TE Vfgh Erkenntnis 2003/11/27 B669/02 ua

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.11.2003
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/04 Wahlen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art26 Abs1, Abs5
NRWO 1992 §22
WählerevidenzG §2 Abs1
ZPO §64 Abs3

Leitsatz

Keine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Wahlrecht zum Nationalrat durch die Aberkennung des Wahlrechts durch Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis infolge einer gerichtlichen Verurteilung; keine Bedenken gegen die betreffende Regelung der Nationalratswahlordnung aufgrund der verfassungsrechtlichen Grundlage der einfachgesetzlichen Regelungen im B-VG

Spruch

I. Dem im zur Z B1863/02 protokollierten Beschwerdeverfahren gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird in Form der Gebührenbefreiung stattgegeben.

II. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 29.1.1998 für das Verbrechen des schweren Betruges und des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht (unter Bedachtnahme auf §28 Abs1 StGB) zu 6 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt; außerdem wurde die bedingte Nachsicht der in einem anderen Strafverfahren über den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafe von 7 Monaten widerrufen.

Laut Haftbestätigung der Justizanstalt Innsbruck vom 26.8.1999 wurde der Beschwerdeführer am 29.1.1998 in Strafhaft genommen.

Auf Grund eines Beschlusses des Landesgerichtes Steyr vom 26.4.2002 wurde der Beschwerdeführer, nachdem ihm von den über ihn verhängten Freiheitsstrafen von insgesamt 6 Jahren und 7 Monaten ein Strafrest von 2 Jahren, 2 Monaten und 10 Tagen bedingt nachgesehen worden war, am 18.6.2002 - bedingt - entlassen. Die Probezeit wurde mit drei Jahren bestimmt.

1.2.1. Mit Einspruch gegen die Wählerevidenz der Stadtgemeinde Kufstein vom 16.12.2001 hatte der Beschwerdeführer begehrt, ihn als Wahl- und Stimmberechtigten in die Wählerevidenz aufzunehmen. Diese Eingabe wurde mit Bescheid der Gemeindewahlbehörde Kufstein gemäß §§2, 5, 7 und 9 Wählerevidenzgesetz 1973 (WEvG) und §22 Nationalrats-Wahlordnung 1992 (NRWO) abgewiesen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Bezirkswahlbehörde Kufstein vom 25.2.2002 abgewiesen. Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in die Wählerevidenz der Gemeinde Kufstein aufgenommen.

1.2.2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die beim Verfassungsgerichtshof zur Z B669/02 protokollierte und auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer behauptet, durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden zu sein, und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die Beschwerde wurde wie folgt begründet:

"Grundlage der Abweisung meines Antrages, der alle sonstigen Voraussetzungen erfüllte, ist die Bestimmung des §22 NRWO. Diese Bestimmung verletzt das durch Art2 StGG und Art7 B-VG gewährleistete Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz, den Geist des Art26 Abs(5) B-VG über den möglichen Verlust des Wahlrechts, die Bestimmungen des Art8 des Staatsvertrages von Wien und des Art3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, den Art1 Abs(4) des B-VG über den Schutz der persönlichen Freiheit sowie die Art3 und 7 der EMRK selbst. Alle diese Bestimmungen stehen im Verfassungsrang, was für die bekämpfte Norm des §22 NRWO nicht gilt. Diese Norm ist daher verfassungswidrig und durch deren Anwendung wurde ich in meinen Rechten verletzt, insbesondere in meinem Recht, in die Wählerevidenz der Stadt Kufstein (wieder) aufgenommen zu werden und mein Wahlrecht als österreichischer Staatsbürger ausüben zu können.

Gleichheitswidrigkeit:

Die bekämpfte Bestimmung knüpft den Ausschluss vom Wahlrecht ausdrücklich an eine gerichtliche Verurteilung durch ein inländisches Gericht. Das bedeutet nichts anderes, als dass eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht, gleich in welchem Ausmaß und wegen welcher Vorwürfe, nicht zum Ausschluss vom Wahlrecht führt.

In weiten Bereichen, insbesondere im Rahmen der Schengenstaaten, aber auf Grund zwischenstaatlicher Verträge auch weit darüber hinaus, sind ausländische strafgerichtliche Verurteilungen in Österreich anerkannt, ja es kann sogar deren Vollzug durch die österreichischen Justizbehörden übernommen werden. Es ist daher nicht erkennbar, inwieweit nun ein sachlicher Unterschied zwischen solchen ausländischen Verurteilungen und solchen durch inländische Gerichte bestehen soll. Dennoch aber behandelt die bekämpfte Bestimmung beide Alternativen unterschiedlich - dem in Österreich Verurteilten erkennt sie das Wahlrecht automatisch ab, wenn er wegen einer Vorsatztat zu einer Strafe von mehr als 1 Jahr verurteilt worden ist, wenn ein Österreicher aber im Ausland etwa zu einer lebenslangen Strafe verurteilt worden wäre, dann bliebe ihm das Wahlrecht erhalten.

Gleichzeitig werden zwei Klassen von Insassen österreichischer Haftanstalten geschaffen - im Inland Verurteilte, die unter den genannten Voraussetzungen des Wahlrechtes entkleidet sind und im Ausland verurteilte Österreicher, die ihre Strafe hier verbüßen, die unabhängig von der Dauer ihrer Strafe das Wahlrecht besitzen.

Es liegt wohl auf der Hand, dass derartige Ungleichbehandlungen bei Vorliegen gleicher Voraussetzungen grob gleichheitswidrig sind und die betreffende Bestimmung schon allein aus diesem Grund verfassungswidrig machen.

Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes liegt aber darüber hinaus auch im Verhältnis von zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe wegen Vorsatzdelikten Verurteilten und anderen durch inländische Gerichte verurteilten Personen vor. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum etwa jemand, der nach Vollendung des 18. Lebensjahres unter Anwendung des JGG wegen einer früher begangenen strafbaren Handlung angesichts des geringeren Strafrahmens zu einer Strafe von weniger als 1 Jahr verurteilt wird, wahlberechtigt bleiben soll, während ein anderer Teilnehmer der selben Tat mit der selben Schuld nur deshalb, weil er bei Tatbegehung ein paar Monate älter war und daher unter das allgemeine Strafrecht fällt zu einer Strafe von mehr als 1 Jahr verurteilt wird und sein Wahlrecht verlieren soll - zwischen beiden besteht, was die Tat und die Schuld betrifft, kein Unterschied. Ihre ungleiche Strafzumessung beruht ausschließlich auf unterschiedlichen Strafrahmen, die auf sie anzuwenden sind, und liegt damit sogar außerhalb des Spielraumes der Strafzumessung durch das Gericht. Damit aber bieten Schuld oder begangene Tat keinerlei sachliche Rechtfertigung für eine ungleiche Behandlung beider bei ihrem Wahlrecht - dennoch aber ordnet die bekämpfte Bestimmung dies an.

Analoge Überlegungen sind anzustellen, wenn für eine unterschiedliche Strafzumessung für die gleiche Beteiligung an der selben Tat frühere Verurteilungen eines der Beteiligten maßgeblich sind - sie betreffen nicht die Schuld hinsichtlich der Tat, deren Strafe zum Ausschluss vom Wahlrecht führt, sondern nur die für erforderlich erachtete Strafe dafür. Also kommt es auch hier bei gleicher Schuld und gleicher Tatbeteiligung zu einer unterschiedlichen Behandlung, die keine sachliche Grundlage hat.

Allgemein kann gesagt werden, dass eine Anknüpfung einer allgemeinen Strafsanktion schlicht an der Länge der verhängten Strafe, ohne eine Möglichkeit des erkennenden Strafgerichtes, über deren Eintritt zu entscheiden und damit auf die individuelle Schuld des Betroffenen einzugehen - lediglich die diesbezüglich in der Praxis totes Recht darstellende Bestimmung des §44 Abs(2) StGB würde eine (tatsächlich nie ausgesprochene) bedingte Nachsicht von Nebenstrafen und Rechtsfolgen der Verurteilung und damit auch des vorliegenden Ausschlusses vom Wahlrecht ermöglichen, nicht aber ein Absehen des Gerichtes von dieser Zusatzstrafe an sich - zwingend zu gravierenden und sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichheiten führt. Wenn man, wie das österreichische Strafrecht zumindest auf dem Papier behauptet, die Strafe an der Schuld des Täters bemessen will, ist es unvertretbar, hinsichtlich Zusatzstrafen wie dem Ausschluss vom Wahlrecht den Hendldieb gleich zu behandeln wie den Kinderschänder und den einfachen Betrüger gleich wie einen Massenmörder.

Da auch die gleiche Behandlung verschiedener Sachverhalte eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes darstellt und wohl auch auf dem Boden der österreichischen Verfassung Grundlage jeder Strafe nur die Schuld des Täters sein kann, ist es zwingend gleichheitswidrig, wenn Sanktionen ohne Rücksicht auf diese Schuld verhängt werden und damit bei völlig verschiedener Schuld die gleiche Rechtsfolge statuieren.

Dabei bietet auch die Tatsache der Haft an sich keine Grundlage für diese Ungleichbehandlung. Mag es in grauer Vorzeit gerechtfertigt gewesen sein, länger in Haft gehaltene Menschen vom Wahlrecht auszuschließen, weil ihnen keine objektiven Informationen |ber das politische Leben zur Verfügung standen und daher eine freie politische Willensbildung nicht möglich oder doch stark behindert war, so trifft dies heute in keiner Weise zu: Jedem Insassen einer österreichischen Haftanstalt steht es zu, zumindest ein Radioprogramm uneingeschränkt zu empfangen oder, wenn er es wünscht, Zeitungen und Zeitschriften zu beziehen. In aller Regel kann er auch die österreichischen Fernsehprogramme verfolgen und sich so auf jeden Fall uneingeschränkt und objektiv im selben Ausmaß wie in Freiheit alle Informationen beschaffen, die ihm selbst für seine politische Willensbildung erforderlich erscheinen.

Die Durchführung von Wahlhandlungen im Rahmen von Haftanstalten ist durch das Wahlrecht aller Insassen von landesgerichtlichen Gefangenenhäusern, deren Strafdauer 1 Jahr nicht überschreitet oder die nur wegen fahrlässig begangener Delikte in Haft sind, ausgiebig erprobt, überdies bestehen hiefür sogar besondere Vorschriften im Rahmen der NRWO. Schließlich macht die Stimmabgabe auch dann, wenn der Haftort weit entfernt vom Wahlort liegt, keinerlei Schwierigkeiten, weil entsprechende Möglichkeiten einer Briefwahl oder der Wahl mittels Wahlkarten in anderen Wahlsprengeln schon lange bestehen.

Eine nicht vertretbare und auf keinen sachlich tragfähigen Grundlagen beruhende Ungleichbehandlung erfolgt durch die bekämpfte Bestimmung auch im Verhältnis von Verurteilten einerseits und anderen Staatsbürgern andererseits. Dabei kann wohl davon ausgegangen werden, dass Konsens darin besteht, dass auch ein verurteilter und inhaftierter Mensch eben ein Mensch bleibt, mit allen Rechten eines solchen, die nicht durch die Erfordernisse der Vollziehung der Strafe zwingend verletzt werden müssen. Das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit anerkennt diesen Grundsatz jedenfalls, wenn es ausdrücklich (Art1 (4)) anordnet, dass der Angehaltene nur solchen Beschränkungen unterworfen werden darf, die dem Zweck der Anhaltung angemessen oder zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung am Ort seiner Anhaltung notwendig sind. Zwar betrifft diese Bestimmung unmittelbar wohl nur die Umstände der Haft, aber es kann nicht angehen, derartige Beschränkungen, die während der Haft an sich gegen dieses Verfassungsgesetz verstoßen würden, dadurch dennoch zu statuieren, dass man sie einfach woanders regelt. Daher ist der genannte Grundsatz ohne Zweifel auch hier zu berücksichtigen.

Der Versuch, eine sachliche Grundlage dafür zu finden, weshalb bei einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr wegen eines Vorsatzdeliktes eine Zusatzstrafe durch Ausschluss vom Wahlrecht erforderlich sein sollte, scheitert kläglich.

...

Schließlich stellt die bekämpfte Bestimmung auch eine Ungleichbehandlung von In- und Ausländern dar: Während ein wegen einer Vorsatztat zu einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilter Österreicher als zusätzliche Strafe sein Wahlrecht verliert, gilt das für seinen ausländischen Komplizen, der die selbe Strafe für die selbe Tat bei der gleichen Schuld erhalten hat, nicht. Wenn dieser Komplize zum Beispiel Schweizer ist, werden ihm laufend alle Informationen zu den zahlreichen Wahlentscheidungen in der Schweiz einschließlich der laufenden Volksabstimmungen ins Gefängnis zugestellt, während sein Komplize - dieses Verhältnis wird hier nur gewählt, um die Ungleichbehandlung besonders evident zu machen - nicht einmal an öffentlichen Wahlen teilnehmen darf. Aber auch für einen sonstigen ausländischen Staatsbürger gilt das gleiche - er erhält in Österreich stets eine geringere Strafe als ein Österreicher, weil dessen zusätzliche Bestrafung durch die Verweigerung der demokratischen Mitbestimmungsrechte den Ausländer nicht trifft.

...

Verstoß gegen den Geist des Art26 Abs(5) B-VG:

        Wenn die zitierte Bestimmung festsetzt, dass der Ausschluss

vom Wahlrecht nur die Folge einer gerichtlichen Verurteilung sein

kann, dann impliziert dies, dass auch ein Gericht darüber zu

entscheiden hat, ob dieser Ausschluss eintritt oder nicht. Durch die

Statuierung des Ausschlusses vom Wahlrecht als automatische Folge

einer Verurteilung zu einer Haftstrafe von mehr als einem Jahr wegen

einer Vorsatztat ist dies aber nicht erfüllt. Das Gericht hat keine

Möglichkeit, im Einzelfall von diesem Ausschluss abzusehen, ihn also

nicht als Sanktion zu benutzen, wenn dies ihm angemessen erscheinen

würde. Die ... Bestimmung des §44 Abs(2) StGB erlaubte zwar eine

bedingte Nachsicht von Nebenstrafen und Rechtsfolgen, worunter wohl

auch der Ausschluss vom Wahlrecht verstanden werden kann, allerdings

war ... mir ... die Existenz dieser Bestimmung schlicht nicht

bekannt... Aber selbst die Existenz dieser Bestimmung erlaubt es dem

Gericht nicht, diese Nebenstrafe auszuschließen, sondern nur sie zwar eintreten zu lassen, aber ihre Wirkung bedingt auszusetzen.

Es kann kein Zweifel bestehen, dass in einem Staat, der sich für demokratisch organisiert hält, die Entziehung des einzigen Mitbestimmungsrechtes, das einem Staatsbürger überhaupt zur Verfügung steht, mit ganz besonderem Bedacht zu handhaben ist, wenn man es schon als notwendig betrachtet, in dieses Recht überhaupt einzugreifen. Die NRWO sieht außer der bekämpften Bestimmung auch keinerlei andere Ausschlussbestimmungen vor, nicht einmal für Personen, denen etwa ein Sachwalter bestellt worden ist, weil sie ihre eigenen Geschäfte nicht zu besorgen in der Lage sind, vielmehr besteht in dieser Norm ein solcher Ausschluss nur für Verurteilte.

...

Das widerspricht ohne Zweifel dem Geist, wenn nicht sogar dem Buchstaben der zitierten Verfassungsbestimmung - ein Ausschluss vom Wahlrecht wegen einer gerichtlichen Verurteilung kann jedenfalls nur dann vertretbar sein, wenn es sich um eine im Strafgesetz für die verurteilte Tat vorgesehene Sanktion handelt und sie durch ein unabhängiges Gericht in bekämpfbarer Weise (vergl. 7. Zusatzprotokoll zur EMRK) aufgrund der Würdigung der individuellen Schuld des Betroffenen als Strafe verhängt wird. Ein Automatismus ist nicht in diesem Sinn und geht mit dem einzigen demokratischen Recht, das jedem zusteht, der das Wahlrecht erreicht hat, fahrlässig um. Eine solche Regelung widerspricht daher der genannten Verfassungsbestimmung und ist auch aus diesem Grund verfassungswidrig.

Verstoß gegen Art8 des Staatsvertrages von Wien und Art3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK:

Art 8 des Staatsvertrages verpflichtet die Republik Österreich unter anderem, allen Staatsbürgern ein freies, gleiches und allgemeines Wahlrecht zu verbürgen. Von einer Einschränkung, dass dies nur für unbescholtene Staatsbürger gelten soll oder dass zu mehr als 1 Jahr Haft wegen einer Vorsatztat Verurteilte etwa nicht zu den hier genannten 'allen' Staatsbürgern zählen würden, ist dieser Verfassungsbestimmung nichts zu entnehmen. Wenn also die bekämpfte Bestimmung einem Teil der österreichischen Staatsbürger, nämlich solchen, die wegen einer Vorsatztat zu einer 1 Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, dieses Recht zu wählen entzieht, dann steht sie im Widerspruch zur genannten Staatsvertragsbestimmung, weil dann eben nicht allen Staatsbürgern dieses Recht verbürgt ist.

Ein ähnliches Ergebnis folgt aus Art3 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK, in dem sich auch Österreich verpflichtet hat, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, die die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei einer Wahl der gesetzgebenden Organe gewährleistet. Zwar ist hier nicht ausdrücklich statuiert, dass allen Staatsbürgern die Teilnahme an einer solchen Wahl grundsätzlich möglich sein muss, aber auch die etwas andere Formulierung führt schließlich zu keinem anderen Ergebnis: Es kann nicht von den dort geforderten Bedingungen gesprochen werden, wenn eine Bevölkerungsgruppe von mehreren tausend Personen willkürlich vom Wahlrecht ausgeschlossen wird. Es ist daher auch mit dieser Bestimmung nicht vereinbar, Teile des Volkes von der freien Äußerung der Meinung bei der Wahl der gesetzgebenden Organe auszuschließen, gleichgültig ob sie eine gerichtliche Verurteilung erlitten haben oder nicht.

..."

1.3.1. Mit einem weiteren Einspruch gegen das Wählerverzeichnis der Stadtgemeinde Kufstein vom 18.10.2002 begehrte der Beschwerdeführer, ihn als Wahlberechtigten für die bevorstehende Nationalratswahl in das Wählerverzeichnis dieser Gemeinde aufzunehmen. Diese Eingabe wurde mit Bescheid der Gemeindewahlbehörde Kufstein vom 31.10.2002 ebenfalls als unbegründet abgewiesen.

Die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Bezirkswahlbehörde Kufstein vom 7.11.2002 gemäß §32 Abs2 iVm §§21 und 22 NRWO als unbegründet abgewiesen. Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in das Wählerverzeichnis der Gemeinde Kufstein für die Nationalratswahl am 24.11.2002 aufgenommen.

1.3.2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die beim Verfassungsgerichtshof zur Z B1863/02 protokollierte und auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Wahlrecht zum Nationalrat sowie in Rechten in Folge Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

Die Beschwerde wurde wie folgt begründet:

"Gemäß §22 Abs(1) NRWO endet der Ausschluss vom Wahlrecht nach 6 Monaten, welche Frist beginnt, sobald die Strafe vollstreckt ist. Gemäß §48 StGB sind Fristen, die ab dem Zeitpunkt der Vollstreckung der Strafe laufen, im Falle der endgültigen Nachsicht des Strafrestes bei bedingter Entlassung ab dieser bedingten Entlassung zu rechnen. Dies führt dazu, dass grundsätzlich erst mit der endgültigen Nachsicht - das ist also mindestens drei Jahre nach der Entlassung - sich herausstellt, dass der Ausschluss vom Wahlrecht schon 2 1/2 Jahre zuvor - nämlich 6 Monate nach der Entlassung - geendet hat. Diese Bestimmung verletzt das durch Art2 StGG und Art7 B-VG gewährleistete Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (die auch hiefür geltenden Beschwerdegründe aus dem Verfahren B669/02 bleiben zwar natürlich aufrecht, werden hier aber nicht wiederholt) in einer im Vorverfahren noch nicht geltend gemachten Form.

Gemäß §22 Abs(2) NRWO tritt jedoch der Ausschluss vom Wahlrecht nicht ein, soweit das Gericht die Strafe bedingt nachgesehen hat. Diese Bestimmung wendet die belangte Behörde nicht auf mich an, obwohl ich mich ausdrücklich hierauf gestützt habe. Der bekämpfte Bescheid ist insoweit gesetzwidrig und verletzt durch die Verweigerung meines Wahlrechtes dieses verfassungsmäßig mir gewährleistete Recht.

Gleichheitswidrigkeit:

Wie schon ausgeführt, endet der in §22 Abs(1) NRWO normierte Ausschluss vom Wahlrecht 6 Monate nach der Vollstreckung der Strafe. Nun steht bei einer bedingten Entlassung dieser Vollstreckungszeitpunkt nicht fest, so lange nicht die endgültige Nachsicht erfolgt ist. Danach - wie aus der zit. Bestimmung des §48 StGB zu entnehmen ist, steht der Fristbeginn mit dem Zeitpunkt der bedingten Entlassung fest. Davor aber ist noch offen, ob es allenfalls zu einem Widerruf der bedingten Entlassung kommen könnte, in welchem Fall der weitere Strafvollzug erforderlich würde und daher - kommt es nicht zu einer neuerlichen bedingten Entlassung - der Vollstreckungszeitpunkt erst mit der endgültigen Entlassung nach Verbüßung der Haftzeit einträte. Da ein solcher Widerruf bis zum Ablauf der Probezeit, bei einem während derselben eingeleiteten neuerlichen Strafverfahren sogar noch danach möglich ist und der bei mir bedingt nachgesehene Strafrest mehr als 2 Jahre beträgt, kann dieser Zeitpunkt denkmöglich auch erst im Jahr 2007 oder danach liegen.

Wenngleich die Ansicht der belangten Behörde, die Frist einfach vom Zeitpunkt der bedingten Entlassung weg zu rechnen, meinen Interessen durchaus entgegen kommt, muss daher festgestellt werden, dass diese Ansicht nicht der Rechtslage entspricht.

Derzeit steht der Zeitpunkt der Vollstreckung meiner Strafe schlicht nicht fest, die 6-Monatsfrist des §22 NRWO hat daher noch nicht begonnen. Beim Ablauf der Probezeit, also im Jahr 2005, wenn meine restliche Strafe endgültig nachgesehen werden wird, stellt sich dann heraus, dass ich eigentlich tatsächlich spätestens mit dem jetzigen Zeitpunkt in das Wählerverzeichnis aufzunehmen gewesen wäre, weil nun der Beginnzeitpunkt der Frist und damit deren längst erfolgter Ablauf feststeht. Inzwischen werden aber zumindest 2 1/2 Jahre verstrichen sein, in denen ich nicht eingetragen, aber objektiv selbst nach dem Wortlaut des §22 NRWO wahlberechtigt gewesen wäre.

Eine gesetzliche Bestimmung aber, die entgegen der verfassungsmäßigen Garantie des Wahlrechtes, unter anderem in Art8 des Staatsvertrages von Wien und Art26 B-VG, objektiv selbst nach der mE verfassungswidrigen Bestimmung der NRWO hiezu unrichtigen faktischen Ausschluss vom Wahlrecht für einen Zeitraum bewirkt, zu dem jedenfalls dieser nicht mehr die Folge der Verurteilung sein kann, widerstreitet nicht nur der vorzitierten Bestimmung über die Gewährleistung des Wahlrechts sondern überdies auch dem Gleichheitsgrundsatz.

...

Gesetzwidrigkeit des Bescheides und Verletzung verfassungsmäßig gewährleisteter Rechte dadurch:

Nach der Bestimmung des [§22] Abs(2) vorletzter Satz [NRWO] tritt 'der Ausschluss vom Wahlrecht ... nicht ein, soweit das Gericht die Strafe bedingt nachgesehen hat.' Die belangte Behörde vertritt nun ohne nähere Begründung die Ansicht, das betreffe nur eine bedingte Nachsicht nach §43 StGB, nicht aber eine solche nach §46 StGB.

Für diese Differenzierung gibt es allerdings keine Grundlage. Zum einen spricht das Gesetz in der NRWO schlicht von bedingter Nachsicht. Dies trifft auf beide Bestimmungen des StGB zu, in beiden Fällen wird ein Teil der Strafe bedingt nachgesehen, im ersteren können dies 100% sein, im zweiten eben höchstens 50%. Da das Gesetz hier das Wort 'soweit' verwendet, geht es selbst von der Möglichkeit aus, dass auch nur eine teilweise bedingte Nachsicht erfolgen kann. Auch das trifft auf beide Bestimmungen zu: Auch im Falle des §43 StGB sieht die Bestimmung des §43a ausdrücklich eine auch nur teilweise bedingte Nachsicht vor. Grundsätzlich unterscheidet - abgesehen von quantitativen Unterschieden - sich daher die Auswirkung dieser Bestimmung nicht von jener des §46 StGB:

In beiden Fällen kann ein Teil der Strafe bedingt nachgesehen werden.

Nun ordnet der klare, keine weitwendigen Interpretationen zulassende Gesetzestext klar an, dass kein Ausschluss vom Wahlrecht eintritt, insoweit eine bedingte Nachsicht erfolgt. Es ist also damit klar, dass in meinem Fall, in dem das LG Steyr rechtskräftig mit Beschluss vom 26.04.2002 ... mir meine restliche Strafe von 2 Jahren 2 Monaten und 10 Tagen bedingt nachgesehen hat, insoweit der Ausschluss vom Wahlrecht nicht eintritt. Also hätten mich die Wahlbehörden in Entsprechung dieser Bestimmung antragsgemäß in das Wählerverzeichnis eintragen müssen und die gesetzwidrige Verweigerung dessen verletzt mich in meinem verfassungsmäßig gewährleisten Wahlrecht, weil ich von der Teilnahme an der NR-Wahl am 24. November 2002 ausgeschlossen war..."

1.4. In beiden verfassungsgerichtlichen Verfahren legte die Bezirkswahlbehörde Kufstein die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete aber auf die Abgabe einer Gegenschrift.

1.5. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst sowie das Bundesministerium für Inneres nahmen - auf Einladung des Verfassungsgerichtshofes hin - zu den in den Beschwerden aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen, insbesondere zur behaupteten Verfassungswidrigkeit des Abstellens auf eine Verurteilung durch ein inländisches Gericht in §22 Abs1 NRWO, Stellung.

1.5.1. Das Bundesministerium für Inneres äußerte sich wie folgt:

"Zum Zeitpunkt, als sich der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Wunsch, sich am Eintragungsverfahren zum Volksbegehren 'Veto gegen Temelin' zu beteiligen, gegen die Nicht-Eintragung in die Wählerevidenz der Gemeinde Kufstein gewendet hat, verbüßte er in der Justizanstalt Garsten eine unbedingt ausgesprochene Haftstrafe. Nach dem Wortlaut des §22 NRWO sind Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen, die durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener Handlungen zu einer mehr als einjährigen unbedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind, wobei dieser Ausschluss nach sechs Monaten endet und diese Frist beginnt, sobald die Strafe vollstreckt ist. Auf den Beschwerdeführer hat diese Voraussetzung ohne Zweifel nicht zugetroffen. Die angeführte Gesetzesbestimmung steht einwandfrei in Einklang mit Art26 Abs5 B-VG, wonach eine Ausschließung vom Wahlrecht und von der Wählbarkeit (nur) die Folge einer gerichtlichen Verurteilung sein kann. Es wird davon ausgegangen, dass Art26 Abs5 B-VG eine lex specialis zu dem im B-VG verankerten Gleichheitsgrundsatz darstellt und §22 NRWO somit verfassungskonform ist...

In §26 Abs5 B-VG wird lediglich die allgemeine Aussage getroffen, dass eine gerichtliche Verurteilung die Folge der Ausschließung vom Wahlrecht sein kann. Aussagen über die Länge dieser Folgen werden nicht getroffen. Es gibt daher keinen Anhaltspunkt, dass eine über die Haftentlassung hinaus geltende Ausschließung vom Wahlrecht nicht ebenfalls verfassungskonform ist oder auch dann verfassungskonform wäre, wenn sie für einen längeren Zeitraum als sechs Monate gelten würde, wie das nach der Nationalrats-Wahlordnung 1971 der Fall war (fünf Jahre). In diesem Zusammenhang wird auf den Umstand verwiesen, dass nach dem Wortlaut des Art26 Abs5 B-VG in der Stammfassung von 1920 die Ausschließung vom Wahlrecht und von der Wählbarkeit (nur) die Folge einer gerichtlichen Verurteilung oder Verfügung sein konnte. Nach der Wahlordnung von 1920, auf deren Grundlage die Konstituierende Nationalversammlung gewählt wurde (StGBl. 316 und 351), war im §13 vorgesehen, dass - nur bestimmte - gerichtliche Verurteilungen den Ausschluss vom Wahlrecht und von der Wählbarkeit zur Folge haben können. Im Sinn der vom Verfassungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtssprechung bei Auslegung wahlrechtlicher Normen gebotenen strikten Wortinterpretation steht es für das Bundesministerium für Inneres jedoch außer Zweifel, dass der Gesetzgeber (theoretisch) verfassungskonform den Ausschluss vom Wahlrecht auf eine gerichtliche Verurteilung jeden Ausmaßes abstellen kann."

1.5.2. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst nahm wie folgt Stellung:

"Allgemeine Vorbemerkungen:

Der österreichischen Bundesverfassung liegt erschließbar aus Art26 Abs1 und 4 B-VG sowie Art8 Staatsvertrag von Wien und Art3

1. ZP EMRK der Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts zugrunde. Er bedeutet, dass grundsätzlich allen österreichischen Staatsbürgern das Recht zur Teilnahme an der Wahl des Nationalrates zukommt. Dieses allgemeine Wahlrecht ist jedoch insofern beschränkt und damit relativ, als verfassungsrechtlich gewisse Einschränkungen vorgesehen sind; darunter fällt auch Art26 Abs5 B-VG. Nowak (Politische Grundrechte, 1988, 350, bzw. 227 f) weist nach, dass viele Rechtsordnungen hinsichtlich bestimmter Delikte die Sanktion des strafgerichtlichen Entzugs politischer Rechte oder der Aberkennung des staatsbürgerlichen bzw. aktiv bürgerlichen Status kannten bzw. kennen (aaO 350).

Bereits seit den auf Grund des Februar-Patents 1861 erlassenen Landtags-Wahlordnungen führte die Verurteilung wegen aller Verbrechen sowie wegen bestimmter Vergehen und Übertretungen zum Ausschluss vom Wahlrecht. Mit dem Übergang zur Republik wurden die Wahlrechtsausschlussgründe wegen gerichtlicher Verurteilungen nicht vermindert und nach dem 2. Weltkrieg insbesondere durch die Tatbestände der Nationalsozialisten-Gesetzgebung noch erweitert (Nowak, aaO 351). Dementsprechend war die Liste der Wahlrechtsausschließungsgründe wegen gerichtlicher Verurteilung gemäß §24 der NRWO 1949, 1957, 1959 und 1962 ziemlich umfangreich und stellte somit eine relativ weitgehende Einschränkung des allgemeinen Wahlrechts dar. Die Liberalisierung und damit Demokratisierung des Wahlrechts erfolgte erst in den 70er Jahren. Durch die NRWO 1971 wurden alle Vergehen und Übertretungen gestrichen, hinsichtlich der Verbrechen wurde der Ausschluss jedoch bis fünf Jahre nach Ende der Freiheitsstrafe beibehalten.

Durch die Novelle 1979 wurde §22 NRWO 1971 neu gefasst:

Seither ist vom Wahlrecht nur mehr ausgeschlossen, 'wer durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist'. Der Ausschluss ist weiterhin mit fünf Jahren nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe befristet. Bei einer bedingten Verurteilung tritt der Ausschluss nicht ein. Alle sonstigen Verurteilungen (zu Geldstrafen, zu Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr wegen Fahrlässigkeitsdelikten etc) führen nicht zum Ausschluss des Wahlrechts. Mit dieser Neuregelung wurde auch die taxative Liste der Wahlausschließungsgründe wegen gerichtlicher Verurteilungen beseitigt und stattdessen eine generelle Formulierung getroffen. Diese Änderung erfolgte im Zuge des parlamentarischen Genehmigungsverfahrens; die ursprünglich eingebrachte Regierungsvorlage betreffend die Nationalrats-Wahlordnung (RV 139 BlgNR XII. GP) wurde zurückgezogen. Die Neukonstruktion der Wahlausschließungsgründe war eines der Anliegen im Verfassungsausschuss (AB 238 BlgNR XII. GP, 1).

Zur Frage der behaupteten Verfassungswidrigkeit des Abstellens auf eine Verurteilung durch ein inländisches Gericht:

§22 NRWO findet seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art26 Abs5 B-VG, wonach '(d)ie Ausschließung vom Wahlrecht und von der Wählbarkeit ... nur die Folge einer gerichtlichen Verurteilung sein (kann)'. Für die Beurteilung der im vorliegenden Fall aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragestellungen ist die Interpretation dieser Verfassungsbestimmung von maßgeblicher Bedeutung; dabei ist im Folgenden insbesondere zu untersuchen, wie diese Bestimmung im Versteinerungszeitpunkt (dies ist im vorliegenden Fall der 1. Oktober 1920) zu verstehen war:

Art 26 Abs5 B-VG ist seit dem 1. Oktober 1920 - im für den vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Bereich - unverändert in Geltung (der zu diesem Zeitpunkt bestehende Wahlausschließungsgrund einer entsprechenden 'Verfügung' wurde im Zuge der B-VG-Novelle BGBl. Nr. 470/1992 beseitigt). Dem Verfassungsgesetzgeber lagen auf einfachgesetzlicher Ebene sehr rezente Regelungen vor, nämlich das Gesetz über die Wahlordnung für die Nationalversammlung vom 20. Juli 1920, StGBl. Nr. 351/1920. Und bereits dieses Gesetz hat in den litb und c des §13 vorgesehen, dass Personen vom Wahlrecht und von der Wählbarkeit ex lege ausgeschlossen sind, welche gerichtlich wegen eines Verbrechens oder dort näher bezeichneter Übertretungen verurteilt wurden.

Eine Zusammenschau dieser dort verwiesenen Bestimmungen ergibt kein einheitliches Bild hinsichtlich der Länge der angedrohten Freiheitsstrafen, hinsichtlich der 'graduellen Intensität' der zu verhängenden Freiheitsstrafen (Arrest, strenger Arrest, Kerker und schwerer Kerker) und hinsichtlich des durch die jeweilige Strafnorm geschützten Rechtsgutes. Nur beispielsweise sei etwa auf folgende (weitere) in §13 leg. cit. angeführten Rechtsnormen hingewiesen:

* §1 RGBl. Nr. 47/1881 (Gesetz betreffend Abhilfe wider unredliche Vorgänge bei Creditgeschäften) bedrohte wucherisches Verhalten des Kreditgebers (oder des Zessionars einer aus einem solchen Geschäft entstandenen Forderung) mit einer Bestrafung mit 'strengem Arreste' in der Dauer von einem bis zu drei Monaten.

* Das in §13 litc RGBl. Nr. 351/1920 genannte Gesetz betreffend strafrechtlicher Bestimmungen zum Schutze der Wahl- und Versammlungsfreiheit, RGBl. Nr. 18/1907 sah beispielsweise Freiheitsstrafen von einem bis sechs Monaten 'strengem Arrest' oder 'Arrest' (§3, §12) vor.

* Für Verbrechen im Sinne des StG 1852 sah §17 leg. cit. eine Verurteilung zur Kerkerstrafe 'entweder auf sein ganzes Leben oder auf gewisse Zeit' vor, wobei die kürzeste Dauer sechs Monate, die längste 20 Jahre betrug.

* Der zweite Absatz des §13 litb RGBl. Nr. 351/1920 sah eine dem §22 NRWO vergleichbare 'Fristregelung' hinsichtlich des Aufhörens der Folge des Verlustes des Wahlrechts und der Wählbarkeit vor. Etwa sollte bei einer Verurteilung zu einer Strafe von wenigstens fünf Jahren diese Rechtsfolge zehn Jahre nach Verhängung der Strafe 'aufhören'.

* Es wäre jedoch auch darauf hinzuweisen, dass etwa bei einer Verurteilung wegen eines 'in §6 Z1 bis 10 des Gesetzes vom 15. November 1867, RGBl. Nr. 131' aufgezählten Verbrechens diese Rechtsfolge 'mit dem Ende der Strafe' aufzuhören hatte. In §6 Z8 des letztgenannten Gesetzes wurde beispielsweise auf die §§158, 163 und 164 StG 1852, RGBl. Nr. 117 weiterverwiesen. Ein Verstoß gegen §158 StG ('Zweikampf') war gemäß §159 StG mit Kerker von sechs Monaten bis zu einem Jahr bedroht, ein Verstoß gegen §163 StG ('Strafe der Theilnehmer') war mit 'Kerker von sechs Monaten bis zu einem Jahre', sofern der Zweikampf eine Verwundung oder gar den Tod zur Folge hatte und der Einfluss des Teilnehmers 'besonders wichtig' war, war dieser mit 'Kerker von einem bis zu fünf Jahren' zu bestrafen. Die Verwirklichung der Qualifikation des §164 konnte die Verurteilung mit 'Kerker bis fünf Jahre' nach sich ziehen.

Aus einer Zusammenschau des historischen Normbestandes lässt sich daher nach Ansicht des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst ein einheitlicher Kriterienkatalog weder für die Frage, welche Normverstöße den Verlust des Wahlrechtes und der Wählbarkeit nach sich ziehen, noch für die Frage gewinnen, wie lange dieser Ausschluss den Verurteilten traf.

Nach Ansicht des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst ist dieses Ergebnis der Sichtung des historischen Normbestandes für das Verständnis der Bestimmung des am 1. Oktober 1920 beschlossenen Art26 Abs5 B-VG ausschlaggebend. Diese Bestimmung sah bereits vor, dass die 'Ausschließung vom Wahlrecht und von der Wählbarkeit nur die Folge einer gerichtlichen Verurteilung oder Verfügung sein' kann, ohne jedoch selbst nähere Kriterien dafür vorzugeben, an welche Verurteilungen zu welcher Dauer ein Straftäter jeweils verurteilt wurde.

Die nähere Ausgestaltung dieser Bestimmung des B-VG erfolgte erstmals in den Bestimmungen der NRWO 1923, BGBl. Nr. 367, welche in §27 eine - ohne jetzt ins Detail gehen zu können - der Bestimmung des §13 der Wahlordnung für die Nationalversammlung vom 20. Juli 1920, RGBl. Nr. 351/1920 ähnliche Regelung getroffen hat. Ein Anknüpfen des Verlustes des Wahlrechtes an eine gerichtliche Verurteilung - in welchem Ausmaß auch immer und im Sinne einer 'Automatik' - war daher schon vor Inkrafttreten des Bundes-Verfassungsgesetzes vorgesehen und auch die Konstituierende Nationalversammlung als Normsetzungsautorität des Art26 Abs5 B-VG 1920 ist daher von einem solchen Verständnis ausgegangen, dass nur eine inländische gerichtliche Verurteilung den Verlust des Wahlrechtes nach sich ziehen kann.

Wie bereits erwähnt, gibt Art26 Abs5 keinerlei weitere Kriterien vor, in welcher Form dieser Wahlausschließungsgrund näher auszugestalten ist. Die Einschränkung des allgemeinen Wahlrechts unterliegt jedoch absoluten Grenzen, die sich aus weiteren Verfassungsbestimmungen ergeben (siehe dazu eingehend Nowak, aaO 332 ff). Dazu zählt u.a. selbstverständlich auch das Verbot sachlich ungerechtfertigter Differenzierungen (Art7 B-VG).

Der Beschwerdeführer nimmt nun eine Gleichheitswidrigkeit darin an, als die Verurteilung durch ein ausländisches Gericht nicht zum Ausschluss vom Wahlrecht führt. Dem können nach Auffassung des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst folgende Überlegungen entgegengehalten werden:

Das allgemeine, gleiche Wahlrecht zum Nationalrat stellt auf eine besondere Bindung der Staatsbürger zum Staat ab. Wie oben näher ausgeführt, ging der historische Verfassungsgesetzgeber davon aus, dass nur von einem inländischen Gericht verhängte Strafen zu einem Ausschluss vom Wahlrecht führen können. Vor dem Hintergrund, dass Art26 Abs5 den einfachen Gesetzgeber zur Schaffung einer Regelung über die Ausschließung vom Wahlrecht lediglich ermächtigt, aber keineswegs verpflichtet und Art26 Abs5 B-VG den einfachen Gesetzgeber zu einem Eingriff in ein politisches Grundrecht ermächtigt, wird diese Ermächtigung restriktiv auszulegen sein und wird insbesondere nicht zu einer Ausdehnung der Wahlausschließungsgründe über jenes Verständnis hinaus berechtigen, das dem historischen Verfassungsgesetzgeber zugrunde zu legen ist. In diesem Zusammenhang kann erneut auf Ausführungen von Nowak hingewiesen werden, der die Auffassung vertritt, dass auch der Bundesgesetzgeber an jenen Standard demokratischer Allgemeinheit gebunden ist, den er in Ausführung des verfassungsgesetzlichen Gestaltungsauftrags selbst geprägt hat. Eine Unterschreitung dieses Standards durch Einführung neuer einfachgesetzlicher Wahlrechtsausschließungsgründe würde nach Nowaks Auffassung eine Verletzung des aus dem allgemeinen Wahlrecht folgenden grundrechtlichen Anspruchs darstellen (Nowak, aaO 353 f).

Ausgehend von diesen Überlegungen kann festgehalten werden, dass ein Abstellen auch auf ausländische Verurteilungen jedenfalls eine Ausweitung von Wahlausschließungsgründen und zwar über das historische Verfassungsverständnis dieser Bestimmung hinaus bedeuten würde. Insofern kann dem einfachen Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er den Wahlausschluss nur an bestimmte inländische Strafurteile knüpft und zudem seit Anfang der 70er Jahre im Wege einer Liberalisierung immer mehr Verurteilungen vom Wahlausschluss ausgenommen hat.

Weiters darf der Verwaltungsaufwand, der mit dem Abstellen auch auf ausländische Verurteilungen verbunden wäre, nicht übersehen werden: Eine ausländische Verurteilung dürfte einer inländischen aus verfassungsrechtlichen Überlegungen nur dann gleichgestellt werden, wenn der Betroffene wegen einer Tat schuldig gesprochen wird, die auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist und in einem den Grundsätzen des Art6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen ist (vgl. §73 StGB). Damit müsste jedoch jede ausländische Verurteilung im Einzelnen auch geprüft werden, was einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen würde.

Im Übrigen darf darauf hingewiesen werden, dass §44 Abs2 StGB dem Richter die Möglichkeit einräumt, den Eintritt des Wahlausschließungsgrundes in Folge der Verurteilung bedingt nachzusehen - insofern sieht der einfache Gesetzgeber ein Korrektiv vor, im Einzelfall, abgestellt auf den Betroffenen, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen.

Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass die [vom Beschwerdeführer] behauptete Gleichheitswidrigkeit des §22 NRWO nicht vorliegt."

2. Die Voraussetzungen für die Gewährung der im zur Z B1863/02 protokollierten Beschwerdeverfahren beantragten Verfahrenshilfe liegen vor; sie war daher in Form der Befreiung von der - noch nicht entrichteten - Eingabengebühr zu gewähren (sh. §64 Abs3 erster Satz ZPO).

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden, die wegen ihres Zusammenhanges in sachlicher und persönlicher Hinsicht in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Entscheidung verbunden wurden, erwogen:

3.1.1. Die hier in erster Linie maßgeblichen Rechtsvorschriften haben folgenden Wortlaut:

§2 Abs1 Wählerevidenzgesetz 1973:

"§2 (1) In die Wählerevidenz sind alle Männer und Frauen einzutragen, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, vor dem 1. Jänner des Jahres der Eintragung das 18. Lebensjahr vollendet haben, vom Wahlrecht zum Nationalrat nicht ausgeschlossen sind und in der Gemeinde ihren Hauptwohnsitz haben."

§22 Nationalrats-Wahlordnung 1992:

"Wahlausschließungsgründe

Wegen gerichtlicher Verurteilung

§22 (1) Vom Wahlrecht ist ausgeschlossen, wer durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist. Dieser Ausschluß endet nach sechs Monaten. Die Frist beginnt, sobald die Strafe vollstreckt ist und mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahmen vollzogen oder weggefallen sind; ist die Strafe nur durch Anrechnung einer Vorhaft verbüßt worden, so beginnt die Frist mit Rechtskraft des Urteils.

(2) Ist nach anderen gesetzlichen Bestimmungen der Eintritt von Rechtsfolgen ausgeschlossen, sind die Rechtsfolgen erloschen oder sind dem Verurteilten alle Rechtsfolgen oder der Ausschluß vom Wahlrecht nachgesehen worden, so ist er auch vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen. Der Ausschluß vom Wahlrecht tritt ferner nicht ein, soweit das Gericht die Strafe bedingt nachgesehen hat. Wird die bedingte Nachsicht widerrufen, so tritt mit dem Tag der Rechtskraft dieses Beschlusses der Ausschluß vom Wahlrecht ein."

3.1.2. Der in der Bundesverfassung (sh. Art26 Abs1 und 4 B-VG) verankerte Grundsatz des allgemeinen Wahlrechtes aller Staatsbürger erfährt durch Abs5 des Art26 B-VG eine (mögliche) Einschränkung.

Art 26 Abs5 B-VG lautet wie folgt:

"Die Ausschließung vom Wahlrecht und von der Wählbarkeit kann nur die Folge einer gerichtlichen Verurteilung sein."

3.2. Der Beschwerdeführer ist nun zunächst der Auffassung, dass zu Folge der zuletzt genannten Verfassungsbestimmung ein Gericht darüber entscheiden müsse, ob der Ausschluss vom Wahlrecht eintrete oder nicht. Ein Ausschluss vom Wahlrecht wegen einer gerichtlichen Verurteilung sei nur dann vertretbar, wenn es sich um eine im Strafgesetz für die verurteilte Tat vorgesehene Sanktion handle und diese Sanktion durch ein unabhängiges Gericht in bekämpfbarer Weise als Strafe verhängt werde, und zwar auf Grund einer Würdigung der individuellen Schuld des Täters. Der "Automatismus", mit dem der Gesetzgeber in §22 Abs1 NRWO den Ausschluss vom Wahlrecht eintreten lasse, sei nicht im Sinn des Art26 Abs5 B-VG.

Dem ist entgegen zu halten, dass Art26 Abs5 B-VG schon von seinem Wortlaut her (arg.: "die Folge") den Ausschluss vom Wahlrecht (und von der Wählbarkeit) als von Gesetzes wegen eintretende Folge einer strafgerichtlichen Verurteilung vorsieht. Eine derartige Regelung wurde aber in §22 NRWO getroffen. Insoferne bestehen dagegen unter dem Aspekt des Art26 Abs5 B-VG keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

3.3. Der Beschwerdeführer behauptet weiters, §22 Abs1 NRWO verstoße in Folge des Abstellens auf eine Verurteilung durch ein inländisches Gericht gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Im Einzelnen führt der Beschwerdeführer dazu aus, die in Rede stehende Bestimmung führe zu einer unterschiedlichen Behandlung von im Inland und im Ausland Verurteilten, wofür es aber keine sachlich gerechtfertigte Grundlage gebe. In weiten Bereichen seien nämlich ausländische strafgerichtliche Verurteilungen in Österreich anerkannt, es könne sogar deren Vollzug durch die österreichischen Justizbehörden übernommen werden. Es sei daher nicht erkennbar, inwieweit ein sachlicher Unterschied zwischen ausländischen Verurteilungen und solchen durch inländische Gerichte bestehen soll. Überdies würden durch die inkriminierte Bestimmung der NRWO zwei Klassen von Insassen österreichischer Haftanstalten geschaffen: Im Inland verurteilte Staatsbürger, die des Wahlrechtes "entkleidet" seien, und im Ausland verurteilte österreichische Staatsbürger, die ihre Strafe im Inland verbüßen und das Wahlrecht besitzen.

Auch mit dieser Behauptung ist der Beschwerdeführer nicht im Recht. Ausgehend vom historischen Normenbestand (vgl. das Gesetz über die Wahlordnung für die Nationalversammlung vom 20.7.1920, StGBl. 351, das im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art26 Abs5 B-VG idF BGBl. 1920/1, wonach "die Ausschließung vom Wahlrecht und von der Wählbarkeit nur die Folge einer gerichtlichen Verurteilung oder Verfügung sein kann", in Geltung stand) ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass der Verfassungsgesetzgeber in Ansehung des hier relevanten Tatbestandselementes "gerichtliche Verurteilung" (in Art26 Abs5 B-VG) bloß auf die Verurteilung durch ein inländisches Gericht abstellen wollte.

3.4. Was schließlich die Behauptung des Beschwerdeführers anbelangt, §22 Abs1 NRWO führe zu einer sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung von in Österreich verurteilten Österreichern gegenüber in Österreich verurteilten Ausländern, so genügt es darauf hinzuweisen, dass ein Ausschluss vom Wahlrecht nur für österreichische Staatsbürger in Betracht kommt, nicht aber für Angehörige anderer Staaten, die von vornherein nicht Träger dieses Rechtes sind.

3.5. Als Anknüpfungspunkt für den Ausschluss vom Wahlrecht in §22 Abs1 NRWO eine rechtskräftige Verurteilung (durch ein inländisches Gericht wegen ein oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen) zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe zu normieren, liegt nach der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes im Bereich des dem Gesetzgeber zustehenden rechtspolitischen Spielraumes. Dass in Folge dieser Regelung Staatsbürger, die zu einer knapp mehr als einjährigen Freiheitsstrafe wegen eines Vorsatzdeliktes verurteilt wurden, vom Wahlrecht ausgeschlossen sind und solche Staatsbürger, die zu einer knapp unter einem Jahr liegenden Freiheitsstrafe (wegen einer mit Vorsatz begangenen strafbaren Handlung) verurteilt wurden, vom Wahlrechtsausschluss nicht betroffen sind, macht die in Rede stehende gesetzliche Bestimmung dabei nicht verfassungswidrig (vgl. VfSlg. 13.822/1994 mwH). Auch die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang angeführten einzelnen Sachverhaltskonstellationen (so etwa unter Verweis auf das Jugendgerichtsgesetz) ändern an diesem Ergebnis nichts.

3.6.1. Zu der vom Beschwerdeführer in dem zur Z B1863/02 protokollierten Verfahren in der Beschwerdeschrift aufgestellten Rechtsverletzungsbehauptung, er sei durch den bekämpften Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Wahlrecht zum Nationalrat verletzt worden, ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das durch Art26 Abs1 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistete Wahlrecht zum Nationalrat durch jede rechtswidrige Verweigerung der Eintragung in das Wählerverzeichnis verletzt wird (vgl. VfSlg. 5148/1965, 7017/1973, 15.437/1999, sh. auch VwSlg. 1222 A/1950 und 1628 A/1950).

Das ist im Besonderen dann der Fall, wenn die Behörde die für den bekämpften Bescheid maßgebliche Rechtslage verkennt. Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor. Es genügt - unter Hinweis auf den Bescheid der Bezirkswahlbehörde Kufstein vom 7.11.2002 - festzustellen, dass die Bezirkswahlbehörde Kufstein in zutreffender Anwendung der Bestimmungen des §22 Abs1 zweiter und dritter Satz NRWO das für den vorliegenden Fall zu beurteilende Ende der Frist für den Ausschluss des Beschwerdeführers vom Wahlrecht - gerechnet ab dem Datum seiner bedingten Entlassung am 18.6.2002 - mit dem 18.12.2002 rechtsrichtig angenommen hat. Die vom Beschwerdeführer aufgestellte Behauptung, dass die Rechtsauffassung der belangten Behörde zur Frage des Endes der Ausschlussfrist dem Gesetz nicht entspreche, trifft nicht zu.

3.6.2. Damit wurde der Beschwerdeführer durch den angefochtenen, die Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis für die Nationalratswahl 2002 verfügenden Bescheid nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Wahlrecht zum Nationalrat verletzt.

Die auf der als unzutreffend erkannten Rechtsansicht des Beschwerdeführers aufbauenden und in der zur Z B1863/02 protokollierten Beschwerde (sh. Pkt. 1.3.2.) gegen die Fristregelung in §22 Abs1 NRWO vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken waren nicht weiter zu erörtern.

4.1. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer durch keinen der angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Wahlrecht (zum Nationalrat) verletzt wurde. Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in einem sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre. Auch eine Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen generellen Rechtsvorschrift liegt nicht vor.

4.2. Die Beschwerden erweisen sich deshalb insgesamt als unbegründet; sie waren abzuweisen.

5.1. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5.2. Die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe wurde gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ebenfalls in nichtöffentlicher Sitzung gefasst.

Schlagworte

Auslegung historische, VfGH / Verfahrenshilfe, Wahlen, Wahlrecht, Wählerevidenz, Inländerdiskriminierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B669.2002

Dokumentnummer

JFT_09968873_02B00669_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten