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97 VergabewesenNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Vorschreibung von Gebühren eines nichtamtlichen Sachverständigen in einem Nachprüfungsverfahren hinsichtlich der Vergabe von Teilsystemen für ein LKW-Mautsystem in Österreich; keine Vorlagepflicht im Hinblick auf die RechtsmittelrichtlinieSpruch
Die beschwerdeführenden Gesellschaften sind durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch durch Anwendung einer verfassungswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerden werden daher abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. a) Die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) hat das Vergabeverfahren "Lieferleistungssystem - Systemintegrator LKW-Maut Österreich" im nicht offenen Verfahren nach den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 1997 (BVergG) ausgeschrieben. Der Auftrag sollte die Entwicklung, Lieferung, Montage und Inbetriebnahme mehrerer Komponenten bzw. Teilsysteme für ein LKW-Mautsystem in Österreich umfassen und deren Zusammenführung (Integration) zu einem in sich geschlossenen und komplett betriebsbereiten Mautsystem. In den Bewerberunterlagen fand sich die Bestimmung, dass Bewerber nur dann zur Teilnahme am Vergabeverfahren zugelassen würden, wenn sie - in Form einer firmenmäßig gefertigten Erklärung - Nachweis über ausreichende "Erfahrungen in der Entwicklung von elektronischen Funkmautsystemen" legen würden.
Die beschwerdeführenden Gesellschaften haben fristgerecht einen Antrag auf Teilnahme am nicht offenen Verfahren eingebracht. Diese Teilnahmeanträge blieben für die zweite Stufe des Verfahrens unberücksichtigt und wurden unter Verweis auf das Fehlen des Nachweises über Entwicklungserfahrung im Bereich der Funkmauttechnologie ausgeschieden.
[Das Vergabeverfahren wurde in der Folge mit Bekanntmachung vom 10. Jänner 2001 widerrufen.]
b) Mit Anträgen vom 13. April 2000 bzw. 17. Mai 2000 begehrten die beschwerdeführenden Gesellschaften beim Bundesvergabeamt (BVA) die Nichtigerklärung ihres Ausscheidens, in eventu die Nichtigerklärung zweier näher bezeichneter Ausschlusskriterien. Mit Eingaben vom 20. April 2001 beantragten die beschwerdeführenden Gesellschaften eventualiter die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Nichtberücksichtigung ihrer Teilnahmeanträge sowie der bezogenen Ausschlusskriterien. Mit Bescheiden vom 6. Juni 2001 und vom 13. März 2002 wurden die auf Nichtigerklärung lautenden Anträge bzw. Eventualanträge wegen mittlerweile erfolgten Widerrufs des Vergabeverfahrens zurückgewiesen (Spruchpunkte 1. und 2.). Die auf Feststellung lautenden Anträge wurden abgewiesen (Spruchpunkt 3.) und dies damit begründet, dass das zur Frage der Notwendigkeit des Ausschlusskriteriums der einschlägigen Entwicklungserfahrung erstattete Gutachten eines nichtamtlichen Sachverständigen zur Auffassung gelangt sei, dass der Nachweis jener Erfahrung das Projektrisiko bedeutend verringere.
c) Mit Bescheiden vom 29. April 2002 wurde den beschwerdeführenden Gesellschaften aufgetragen, die Gebühren des nichtamtlichen Sachverständigen in der Höhe von € 22.076,92 bzw. € 22.027,43 innerhalb von vier Wochen ab Zustellung des jeweiligen Bescheides zu entrichten.
2. Gegen diese unter 1.c) bezeichneten Bescheide richten sich die vorliegenden auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in denen die Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaften in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der Bescheide begehrt wird.
3. Das BVA hat die bezughabenden Verwaltungsakten vorgelegt; von der Erstattung einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die gemäß den §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1. Das BVA hat die bekämpften Bescheide damit begründet, dass mangels eines amtlichen Sachverständigen im Nachprüfungsverfahren ein nichtamtlicher Sachverständiger beigezogen werden musste, der für seine Mühewaltung eine Gebührennote gelegt habe, in der der Gesamtaufwand seines Einschreitens plausibel und nachvollziehbar dargelegt sei. Der verzeichnete Stundensatz von € 156,25 erscheine im Hinblick auf §8 der autonomen Honorarrichtlinien für Ziviltechniker iVm §34 GebührenanspruchsG angemessen. Insgesamt ergebe sich aufgrund der gelegten Kostennote des Sachverständigen ein Betrag von € 44.054,92, der jeweils zur Hälfte von den beschwerdeführenden Parteien zu entrichten sei.
2. a) Die beschwerdeführenden Gesellschaften erachten sich durch die angefochtenen Bescheide in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz dadurch verletzt, dass das BVA §76 Abs1 AVG iVm §107 Abs1 BVergG einen gleichheitssowie gemeinschaftsrechtswidrigen Inhalt unterstellt habe; in eventu habe das BVA seinen Bescheid auf ein gleichheitswidriges Gesetz gestützt: Gerade bei der Nachprüfung von technisch anspruchsvollen Vergabeverfahren - wie dem vorliegenden - würde das von der belangten Behörde gepflegte Rechtsverständnis zu für die rechtsschutzsuchenden Parteien nicht abschätzbaren Kosten führen und wäre geeignet, das aus der Rechtsmittel-Richtlinie 89/665/EWG ableitbare Gebot der Gewährung eines effizienten vergaberechtsspezifischen Rechtsschutzes für Bieter zu konterkarieren. Im Ergebnis offenbare sich auch ein im Vergleich zur ZPO nachteiliges Ergebnis für rechtsschutzsuchende Bieter vor dem BVA: Während nach der ZPO die Kosten eines Sachverständigen zunächst vom jeweiligen Beweisführer zu tragen wären (§365 ZPO) und ein verschuldensunabhängiges Obsiegensprinzip gelte (§§41 ff. ZPO), müsste im Verwaltungsverfahren der betreffende Antragsteller in jedem Fall zunächst alle Barauslagen tragen (§76 Abs2 iVm 4 AVG) und erhielte diese nur dann ersetzt, wenn dem Antragsgegner ein Verschulden nachgewiesen werden könne (§76 Abs2 AVG, §122 Abs1 BVergG). Im Nachprüfungsverfahren gelte kein "Obsiegensprinzip", was im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht stünde, da dieses ein - auch das Kostenrisiko betreffend - faires Verfahren vorschreibe.
Das BVA hätte §76 Abs1 AVG iVm §107 Abs1 BVergG derart auszulegen gehabt, dass entweder der Rechtsträger der belangten Behörde die Kosten des nichtamtlichen Sachverständigen tragen müsse oder derjenige, dessen Vorbringen durch das Sachverständigengutachten zu beweisen war. Wären die gesetzlichen Grundlagen nicht einer entsprechenden Auslegung zugänglich, wären die Wortfolgen "durch das Verschulden" in §76 Abs2 AVG bzw. "schuldhafter" in §122 Abs1 BVergG gleichheitswidrig, weil §76 AVG "in überschießender Weise" das Kostenrisiko allein den Antragstellern überbinde.
Das BVA habe die Rechtslage nach Ansicht der beschwerdeführenden Gesellschaften auch insofern "gehäuft" verkannt, als §76 AVG einen Kostenersatz für Sachverständigengutachten nur dann vorsehe, wenn ein solches für die entscheidungswesentlichen Feststellungen notwendig war, was im vorliegenden Fall zu verneinen gewesen wäre; die vom Sachverständigen in Rechnung gestellten Gebühren hätte das BVA ohne nähere Prüfung übernommen und auch dem Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaften nicht entsprochen, den Sachverständigen zur Konkretisierung der veranschlagten Gebühren aufzufordern. Im Übrigen bestreiten die beschwerdeführenden Gesellschaften die Höhe des geltend gemachten Aufwandes.
b) Unter der Behauptung ihrer Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter rügen die beschwerdeführenden Gesellschaften, dass das BVA an der Gemeinschaftsrechtskonformität seiner Rechtsauffassung hätte zweifeln und als vorlagepflichtiges Gericht im Sinne des Art234 Abs3 EG dem EuGH die Frage vorlegen müssen, ob und inwieweit eine Nachprüfungsbehörde den Antragstellern die Kosten des Verfahren überbinden dürfe.
3. a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.337/1985, 11.436/1987).
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 14.390/1995, 14.889/1997, 15.507/1999) verletzt der Bescheid einer Verwaltungsbehörde und anderen dann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, wenn die bescheiderlassende Behörde als Gericht im Sinne des Art234 Abs3 EG eingerichtet ist und es verabsäumt, eine entscheidungsrelevante Frage der Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.
4. Eine Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaften durch die angefochtenen Bescheide in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten liegt nicht vor:
a) Das BVA hat die bekämpften Bescheide, mit denen im zugrunde liegenden Nachprüfungsverfahren entstandene Kosten des Sachverständigen jeweils zur Hälfte den beschwerdeführenden Gesellschaften auferlegt werden, auf §76 Abs1 AVG gestützt. Weder sind die in der Beschwerde erhobenen Bedenken gegen diese Bestimmung geeignet, beim Verfassungsgerichtshof Zweifel ob ihrer Verfassungsmäßigkeit zu erwecken, noch sind solche Bedenken aus Anlass dieser Verfahren sonst entstanden (vgl. im Übrigen schon VfSlg. 15.314/1998).
Der Verfassungsgerichtshof hegt aber auch nicht das Bedenken, dass die belangte Behörde §76 Abs1 AVG einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat: Das BVA hat mit Bescheid vom 23. Mai 2000, Z N-27/00-8, einen nichtamtlichen Sachverständigen bestellt, um die von den beschwerdeführenden Gesellschaften selbst in ihren Nachprüfungsanträgen aufgeworfene Frage zu klären, ob das Kriterium der nachzuweisenden Entwicklungserfahrung im Bereich der Funkmauttechnologie für die zu beschaffende Leistung einen notwendigen - und sohin zulässigen - Nachweis im Sinne des §60 Abs7 BVergG darstellt. Nach Erstattung des Gutachtens, das von der belangten Behörde - wenn auch nicht im Sinne der beschwerdeführenden Gesellschaften - gewürdigt wurde, beanspruchte der Sachverständige ein Honorar, dessen Zusammensetzung und Höhe vom BVA einer Prüfung unterzogen und als angemessen beurteilt wurde. Da gemäß §76 Abs1 AVG Barauslagen von jener Partei des Verfahrens zu tragen sind, die um die Amtshandlung angesucht hat und im vorliegenden Fall zweifellos die beschwerdeführenden Gesellschaften die Nichtigerklärung eines als rechtswidrig erachteten Ausschlusskriteriums begehrten, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht den Bescheiden nicht entgegenzutreten. Daran verschlägt auch der von den beschwerdeführenden Gesellschaften ins Treffen geführte §107 Abs1 BVergG nichts, der vorsieht, dass der (organisatorische) Personal- und Sachaufwand des BVA vom Bund zu tragen ist, da es die im §76 Abs1 AVG geregelte Kostentragungspflicht der antragstellenden Partei ausschließt, Sachverständigengebühren insoweit zum Sachaufwand der Behörde zu rechnen.
b) Der Verfassungsgerichtshof kann aber auch dem Vorwurf der beschwerdeführenden Gesellschaften nicht folgen, das BVA habe ihr Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dadurch verletzt, dass es dem EuGH nicht die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hätte, ob und inwieweit Nachprüfungsbehörden den Antragstellern die Kosten des Verfahrens (in concreto: Kosten von Sachverständigen) überbinden dürften. Keine Bestimmung der Rechtsmittel-Richtlinie gebietet, dass die Mitgliedstaaten Vergaberechtsschutz suchenden Bietern ein Verfahren zur Verfügung zu stellen hätten, das - im Unterschied zu sonstigen antragsgebundenen Verfahren - für die Antragsteller mit keinerlei Kostenrisiko verbunden sein dürfe. Die für Verwaltungsverfahren ganz allgemein geltende Vorschrift des §76 Abs1 AVG stellt per se auch keine gemeinschaftsrechtlich fragwürdige Erschwernis für rechtsschutzsuchende Bieter dar, geschweige denn, dass sie gezielt vergaberechtlichen Rechtsschutz verhindert.
c) Ob die Bescheide in jeder Hinsicht rechtmäßig sind, betrifft Fragen, die der Verfassungsgerichtshof nicht zu beantworten hat, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerden - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richten, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 10.565/1985, 10.659/1985, 12.697/1991).
Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden. Da das Verfahren auch nicht ergeben hat, dass die beschwerdeführenden Gesellschaften in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurden, waren die Beschwerden abzuweisen.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
EU-Recht Vorabentscheidung, Rechtsschutz, Vergabewesen, Verwaltungsverfahren, Kostentragung, SachverständigeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B964.2002Dokumentnummer
JFT_09968875_02B00964_00