Index
40 VerwaltungsverfahrenNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch neuerliche Entscheidung eines UVS-Richters über eine Berufung betreffend Übertretungen des Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetzes sowie des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes trotz bereits ergangener Entscheidung eines anderen UVS-RichtersSpruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.142,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Der Beschwerdeführer ist handelsrechtlicher Geschäftsführer der "R-GmbH". Am 19.9.2000 erlitt ein Lehrling bei der Reinigung eines Dampfkessels schwere Verletzungen.
1.2. Mit Bescheid der BH Lilienfeld vom 11.4.2003 wurde der Beschwerdeführer wegen der Übertretung des
1. §23 Abs1 des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen 1987 (KJBG), BGBl. Nr. 599/1987,
2. §6 Abs1 Z9 der Verordnung über Beschäftigungsverbote und Beschränkungen für Jugendliche, BGBl. II Nr. 436/1998,
3. §5 ArbeitnehmerInnenSchutzgesetz (ASchG),
4. §35 Abs1 Z1 und 2 ASchG und
5. §35 Abs4 ASchG zu 5 Geldstrafen unterschiedlicher Höhe verurteilt.
1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung an den UVS im Land Niederösterreich. Das Mitglied des UVS Nö Mag. H führte am 26.6.2003 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch; nach deren Ende verkündete dieses Mitglied einen Bescheid: Die fünf Schuldsprüche wurden zwar aufrecht erhalten, die Geldstrafen jeweils aber - zum Teil beträchtlich - reduziert. Über die Verhandlung und diesen mündlich verkündeten Bescheid wurde eine Verhandlungsschrift angefertigt. Dieser Bescheid blieb vom Beschwerdeführer unbekämpft.
1.4. In der Folge erließ der UVS durch sein Mitglied Mag. S einen weiteren Bescheid in dieser Sache: Mit Bescheid vom 14.7.2003 wird die Berufung - soweit sie sich gegen die ersten beiden Spruchpunkte des Bescheides der BH Lilienfeld richtet - abgewiesen.
1.5. Dieser Bescheid wurde vom Beschwerdeführer vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten; der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter und im Doppelbestrafungsverbot verletzt: Auch hinsichtlich dieser beiden Spruchpunkte bestehe die Rechtskraft des verkündeten Bescheides.
2. Der UVS Nö bestreitet in seiner Gegenschrift das Vorliegen einer Doppelbestrafung: Hinsichtlich der ersten beiden Spruchpunkte sei der mündlich verkündete Bescheid gem. §52a VStG mit Bescheid vom 19.8.2003 (!) behoben worden, da das (zunächst) entscheidende Mitglied - Mag. H - nicht für Übertretungen des KJBG zuständig gewesen sei. Dieser Bescheid wurde am 10.9.2003 (nachweislich) dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers zugestellt.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
Der Beschwerdeführer ist mit seinem Vorwurf, durch den angefochtenen Bescheid des UVS in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, im Recht:
Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10.374/1985, 11.405/1987, 13.280/1992).
Der UVS ist gem. §51 Abs1 VStG zur Entscheidung über Berufungen in Verwaltungsstrafverfahren zuständig. Die Bejahung einer Zuständigkeit des UVS hängt daher davon ab, ob eine Berufung erhoben und (noch) nicht erledigt worden ist. Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides vom 14.7.2003 war jedoch keine Berufung des nunmehrigen Beschwerdeführers mehr offen: Vielmehr hatte bereits der UVS durch das Mitglied Mag. H über die Berufung im Hinblick auf alle verhängten Verwaltungsstrafen entschieden. Es war daher keine Berufung mehr beim UVS anhängig, über die dieser hätte entscheiden können.
Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der UVS nach Erlassung des angefochtenen (zweiten) Bescheides den früheren (ersten) Bescheid hinsichtlich der ersten beiden Spruchpunkte mit einem weiteren (dem dritten) Bescheid vom 19.8.2003 gem. §52a VStG behoben hat: Dadurch wurde zwar die mit der Erlassung des angefochtenen Bescheides entgegen Art4 des 7. ZP zur EMRK bewirkte Doppelbestrafung des Beschwerdeführers wieder beseitigt; die nachträgliche Behebung des (ersten) Bescheides ändert aber nichts daran, daß der UVS im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen (zweiten) Bescheides zur Erlassung einer solchen Berufungsentscheidung nicht zuständig gewesen ist (vgl. zur Beurteilung der Zuständigkeit zur Erlassung eines Bescheides anhand der zum Zeitpunkt dieser Erlassung geltenden Rechtslage das Erk. vom 25.6.2003, B1810/02).
Dadurch, daß der UVS trotz Fehlens seiner Zuständigkeit dennoch eine Sachentscheidung getroffen hat, hat er den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt.
4. Der Bescheid war daher schon deshalb aufzuheben.
Im Hinblick auf dieses Ergebnis mußte nicht mehr untersucht werden, ob der Beschwerdeführer auch dadurch in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde, daß der angefochtene Bescheid - im Lichte der mittlerweile erfolgten teilweisen Aufhebung des früheren Bescheides - offenkundig gegen das im Falle eines Vorgehens gem. §52a VStG zu beachtende Verbot einer reformatio in peius verstößt und entgegen §67f Abs1 AVG iVm. §24 VStG ein Mitglied des UVS den angefochtenen Bescheid erlassen hat, welches an der mündlichen Verhandlung vom 26.6.2003 gar nicht teilgenommen hatte. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde all dies zu beachten und überdies die Frage der Verjährung zu prüfen haben (vgl. dazu VwSlg. 12.958(A)/1989).
5. In den gem. §88 VfGG zugesprochenen Kosten ist die Eingabengebühr in Höhe von € 180,-- sowie Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- enthalten.
6. Dies konnte gem. §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Schlagworte
Bescheiderlassung (Zeitpunkt maßgeblich für Rechtslage), Unabhängiger Verwaltungssenat, Verwaltungsstrafrecht, Berufung, Abänderung und Behebung von amtswegen, Arbeitsrecht, Arbeitnehmerschutz, Kinder- und Jugendlichenbeschäftigung, DoppelbestrafungsverbotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B1107.2003Dokumentnummer
JFT_09968875_03B01107_2_00