der Ausführungen zur Dauer des Aufenthaltsverbotes kam die belangte Behörde dann wieder auf den nach § 39 SMG gewährten Strafaufschub und auf die damit im Zusammenhang stehenden wöchentlichen psychotherapeutischen Sitzungen, die ärztliche Überwachung des Gesundheitszustandes und die regelmäßigen Harnkontrollen auf Drogenspuren zurück und verwies darauf, dass eine erfolgreiche Therapie die Umwandlung in eine bedingte Freiheitsstrafe nach sich ziehe. Insofern sei das Strafgericht der Ansicht, dass bereits die Androhung der Sanktion in Verbindung mit der Absolvierung einer Therapie genüge, um den Beschwerdeführer in Zukunft von gleichartigen Straftaten abzuhalten. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass ein Aufenthaltsverbot von vier Jahren durchaus ausreiche, um eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Beschwerdeführer hintanzuhalten, dies insbesondere aufgrund der günstigen zu erwartenden Zukunftsaussichten betreffend das strafrechtliche Verhalten des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer sei zwar zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden, was eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 60 FPG darstelle, doch gehe die belangte Behörde davon aus, "dass aufgrund des vollen und reumütigen Geständnisses des Beschuldigten, seines Verhaltens nach der Straftat, hiezu ist die Absolvierung einer Therapie zu nennen, ausreicht, um eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abzuwenden."
Unter Bezugnahme auf die zuletzt wiedergegebene Passage in der Begründung des angefochtenen Bescheides wirft die Beschwerde - zu Recht - die Frage auf, warum die belangte Behörde dennoch ein Aufenthaltsverbot über den Beschwerdeführer verhängt habe. Die belangte Behörde hat nämlich zutreffend erkannt, dass im Hinblick auf den dem Beschwerdeführer nach § 39 Abs. 1 SMG gewährten Strafaufschub die Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotes bis zum Vollzug der unbedingt verhängten Freiheitsstrafe bzw. bis zu deren bedingter Nachsicht aufgeschoben ist und demzufolge nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Frage, ob ein Aufenthaltsverbot erlassen werden darf, für diesen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit zu beurteilen ist (vgl. dazu etwa die auch auf die aktuelle Rechtslage übertragbaren Ausführungen in dem noch zum FrG 1997 ergangenen Erkenntnis vom 24. Juli 2002, Zl. 2002/18/0148). Für diesen somit maßgeblichen Zeitpunkt scheint die belangte Behörde aber - folgt man ihren zuletzt wiedergegebenen Ausführungen - eine dann noch gegebene Gefährdung im Sinne des § 86 Abs. 1 FPG durch den Beschwerdeführer nicht mehr anzunehmen, wenn sie günstige Zukunftsaussichten betreffend das strafrechtliche Verhalten des Beschwerdeführers erwartet und sie davon ausgeht, dass vor dem Hintergrund des umfassenden Geständnisses des Beschuldigten die Absolvierung einer Therapie ausreiche, um eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abzuwenden.
Diese Ausführungen stehen aber in einem unauflöslichen Widerspruch zu den eingangs wiedergegebenen Schlussfolgerungen zum Vorliegen einer Gefährdung im Sinne des § 86 Abs. 1 FPG. Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, weshalb einer erfolgreichen Therapie für die Gefährdungsprognose einmal überhaupt keine, an anderer Stelle jedoch eine maßgebliche Bedeutung beigemessen wird.
Der angefochtene Bescheid war daher schon angesichts dieser Begründungsmängel wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, wobei für den Ersatzbescheid anzumerken ist, dass auch auf die mittlerweile eingetretene weitere Entwicklung Bedacht zu nehmen sein wird.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren findet darin keine Deckung und war daher abzuweisen.
Wien, am 18. Dezember 2008
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007210555.X00Im RIS seit
03.02.2009Zuletzt aktualisiert am
14.07.2009