Index
16 MedienrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Feststellung einer Verletzung des Objektivitätsgebotes durch die Fernsehübertragung einer Theater-Preisverleihung infolge Unterlassung einer unmittelbaren Stellungnahme des ORF zu regierungskritischen Äußerungen von Künstlern; vertretbare Annahme einer wesentlichen Beteiligung des ORF an dieser VeranstaltungSpruch
Der Beschwerdeführer (ORF) ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Beschwerdeführer ist schuldig, der beteiligten Partei Rechtsanwalt Dr. R G die mit € 2158,2 bestimmten Prozeßkosten innerhalb von 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Österreichische Rundfunk (ORF) übertrug am Samstag, dem 12. Oktober 2002 um 21.55 Uhr im Fernsehprogramm ORF 2 eine Aufzeichnung der im Theater an der Wien um 20.30 Uhr begonnenen Gala zur Verleihung des "Ersten Wiener Theaterpreises" ("Nestroy-Preis 2002"). Im Rahmen dieser Gala hielt Franz ("Andre") Heller eine Laudatio auf den Preisträger, den ehemaligen Burgtheater-Direktor Claus Peymann. Diese Rede hatte auszugsweise folgenden Wortlaut:
"... Nehmen wir an, und ich bitte Sie, mir zu glauben, dass ich hier nur einen Theaterstoff, ein Märchen, im Sinne Nestroys entwickle. Nehmen wir an, lieber Claus Peymann, es gäbe einen Parteiobmann, der vor den Wahlen verkündet, man solle ihn wählen, um eine rechtsextreme Dilettantentruppe zu verhindern, aber wenn er bei den Wahlen Dritter würde, verspräche er, sich nicht an der Regierung zu beteiligen und nehmen wir an, derjenige würde dann Dritter und bräche sein Wahlkampf-Doppelversprechen und würde sich durch und mit Figuren zum Kanzler erheben, die Hitlers Beschäftigungspolitik als erstklassig fänden und die österreichische Nation eine Missgeburt und die alten SS-Kameraden als die wahren Anständigen im Lande preisen und Churchill mit Stalin gleichsetzen, und die in der Öffentlichkeit mit Wohlwollen des Justizministers forderten, man solle die Opposition für allzu kritische Äußerungen einsperren dürfen - bespitzelt habe man sie ohnehin schon -, und Privilegienabbau müsse man mit Lichtgestalten wie Hermann Gaugg betreiben und geistige Aufforstung mit Schmiss-Visagen wie Mölzer und Stadler, und diese Regierung unter einem Kanzler dessen rückgratslosem Motto 'Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit', von seinem 'Khol-Kopf' stammt, erlitte in unserem Märchen nach 30 Steuererhöhungen und der höchsten Arbeitslosigkeit und der grausamen Senkung der Unfallrenten und der restlosen Ungleichstellung Ärmerer bei der medizinischen Versorgung und beim Studium, um nur ganz wenig von den Abscheulichkeiten aufzulisten, erlitte, also sage ich, selbstverschuldeten kläglichen Schiffbruch, und dieser Kanzler, der Österreich die größte Beschädigung im internationalen Ansehen in der Geschichte der Zweiten Republik beschert hätte, würde also, in unserem Märchen, mit seiner Idee vom Regieren, Konkurs, oder schlimmer noch fahrlässige Krida machen, und nun verhielte er sich, in die Kameras lächelnd, als hätte dieses Debakel nicht ER zu verantworten, sondern er wäre gewissermaßen die einzige Rettung vor sich selbst, aus seinem Unsinn der Vergangenheit und Gegenwart - wir müssen es schnell machen, wir haben alle nur ganz wenig Zeit - aus seinem Unsinn der Vergangenheit und Gegenwart käme der einzig achtbare Sinn für die Zukunft, und er wolle dementsprechend seinen zynischen Ego-Trip fortsetzen und plakatiert folgerichtig im Wahlkampf 'Schüssel - wer, wenn nicht er?'
Lieber Claus Peymann, liebe Zuhörer, welch ein Stoff! Sie müssten ihn inszenieren, und Franz Morak müsste den Kanzler spielen, er hatte ja genügend Zeit, das Original unter der Lupe zu beobachten.
[...]"
Am Ende der Sendung ergriff die Moderatorin Andrea Eckert das Wort und erklärte:
"... mir fällt noch ein, am 24. November sind Wahlen. Bitte sorgen wir dafür, daß dieses wichtige Ereignis nicht wieder in einer Schmierenkomödie endet."
Die Aufzeichnung der Gala wurde in der Zeitungsbeilage "TV-Woche" Nr. 41/2002 wie folgt angekündigt:
"21.55 Nestroy 2002 ...
Gala zur Verleihung des 'Ersten Wiener Theaterpreises' mit Ulrich Tukur und seinen Rythmusboys, mit Andrea Eckert, in Zusammenarbeit mit dem Wiener Kulturamt, dem Verein 'Wiener Theaterpreis' und dem ORF wird der 'Nestroy' verliehen."
2. In Reaktion auf die Kritik in den Printmedien zu dieser Sendung nahm der ORF am 14. Oktober 2002 in einer schriftlichen Pressemitteilung, die er via "Originaltext-Service" (OTS) in ein "Internet-Presseportal" stellte, zu den politischen Äußerungen im Rahmen der Nestroy-Gala Stellung. Darin distanzierte er sich von diesen Äußerungen.
3. In der Folge erhob Rechtsanwalt Dr. R G Beschwerde gemäß §36 Abs1 Z1 litb ORF-G an den Bundeskommunikationssenat (BKS) "wegen Verletzung der unabhängigen, unparteiischen und objektiven Informationspflicht gemäß §10 Abs4 und 10 ORF-G". In dieser - wie der BKS im Verfahren feststellte - von mindestes 300 weiteren die Rundfunkgebühr entrichtenden bzw. iS des Rundfunkgebührengesetzes befreiten Rundfunkteilnehmern unterstützten Administrativbeschwerde wird zunächst geltend gemacht, es sei nach der Ankündigung in der TV-Zeitungsbeilage offensichtlich gewesen, daß "der ORF bereits in die Auf- und Vorbereitung der Produktion eingebunden war". Der "an Theater und Bildung interessierte Fernsehzuschauer" habe sich "eine Ausstrahlung einer auf die nominierten Künstler bezughabende Präsentation erwarten" können. Tatsächlich sei den Zusehern in einer Kultur- und Bildungssendung jedoch gegen deren Ende aus Anlaß der Verleihung des Nestroy-Preises an den vormaligen Burgtheater-Direktor Claus Peymann durch den Laudator Franz ("Andre") Heller und die Moderatorin Andrea Eckert "eine der Sendung und des ORF unwürdige politische Entgleisung präsentiert" worden. Der ORF habe die Textpassagen von Andre Heller und Andrea Eckert gesendet, obwohl auch eine Herausnahme dieser Passagen aufgrund der zeitversetzten Ausstrahlung möglich und aufgrund des Objektivitätsgebotes des ORF erforderlich gewesen wäre. Der ORF habe sich damit mit diesen Textpassagen identifiziert und der SPÖ kostenlos Parteipolitik ermöglicht.
4.1. Der BKS gab dieser Beschwerde mit Bescheid vom 13. Februar 2003 "gemäß §36 Abs1 Z1 litb iVm. §37 Abs1 iVm. §4 Abs5 und §10 Abs4 und 10 ORF-G" Folge. Laut Spruchpunkt 1 dieses Bescheides habe der ORF dadurch,
"dass er es unterlassen hat, in unmittelbarem Anschluss an die am 12. Oktober 2002 von 21.55 Uhr bis 23.55 Uhr in ORF 2 ausgestrahlte Sendung "Nestroy 2002" eine Erklärung dahingehend abzugeben, dass sich der ORF von den in dieser Sendung durch Franz (Andre) Heller und Andrea Eckert getätigten einseitigen politischen Äußerungen in Wahlkampfzeiten distanziert, gegen den Programmauftrag des §4 Abs5 iVm. den Programmgrundsätzen des §10 Abs4 und 10 ORF-G verstoßen".
Dem ORF wurde im Spruchpunkt 2 gemäß §37 Abs4 ORF-G aufgetragen, an einem Samstag innerhalb von vier Wochen ab Zustellung dieses Bescheides im Programm ORF 2 unmittelbar vor der Sendung "Zeit im Bild 3" den (hier wiedergegebenen) 2. Satz des Spruchpunktes 1 durch Verlesung durch einen Nachrichtensprecher zu veröffentlichen.
4.2. Im Zuge des Beweisverfahrens ließ sich der BKS vom ORF eine Kopie des zwischen dem Verein "Wiener Theaterpreis" und dem ORF geschlossenen Vertrages vom 9. September 2002 über die Aufzeichnung und Nutzung der Veranstaltung "Nestroy 2002-Gala zur Verleihung des ersten Wiener Theaterpreises" vorlegen. In diesem Zusammenhang stellte der BKS fest, daß
"laut dem vorgelegten Vertrag ... Vertragsgegenstand die Durchführung des Festaktes bzw. der Veranstaltung 'Nestroypreis/Der erste Wiener Theaterpreis' am 12. Oktober 2002 durch den Vertragspartner (Verein 'Wiener Theaterpreis') unter Mitwirkung des ORF und die Aufzeichnung und Nutzung dieser Veranstaltung durch den ORF [ist]. Nach Punkt 2.3 des Vertrags übermittelt der Verein 'Wiener Theaterpreis' (in der Folge: der Verein) dem ORF unverzüglich die Liste der von der Jury Nominierten. Das Drehbuch wird gleichfalls vom Verein zur Verfügung gestellt (Punkt 2.5). Nach Punkt 2.6 des Vertrags findet die Veranstaltung am 12.10.2002 im Theater an der Wien statt. Termin- und Ortsänderungen sollen danach nur einvernehmlich möglich sein, widrigenfalls der ORF, unbeschadet sonstiger gesetzlicher Ansprüche, nach seinem freien Ermessen wahlweise zum sofortigen Rücktritt oder bloß zum Teilrücktritt vom Vertrag berechtigt ist.
Nach Punkt 3.1 des Vertrags zeichnet der ORF im Voraus
ausschnittsweise Vorstellungen der nominierten Theateraufführungen
auf Bildtonträgern auf. Bei der Veranstaltung führt der ORF diese
aufgezeichneten Ausschnitte öffentlich vor. (Punkt 3.2. des
Vertrags). Weiters übernimmt der ORF die Gestaltung zweier
Showeinlagen für die Veranstaltung ... (Punkt 3.2 des Vertrags).
Überdies stellt der ORF für die Veranstaltung und die Aufzeichnung
die Regie, einen Architekten und eine Kostümberatung (Punkt 3.3) ...
zur Verfügung. ... Nach Punkt 3.7 zeichnet der ORF die gesamte
Veranstaltung auf Bildtonträgern auf. Der ORF verpflichtet sich, die aufgezeichnete Veranstaltung live oder zeitversetzt zu senden, sofern dem keine dringenden programmlichen Gründe entgegenstehen, die der ORF im Rahmen seines gesetzlichen Programmauftrages zu beachten hat. Für die genannten Leistungen stellt der ORF eine Rechnung in Höhe von € 25.000,-- zuzüglich Mehrwertsteuer in gesetzlicher Höhe. Im Punkt 5 werden dem ORF verschiedene Sende- und Verwertungsrechte eingeräumt, für die vom Verein ein Betrag in der Höhe von € 25.000,-- zuzüglich Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt wird. Darüber hinaus hat der Verein für die Herstellung der notwendigen Zusatzbauten inklusive Auf- und Abbau einen Gesamtbeitrag von € 14.861,-- zuzüglich Mehrwertsteuer zu leisten (Punkt 4. des Vertrags).
... Im Übrigen verpflichtet sich der Verein ..., dafür zu sorgen, dass während der Dauer der Aufzeichnung jede Art von kommerzieller Werbung, insbesondere Schleichwerbung, unterbleibt, widrigenfalls der ORF, unbeschadet sonstiger gesetzlicher Ansprüche, nach seinem freien Ermessen wahlweise zum sofortigen Rücktritt oder bloß zum Teilrücktritt vom Vertrag berechtigt ist."
4.3. Rechtlich beurteilte der BKS die Administrativbeschwerde zunächst dahingehend, daß für den Beschwerdeführer des Administrativverfahrens aus §10 ORF-G schon deshalb nichts zu gewinnen sei, weil sich die darin geregelten Programmgrundsätze nicht auf eine einzelne Sendung beziehen würden und bei einer Gesamtbetrachtung des Kultur- und Unterhaltungsprogrammes des ORF nicht davon ausgegangen werden könne, daß den in der Beschwerde erwähnten Programmgrundsätzen durch den ORF nicht Rechnung getragen werde. Nach Auffassung des BKS macht die Beschwerde der Sache nach auch eine Verletzung des Objektivitätsgebotes geltend.
Der BKS gelangt zum Ergebnis, daß durch die "politisch einseitigen Äußerungen" der beiden Künstler das Objektivitätsgebot verletzt wurde, weil der ORF aufgrund des Vertrages mit dem Verein "Wiener Theaterpreis" in den "Ablauf und die Veranstaltung der Nestroy-Gala eingebunden" gewesen sei, was einer "Mitveranstaltereigenschaft jedenfalls sehr nahe gekommen" sei. Für den "durchschnittlichen Fernsehzuseher" ergebe sich "die Zurechenbarkeit der Äußerungen zum ORF schon dadurch, daß die zu übertragende Veranstaltung in einer TV-Zeitungsbeilage als Zusammenarbeit des Wiener Kulturamtes, des Vereins 'Wiener Theaterpreis' und des ORF angekündigt wurde". Wenngleich das Objektivitätsgebot "schon allein aus Gründen des geordneten Programmablaufs" nicht die Unterbrechung der Sendung erfordere, sei eine "im Abstand von mehr als 24 Stunden erfolgende Distanzierung im Rahmen einer [Presse-]Aussendung" deshalb nicht ausreichend, weil sie das Publikum dieser Sendung "nur höchstens zum Teil erreiche".
5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde des ORF, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG und Art7 B-VG) und auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art10 EMRK, Art13 StGG) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
6. Der BKS legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er mit näherer Begründung für eine Abweisung der Beschwerde eintrat.
7. Der Beschwerdeführer des Administrativverfahrens nahm im verfassungsgerichtlichen Verfahren als beteiligte Partei zur Beschwerde Stellung. Er tritt darin für die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde ein.
II. Über die Beschwerde wurde erwogen:
1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:
1.1. Entscheidungen des BKS unterliegen nach §11 Abs3 des Bundesgesetzes über die Einrichtung einer Kommunikationsbehörde Austria ("Komm-Austria") und eines Bundeskommunikationssenates (Komm-Austria-Gesetz - KOG), BGBl. I Nr. 32/2001, nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Der administrative Instanzenzug iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG ist ausgeschöpft.
1.2. Da den Umständen nach die für die Beschwerdeerhebung vor dem Verfassungsgerichtshof essentielle Möglichkeit besteht, daß der ORF durch den angefochtenen Bescheid, dessen Adressat er ist, in einem subjektiven Recht verletzt wurde (s. VfSlg. 12086/1989 mwH und 16468/2002) und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.
2. In der Sache:
2.1. Der angefochtene Bescheid stützt sich auf Vorschriften des ORF-G, deren Verfassungsmäßigkeit der ORF selbst nicht in Zweifel zieht und gegen die auch der Verfassungsgerichtshof aus der Sicht des Beschwerdefalles keine Bedenken hegt. Dabei ist für die (einfach)gesetzliche Regelung des Objektivitätsgebotes in §4 Abs5 ORF-G davon auszugehen, daß der Aufzählung der dem Objektivitätsgebot unterliegenden Sendungen des ORF - verfassungskonform (vgl. zur Vorgängerbestimmung des §4 Abs5 ORF-G - §2 Abs1 Z1 RFG VfSlg. 10948/1986, 12086/1989, 13843/1994) - ein demonstrativer Charakter zukommt.
Der beschwerdeführende ORF ist daher nicht durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
3.1. Nach Auffassung des beschwerdeführenden ORF habe der BKS eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen und damit das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, weil die belangte Behörde eine Verletzung des Objektivitätsgebotes nach §4 Abs5 ORF-G festgestellt hat, obwohl der Beschwerdeführer der Administrativbeschwerde nach §36 Abs1 Z1 litb ORF-G seinen Antrag auf §10 Abs4 und Abs10 ORF-G gestützt habe.
3.2.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde ua. dann verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983).
3.2.2. Den Ausführungen der Beschwerde ist zu erwidern, daß es im Verwaltungsverfahren nach §13 AVG auf den (Gesamt)Inhalt einer Eingabe, das "erkennbare oder zu erschließende Ziel eines Parteischrittes" und nicht auf "zufällige verbale Formen" - so etwa wie hier auf offenkundig unrichtig herangezogene Rechtsvorschriften - ankommt, um zu beurteilen, welches Begehren einem Anbringen wirklich zugrunde liegt (vgl. etwa VwGH 18.9.2002, 2000/07/0086). Nichts anderes ergibt sich für Beschwerden nach den hier präjudiziellen Bestimmungen der §§36 Abs1 Z1 litb ORF-G und 35 Abs1 zweiter Satz ORF-G (auf die §13 AVG über §14 KOG anwendbar ist): Das Erfordernis einer konkreten Angabe der als verletzt erachteten Rechtsvorschriften in der Beschwerde zur Individualisierung des Anbringens (und damit zur Festlegung des Prozeßgegenstandes), ist auch aus diesen Vorschriften des ORF-G nicht abzuleiten. Daß es dem Beschwerdeführer der Administrativbeschwerde entgegen den in der Beschwerde zitierten Bestimmungen des §10 Abs4 und 10 ORF-G weniger um die Geltendmachung der Verletzung von Programmgrundsätzen durch den ORF, sondern insbesondere um die Geltendmachung einer konkreten Verletzung des Objektivitätsgebotes gemäß §4 Abs5 ORF-G geht, erhellt insbesondere der Wortlaut auf Seite 7 der Administrativbeschwerde, wonach der "ORF ... mit seiner Identifizierung mit den Inhalten und der zeitversetzten Ausstrahlung der Produktion über die Verleihung des Ersten Wiener Theaterpreises ohne Kürzung der inkriminierten Textpassagen das Objektivitätsgebot, aber auch das Gebot zur Unabhängigkeit von Parteieneinfluß mangels Streichung der Textpassagen von Franz ('Andre') Heller und Andrea Eckert verletzt" habe. Damit sei - so die Administrativbeschwerde weiter - "ein unzulässiger Eingriff auf den laufenden Wahlkampf und die Interessen des einschreitenden Beschwerdeführers sowie der unterstützenden Rundfunkteilnehmer genommen" worden.
3.2.3. Der BKS hat daher keine Kompetenz in Anspruch genommen, die ihm gesetzlich nicht zusteht. Der ORF wurde nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
4.1. Unter dem Aspekt der behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung bringt der ORF in seiner Beschwerde im wesentlichen vor, das Objektivitätsgebot gelte zwar prinzipiell auch für Fernsehsendungen, die - wie der "Nestroy-Preis 2002" - im Grenzbereich von Unterhaltungssendung und Kulturberichterstattung angesiedelt sind, dies jedoch nur dann, wenn die darin getätigten Äußerungen dem ORF zurechenbar sind. So wäre es geradezu absurd, wenn sich der ORF etwa bei einer Übertragung der Oscar-Preisverleihung von einer einseitigen Kritik an der US-Regierung durch einen dort auftretenden Gala-Moderator über die kriegerische Auseinandersetzung im Nahen Osten distanzieren müsse. Im vorliegenden Fall habe der ORF auf den Inhalt der Äußerungen des Laudators oder der Gala-Moderatorin oder auch nur auf die Auswahl dieser Personen keine rechtliche Einflußmöglichkeit gehabt.
4.2.1. Für die behauptete Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit ist festzuhalten, daß der im Verfassungsrang stehende Art10 EMRK nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (s. VfSlg. 12035/1989; vgl. auch VfSlg. 9909/1983, 10948/1986, 11572/1987, 12822/1991, 13338/1993, 15135/1998) als Bestandteil des Anspruchs auf freie Meinungsäußerung ua. ein Recht auf Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen verbürgt. Der verfassungsgesetzliche Schutzbereich erstreckt sich dabei auch auf die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen mit Hilfe von Fernseh-Rundfunkanlagen (sogenannte "Rundfunkfreiheit").
Diese grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen sind jedoch in zweifacher Weise eingeschränkt. Zum einen ermächtigt Art10 Abs1 letzter Satz EMRK den Staat, Rundfunk- und Fernsehbetriebe einem Genehmigungsverfahren zu unterziehen, zum anderen kann gemäß Art10 Abs2 EMRK die Ausübung der Rundfunkfreiheit bestimmten gesetzlichen Beschränkungen unterworfen werden (VfSlg. 9909/1983, 11572/1987, 12035/1989).
Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde, so auch des BKS, kann dieses nach dem Gesagten unter Gesetzesvorbehalt stehende verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Rundfunkfreiheit gemäß Art10 EMRK nach ständiger Rechtsprechung nur dann verletzen, wenn er ohne jede gesetzliche Grundlage erging oder auf einer verfassungswidrigen Norm beruht oder wenn bei seiner Erlassung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage denkunmöglich angewendet, so etwa dem Gesetz ein der Bundesverfassung widersprechender Inhalt fälschlicherweise unterstellt wurde (vgl. zB VfSlg. 9909/1983).
Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen (vgl. dazu Punkt 2.1.) bleibt demgemäß ausschließlich zu prüfen, ob der belangten Behörde eine denkunmögliche Gesetzeshandhabung zur Last fällt.
4.2.2. Der beschwerdeführende ORF behauptet dies, ist dabei jedoch aus folgenden Gründen nicht im Recht:
4.2.2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (beginnend mit VfSlg. 10948/1986) ist jede zulässige Darbietung den grundsätzlichen Geboten der Objektivität, Unparteilichkeit, Pluralität und Ausgewogenheit gemäß ArtI Abs2 BVG-Rundfunk unterworfen. Daher sind auch nicht expressis verbis im §4 Abs5 ORF-G aufgezählte Sendearten vom Objektivitätsgebot mitumfaßt (so auch die ständige Rspr. zur Vorgängerbestimmung des §4 Abs5 ORF-G - §2 Abs1 Z1 RFG VfSlg. 12086/1989, 13843/1994). Wohl hatte der Verfassungsgesetzgeber in erster Linie die in §4 Abs5 ORF-G (bzw. vormals die in §2 Abs1 RFG) genannten Aufgaben vor Augen: Objektiv und unparteilich muß vor allem die Berichterstattung sein, berücksichtigt werden muß besonders die Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen, auszuwägen sind vornehmlich die vom ORF selbst verantworteten Programme. Verschieden ist nur das diesen Grundsätzen in Bezug auf die einzelnen Darbietungen zukommende Gewicht und die Art und Weise, wie den Grundsätzen Rechnung getragen werden muß, (weshalb es geboten sein mag, zwischen "Programm" iS des §4 Abs5 ORF-G und "Programm" im weiteren Sinn zu unterscheiden - s. zu §2 RFG VfSlg. 10948/1986).
Das bedeutet vor dem Hintergrund der vorliegenden Beschwerdesache auch, daß den ORF unterschiedliche Anforderungen treffen, dem Objektivitätsgebot Rechnung zu tragen, je nach Art der Sendung und je nachdem, ob es sich um von ihm "selbst verantwortete Programme" iS des §4 Abs5 ORF-G handelt oder bloß um die Ausstrahlung von ihm übernommener fremder Programme.
4.2.2.2. Die belangte Behörde führte ein umfangreiches Beweisverfahren durch, in dem sie nach mündlicher Verhandlung zum - aus verfassungsrechtlicher Sicht - nicht unvertretbaren Ergebnis kam, daß der ORF an der Veranstaltung der von ihm ausgestrahlten Theater-Preisverleihung wesentlich beteiligt war. Da auch eine Gegendarstellung innerhalb der Sendung wegen ihrer Art als Übertragung einer Theaterveranstaltung von vornherein nicht in Betracht kam, ist es nicht denkunmöglich, eine Verletzung des Objektivitätsgebotes darin zu erblicken, daß sich der ORF nicht unmittelbar im Anschluß an die Ausstrahlung der Nestroy-Preis Verleihung in einer Stellungnahme an das Fernsehpublikum dieser Sendung von den in Rede stehenden Äußerungen distanziert hat.
Im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof war keinesfalls die von den beiden Künstlern geäußerte Kritik im Lichte der Freiheit der Meinungsäußerung zu prüfen, sondern ausschließlich die Frage, ob die dem ORF angelastete Verletzung des Objektivitätsgebotes das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des ORF auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.
4.3.1. Wenn die Beschwerde (ebenfalls) unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung und (zusätzlich) unter dem Aspekt der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend macht, die belangte Behörde sei ihrer Begründungspflicht insofern nicht nachgekommen, als sie eine Konkretisierung dahingehend unterlassen habe, unter welchen der verschiedenen Tatbestände des §4 Abs5 ORF-G die festgestellte Objektivitätsverletzung zu subsumieren sei, ist ihr entgegenzuhalten, daß hier ein solches Gebot aus der Verfassung schon deswegen nicht abzuleiten ist, weil jede - auch nicht expressis verbis in dieser Bestimmung genannte - zulässige Darbietung des ORF dem Objektivitätsgebot unterliegt.
4.3.2. Wenn der belangten Behörde im Hinblick auf die in Punkt 4.3.1. genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte weiters vorgeworfen wird, sie habe im Spruch festgestellt, daß der ORF auch gegen Programmgrundsätze (§10 ORF-G) verstoßen habe, mißinterpretiert der Beschwerdeführer Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides, indem er der Formulierung, wonach der ORF "gegen den Programmauftrag des §4 Abs5 iVm. den Programmgrundsätzen des §10 Abs4 und 10 verstoßen" habe, einen sowohl seinem Wortlaut als auch der weiteren Begründung des Bescheides nicht entsprechenden Inhalt unterstellt. In Anbetracht dessen wirft die Beurteilung, ob die belangte Behörde nach Anführung des §4 Abs5 ORF-G zu Recht die genannten Tatbestände des §10 ORF-G "in Verbindung" mit dieser Rechtsvorschrift herangezogen hat, nur einfachgesetzliche Fragen auf, die zu beantworten nicht Sache des Verfassungsgerichtshofs ist.
4.4. Der beschwerdeführende ORF wurde daher nicht in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Meinungsäußerung und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
4.5. Ob das in den hier präjudiziellen Bestimmungen auf der Stufe eines einfachen Bundesgesetzes stehende ORF-G von der belangten Behörde richtig angewendet wurde, hat nicht der Verfassungsgerichtshof, sondern allenfalls der Verwaltungsgerichtshof zu prüfen (Art144 Abs3 B-VG iVm. §87 Abs3 VfGG iVm. §11 Abs3 KOG).
5. Das Beschwerdevorbringen erweist sich daher insgesamt als unbegründet. Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, daß der beschwerdeführende ORF in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden wäre.
Die Beschwerde war deshalb als unbegründet abzuweisen.
6. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 359,7 sowie ein Streitgenossenzuschlag von 10% in der Höhe von € 163,5 enthalten.
7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Auslegung verfassungskonforme, Meinungsäußerungsfreiheit, Rundfunkfreiheit, Rundfunk, Beschwerdeverfahren, Objektivitätsgebot, Verwaltungsverfahren, Eingaben, VfGH / InstanzenzugserschöpfungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B501.2003Dokumentnummer
JFT_09968795_03B00501_00