TE Vfgh Erkenntnis 2003/11/25 G118/03

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Veröffentlicht am 25.11.2003
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
Oö VergabeG §3 Abs1 Z1

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Schwellenwertregelung im Oö VergabeG unter Hinweis auf die Vorjudikatur

Spruch

§3 Abs1 Z1 Oberösterreichisches Vergabegesetz, LGBl. für Oberösterreich Nr. 59/1994, idF LGBl. Nr. 45/2000 war verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann von Oberösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1916/02 ein Verfahren über eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich anhängig, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

a) Das Land Oberösterreich hat im Juli 2002 im Rahmen des Bauloses "Umfahrung Bad Leonfelden-Ost" die Vergabe von Straßenbauarbeiten auf der B 126 Leonfeldnerstraße (welche gemäß §4 des BG über die Auflassung von Bundesstraßen, BGBl. I 50/2002, seit 1. April 2002 im Eigentum des Landes steht) ausgeschrieben. Der Auftragswert für diesen Bauauftrag wurde vom Auftraggeber ursprünglich auf 4,1 Mio Euro geschätzt (die einlangenden Anbote lagen bei rund 2,2 Mio Euro).

Nachdem der Auftraggeber die im Anlassverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beschwerdeführende Gesellschaft, welche sich um den Auftrag beworben hatte, davon verständigt hatte, dass beabsichtigt sei, den Auftrag mit einer Auftragssumme in Höhe von rund 2,6 Mio Euro an einen anderen Bieter zu vergeben (Schreiben vom 3. Oktober 2002), und ihr Angebot mangels technischer Zuverlässigkeit vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen wird (Schreiben vom 4. Oktober 2002), wandte sich diese an die Oberösterreichische Landesregierung und begehrte u.a. die Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung.

Die Oberösterreichische Landesregierung erklärte sich mit Bescheid vom 19. November 2002 für unzuständig und wies insbesondere den Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung als unzulässig zurück: Da der Auftragswert den in §3 Abs1 Z1 Oö. VergabeG festgelegten Schwellenwert nicht erreiche, komme das in diesem Gesetz festgelegte Rechtsschutzverfahren nicht zum Tragen.

b) Der daraufhin angerufene Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (UVS) wies die Berufung mit im Wesentlichen gleich lautender Begründung als unbegründet ab.

c) In der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wird eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines als verfassungswidrig erachteten Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt.

2. a) Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Auffassung vertritt, dass nicht klar erkennbar sei, aus welchen konkreten Gründen die im Oö. VergabeG gewählte Rechtssetzungstechnik der Verweisung des Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich auf den Zivilrechtsweg nicht dem Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes entsprechen sollte.

b) Das Land Oberösterreich (als mitbeteiligte Partei) vertritt in seiner Äußerung die Auffassung, dass die Schwellenwertregelung des §3 Abs1 Z1 Oö. VergabeG einer "verfassungskonformen Interpretation" zugänglich sei: Der sachliche Geltungsbereich des Oö. VergabeG habe durch die Anordnung der Geltung der ÖNORM A 2050 auf Auftragsvergaben durch das Land unterhalb der gemeinschaftsrechtlich relevanten Schwellenwerte eine Ausdehnung erfahren; damit seien entsprechende Auftragsvergaben einer gesetzlichen Regelung unterworfen und von §58 Abs1 Oö. VergabeG als "diesem Landesgesetz unterliegende" Sachverhalte einem Nachprüfungsverfahren zugänglich gemacht worden.

3. Bei Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §3 Abs1 Z1 Oö. VergabeG, LGBl. 59/1994, idF LGBl. 45/2000 entstanden, durch den die Anwendung der Bestimmungen des Gesetzes betreffend das Vergabeverfahren und den vergabespezifischen Rechtsschutz bei der Vergabe von Aufträgen auf Bauaufträge beschränkt wird, deren geschätztes Auftragsvolumen einen bestimmten Betrag übersteigt. Er hat daher beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung zu prüfen.

a) Das - mittlerweile außer Kraft getretene (vgl. §20 Abs2 Oö. VergabenachprüfungsG, LGBl. 153/2002), für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides aber weiterhin maßgebliche - Oö. VergabeG enthielt gesetzliche Regelungen über das Vergabeverfahren und die Vergabekontrolle für die Vergabe von Lieferaufträgen, Bauaufträgen, Baukonzessionsaufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch bestimmte öffentliche, im §2 Oö. VergabeG aufgezählte Auftraggeber oberhalb bestimmter Schwellenwerte:

Der unter der Überschrift "Sachlicher Geltungsbereich" stehende §3 Oö. VergabeG idF LGBl. 45/2000 lautete auszugsweise (die in Prüfung stehende Bestimmung ist hervorgehoben):

"(1) Dieses Landesgesetz ist - unbeschadet der Bestimmungen des III. Hauptstückes des 3. Teiles - anzuwenden auf Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, wenn der geschätzte Auftragswert (ohne Umsatzsteuer)

1.

bei Bauaufträgen mindestens 5,000.000 Euro,

2.

bei Lieferaufträgen mindestens 200.000 Euro,

3.

bei Dienstleistungsaufträgen mindestens 200.000 Euro

beträgt.

(2) - (4) ...

(5) Das Land als Auftraggeber hat bei der Vergabe von Aufträgen, deren geschätzter Auftragswert die im Abs1 genannten Schwellenwerte nicht erreicht, die ÖNORM A 2050 'Vergabe von Aufträgen über Leistungen - Ausschreibung, Angebot und Zuschlag - Verfahrensnorm' vom 1. Jänner 1993 anzuwenden. Dies gilt nicht für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen gemäß Anlage II Teil B und Aufträgen, die zum Zweck der Durchführung einer der im §44 Abs1 beschriebenen Tätigkeiten vergeben werden.

(6) Die Landesregierung kann durch Verordnung ergänzende Bestimmungen zur ÖNORM A 2050 erlassen. Diese ergänzenden Bestimmungen müssen im Einklang mit den Grundsätzen des fairen Wettbewerbs und der Gleichbehandlung aller Bewerber und Bieter stehen und können insbesondere Regelungen über

a)

die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen,

b)

die Maßgeblichkeit des geschätzten Auftragswertes für die Wahl des Vergabeverfahrens,

c)

die Ausschließungsgründe vom Vergabeverfahren,

d)

Umgehungsverbote und

e)

technische Spezifikationen

zum Inhalt haben."

Das Oö. VergabeG traf in seinem 4. Teil Bestimmungen über den Rechtsschutz. Das I. Hauptstück (§§58 bis 62b) hatte das so genannte Nachprüfungsverfahren zum Gegenstand, das II. Hauptstück (§§63 bis 67) traf zivilrechtliche Bestimmungen.

Zur Entscheidung über Anträge von Unternehmen, die ein Interesse am Abschluss eines dem Oö. VergabeG unterliegenden Vertrages behaupteten, berief §58 Abs2 die Oö. Landesregierung als Nachprüfungsbehörde und sah gegen deren Entscheidungen die Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor.

Gemäß §61 kam der Oö. Landesregierung und im Instanzenzug dem UVS die Kompetenz zu, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine im Zuge eines Vergabeverfahrens ergangene Entscheidung eines Auftraggebers für nichtig zu erklären bzw. - nach Zuschlagserteilung - festzustellen, ob eine behauptete Rechtsverletzung vorliegt und deswegen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde.

b) Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Einleitungsbeschluss vorläufig davon aus, dass die Beschwerde zulässig ist und er bei Überprüfung des angefochtenen Bescheides - neben §3 Abs5 - die in Prüfung gezogene Bestimmung des §3 Abs1 Z1 Oö. VergabeG anzuwenden hätte, um beurteilen zu können, ob der UVS zu Recht von der Unzuständigkeit der Nachprüfungsbehörden gemäß §58 Abs2 leg.cit. ausgegangen ist.

c) Er hegte das Bedenken, dass die "Schwellenwertregelung", wie sie im Oö. VergabeG enthalten war, zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen den Rechtspositionen von Bewerbern und Bietern im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge führte, und begründete dies wie folgt:

"Dass die Einräumung eines besonderen vergaberechtlichen Rechtsschutzes nur für Aufträge vorgesehen ist, die bestimmte Schwellenwerte übersteigen, hat der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen VfSlg. 16.027/2000, 16.073/2001 und vom 9. Oktober 2001, G10/01, betreffend das Bundesvergabegesetz als dem Gleichheitsgrundsatz widersprechend erkannt. Eine sachliche Rechtfertigung dafür, dass der Gesetzgeber im Unterschwellenbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich verzichtet und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell ausgeschlossen hat, sei nicht erkennbar.

Der Verfassungsgerichtshof sieht auch angesichts des Einwandes des UVS in seiner Gegenschrift vorläufig keinen Grund, von seiner Ansicht abzugehen, dass der gänzliche Verzicht auf einen vergabespezifischen Rechtsschutz angesichts des Mangels hinreichender zivilverfahrensrechtlicher Vorschriften, die den besonderen Bedürfnissen nach einer raschen - vielfach keinen Aufschub duldenden - vergaberechtlichen Rechtskontrolle Rechnung tragen, zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führt. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die drei oben zitierten Erkenntnisse verwiesen (vgl. weiters VfGH 26.2.2002, G349/01; 10.6.2002, G83/02; 26.6.2002, G184/02; 23.9.2002, G211/02).

Auch die Äußerung des Landes Oberösterreich vermag die Bedenken des Gerichtshofes vorläufig nicht auszuräumen: §3 Abs5 enthält zwar eine (vereinfachte) materielle Regelung für Vergaben (des Landes) unterhalb der im Abs1 genannten Schwellenwerte. Dies dürfte aber noch keineswegs bewirken, dass damit auch diese Aufträge gemäß §58 Abs1 Oö. VergabeG als auf Grund 'eines diesem Landesgesetz unterliegenden Vertrages' abgeschlossen gelten und damit dem im

4. Teil des Oö. VergabeG näher geregelten (vergabespezifischen) Rechtsschutzverfahren unterliegen (vgl. VfGH 9.10.2001, G10/01, zu einer ähnlichen Bestimmung des BVergG 1997). Aber selbst dann, wenn man der Auslegung des Landes Oberösterreich folgen wollte, blieben die Bedenken in Ansehung der anderen in §2 Abs1 Z2 bis 6 leg.cit. genannten öffentlichen Auftraggeber bestehen."

4. a) Die Oberösterreichische Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die vom Land Oberösterreich bereits im Beschwerdeverfahren vertretene, vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss vorläufig jedoch nicht geteilte Auffassung, dass die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich sei, bekräftigte:

"Die Rechtslage nach dem Oö. Vergabegesetz stellte sich anders dar als die durch das Bundesvergabegesetz 1997 geschaffene Situation. Die Übereinstimmung beschränkte sich darauf, dass sowohl das Oö. Vergabegesetz (in seinem §3 Abs5) als auch das Bundesvergabegesetz 1997 (in seinem §13) für bestimmte Kategorien von Auftraggebern verpflichtend die Anwendung der ÖNORM A 2050 bei Vergaben im 'Unterschwellenbereich' vorsahen. Dagegen bestand bei der 'Rechtsschutzerstreckung' ein wesentlicher Unterschied: Während das Bundesvergabegesetz 1997 die Anwendbarkeit der vergabespezifischen Rechtsschutzbestimmungen in seinem §14 von der Erlassung einer 'Erstreckungsverordnung' abhängig machte, kannte das Oö. Vergabegesetz keinen derartigen Vorbehalt. Aus dem Umstand, dass das Oö. Vergabegesetz keine dem §14 BVergG 1997 entsprechende Verordnungsermächtigung vorsah, kann nicht ohne Weiteres geschlossen werden, dass der Landesgesetzgeber damit die Anwendung der Rechtsschutzbestimmungen auf den Unterschwellenbereich ausschließen wollte; das Fehlen der Verordnungsermächtigung - die ja, solange von ihr kein Gebrauch gemacht wird, jeglichen vergabespezifischen Rechtsschutz im Unterschwellenbereich explizit ausschließt - kann vielmehr so gedeutet werden, dass §58 Abs1 Oö. Vergabegesetz ein Nachprüfungsverfahren für alle von §3 Abs5 erfassten Auftragsvergaben ermöglicht hätte.

Dass sich die Anordnung des §3 Abs5 Oö. Vergabegesetz, bei Vergaben im Unterschwellenbereich die ÖNORM A2050 anzuwenden, nicht auf alle Kategorien von öffentlichen Auftraggebern bezieht, sollte vor dem Hintergrund des Erkenntnisses G10/01 [= VfSlg. 16.315/2001] unerheblich sein: Der Verfassungsgerichtshof hat in der genannten Entscheidung ausgeführt:

'Mit dem durch die Novelle BGBl. 776/1996 geänderten §8 Abs1 BVergG 1993 (wiederverlautbart als §13 Abs1 BVergG 1997, BGBl. I 56/1997) wurde für das Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich (außerhalb des Bereichs der sog. 'geschützten Sektoren' und unter Ausnahme nicht-prioritärer Dienstleistungen) bestimmten öffentlichen Auftraggebern die verbindliche Anwendung der ÖNORM A2050 in der Fassung Ausgabedatum 1. Jänner 1993 vorgeschrieben. Damit wurde für diese Bereiche eine außenwirksame Regelung geschaffen, die den Bewerbern und Bietern - anders als nach der früheren, mit der genannten Entscheidung vom 30. November 2000 als verfassungswidrig erkannten Rechtslage - subjektive Rechte eingeräumt.'

Der Gerichtshof erachtet es also offenbar nicht als Problem, wenn die Anordnung der Anwendung der ÖNORM A2050 nur 'bestimmte öffentliche Auftraggeber' trifft; durch den angestellten Vergleich mit der 'früheren, mit der genannten Entscheidung vom 30. November 2000 als verfassungswidrig erkannten Rechtslage' gibt der Gerichtshof nach Auffassung der Oberösterreichischen Landesregierung implizit zu erkennen, dass er die geänderte - durch die Novelle BGBl. Nr. 776/1996 geschaffene - Rechtslage nicht mehr als verfassungswidrig ansieht. Es ist kein Grund ersichtlich, warum diese Beurteilung nicht auch auf die Rechtslage nach dem Oö. Vergabegesetz übertragbar sein sollte."

Die Oberösterreichische Landesregierung stellt daher den Antrag festzustellen, dass §3 Abs1 Z1 Oö. VergabeG idF LGBl. 45/2000 nicht verfassungswidrig war.

b) Der UVS verzichtete auf "die Erstattung einer detaillierten Äußerung" im Gesetzesprüfungsverfahren, merkte aber doch an, dass auf dem Boden der einschlägigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes

        "... die spezifische Verfassungswidrigkeit des §3 Abs1 Z. 1

OöVergG ... weniger darin bestanden haben [dürfte], dass auf einen

außenwirksamen Rechtsschutz gänzlich verzichtet wurde, sondern vielmehr darin, dass die im Ergebnis bewirkte bloße Reduktion des Unterschwellenbereiches auf zivilrechtliche Rechtsbehelfe dann im Vergleich zum umfassenden Rechtsschutz für den Oberschwellenbereich als unsachlich erscheint. Die Gleichheitswidrigkeit wäre demnach nicht in der mangelnden Leistungsfähigkeit des Zivilverfahrensrechts an sich, sondern dadurch begründet, dass ein spezifischer (insbesondere Provisorial-) Rechtsschutz im OöVergG verankert worden war, ohne dass seitens des Bundes gleichzeitig sowie in inhaltlich adäquater Weise ein solcher auch in der - dann für den Unterschwellenbereich maßgeblichen - ZPO normiert gewesen wäre.

Für eine derartige Regelung, die der Bund als Sukkus der hier in Rede stehenden VfGH-Judikatur im Übrigen schon anlässlich des BVergG 1997 zu erlassen gehabt hätte, hätte das Land Oberösterreich dann gemäß Art97 Abs2 B-VG freilich auch der Zustimmung der Bundesregierung bedurft."

c) Die im Anlassverfahren beschwerdeführende Partei erstattete ebenfalls eine Äußerung, derzufolge die von der Oberösterreichischen Landesregierung erwogene "verfassungskonforme Interpretation" mit dem aus Art83 Abs2 B-VG abgeleiteten Grundsatz, dass der Gesetzgeber die Behördenzuständigkeit nach objektiven Kriterien exakt, klar und eindeutig festzulegen hat, nicht vereinbar sei.

II. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich auch als begründet.

1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Beschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung im Anlassverfahren zweifeln ließe; auch sonst sind die Prozessvoraussetzungen gegeben.

2. In der Sache bleibt der Verfassungsgerichtshof bei seiner schon mehrfach vertretenen Auffassung (zB VfSlg. 16.027/2000, 16.073/2001 und 16.315/2001; vgl. auch VfSlg. 15.106/1998 und 15.204/1998), dass es dem Gleichheitssatz widerspricht, bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber unterhalb der vom Gemeinschaftsrecht vorgegebenen Wertgrenzen auf einen vergabespezifischen Rechtsschutz generell zu verzichten.

Im Erkenntnis vom 26. Februar 2002, G349/01, führte er unter Bezugnahme auf das Erkenntnis VfSlg. 16.315/2001 aus, dass

"[f]ür die Effektivität des vergaberechtlichen Rechtsschutzes ... im Bereich der Kontrolle des Vergabeverfahrens vor der Zuschlagserteilung für den Bieter zum einen entscheidend [ist], daß das Verfahren nicht allzu aufwendig gestaltet ist, und zum anderen, daß er rasch und einfach zu den (für den Bereich oberhalb der Schwellenwerte gemeinschaftsrechtlich verpflichtend vorzusehenden) Provisorialentscheidungen gelangen kann; für die betroffenen Auftraggeber und die zum Zuge gekommenen Bieter ist es hingegen von Bedeutung, daß die Entscheidungen rasch erfolgen und Vergabeverfahren und Zuschlagserteilung nicht ungebührlich verzögert werden. Nun fehlt es aber - wie auch in der Literatur betont wird (vgl. etwa Schlosser, Reformbedarf im Vergaberechtsschutz aus der Sicht eines Senatsvorsitzenden des Bundesvergabeamtes, JRP 1999, 242 f., und Aicher, Aspekte des Vergaberechtsschutzes vor den Zivilgerichten, JRP 1999, 253 ff.) - derzeit an geeigneten zivilverfahrensrechtlichen Vorschriften, die den besonderen Bedürfnissen einer raschen, vielfach keinen Aufschub duldenden, vergaberechtlichen Rechtskontrolle Rechnung tragen."

Die im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes an sich vorgesehenen vergabespezifischen Rechtsschutzinstrumente nur für Vergaben oberhalb der in §3 Oö. VergabeG festgelegten Wertgrenzen zur Verfügung zu stellen, bei Vergaben von Aufträgen geringeren Wertes zur Durchsetzung der, wenn überhaupt eingeräumten (§3 Abs5 Oö. VergabeG, der die Anwendung der ÖNORM A 2050 anordnet, bezieht sich nur auf das Land als Auftraggeber) Rechte und Pflichten der an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrages Beteiligten auf einen solchen zu verzichten und diese mit ihren (allfälligen) Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg zu verweisen, ohne dass durch entsprechende Gestaltung der zivil(verfahrens)rechtlichen Vorschriften die Effektivität des Bieterschutzes in der Phase der Kontrolle des Vergabeverfahrens vor Zuschlagserteilung gewährleistet ist, lässt sich sachlich nicht rechtfertigen.

Dies wird auch von der Oberösterreichischen Landesregierung nicht bestritten, sie meint aber, dass der im 4. Teil des Oö. Vergabegesetzes vorgesehene spezifische Vergaberechtsschutz auch für Vergaben unterhalb der in §3 Abs1 leg.cit. vorgesehenen Schwellenwerte im Wege einer verfassungskonformen Interpretation als bestehend angenommen werden könnte.

Dieser Auffassung vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu folgen. Die von der Oberösterreichischen Landesregierung erwogene "verfassungskonforme Interpretation" widerspricht dem Wortlaut ebenso wie dem Sinngehalt der bezüglichen Vorschriften des Oö. VergabeG. Dies zeigt schon der Umstand, dass in der bisherigen Behördenpraxis im so genannten "Unterschwellenbereich" die generelle Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen gemäß §58 Abs1 leg.cit. verneint wurde (vgl. nur den Anlassfall). Die Formulierungen des §3 Abs1 und 5 einerseits und §58 Abs1 Oö. VergabeG andererseits, wonach das Nachprüfungsverfahren nur hinsichtlich der "diesem Landesgesetz unterliegenden Verträge" zulässig ist, besitzen nur dann einen zureichenden Sinngehalt, wenn es auch Auftragsvergaben gibt, die diesem Landesgesetz nicht unterliegen. Dies deshalb, weil sie außerhalb des durch §3 Abs1 leg.cit. geregelten sachlichen Geltungsbereichs liegen. Dabei handelt es sich um die Aufträge im Unterschwellenbereich (für die, so Auftraggeber das Land ist, gemäß §3 Abs5 Oö. VergabeG materiell die Vorschriften der ÖNORM A 2050 gelten).

Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich sohin als zutreffend erwiesen. Da das Oö. VergabeG mit Ablauf des 31. Dezember 2002 außer Kraft getreten ist (vgl. §20 Abs2 Oö. VergabenachprüfungsG, LGBl. 153/2002), war gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, dass die in Prüfung genommene Gesetzesstelle verfassungswidrig war.

3. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung erfließt aus Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G118.2003

Dokumentnummer

JFT_09968875_03G00118_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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