TE Vfgh Erkenntnis 2003/12/3 V7/01

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Veröffentlicht am 03.12.2003
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Bebauungsplan "Pancheri-Feld 1" des Gemeinderates der Stadtgemeinde Kitzbühel vom 31.01.00
StGG Art5
Tir RaumOG 1997 §58
Tir StraßenG §37
VfGG §57 Abs1

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit der Festlegung einer Straßenfluchtlinie für ein Grundstück in einem Bebauungsplan; konkreter im öffentlichen Verkehrsinteresse liegender Bedarf an einer Erschließungsstraße im Gewerbe- und Industriegebiet; keine entschädigungslose Enteignung

Spruch

Der Antrag wird insoweit abgewiesen, als er die Aufhebung der für das Grundstück Nr. 2074/8 im allgemeinen und ergänzenden Bebauungsplan "Pancheri-Feld 1" ostseitig festgelegten Straßenfluchtlinie begehrt, im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstückes Nr. 2074/8, KG 82107, Kitzbühel-Land. Sie begehren mit ihrem auf Art139 B-VG gestützten Antrag:

"1. den allgemeinen und ergänzenden Bebauungsplan 'Pancheri-Feld 1', beschlossen vom Gemeinderat der Stadtgemeinde Kitzbühel am 31. Jänner 2000 und aufsichtsbehördlich genehmigt durch die Tiroler Landesregierung am 2. Mai 2000 als gesetzwidrig auf[zu]heben,

in eventu

2. sämtliche im genannten Bebauungsplan festgelegte Straßenfluchtlinien als gesetzwidrig auf[zu]heben,

in eventu

3. die ostseitig festgelegte Straßenfluchtlinie im genannten Bebauungsplan auf[zu]heben,

in eventu

4. die für das Grundstück 2074/8 im genannten Bebauungsplan ostseitig festgelegte Straßenfluchtlinie wegen Gesetzwidrigkeit auf[zu]heben."

1.2. Sie führen zur Antragslegitimation aus, dass sie durch die im Bebauungsplan festgelegten Straßenfluchtlinien unmittelbar betroffen seien, da weitere bauliche Maßnahmen in diesem Bereich unmöglich seien. Es sei den Antragstellern auch nicht zumutbar, ein kostspieliges baubehördliches Verfahren anzustrengen, um die Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des allgemeinen und ergänzenden Bebauungsplans nach Erwirken eines letztinstanzlichen Bescheides an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Aus den gegen die Verordnung vorgebrachten Bedenken ergibt sich weiters, dass die westseitig festgelegte Straßenfluchtlinie der "geplanten Überdachung der dort befindlichen Parkplätze" entgegenstehe. Die ostseitige Straßenfluchtlinie mache es unmöglich, Garagen für die 4 Wohnungen im Haus zu errichten. Der dortige Bereich werde derzeit bereits als Parkplatz verwendet.

1.3. In der Sache führen die Antragsteller aus, dass die bestehende Wegtrasse (Grundstück Nr. 2074/9) eine Mindestbreite von 3 m aufweise und für Fahrzeuge üblicher Bauart problemlos befahrbar sei. Die geplante Breite sei auch in Zukunft nicht notwendig, um die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs iSd §58 TROG iVm §37 Tir StraßenG zu gewährleisten. Die Antragsteller seien in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) und Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) verletzt. Es bestehe einerseits kein Bedarf, der ein öffentliches Interesse begründen würde, andererseits sei die alleinige Belastung des Grundstücks Nr. 2074/8 unverhältnismäßig. Die Festlegung der ostseitigen Straßenfluchtlinie sei auch unter Einbeziehung des Grundstückes Nr. 2074/7 möglich. Weiters seien die anderen von der Verordnung betroffenen Grundstücke (Nr. 2074/10, 2074/11, 2074/3, 2074/4) lediglich durch die Festlegung der westseitigen, nicht jedoch der ostseitigen Straßenfluchtlinie belastet worden. Die Straßenfluchtlinie entlang der Wegparzelle 2074/9 sei auch nicht unter Einbeziehung des [im Norden angrenzenden, vom bekämpften Bebauungsplan nicht betroffenen] Grundstücks Nr. 2074/1 fortgesetzt worden, obwohl in diesem Bereich wesentlich mehr Fahrzeuge - und dabei vor allem Schwerfahrzeuge - die Straße benützten, da sich auf den [im Norden] anschließenden Grundstücken Nr. 2074/12 und 2076/1 die Lagerhallen und -plätze der Erstantragstellerin befinden würden. Die Erstantragstellerin sei anlässlich der Errichtung der Lagergebäude auf dem Grundstück Nr. 2074/12 verpflichtet worden, einen 3 Meter breiten Streifen entlang der Ostseite des Grundstückes für die Wegparzelle 3946/2 kostenlos in das öffentliche Gut abzutreten. Das Grundstück Nr. 2074/1 werde somit als einziges nicht durch die Festlegung einer Straßenfluchtlinie belastet. Eine Verbesserung der Verkehrslage sei schon mangels Einbeziehung aller entlang der Wegparzellen 2074/13 und 3946/2 befindlichen Grundstücke nicht gegeben.

2. Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Kitzbühel erstattete eine Äußerung, in der er beantragt, den Antrag abzuweisen.

Das Grundstück der Antragsteller befinde sich in einem bereits seit 1977 als "Gewerbegebiet Nord" bezeichneten Gebiet, dessen Erschließung durch einen Teilbebauungsplan vom 27. September 1977 geregelt worden sei. In diesem Bebauungsplan sei entlang des Grundstückes der Antragsteller eine Erschließungsstraße von 8,00 m Breite festgelegt gewesen. Basierend auf diesem Bebauungsplan seien unter Berücksichtigung der bereits bestehenden Bebauung, datiert mit 15. Mai 1986 Baustufenpläne mit den Baustufen I, II und III zur Errichtung der Erschließungsstraße entstanden. Das Grundstück der Antragsteller sei mit Gemeinderatsbeschluss vom 24. März 1988, genehmigt mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 10. Mai 1988, als Gewerbe- und Industriegebiet - Aufschließungsgebiet gewidmet worden. Die umgebenden Grundstücke seien bereits seit der Erlassung des Flächenwidmungsplanes der Stadtgemeinde Kitzbühel im Jahr 1980 als Gewerbe- und Industriegebiet gewidmet gewesen. Die in den Baustufen I und II der oben angeführten Baustufenpläne dargestellte Erschließungsstraße sei bereits errichtet. Die dafür notwendigen Grundflächen seien von den jeweiligen Eigentümern in das öffentliche Gut abgetreten worden. Von der Baustufe III sei jener Teil der Straße bereits erstellt und in das öffentliche Gut übertragen, der sich zwischen den Gst. Nr. 2074/8, 2974/10 [gemeint: 2074/10], 2074/11 sowie 2074/4 einerseits und 2074/7, 2074/6 sowie 2074/5 andererseits befinde. Beim Gst. Nr. 2074/1, das noch als Freiland gewidmet sei, sei der vorgesehene Erschließungsweg in der Natur bereits vorhanden.

Dem angefochtenen Bebauungsplan gingen neben dem Bebauungsplan aus dem Jahr 1977 ein Bebauungsplan aus dem Jahr 1990 und ein Bebauungsplan aus dem Jahr 1992 voraus. Auf Antrag der Voreigentümer der Antragsteller sei in der Gemeinderatssitzung vom 21. Mai 1990 ein Bebauungsplan beschlossen worden, der - bezogen auf das Gst. Nr. 2074/8 - an der Ostseite eine mit dem angefochtenen Bebauungsplan identische Straßenfluchtlinie zum Inhalt gehabt habe. Die Baufluchtlinie sei so festgelegt gewesen, dass sich im Vergleich zur aktuellen Rechtslage eine geringere Bebauungsmöglichkeit ergeben habe. An der Westseite des Grundstückes sei in diesem Bebauungsplan eine Straßenfluchtlinie nahe der Grundgrenze festgelegt gewesen, doch ergebe sich aus der Baufluchtlinie dieses Bebauungsplanes, dass ein Abstand von 8,00 m zur Grundgrenze einzuhalten gewesen sei.

Mit Eingabe vom 10. Oktober 1991 habe die Erstantragstellerin einen Antrag auf Änderung des Bebauungsplanes betreffend die Erhöhung der höchstzulässigen Geschossflächendichte und die Verschiebung der vorhin genannten Baufluchtlinie an der Westseite des Grundstückes gestellt, sodass sich ein von der Bebauung freizuhaltender Abstand zum Weggrundstück Nr. 3938/5 von 7,00 m zur Grundgrenze ergebe. Von einer Änderung der ostseitig festgelegten Straßenfluchtlinie und damit sich ergebenden Wegbreite von 6,00 m sei nicht die Rede gewesen. Schließlich könne die Erschließung eines Gewerbegebietes verkehrstechnisch nur in Form von zweispurigen Erschließungsstraßen erfolgen, die auch für den Schwerverkehr geeignet sein müssten. Mit einer 3,00 m breiten Straße wäre ein Industriegebiet keinesfalls ausreichend erschlossen. Unter dieser Voraussetzung würde der Bebauungsplan den Zielen der örtlichen Raumordnung bzw. einer geordneten baulichen Entwicklung nicht entsprechen.

3. Die Tiroler Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, den Antrag ab- in eventu zurückzuweisen. Es fehle an der Antragslegitimation, da die Antragsteller keine aktuelle Bauabsicht bekundet hätten. Hinsichtlich der Bekämpfung des gesamten Bebauungsplanes führt die Tiroler Landesregierung ins Treffen, dass dieser auch Bebauungsregeln festlege, gegen die sich das Antragsvorbringen in keiner Weise richte. Auch sei das Vorbringen gegen die westseitige Straßenfluchtlinie unsubstantiiert und genüge somit nicht den Anforderungen des §57 Abs1 zweiter Satz VfGG. Der Hauptantrag sowie das erste und zweite Eventualbegehren seien darüber hinaus überschießend, da sie auch nicht im Eigentum der Antragsteller stehende Grundstücke betreffen.

In der Sache führt die Landesregierung Folgendes aus:

Der allgemeine und ergänzende Bebauungsplan "Pancheri-Feld 1" erfasse ein zusammenhängendes, als Gewerbe- und Industriegebiet gewidmetes Gebiet, das im Westen von der Kitzbüheler Ache und dem daran anschließenden Uferbegleitweg Grundstück Nr. 3938/5 und im Osten vom Weggrundstück Nr. 2074/11 bzw. im Bereich des Grundstücks der Antragsteller vom anschließenden Weggrundstück Nr. 2074/9 begrenzt werde. Nördlich des Grundstückes der Antragsteller befinde sich das Grundstück Nr. 2074/1, über das unmittelbar angrenzend an das Grundstück der Antragsteller eine Straße verlaufe, die das in Rede stehende Gewerbe- und Industriegebiet zusammen mit der Brücke über die Kitzbüheler Ache an die westlich derselben entlang führende Bundesstraße anbinde.

Der Bebauungsplan sehe an der Ostseite des Planungsgebietes eine Straßenfluchtlinie vor, die entlang der Grenze der Grundstücke Nr. 2074/4, 2074/11 und 2074/10 zum Weggrundstück Nr. 2074/13 hin verlaufe. Im Bereich des nördlich daran anschließenden Grundstückes der Antragsteller setze sich diese Straßenfluchtlinie im Wesentlichen geradlinig fort. Sie schneide damit das Grundstück der Antragsteller, indem ein ca. drei Meter breiter, zum Weggrundstück Nr. 2074/9 hin schmäler werdender Streifen davon umfasst werde. Dieses Weggrundstück weise im Bereich des Grundstückes der Antragsteller, das ist auf einer Länge von nur 22 m, eine Breite von nur 3 m auf; die Breite des südlich anschließenden Weggrundstückes Nr. 2074/13 betrage dagegen ca. 6 m.

Zwar weise das Weggrundstück 2074/9 auch nördlich des Grundstückes der Antragsteller im Bereich des Grundstückes Nr. 2074/1 eine Breite von nur 3 m auf. Anlässlich der Widmung dieses Grundstückes als Gewerbe- und Industriegebiet im Jahre 1990 sei jedoch unter Einbeziehung eines ca. drei Meter breiten Streifens desselben eine Hauptverkehrsfläche (im Sinne des seinerzeitigen Tiroler Raumordnungsgesetzes 1984 iVm §109 Abs7 TROG 1997) von 6 m Breite festgelegt worden. Diese Straße sei bereits fertig gestellt.

Die Wegparzelle 2074/9, die das Gewerbe- und Industriegebiet in Nord-Süd-Richtung erschließe, sei durchgängig mit einer Breite von ca. 6 m ausgeführt. Lediglich im Bereich des Grundstückes der Antragsteller bestehe derzeit noch eine Einengung auf drei Meter, wobei der von der Straßenfluchtlinie umfasste Grundstreifen geschottert sei und de facto teils als Fahrbahn, teils als Parkplatz verwendet werde. Im Übrigen sei die Fahrbahn durchgängig asphaltiert. Die von den Antragstellern bekämpfte [östliche] Straßenfluchtlinie verfolge somit das Ziel, die solcherart bestehende Fahrbahnverengung unter Beibehaltung eines im Wesentlichen geradlinigen Straßenverlaufes zu beseitigen.

Der Bebauungsplan sehe weiters an der Westseite des Planungsgebietes eine Straßenfluchtlinie vor, die die Grundstücke Nr. 2074/4, 2074/3, 2074/11 und 2074/10 sowie das Grundstück der Antragsteller schneide, indem sie von diesen Grundstücken einen ca. 5 m breiten Streifen zur Uferpromenade der Kitzbüheler Ache hin umfasse, der im Bereich des Grundstückes der Antragsteller spitz auslaufe. Die ostseitige Baufluchtlinie sei bereits in dieser Weise seit 1990 in einem Bebauungsplan festgelegt gewesen.

Nach §55 Abs1 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1997 sei es Sache der Bebauungsplanung, die Art der verkehrsmäßigen Erschließung des Baulandes, in diesem Fall der Erschließung des östlich der Kitzbüheler Ache befindlichen Gewerbe- und Industriegebietes, festzulegen. Die Straße über die Weggrundstücke Nr. 2074/13 und (im Bereich des Grundstückes der Antragsteller) Nr. 2074/9 diene der Erschließung des Gewerbe- und Industriegebietes in Nord-Süd-Richtung. Die westlich des Planungsgebietes festgelegte Straßenfluchtlinie und Baufluchtlinie diene dagegen der Offenhaltung der Uferpromenade entlang der Kitzbüheler Ache, bei der es sich um einen wichtigen Grünstreifen handle, der sich durch das gesamte Stadtgebiet ziehe.

Es sei auch offenkundig, dass eine punktuelle Fahrbahnverengung auf einen Fahrstreifen bei einer Erschließungsstraße innerhalb des Gewerbe- und Industriegebietes jedenfalls den straßenbautechnischen Erfordernissen nach §37 Abs1 lita, b und d Tiroler Straßengesetz widerspreche, und zwar hier umso mehr, als das Gewerbe- und Industriegebiet in Nord-Süd-Richtung ausschließlich durch die in Rede stehende Straße erschlossen werde. Bei einer Fahrbahnbreite von nur 3 m sei eine Begegnung zwischen mehrspurigen Kraftfahrzeugen nicht möglich, was angesichts dessen, dass die gegenständliche Erschließungsstraße zu einem erheblichen Teil von Lastkraftfahrzeugen befahren werde, die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs wesentlich beeinträchtige. Damit sei zwangsläufig eine erhebliche Gefährdung der Verkehrssicherheit verbunden, wobei im Hinblick auf das Fehlen eines Gehsteiges nicht zuletzt auch die Fußgänger erheblichen Gefahren ausgesetzt würden. Auch eine effektive Schneeräumung im Winter sei bei einer Fahrbahnbreite von nur 3 m praktisch unmöglich. Ein öffentliches Interesse sei somit gegeben. Es werde den Antragstellern aber auch kein unzumutbares "Sonderopfer" auferlegt. Die von ihnen in diesem Zusammenhang geforderte Mitbelastung des Grundstückes Nr. 2074/7 hätte nämlich eine erhebliche Auskrümmung des Straßenverlaufes in östliche Richtung ausschließlich im Bereich des antragsgegenständlichen Grundstückes zur Folge, womit der sonst im Wesentlichen geradlinige Straßenverlauf unterbrochen würde. Es liege auf der Hand, dass auch dies den bereits bezogenen straßenbautechnischen Erfordernissen widersprechen würde. Dass die Straßenfluchtlinie im Bereich des Grundstückes der Antragsteller anders als bei den südlich daran anschließenden Grundstücken nicht entlang der Grundstücksgrenze verlaufe, sei ausschließlich eine Folge der vom Verordnungsgeber vorgefundenen Grundstückskonfiguration, nach der im Planungsgebiet einzig das Grundstück der Antragsteller den Straßenbereich einenge.

Im Übrigen sei dem Antragsvorbringen kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass der Verordnungsgeber bei der Festlegung der Straßenfluchtlinie überwiegende private Interessen der Antragsteller hintangestellt hätte. Diese wären auch ohne die Festlegung einer Straßenfluchtlinie nicht berechtigt, ihr Grundstück ohne Rücksicht auf die Erfordernisse der Verkehrssicherheit zur bestehenden Erschließungsstraße hin zu nutzen. Nach §5 Abs4 der Tiroler Bauordnung 1998 müssten nämlich, wenn für einen Bauplatz ein Bebauungsplan nicht bestehe, bauliche Anlagen von den Verkehrsflächen mindestens so weit entfernt sein, dass unter anderem die Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigt werde. Soweit bestehende Gebäude einen einheitlichen Abstand von den Verkehrsflächen aufwiesen, sei auch bei weiteren baulichen Anlagen mindestens dieser Abstand einzuhalten. Unter diesen Gesichtspunkten dürfte die Errichtung von Garagen zur Erschließungsstraße hin ohne die Festlegung der Straßenfluchtlinie kaum baurechtlich zulässig sein.

Entgegen dem Antragsvorbringen bestehe daher tatsächlich nur mehr im Bereich des Grundstückes der Antragsteller eine Engstelle, deren Beseitigung aus den oben erwähnten Gründen geradezu offenkundig im öffentlichen Interesse gelegen sei.

4. Die Antragsteller erstatteten eine Replik, in der sie zum Vorliegen einer konkreten Bauabsicht vorbringen, dass aus einer Beilage ersichtlich sei, dass bereits im Mai 2000 Planungsstudien sowohl zur ost- als auch zur westseitigen Errichtung von Carports durchgeführt worden seien.

In der Sache bringen sie ua. vor, dass der teilweise auf dem Grundstück Nr. 2074/1 befindliche Erschließungsweg entlang der Wegparzellen 2074/9 und 3946/2 zwar bereits in der Natur vorhanden sei, aber bei der Einmündung in nördliche Richtung lediglich eine Breite von 4,80 m aufweise und sich im Bereich der Grundparzelle 2076/3 auf 5,55 m erweitere. Entlang der Wegparzelle 2074/9 sei kein Schwerverkehr gegeben. Die tatsächliche Verkehrssituation auf der Wegparzelle 2074/9 zeige aber, dass auch ein weniger als 6 m breiter Weg für den Schwerverkehr ausreiche. Hinsichtlich der Widmung des Grundstückes Nr. 2074/1 führe die Landesregierung aus, dass es als Gewerbe- und Industriegebiet, die Gemeinde jedoch, dass es als Freiland gewidmet sei. Aber auch im Falle einer Gewerbe- und Industriegebietswidmung seien unsachlicherweise keine Bau- und Straßenfluchtlinien in einem allgemeinen und ergänzenden Bebauungsplan festgelegt. Der Großteil des Schwerverkehrs bewege sich "von der Achenbrücke nördlich der Grundparzelle 2074/8 in Ost-West-Richtung und anschließend in die neue Zufahrtsstraße Grundparzelle 2072/3 bzw. in nördliche Richtung über Grundparzelle 2074/9". Lediglich die Grundparzellen Nr. 2074/7 und 2074/10 seien über die Wegparzelle 2074/9 erschlossen; sämtliche sonstige südlich von dem Grundstück Nr. 2074/8 befindliche Parzellen würden über die Wegparzelle Nr. 3938/5 und über die bestehende Zufahrt auf der Grundparzelle Nr. 2074/11 befahren.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit des Antrags:

1.1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.726/1988, 13.944/1994).

Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 8974/1980, 10.353/1985, 11.730/1988, 16.140/2001).

1.2. Die Antragsteller begehren die Aufhebung des allgemeinen und ergänzenden Bebauungsplanes "Pancheri-Feld 1" der Stadtgemeinde Kitzbühel vom 31. Jänner 2000 zur Gänze, in eventu sämtliche in diesem Bebauungsplan festgelegten Straßenfluchtlinien, in eventu die ostseitig im Bebauungsplan festgelegte Straßenfluchtlinie, somit nicht nur insoweit, als er sich auf das in ihrem Eigentum stehende Grundstück bezieht. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die Antragsteller durch Regelungen eines Bebauungs- oder Flächenwidmungsplanes, die sich nicht auf das in ihrem Eigentum stehende Grundstück beziehen, in ihrer Rechtssphäre nicht betroffen. Nur unter besonderen Umständen könnte aus solchen Regelungen für die Antragsteller eine Betroffenheit entstehen (vgl. VfSlg. 10.703/1985, 10.793/1986, 16.232/2001). Dass solche Umstände gegeben wären, ist im Antrag nicht dargetan worden. Die Anträge, den allgemeinen und ergänzenden Bebauungsplan zur Gänze, sämtliche Straßenfluchtlinien bzw. die ostseitige Straßenfluchtlinie, die auch die Grundstücke Nr. 2074/10, 2074/11, 2074/3 und 2074/4 betreffen, aufzuheben, sind daher schon mangels rechtlicher Betroffenheit der Antragsteller als unzulässig zurückzuweisen.

1.3. Der Antrag, die für das Grundstück Nr. 2074/8 im Bebauungsplan ostseitig festgelegte Straßenfluchtlinie als gesetzwidrig aufzuheben, ist zulässig (vgl. die mit dem Erkenntnis VfSlg. 9260/1981 beginnende ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur unmittelbaren Anfechtbarkeit von Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen in Tirol durch den Grundeigentümer, zu Bebauungsplänen siehe insbesondere VfSlg. 10.711/1985, 11.849/1988).

1.4. Indem die Antragsteller das konkrete Vorhaben der Errichtung von Garagen zur Begründung der aktuellen Betroffenheit anführen und sich nicht mit einem allgemeinen Hinweis der Beeinträchtigung der künftigen Bebaubarkeit des Grundstücks begnügen, legen sie ihre aktuelle Betroffenheit in ausreichendem Maße dar. Dieses Vorhaben betrifft offensichtlich ein Nebengebäude gemäß §5 Abs2 TBO 2001, das vor die Baufluchtlinie ragen darf, wenn dadurch weder das Orts- und Straßenbild noch die Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs beeinträchtigt werden.

2. Der Antrag ist in der Sache aber nicht begründet:

Die Antragsteller meinen, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt zu sein: Einerseits liege kein öffentliches Verkehrsinteresse vor, da aufgrund der Verkehrslage kein konkreter Bedarf für die Straßenverbreiterung bestehe und eine Wegtrasse mit einer Breite von 3 m ausreichend sei, um die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zu gewährleisten; andererseits sei der Eigentumseingriff unverhältnismäßig, da er nur die Eigentümer des Grundstückes Nr. 2074/8 und nicht auch des gegenüber liegenden Grundstückes Nr. 2074/7 belaste. Dies bedeute ein verfassungswidriges Sonderopfer der Antragsteller. Die Straßenfluchtlinie sei für die Wegparzelle Nr. 2074/9 (bzw. Nr. 3946/2) entlang des Grundstückes Nr. 2074/1 nicht in gleicher, fortgesetzter Weise festgelegt worden, obwohl über diese Wegparzelle tatsächlich Schwerfahrzeuge führen, vor allem zu dem im Eigentum der Erstantragstellerin stehenden Grundstück Nr. 2074/12. Eine Verbesserung der Verkehrslage sei mangels Einbeziehung aller relevanten Grundstücke nicht erzielbar.

Straßenfluchtlinien sind gemäß §58 Abs2 Tiroler Raumordnungsgesetz 1997, LGBl. Nr. 10/1997 (bzw. §58 Abs2 TROG 2001, LGBl. Nr. 93/2001), in der Folge: TROG 1997, unter Bedachtnahme auf die allgemeinen straßenbaulichen Erfordernisse nach §37 Abs1 Tiroler Straßengesetz, LGBl. Nr. 13/1989 idF LGBl. Nr. 8/1998 (in der Folge: Tir StrG) festzulegen. Die allgemeinen straßenbaulichen Erfordernisse verlangen, dass Straßen nach den Erfahrungen der Praxis und den Erkenntnissen der Wissenschaft so geplant und gebaut werden müssen, dass

"a) sie für den Verkehr, dem sie gewidmet sind, bei Beachtung der straßenpolizeilichen und der kraftfahrrechtlichen Vorschriften sowie bei Bedachtnahme auf die durch die Witterung oder durch Elementarereignisse hervorgerufenen Verhältnisse ohne besondere Gefahr benützt werden können,

b) sie im Hinblick auf die bestehenden und die abschätzbaren künftigen Verkehrsbedürfnisse den Erfordernissen der Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs entsprechen,

c) Beeinträchtigungen der angrenzenden Grundstücke durch den Bestand der Straße sowie Gefährdungen oder Beeinträchtigungen der Nachbarn durch den Verkehr auf der Straße oder durch Erhaltungsarbeiten an der Straße, soweit solche Beeinträchtigungen nicht nach den örtlichen Verhältnissen und der Widmung des betreffenden Grundstückes zumutbar sind, so weit herabgesetzt werden, wie dies mit einem im Verhältnis zum erzielbaren Erfolg wirtschaftlich vertretbaren Aufwand möglich ist und

d) sie mit den Zielen der überörtlichen und der örtlichen Raumordnung im Einklang stehen."

Das Grundstück der Antragsteller ist ebenso wie die übrigen von dem allgemeinen und ergänzenden Bebauungsplan betroffenen Grundstücke als Gewerbe- und Industriegebiet gewidmet. Das zahlreiche Grundstücke umfassende Gewerbe- und Industriegebiet ist jedenfalls über eine zumindest in der Natur bestehende Ost-West-Achse und zwei Nord-Südachsen, einerseits entlang der Kitzbüheler Ache (Wegparzelle Nr. 3938/5), andererseits durch die Wegparzellen Nr. 2074/13, 2074/9 und 3946/2 erschlossen. Die Ost-Westachse schließt die Grundstücke über die über die Kitzbüheler Ache führende Brücke an die westlich gelegene Bundesstraße an.

Es ist unbestritten, dass die Wegparzelle Nr. 2074/9 bzw. 2074/13 der Erschließung des bestehenden und des im Süden künftig vorgesehen Gewerbe- und Industriegebietes dient.

Ausgehend davon, dass die Abmessung von Kraftfahrzeugen und Anhängern eine Breite von bis zu 2,6 bzw. 2,55 m betragen darf (§4 Abs6 Z2 KFG 1967), ist offenkundig, dass eine mit einer Breite von 3 m festgelegte Straße lediglich für einen Fahrstreifen ausreicht. Dem gegenüber ist ein konkreter im öffentlichen Verkehrsinteresse liegender Bedarf bereits angesichts der Widmung, der bereits festgestellten Erschließungsfunktion und zukünftiger Verkehrsbedürfnisse gegeben: Eine Erschließungsstraße im Gewerbe- und Industriegebiet mit einer Breite, die zwei Fahrstreifen zulässt und die Vermeidung eines seitlich versetzten Straßenverlaufs (s. Grundstück Nr. 2074/7) entsprechen durchaus im Hinblick auf die bestehenden und abschätzbaren künftigen Verkehrsbedürfnisse den Erfordernissen der Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs iSd §37 Abs1 litb Tir StrG. Der Verlauf der Straße ist auch durch den in der Natur bereits bestehenden Weg vorgegeben.

Die Eigentumsbeschränkung bzw. drohende Enteignung ist auch letztlich nicht entschädigungslos; wird innerhalb von zehn Jahren nach dem Inkrafttreten der Festlegung der Straßenfluchtlinien für die Straße eine Straßenbaubewilligung nicht erteilt (vgl. zum Erlöschen der straßenbaurechtlichen Bewilligung §44 Abs5 Tir StrG), so kann der Grundeigentümer gemäß §58 Abs3 TROG 1997 (auch nach dem TROG 2001) die Einlösung der von den Straßenfluchtlinien erfassten Grundflächen von der Gemeinde verlangen. Im Falle der Enteignung gebührt dem Enteigneten eine Vergütung für erlittene Vermögensnachteile (§65 Tir StrG). Das Vorbringen im Hinblick auf die "Sonderopfer-Theorie", nach der es grundsätzlich als verfassungswidrig anzusehen ist, wenn durch eine entschädigungslose Enteignung mehreren Personen zwar gleiche Vorteile, aber nicht auch gleiche Vermögenseinbußen entstehen (vgl. zB VfSlg. 10.841/1986, 16.455/2002), geht daher ins Leere.

Da das Grundstück Nr. 2074/1 noch als Freiland gewidmet ist, war es schon mangels Bauland-, Sonderflächen- oder Vorbehaltsflächenwidmung gemäß §55 Abs1 TROG 1997, nicht in einen allgemeinen und ergänzenden Bebauungsplan miteinzubeziehen. Nach der zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung geltenden Rechtslage waren somit bezüglich des Grundstücks Nr. 2074/1 die Voraussetzungen für die Erlassung eines allgemeinen und ergänzenden Bebauungsplans noch nicht erfüllt. Selbst nach der in diesem Fall nicht anzuwendenden, am 1. Oktober 2001 in Kraft getretenen Rechtslage (vgl. §55 Abs2 TROG 1997 idF der 5. Raumordnungsgesetznovelle, LGBl. 73/2001) wäre die Einbeziehung eines als Freiland gewidmeten Grundstücks in einen allgemeinen Bebauungsplan lediglich fakultativ gewesen. Ergänzende Bebauungspläne dürfen jedoch auch nach der neuen Rechtslage frühestens gleichzeitig mit der Widmung der betreffenden Grundflächen als Bauland, als Sonderflächen oder als Vorbehaltsflächen erlassen werden.

Bei der Beurteilung der Gesetzmäßigkeit einer Planungsmaßnahme kommt es schließlich auch nicht darauf an, ob die vom Verordnungsgeber im Rahmen seines planerischen Gestaltungsspielraums getroffene Lösung die bestmögliche ist. Im Rahmen der Normenkontrolle gemäß Art139 B-VG hat der Verfassungsgerichtshof nicht darüber zu befinden, welche der dem Verordnungsgeber im Rahmen des Gestaltungsspielraums offen stehenden Möglichkeiten die zweckmäßigste ist; sie muss (nur) mit dem Gesetz in Einklang stehen (VfSlg. 10.711/1985, 12.377/1990, 16.373/2001).

Der Antrag war daher insofern abzuweisen.

3. Die Entscheidungen konnten gemäß §19 Abs4 erster Satz und gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Bebauungsplan, Straßenverwaltung, Enteignung, Entschädigung, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Individualantrag, Verkehrsflächen, öffentliches Interesse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:V7.2001

Dokumentnummer

JFT_09968797_01V00007_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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