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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des M in M, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Götz und Dr. Rudolf Tobler jun., Rechtsanwälte in 7100 Neusiedl am See, Untere Hauptstraße 72, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 14. September 2007, Zl. BMWA- 327.582/0002-I/9/2007, betreffend Wiederaufnahme i.A. der Entziehung der Gewerbeberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland (LH) vom 22. November 2005 wurde dem Beschwerdeführer im Instanzenzug gemäß § 87 Abs. 1 Z 1 iVm § 13 Abs. 1 GewO 1994 die Gewerbeberechtigung zur Ausübung des Gewerbes "Handel mit nichtmilitärischen Waffen und nichtmilitärischer Munition" in einem näher bezeichneten Standort entzogen. Begründet wurde die Entziehung mit einem Urteil des Bezirksgerichtes Neusiedl am See (BG), mit welchem der Beschwerdeführer wegen § 170 Abs. 1 StGB (fahrlässige Herbeiführung einer Feuersbrunst) rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 220 Tagessätzen verurteilt worden sei.
Mit hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2006, Zl. 2005/04/0310, wurde die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 16. Juni 2006 beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des mit diesem Bescheid abgeschlossenen Verfahrens. Dabei machte er die Wiederaufnahmegründe des § 69 Abs. 1 Z 2 und 3 AVG geltend und berief sich in der Folge auf die im Instanzenzug mit Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt (LG) vom 23. August 2006 gemäß § 31a Abs. 1 StGB erfolgte nachträgliche Milderung der verhängten Geldstrafe von 220 auf 180 Tagessätze. Als nachträglich bekannt gewordenen Milderungsgrund nach § 31a Abs. 1 StGB führte das LG an, im Zeitpunkt der Fällung des Urteils sei nicht bekannt gewesen, dass der Beschwerdeführer einen Großteil des durch ihn verursachten Schadens selber tragen müsse.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 14. September 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme im Devolutionswege gemäß § 69 Abs. 1 AVG abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Kern des Vorganges einer Strafneubemessung nach § 31a Abs. 1 StGB liege darin, dass das Gericht erster Instanz anhand neuer Tatsachen auf der Basis des unberührt bleibenden Schuldspruches zu einer geänderten Sanktionierung komme. Würden hingegen neue Umstände vorgebracht, die den Schuldspruch als solchen berührten - und sei es auch in Form einer die Qualifikation ändernden Tatsache - so komme diesen ausschließlich im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens gemäß § 353 StPO Bedeutung zu. Die Herabsetzung der über den Beschwerdeführer verhängten Strafe sei nicht auf Grund neuer den Schuldspruch berührender Tatsachen erfolgt, sondern sei damit nur eine nachträgliche Anpassung der strafgerichtlichen Verurteilung an geänderte tatsächliche Verhältnisse vorgenommen worden. Somit sei die Tatsache der Herabsetzung der mit der strafgerichtlichen Verurteilung verbundenen Strafe nicht als neu hervorgekommene Tatsache im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG anzusehen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Im Hinblick auf die für die Entziehung der Gewerbeberechtigung des Beschwerdeführers maßgebliche Rechtslage wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das zitierte hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2006, Zl. 2005/04/0310, verwiesen.
2. Gemäß § 69 Abs. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens (unter anderem) stattzugeben,
wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten (Z 2) oder
der Bescheid gemäß § 38 AVG von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde (Z 3).
3. Der Beschwerdeführer wendet gegen den angefochtenen Bescheid zunächst ein, es sei der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG verwirklicht, da der wiederaufzunehmende Bescheid gemäß § 38 AVG von einer strafrechtlichen Vorfrage abhängig gewesen sei, über welche nachträglich vom hiefür zuständigen Strafgericht anders entschieden worden sei.
Hiezu ist festzuhalten, dass der im Beschwerdefall maßgebliche Ausschlussgrund des § 13 Abs. 1 Z 1 lit. b GewO 1994 als Tatbestandsmerkmal verlangt, dass natürliche Personen "von
einem Gericht wegen einer sonstigen strafbaren Handlung ... zu
einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen verurteilt worden sind". Bei der Prüfung, ob das Tatbestandsmerkmal einer derartigen Verurteilung vorliegt, handelt es sich nicht um die Lösung einer Vorfrage, sondern um die Feststellung einer Tatsache, und zwar der Tatsache einer die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 erfüllenden strafgerichtlichen Verurteilung (vgl. in diesem Sinne zu § 87 Abs. 1 Z 2 iVm § 13 Abs. 3 GewO 1994 das hg. Erkenntnis vom 2. Februar 2000, Zl. 99/04/0216; vgl. auch die hg. Rechtsprechung - so etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2007, Zl. 2005/04/0196, mwN -, nach der es bei § 13 Abs. 1 Z 1 lit. b GewO 1994 alleine auf die rechtskräftig erfolgte Verurteilung und das dabei im Einzelfall vom Gericht verhängte Strafausmaß ankommt).
Daher ist der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 3 AVG im Beschwerdefall nicht gegeben.
4.1. Der Beschwerdeführer bringt darüber hinaus vor, der zitierte Beschluss des LG sei eine neu hervorgekommene Tatsache nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG, die vom Beschwerdeführer im Entziehungsverfahren ohne sein Verschulden nicht geltend gemacht habe werden können. Die nachträgliche Milderung der Strafe nach § 31a StGB wirke nämlich auf den Zeitpunkt der Verurteilung zurück, sodass zu keinem Zeitpunkt eine Verurteilung vorgelegen sei, die den Ausschluss von der Ausübung des Gewerbes gemäß § 13 Abs. 1 GewO 1994 bewirkt habe. Somit sei auch der Entziehungstatbestand des § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 nicht verwirklicht.
4.2. Zu diesem Vorbringen ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes zu verweisen, nach der die rückwirkende Aufhebung einer mit Tatbestandswirkung ausgestatteten Entscheidung die Wiederaufnahme des darauf aufbauenden Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG rechtfertigen kann (vgl. die bei Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht4 (2006), 312 und FN 1385 wiedergegebene hg. Rechtsprechung sowie auch das hg. Erkenntnis vom 24. November 2000, Zl. 2000/19/0100, mwN, nach dem im Hinblick auf die Rückwirkung - dort des Außerkrafttretens eines Aufenthaltsverbotes - eine Rechtstatsache - dort das Nichtbestehen eines solchen Aufenthaltsverbotes - als "neu hervorgekommene" Tatsache zu werten ist).
4.3. Davon ausgehend ist im Beschwerdefall entscheidend, ob die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte nachträgliche Milderung der Strafe gemäß § 31a Abs. 1 StGB rückwirkend war, was der Beschwerdeführer bejaht und die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH), ausdrücklich genannt das Urteil vom 19. Februar 2003, 13 Os 3/03, verneint.
4.4. In dem genannten Urteil hat der OGH ausgeführt, dass sich der durch das StRÄG 1996 neu geschaffene § 31a StGB nach dem Willen des Gesetzgebers inhaltlich nicht wesentlich von der Vorgängerbestimmung des § 410 StPO aF (RV 33 BlgNR XX.GP, 33) unterscheide. Lediglich die Anwendungsvoraussetzungen ("Umstände" anstelle von "Milderungsgründen" und Verzicht auf die früher geforderte "offenbare" Aktualität der neu eingetretenen oder bekannt gewordenen Strafbemessungstatsachen) seien erleichtert worden, ohne aber den Kern des Vorganges einer Strafneubemessung in Frage zu stellen. Dieser liege nämlich darin, dass das Gericht erster Instanz an Hand neuer Tatsachen auf der Basis des unberührt bleibenden Schuldspruches zu einer geänderten Sanktionierung komme. Würden hingegen neue Umstände vorgebracht, die den Schuldspruch als solchen berührten - und sei es auch in Form einer die Qualifikation ändernden Tatsache - so komme diesen ausschließlich im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens gemäß § 353 StPO Bedeutung zu.
Im Urteil vom 15. Februar 2006, 13 Os 132/05v, hat der OGH festgehalten, erst dadurch, dass Tatumstände, welche die Frage der Strafbarkeit einer Tat oder die des anzuwendenden Strafsatzes, also die Schuld- und Subsumtionsfrage, nicht berührten, zum Gegenstand der Berufung gegen die Strafe gemacht werden könnten, werde dem Anspruch auf "Urteilswahrheit" - der sich solcherart auf das Verfahren als Ganzes beziehe - vollends Genüge getan. Denn einem für die vorgenommene rechtliche Unterstellung überflüssigen Tatsachensubstrat werde durch ein darauf Bedacht nehmendes Berufungsurteil die Spitze genommen. Sei nun die Wiederaufnahme zugunsten eines Verurteilten auch zwecks Subsumtion einer Tat unter ein milderes Strafgesetz zulässig, erscheine es demnach angebracht, auch eine nachträgliche Strafmilderung mit dem Ziel zu ermöglichen, der angesprochenen Urteilswahrheit zum Durchbruch zu verhelfen (hier verweist der OGH auf sein Urteil vom 13. Jänner 2005, 12 Os 128/04, in dem er eine rückwirkende Begnadigung für bereits vollstreckte Strafen für zulässig angesehen hat, wenn sie als solche ausdrücklich angeordnet wird). Dazu kämen mit einer im Verhältnis zu den tatsächlichen Gegebenheiten zu strengen Strafe verbundene tilgungsrechtliche Nachteile des Verurteilten, sodass auch unter diesem Aspekt der Wortlaut des § 31a StGB nicht zu weit geraten erscheine. Daher sei eine nachträgliche Strafmilderung selbst nach vollzogener Strafe zulässig.
Im Blick auf diese Rechtsprechung des OGH - gerade im Hinblick auf die von ihm angesprochene "Urteilswahrheit" (und den Hinweis auf die Zulässigkeit rückwirkender Begnadigungen), aber auch durch die ausdrückliche Erwähnung von mit einer zu strengen Strafe verbundenen tilgungsrechtlichen Nachteilen des Verurteilten aber auch der vom OGH angesprochene Vergleich mit der Wiederaufnahme des Strafverfahrens (§ 353 StPO) - ist im vorliegenden Zusammenhang davon auszugehen, dass die vom Beschwerdeführer angeführte nachträgliche Milderung der Strafe nach § 31a Abs. 1 StGB eine Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG rechtfertigt.
Die Herabsetzung der Anzahl der Tagessätze nach § 31a StGB, die den Beschwerdeführer so stellt, als wenn er von vornherein nur zu dieser (herabgesetzten) Anzahl der Tagessätze verurteilt worden wäre, ist nämlich eine neu hervorgekommene (Rechts)Tatsache gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG, welche im Hinblick auf den maßgeblichen Ausschlusstatbestand des § 13 Abs. 1 Z 1 lit. b GewO 1994 einen anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Da die belangte Behörde dies verkannte, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben ist.
5. Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 14. Jänner 2009
Schlagworte
Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova productaBesondere RechtsgebieteVerfahrensbestimmungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2009:2007040199.X00Im RIS seit
10.02.2009Zuletzt aktualisiert am
08.01.2013