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L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Spruch
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird daher aufgehoben.
Das Land Wien ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Magistratsabteilung 43, Städtische Friedhöfe, hat als vergebende Stelle der Stadtgemeinde Wien ein offenes - EU-weit bekannt gemachtes - Vergabeverfahren über die Sammlung und Entsorgung von Abfällen auf den städtischen Friedhöfen in Wien nach den Bestimmungen des Wiener Landesvergabegesetzes (WLVergG) durchgeführt. Die beschwerdeführende Gesellschaft hat sich an diesem Vergabeverfahren durch Legung eines Angebotes beteiligt, das nach Angebotsöffnung an dritter Stelle gereiht wurde. In der Folge wurde ihr seitens der vergebenden Stelle mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, dem erstgereihten Unternehmen den Zuschlag für die Gesamtleistung zu erteilen.
Die beschwerdeführende Gesellschaft beantragte in der Folge beim Vergabekontrollsenat beim Amt der Wiener Landesregierung (VKS) die Feststellung der Nichtigkeit der Zuschlagsentscheidung "sowie des gesamten Vergabeverfahrens" und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.
Mit Bescheid vom 11. Jänner 2002 wurden diese Anträge abgewiesen.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaft in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf Gleichheit vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.
3. Der VKS hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der er den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge erkennen, dass die beschwerdeführende Gesellschaft weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch durch Anwendung einer rechtswidrigen Norm in ihren Rechten verletzt wurde.
Der im Vergabeverfahren evaluierte Bestbieter wurde dem verfassungsgerichtlichen Verfahren als mitbeteiligte Partei beigezogen. Auch er hat eine Stellungnahme erstattet, in der er den Beschwerdebehauptungen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
II. Aus Anlass anderer Beschwerden gegen Bescheide des VKS leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 4. März 2003 ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Worte "oder Gemeinde" in §12 Abs1 Z1 WLVergG, LGBl. für Wien 36/1995, idF LGBl. 50/2000 ein.
Mit Erkenntnis vom 4. Oktober 2003, G53-55/03, sprach er aus, dass die Wortfolge "oder Gemeinde" in §12 Abs1 Z1 WLVergG idF LGBl. 50/2000 bis zum Ablauf des 31. August 2002 verfassungswidrig war.
III. Die - zulässige - Beschwerde ist im Ergebnis begründet:
1. Die Zuständigkeit des VKS zur Entscheidung über den Nachprüfungsantrag der beschwerdeführenden Gesellschaft gründet sich offenkundig auf die Wortfolge "oder Gemeinde" in §12 Abs1 Z1 iVm §§94 ff. WLVergG, die den VKS zur Kontrolle der diesem Gesetz unterliegenden Auftragsvergaben der Gemeinde Wien berufen hat.
Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist ein vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erkanntes Gesetz auf den Anlassfall nicht mehr anzuwenden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind einem Anlassfall (im engeren Sinn) jene Fälle gleich zu halten, die zum Zeitpunkt des Beginns der mündlichen Verhandlung, bei Unterbleiben der mündlichen Verhandlung zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung über eine in der Beschwerdesache präjudizielle Gesetzesstelle anhängig sind (vgl. VfSlg. 10.616/1985).
Die vorliegende Beschwerde wurde am 25. Februar 2002 beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Der Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung im Normenprüfungsverfahren über die als verfassungswidrig erkannte Wortfolge des WLVergG war der 4. Oktober 2003. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit wirkt daher auch für diese Beschwerde.
Da im vorliegenden Beschwerdefall der VKS mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. Jänner 2002 vor dem 1. September 2002 (aber auch vor der Kundmachung des BGBl. I 99/2002) tätig wurde und den angefochtenen Bescheid u.a. auf die als verfassungswidrig erkannte Gesetzesstelle gestützt hat, hat er eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm im Bescheiderlassungszeitpunkt nicht zukam. Da das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt wird, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt, verletzt der angefochtene Bescheid die beschwerdeführende Gesellschaft in diesem Recht (VfGH 1.12.1999, B2418/97 ua., 11.10.2001, B2214/98; vgl. auch VwGH 26.2.2003, 2003/04/0012).
Der Bescheid war daher aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- und Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- enthalten.
IV. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B348.2002Dokumentnummer
JFT_09968875_02B00348_2_00