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E3R E05204020;Norm
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art69 Abs1 litc;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des G in Wien, vertreten durch MMag. Thomas Gross, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Teinfaltstraße 8/5.OG, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 9. Juli 2007, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2007-1129, betreffend Zuerkennung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I. Der seit längerem Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehende Beschwerdeführer hat sich am 5. Juni 2006 zwecks Arbeitssuche in Griechenland bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Redergasse (in der Folge: AMS Redergasse) abgemeldet und die Mitnahme seines Leistungsanspruches beantragt; diese wurde bis 3. September 2006 genehmigt. Die dazu beim AMS Redergasse aufgenommene, vom Beschwerdeführer unterfertigte Niederschrift vom 2. Juni 2006 lautet (auszugsweise) wie folgt:
"Ich, (der Beschwerdeführer) nehme zur Kenntnis, dass ich im Zusammenhang mit der Mitnahme meines Anspruches auf Arbeitslosengeld in das EWR-Ausland
1.
...
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nach Ablauf meines Mitnahmezeitraums bzw. bei vorzeitiger Rückkehr nach meinem Auslandaufenthalt mich am 1. Werktag zur Weitergewährung der Leistung mit dem Formular E 303/5 bei meinem zuständigen österreichischen Arbeitsmarktservice wieder zu melden habe, ansonsten verfallen alle meine Ansprüche auf Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. (Diese Forderung entfällt, wenn ich zu diesem Zeitpunkt bereits in Arbeit stehe.)"
Am 2. Oktober 2006 meldete sich der Beschwerdeführer beim AMS Redergasse vom Auslandsaufenthalt persönlich zurück.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, rechtskräftigen Bescheid der belangten Behörde vom 15. Jänner 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Notstandshilfe vom 2. Oktober 2006 wegen Überschreitung der Höchstaufenthaltsdauer im EWR-Ausland gemäß Art. 69 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 der EG-Verordnung (EGVO) Nr. 1408/71 abgewiesen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich der Beschwerdeführer trotz nachweislicher Information über die Rechtsfolgen einer verspäteten Rückmeldung erst nach Ablauf der Aufenthaltsdauer in Griechenland am 2. Oktober 2006 zurückgemeldet habe. Seine zur Rechtfertigung vorgebrachten Umstände, bereits Ende Juli 2006 versucht zu haben, für Ende August 2006 ein Flugticket zu bekommen, dass dies jedoch durch den Mangel an Infrastruktur, Telefon und Internet schwer gewesen und ein Ende August für Mitte September in Aussicht gestellter Flug nicht bestätigt worden sei, sodass es ihm letztendlich erst gelungen sei, für den 29. September 2006 ein preisgünstiges Angebot zu bekommen, wurden nicht als Ausnahmefall im Sinne des Art. 69 Abs. 2 letzter Satz EGVO gewertet.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheid vom 9. Juli 2007 hat die belangte Behörde den neuerlichen Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Notstandshilfe vom 3. April 2007 wegen Überschreitung der Höchstaufenthaltsdauer im EWR-Ausland gemäß Art. 69 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 der EG-Verordnung (EGVO) Nr. 1408/71 abgewiesen. In der Begründung wurde dem Berufungsvorbringen, wonach der aus Art. 69 Abs. 2 EGVO resultierende Anspruchsverlust nach den österreichischen Rechtsvorschriften zur Folge hätte, dass es sich hier um eine Versäumnis des Kontrolltermines nach § 49 Abs. 2 AlVG handeln würde und damit jeder Anspruch auf Leistungen (nur) bis zur neuerlichen Geltendmachung verloren ginge, lediglich - ausgehend vom oben genannten Sachverhalt - der Wortlaut der genannten EGVO-Bestimmung entgegengehalten, das Vorliegen eines Ausnahmefalles verneint und ausgeführt, es könne auch eine neuerliche Antragstellung auf Notstandshilfe am 3. April 2007 an diesem Sachverhalt nichts ändern, zumal der Beschwerdeführer zwischenzeitlich keinen einzigen Tag in Beschäftigung gestanden sei und daher auch keine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld habe begründet werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
II. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
II.1. Art. 69 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, lautet:
"Bedingungen und Grenzen der Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs
(1) Ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erfüllt und sich in einen oder mehrere andere Mitgliedstaaten begibt, um dort eine Beschäftigung zu suchen, behält den Anspruch auf diese Leistungen unter folgenden Voraussetzungen und innerhalb der folgenden Grenzen:
a) Der Arbeitslose muss vor seiner Abreise während mindestens vier Wochen nach Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates als Arbeitsuchender gemeldet gewesen sein und dieser zur Verfügung gestanden haben. Die zuständige Arbeitsverwaltung oder der zuständige Träger kann jedoch seine Abreise vor Ablauf dieser Frist genehmigen;
b) der Arbeitslose muss sich bei der Arbeitsverwaltung jedes Mitgliedstaats, in den er sich begibt, als Arbeitsuchender melden und sich der dortigen Kontrolle unterwerfen. Für den Zeitraum vor der Anmeldung gilt diese Bedingung als erfüllt, wenn die Anmeldung innerhalb von sieben Tagen nach dem Zeitpunkt erfolgt, von dem ab der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung des Staates, den er verlassen hat, nicht mehr zur Verfügung stand. In außergewöhnlichen Fällen kann diese Frist von der zuständigen Arbeitsverwaltung oder dem zuständigen Träger verlängert werden;
c) der Leistungsanspruch wird während höchstens drei Monaten von dem Zeitpunkt an aufrechterhalten, von dem ab der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung des Staates, den er verlassen hat, nicht mehr zur Verfügung stand; dabei darf die Gesamtdauer der Leistungsgewährung den Zeitraum nicht überschreiten, für den nach den Rechtsvorschriften dieses Staates Anspruch auf Leistungen besteht. Bei einem Saisonarbeiter ist die Dauer der Leistungsgewährung außerdem durch den Ablauf der Saison begrenzt, für die er eingestellt worden ist.
(2) Der Arbeitslose hat weiterhin Anspruch auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates, wenn er vor Ablauf des Zeitraums, in dem er nach Absatz 1 Buchstabe c) Anspruch auf Leistungen hat, in den zuständigen Staat zurückkehrt; er verliert jedoch jeden Anspruch auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates, wenn er nicht vor Ablauf dieses Zeitraums dorthin zurückkehrt. In Ausnahmefällen kann die zuständige Arbeitsverwaltung oder der zuständige Träger diese Frist verlängern.
..."
Gemäß § 16 Abs. 1 lit. g AlVG 1977 ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während der Aufenthaltes im Ausland, soweit nicht Abs. 3 oder Regelungen auf Grund internationaler Verträge anzuwenden sind. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung ist auf Antrag des Arbeitslosen das Ruhen des Arbeitslosengeldes gemäß Abs. 1 lit. g bei Vorliegen berücksichtigungswürdigen Umständen nach Anhörung des Regionalbeirates bis zu drei Monate während eines Leistungsanspruches (§ 18) nachzusehen. Berücksichtigungswürdige Umstände sind Umstände, die im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen sind, insbesondere wenn sich der Arbeitslose ins Ausland begibt, um nachweislich einen Arbeitsplatz zu suchen oder um sich nachweislich beim Arbeitgeber vorzustellen oder um sich einer Ausbildung zu unterziehen, oder Umstände, die auf zwingenden familiären Gründen beruhen.
Gemäß § 38 AlVG sind die oben genannten Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
II.2. Der Beschwerdeführer, der im Wesentlichen einen Ermessensfehler bei der Frage der Auslegung von Art. 69 Abs. 2 letzter Satz EGVO moniert, verkennt, dass die zuständige regionale Geschäftsstelle (bereits) mit Bescheid vom 13. Oktober 2006 den Antrag des Beschwerdeführers vom 2. Oktober 2006 auf Fortbezug der Notstandshilfe gemäß Art. 69 Abs. 2 EGVO wegen verspäteter Rückkehr nach einer Anspruchsmitnahme abgewiesen und das Vorliegen eines triftigen Grundes für eine verspätete Rückkehr verneint hat. Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid der belangten Behörde vom 15. Jänner 2007 wurde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.
Im Ergebnis wurde damit der Anspruch auf Notstandshilfe im Sinne von Art. 69 Abs. 2 EGVO für erloschen erklärt (vgl. dazu das Urteil des EuGH vom 19. Juni 1980 in den Rs 41/79, 121/79 und 796/79 - Testa u.a., worin u.a. klargestellt wurde, dass der Arbeitnehmer bei verspätete Rückkehr jeden Anspruch auf Leistungen gegen den zuständigen Staat - hier: Österreich - verliert).
Die Mitnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung während eines Auslandaufenthaltes wurde im vorliegenden Fall nicht auf § 16 Abs. 3 AlVG gestützt, der in einer solchen Situation lediglich die Möglichkeit einer Nachsicht vom Ruhen des Arbeitslosengeldes bei Vorliegen berücksichtungswürdiger Umstände einräumt, sondern auf die (für den Beschwerdeführer günstigere) Bestimmung von Art. 69 Abs. 2 EGVO, die dem Arbeitslosen einen Anspruch auf Mitnahme des Anspruchs auf Geldleistungen im Ausland gewährt und damit die Freizügigkeit von Arbeitslosen (evident) fördert. Diesfalls muss ein Antragsteller jedoch die strengere Sanktion bei verspäteter Rückkehr gegen sich gelten lassen.
Dies trifft auch auf den Beschwerdeführer zu, der nach der Aktenlage ausreichend über die Rechtsfolgen bei Inanspruchnahme des Art. 69 Abs. 2 EGVO belehrt wurde.
Die regionale Geschäftsstelle des AMS hätte daher den neuen Antrag des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe vom 3. April 2007 mit Rücksicht auf die rechtskräftige Vorentscheidung über das Erlöschen des Anspruchs auf Notstandshilfe zurückzuweisen gehabt. Dadurch, dass die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid nicht aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen hat, wurde er Beschwerdeführer (jedoch) nicht in Rechten verletzt.
II.3. Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Im vorliegenden Fall ist die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung aus folgenden Gründen nicht erforderlich:
Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 EMRK dem nicht entgegensteht.
Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 2. September 2004, Zl. 68087/01 (Hofbauer/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass die Anforderungen von Art. 6 EMRK auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung der überhaupt jeglicher Anhörung (im Originaltext: any hearing at all) erfüllt sind, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "technische" Fragen betrifft. Der Gerichtshof verwies im erwähnten Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte.
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist hier geklärt. In der vorliegenden Beschwerde wurden keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 18. Dezember 2008
Gerichtsentscheidung
EuGH 61979J0041 Testa VORABSchlagworte
Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenZurückweisung wegen entschiedener SacheRechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2008080021.X00Im RIS seit
30.01.2009Zuletzt aktualisiert am
01.12.2011