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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art7 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde des OR, derzeit Justizanstalt X, vertreten durch Mag. Gottfried Stoff, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 15, gegen den Bescheid der Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Graz vom 27. April 2007, Vk 16/07 - 5, betreffend Ordnungswidrigkeit gemäß StVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seines Ausspruches über den Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer befand sich bei Erlassung des angefochtenen Bescheides seit 23. Oktober 2006 in der Justizanstalt X in Untersuchungshaft.
Der Anstaltsleiter erkannte den Beschwerdeführer mit Straferkenntnis vom 5. März 2007 für schuldig, am 28. Februar 2007 folgende Ordnungswidrigkeiten in der Justizanstalt begangen zu haben: er habe
"1. der Anordnung des BezInsp. H... P... zur Vorführung zwecks richterlicher Gegenüberstellung in den dafür vorgesehenen Raum des ho. Verhörbereiches in den ho. Verhörbereich trotz mehrfacher Abmahnung und Belehrung des Beamten keine Folge geleistet, sodass die Vorführung durch zwei Einsatzgruppenbeamte unter Erfassung des Insassen an beiden Armen durchgeführt werden musste;
2. der weiteren Anordnung des BezInsp. P..., sich zur Durchführung der Gegenüberstellung in eine dafür notwendige Position in die Raummitte zu begeben, abermals keine Folge geleistet, sodass der Insasse nach diesbezüglicher Anordnung der U-Richterin Mag. B... wiederum unter Erfassung an beiden Unterarmen durch 2 JWB der Einsatzgruppe in die geschilderte Position gebracht werden musste."
Der Beschwerdeführer habe dadurch jeweils eine Ordnungswidrigkeit nach § 107 Abs. 1 Z. 10 i.V.m. § 26 Abs. 1 StVG begangen und es wurde über ihn gemäß § 109 Z. 5 und § 114 Abs. 3 Z. 1 StVG jeweils die Ordnungsstrafe des "strengen Hausarrestes in der Dauer von 7 (sieben) Tagen mit Beschränkung der künstlichen Haftraumbeleuchtung um eine Stunde täglich" verhängt.
Die belangte Behörde wies die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. Sie führte dazu im Wesentlichen aus, dass die Vorführung des Beschwerdeführers über Ersuchen der in seinem Verfahren zuständigen Untersuchungsrichterin erfolgt sei und den Zweck der Gegenüberstellung mit den Tatopfern und Zeugen gehabt habe. Der Beschwerdeführer habe sich beharrlich geweigert, sich vorführen zu lassen und sei von zwei Justizwachebediensteten mit Maß haltender Gewalt unter Erfassung an beiden Unterarmen in den für die Gegenüberstellung vorgesehenen Raum verbracht worden. In der Folge habe er sich geweigert, sich in die für die Gegenüberstellung vorgesehene Position in der Mitte des Raumes zu begeben, sodass der Beschwerdeführer nach diesbezüglicher Anordnung der Untersuchungsrichterin wiederum von den selben zwei Bediensteten mit Maß haltender Gewalt in die entsprechende Position habe gebracht werden müssen.
Diese Feststellungen ergäben sich aus den gerichtlichen Strafakten und den Berichten des Anstaltsleiters.
Gemäß § 26 Abs. 1 StVG hätten Gefangene den Anordnungen des Justizwachepersonals Folge zu leisten. Bei Untersuchungshäftlingen lägen die Grenzen des Anordnungsrechtes und der Folgepflicht nicht nur in dem durch § 26 StVG gezogenen Rahmen, sondern gleichzeitig auch in den Bestimmungen des § 184 StPO. Untersuchungshäftlingen dürften demnach nicht nur Anordnungen nicht erteilt werden, deren Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstießen oder die offensichtlich die Menschenwürde verletzten, sondern auch solche nicht, die nicht zur Erreichung der Haftzwecke oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt erforderlich seien.
Die Bestimmungen der Strafprozessordnung sähen jedoch zum Zwecke der Untersuchung einer strafbaren Handlung die zwangsweise Vorführung und auch die Gegenüberstellung mit Zeugen (§ 168 Abs. 1 StPO) vor. Der Beschuldigte habe zwar das Recht, die Aussage zu verweigern, er könne jedoch zwangsweise vorgeführt und einem Zeugen gegenübergestellt werden.
Die Nichtbefolgung einer darauf gerichteten Anordnung eines Justizwacheorgans stelle daher eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 107 Abs. 1 Z. 10 StVG dar, sodass die Verhängung einer Ordnungsstrafe zulässig sei. Da der Beschwerdeführer zwei verschiedene durch die Strafprozessordnung gedeckte Anordnungen nicht befolgt habe, habe er zwei Ordnungswidrigkeiten begangen, für die jeweils eine Strafe festzusetzen sei.
In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 183 Abs. 1 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz (BGBl. I Nr. 19/2004, das mit 1. Jänner 2008 in Kraft getreten ist) sind auf die Anhaltung in Untersuchungshaft die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes über den Vollzug von Freiheitsstrafen, deren Strafzeit 18 Monate nicht übersteigt, dem Sinne nach anzuwenden, es sei denn, dass in dieser Strafprozessordnung etwas Besonderes bestimmt ist.
Gemäß § 184 StPO soll die Anhaltung in Untersuchungshaft den in § 180 Abs. 2 bezeichneten Gefahren entgegenwirken. Nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und der darauf gegründeten Vorschriften dürfen den Untersuchungshäftlingen nur jene Beschränkungen auferlegt werden, die der Erreichung der Haftzwecke oder der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Anstalten dienen.
Die §§ 91 ff regeln die Einleitung der Voruntersuchung und die Stellung des Untersuchungsrichters in der Voruntersuchung.
Gemäß § 113 Abs. 1 StPO haben alle, die sich während der Vorerhebungen, der Voruntersuchung oder in dem der Einbringung der Anklageschrift nachfolgenden Verfahren durch eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters beschwert erachten, das Recht, darüber - soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt - eine Entscheidung der Ratskammer zu verlangen und ihr Begehren entweder schriftlich oder mündlich beim Untersuchungsrichter oder unmittelbar bei der Ratskammer anzubringen. Eine solche Beschwerde hemmt den Vollzug der Verfügung des Untersuchungsrichters nur in den im § 108 erwähnten Fällen.
Gemäß § 108 Abs. 1 StPO kann der Untersuchungsrichter gegen Personen, die sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung bei einer Amtshandlung des Untersuchungsrichters ein ungebührliches oder beleidigendes Betragen zu Schulden kommen lassen, eine Ordnungsstrafe bis zu EUR 1.000,-- verhängen.
Gemäß § 168 Abs. 1 StPO ist, wenn es notwendig wird, die Anerkennung von Personen oder Sachen durch den Zeugen zu erlangen, die Vorstellung oder Vorlegung in angemessener Weise zu veranlassen; jedoch ist der Zeuge vorher zur genauen Beschreibung und Angabe der unterscheidenden Kennzeichen aufzufordern.
Gemäß Abs. 3 dieser Bestimmung soll die Gegenüberstellung in der Regel nicht zwischen mehr als zwei Personen zugleich geschehen. Die Gegenübergestellten sind über jeden einzelnen Umstand, in Bezug auf den sie voneinander abweichen, besonders zu vernehmen; die beiderseitigen Antworten sind zu Protokoll zu bringen.
Gemäß § 205 StPO sind, wenn die Aussagen eines Beschuldigten in erheblichen Punkten von den Angaben eines wider ihn aussagenden Zeugen oder Mitbeteiligten abweichen, ihm diese im Laufe der Voruntersuchung nur dann gegenüberzustellen, wenn es der Untersuchungsrichter zur Aufklärung der Sache für notwendig hält. Bei solchen Gegenüberstellungen ist das im § 168 Abs. 3 vorgeschriebene Verfahren zu beobachten.
Gemäß § 26 Abs. 1 StVG BGBl. Nr. 144/1969 in der Fassung BGBl. I Nr. 136/2004, haben die Strafgefangenen den Anordnungen der im Strafvollzug tätigen Personen Folge zu leisten. Sie dürfen die Befolgung von Anordnungen nur ablehnen, wenn die Anordnung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstößt oder die Befolgung dagegen verstoßen oder offensichtlich die Menschenwürde verletzen würde.
Gemäß § 107 Abs. 1 Z. 10 StVG begeht der Strafgefangene eine Ordnungswidrigkeit, der entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes vorsätzlich
"10. sonst den allgemeinen Pflichten der Strafgefangenen nach § 26 zuwiderhandelt."
Als Strafe für eine Ordnungswidrigkeit kommt gemäß § 109 StVG u. a. der Hausarrest (Z. 5) in Betracht.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er als Untersuchungshäftling das Recht habe, die Aussage zu verweigern, und er sei auch nicht verpflichtet, an Ermittlungen mitzuwirken, die ihn belasten könnten. Er sei daher als Untersuchungshäftling nicht verpflichtet, der Anordnung eines Justizwachebeamten, in einen Verhörraum mitzukommen, Folge zu leisten. Dazu sei noch festzuhalten, dass es unzulässig sei, den Beschwerdeführer unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, nämlich dass beispielsweise ein Anwalt auf ihn warten würde, zu einem Polizeiverhör oder Richterverhör in den Verhörraum zu locken. Seine Weigerung, im vorliegenden Fall mitzukommen, könne weder als rechtswidrig noch als ordnungswidrig im Sinne des StVG eingestuft werden. Das Verhalten des Beschwerdeführers müsste im Übrigen als ein fortgesetztes Verhalten qualifiziert werden. Die zweifache Bestrafung sei daher auch rechtswidrig.
Dazu ist Folgendes auszuführen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Zusammenhang mit § 183 Abs. 1 StPO ausgesprochen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2003, Zl. 98/20/0589), dass der zehnte Unterabschnitt betreffend Ordnungswidrigkeiten gemäß dem StVG auf Untersuchungshäftlinge (nur ergänzt um die im § 188 Abs. 3 StPO angeordnete Mitteilungspflicht an den Untersuchungsrichter) grundsätzlich anzuwenden ist. § 184 StPO sieht weiters für Untersuchungshäftlinge vor, dass nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und der darauf gegründeten Vorschriften den Untersuchungshäftlingen nur jene Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die der Erreichung der Haftzwecke oder der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in den Anstalten dienen. Auch der Verfassungsgerichtshof hat sich in dem Erkenntnis vom 12. Juni 1975, VfSlg. 7561/1975, mit dem im Falle eines Untersuchungshäftlings die Bestrafung wegen Nichtbefolgung nicht besonders belastender, aber "überhaupt keine gesetzliche Deckung" findender Anordnungen als willkürlich aufgehoben wurde, darauf gestützt, dass Untersuchungshäftlinge nicht "alle jene Beschränkungen auf sich zu nehmen haben, denen Strafgefangene unterliegen" (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 2002, Zl. 2000/20/0344). Es hat nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes in diesem Fall keinerlei Anhaltspunkt dafür gegeben, dass die Maßnahme zur Erreichung der Haftzwecke oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt erforderlich war.
Der Beschwerdeführer ist der Anordnung des Justizwachebeamten, ihn zwecks richterlicher Gegenüberstellung in den dafür vorgesehenen Raum vorzuführen, unbestritten nicht nachgekommen. Gemäß § 205 StPO ist eine Gegenüberstellung des Beschuldigten mit Zeugen zulässig, wenn es die Untersuchungsrichterin zur Aufklärung der Sache für notwendig erachtet. Gegen die Anordnung der Untersuchungsrichterin selbst, eine Gegenüberstellung des Beschwerdeführers als Beschuldigten mit Zeugen vorzunehmen, stand dem Beschwerdeführer eine Beschwerde gemäß § 113 StPO zu. Dabei konnte er insbesondere die Frage der unzulässigen Selbstbelastung geltend machen. Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht, dass er bei der Gegenüberstellung zu einer Aussage gezwungen worden wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 2008, Zl. 2007/06/0217). Dafür, dass diese Anordnung oder ihre Befolgung strafgesetzwidrig wäre oder die Menschenwürde verletzt hätte, gibt es keinen Anhaltspunkt. Diese den Beschwerdeführer als Untersuchungshäftling beschränkende Anordnung ist auch gesetzlich zulässig (§ 205 StPO i.V.m. der Anordnung der Untersuchungsrichterin). Diese Anordnung muss auch als zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt erforderlich im Sinne des § 184 zweiter Satz StPO angesehen werden. Der Beschwerdeführer war daher verpflichtet, diese Anordnung einzuhalten.
Die Beschwerde war daher, soweit der angefochtene Bescheid die Beschwerde in Bezug auf Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Bescheides abgewiesen hat, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Demgegenüber handelte es sich bei der Vernehmung durch die Untersuchungsrichterin und der Gegenüberstellung vor ihr um gerichtliche Handlungen, die Verweigerung der Einnahme einer bestimmten Körperhaltung unterlag der richterlichen Strafbefugnis gemäß § 108 StPO. Bei der diesbezüglichen Anordnung des Justizwachebeamten, eine bestimmte Position in der Raummitte des Verhörraumes einzunehmen, handelte es sich offensichtlich um eine Hilfsmaßnahme in Durchführung der Anordnung der Untersuchungsrichterin, die dieser zuzurechnen und deren Missachtung von dieser zu sanktionieren war. Abgesehen davon lag auch keine beschränkende Anordnung im Sinne des § 184 zweiter Satz StPO vor, die der Erreichung der Haftzwecke oder für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Justizanstalt diente. Diesbezüglich ist über den Beschwerdeführer zu Unrecht eine Strafe wegen Begehung einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 107 Abs. 1 Z. 10 StVG verhängt worden.
Der angefochtene Bescheid wird daher, insoweit mit ihm die Beschwerde gegen Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Bescheides abgewiesen wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 18. Dezember 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007060128.X00Im RIS seit
10.02.2009Zuletzt aktualisiert am
17.05.2009