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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrPolG 2005 §60 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 23. Juli 2007, Zl. St 172/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste im November 2001 nach Österreich ein, wo er zunächst einen später wieder zurückgezogenen Asylantrag stellte. Am 24. Juli 2003 heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin, mit der er zwei gemeinsame Kinder - geboren am 3. Jänner 2006 sowie am 11. Mai 2007 - hat.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 23. Juli 2007 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 sowie §§ 86, 87, 66 Abs. 3 und 63 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein siebenjähriges Aufenthaltsverbot.
Die belangte Behörde gab - auszugsweise - die §§ 60, 63 und 66 FPG sowie § 73 StGB wieder und stellte fest, dass der Beschwerdeführer am 26. November 1998 vom Schwurgericht Trabzon (Türkei) zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei, aus der man ihn jedoch bereits nach zweijähriger Haft entlassen habe. Die Verurteilung sei wegen "vorsätzlichen Mordversuches sowie wegen illegalen Waffenbesitzes" erfolgt, weil der Beschwerdeführer gemeinsam mit zwei anderen Personen am 6. August 1998 Blutrache habe üben wollen. Im Zuge einer Schießerei seien dabei zwei Personen verletzt und ein Komplize des Beschwerdeführers getötet worden. "Da gegenständliche Anklagepunkte" - so die belangte Behörde wörtlich - "auch nach österreichischem Strafrecht strafbar sind und aus Sicht der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich das Verfahren in einem den Grundsätzen des Art. 6 der EMRK festgestellt wurde, wurden die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Zi. 1 in Verbindung mit § 60 Abs. 3 zu bejahen".
Die belangte Behörde legte weiter dar, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes ungeachtet der persönlichen und privaten Bindungen des Beschwerdeführers zu Österreich insbesondere im Hinblick auf die für seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative Zukunftsprognose im Grunde des § 66 FPG zulässig sei und führte abschließend aus, dass auch "von der Ermessensbestimmung des § 60 Abs. 1 FPG Gebrauch zu machen" gewesen sei, da "eine Abstandnahme diesbezüglich die öffentliche Ordnung zu schwer beeinträchtigt hätte".
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 3. Oktober 2007, B 1680/07-5, ablehnte. Über die in der Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetretene Beschwerde hat dieser nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer ist mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese von ihrem "Freizügigkeitsrecht" Gebrauch gemacht hätte. Dessen ungeachtet ist gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Beschwerdeführer den Aufenthaltsverbotstatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 3 FPG erfüllt habe. Schon im Bereich des § 60 FPG wäre aber in einem weiteren Schritt - zusätzlich - eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen gewesen, ob dieser Tatbestand in concreto die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme rechtfertige (vgl. das noch zum Fremdengesetz 1997 ergangene, wegen der insoweit unverändert gebliebenen Rechtslage aber auch für das FPG maßgebliche hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2000, Zl. 99/18/0183). Das hat die belangte Behörde unterlassen, noch weniger hat sie fallbezogen erforderliche Überlegungen in die Richtung angestellt, ob beim kraft seiner Angehörigenschaft mit einer Österreicherin insoweit privilegierten Beschwerdeführer die oben erwähnten Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 86 Abs. 1 FPG vorliegen. Die Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 60 Abs. 2 FPG kann dafür nur einen Orientierungsmaßstab bieten, weshalb im Übrigen auch dem Umstand, ob die türkische Verurteilung den Anforderungen des § 73 StGB gerecht wird, - zumal in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen letztlich immer auf das zugrunde liegende Verhalten abzustellen ist (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603) - nur untergeordnete Bedeutung zukommt.
Die bloße Zitierung der §§ 86 und 87 FPG im Spruch des bekämpften Bescheides kann die nach dem Gesagten erforderlichen Überlegungen nicht ersetzen (vgl. abermals das zuvor zitierte hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2000). Auch der schlichte Hinweis auf eine negative Zukunftsprognose im Rahmen der Ausführungen zu § 66 FPG sowie die Bemerkung, eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Ermessenswege komme infolge damit einhergehender schwerer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung nicht in Betracht, sind nicht ausreichend, zumal es insbesondere in Anbetracht des seit Begehung der dem Beschwerdeführer angelasteten Tat verstrichenen Zeitraumes und der seither eingetretenen Änderungen in seinen persönlichen und familiären Verhältnissen nicht selbstverständlich ist, dass von ihm (nach wie vor) eine maßgebliche aktuelle Gefahr ausgeht.
Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 18. Dezember 2008
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007210438.X00Im RIS seit
10.02.2009Zuletzt aktualisiert am
23.06.2009