TE Vfgh Beschluss 2003/12/10 B1094/01, G277/01

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Veröffentlicht am 10.12.2003
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art133 Z4
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art144 Abs1 / Gegenstandslosigkeit
BundesvergabeG 1997 §113
VfGG §19 Abs3 Z3
VfGG §86

Leitsatz

Einstellung des Beschwerdeverfahrens gegen die Abweisung der Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Zuge von Nachprüfungsverfahren wegen Wegfalls der Beschwer infolge Zuschlagserteilung bzw nach erfolgtem Widerruf der Ausschreibung; Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung einer Bestimmung des B-VG mangels Darlegung eines Eingriffs in die Rechtssphäre der Antragstellerin bzw mangels Vorbringens geeigneter Bedenken

Spruch

I. Der Antrag, Art133 Z4 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben, wird zurückgewiesen.

II. Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Österreichischen Bundesbahnen (im Folgenden mitbeteiligte Partei oder Auftraggeberin bezeichnet) haben verschiedene Bauvorhaben nach den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 1997 (BVergG) im Verhandlungsverfahren ausgeschrieben.

Im Zuge von Nachprüfungsverfahren, die von der nunmehr beschwerdeführenden Gesellschaft gegen die Wahl der Verfahrensart angestrengt wurden, hatte das Bundesvergabeamt (BVA) bereits (mehrfach) einstweilige Verfügungen zur Aussetzung der Vergabeverfahren gegen den Auftraggeber erlassen (vgl. etwa die Bescheide des BVA vom 14. Februar 2001, Z N-5/01-27 ua., vom 14. Februar 2001, Z N-61, 65/00-30, vom 9. April 2001, N-62/00-42 ua., vom 17. April 2001, Z N-65/00-42). Diese einstweiligen Verfügungen traten (trotz der in §118 Abs2 BVergG normierten zweimonatigen Entscheidungsfrist über den Nachprüfungsantrag) stets vor der Fällung einer Sachentscheidung durch das BVA außer Kraft. Mit Anträgen vom 28. Mai 2001 bzw. 30. Mai 2001 begehrte die beschwerdeführende Gesellschaft beim BVA die (abermalige) Erlassung von einstweiligen Verfügungen: Mit diesen sollte (weiterhin) bis zur Entscheidung über den Nachprüfungsantrag, längstens aber für die gesetzlich vorgesehene maximale Dauer von zwei Monaten das Verhandlungsverfahren in den bezogenen Vergabeverfahren ausgesetzt und dem Auftraggeber dessen Fortsetzung und die Zuschlagserteilung untersagt werden.

Mit Bescheid des BVA vom 21. Juni 2001 wurden diese Anträge (im Gegensatz zu den früheren Entscheidungen erstmals) abgewiesen.

2. a) Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaft in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz, auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

b) Gleichzeitig wird der Antrag gestellt, Art133 Z4 "B-VergG" [gemeint: B-VG] als verfassungswidrig aufzuheben.

3. Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Zunächst ist der Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft, Art133 Z4 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben, zurückzuweisen:

Gemäß Art140 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen (auch) auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Recht verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Voraussetzung der Antragslegitimation ist sohin einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Weder wird ausgeführt, dass und in welche Rechtssphäre durch Art133 Z4 B-VG eingegriffen wird, noch werden Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der verfassungsrechtlichen Vorschrift des Art133 Z4 B-VG in verständlicher Weise geäußert. Der Antrag vernachlässigt nämlich, dass es sich bei der bekämpften Norm des Art133 Z4 B-VG um eine Verfassungsbestimmung handelt, die nur am Maßstab höherrangigen Verfassungsrechts einer Prüfung zu unterziehen wäre (vgl. etwa VfSlg. 16.327/2001). Dass Art133 Z4 B-VG aber in Widerspruch zu leitenden Prinzipien der österreichischen Bundesverfassung stünde, wird von der beschwerdeführenden Gesellschaft weder behauptet, noch kann sich eine solche, ihre Aufhebung rechtfertigende Verfassungswidrigkeit aus einem etwaigen Widerspruch zu (allenfalls auch unmittelbar anwendbarem) Gemeinschaftsrecht ergeben.

III. Im Übrigen wird das Beschwerdeverfahren eingestellt:

1. Das BVA hat über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes mit Schreiben vom 27. Oktober 2003 den Stand der zugrunde liegenden Vergabe- und Nachprüfungsverfahren erörtert:

Demnach wurden drei Vergabeverfahren durch Zuschlagserteilung abgeschlossen. In allen drei Vergabeverfahren seien aber nach wie vor die Hauptanträge anhängig, aus deren Anlass das BVA Beschluss gefasst habe, dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vorzulegen, inwieweit infrastrukturelle Maßnahmen gemeinschaftsrechtlich unter den Begriff "Betreiben von Netzen im Verkehrsbereich" zu subsumieren seien. Alle drei Nachprüfungsverfahren befänden sich deshalb "derzeit im Stadium des Ruhens gemäß §38a AVG".

Zwei weitere Vergabeverfahren wurden durch den Auftraggeber widerrufen.

Das BVA verweist darauf, dass es vor diesem Hintergrund und aufgrund der Bestimmung des §113 BVergG in den bezogenen Vergabeverfahren zur Nichtigerklärung von Auftraggeberentscheidungen nicht mehr legitimiert sei, sondern bloß zur allfälligen Feststellung von Rechtswidrigkeiten; auch im Falle der Aufhebung des vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpften Bescheides, mit dem Anträge auf Erlassung einstweiliger Verfügungen abgewiesen wurden, wäre es der Behörde verwehrt, die in einem solchen Fall wieder anhängigen Anträge einer meritorischen Erledigung zuzuführen.

Die Äußerung des BVA wurde sowohl der beschwerdeführenden Gesellschaft als auch den auftraggebenden Österreichischen Bundesbahnen zur Kenntnis gebracht.

In ihrem Schriftsatz vom 17. November 2003 äußert die beschwerdeführende Gesellschaft weiterhin grundsätzliche Bedenken ob der Gemeinschafts- und Verfassungsmäßigkeit der Rechtslage.

2. Vor dem unter 1. geschilderten Hintergrund würde, selbst wenn eine Überprüfung des angefochtenen Bescheides dessen Verfassungswidrigkeit ergäbe, dies für die Wahrung der Rechte der beschwerdeführenden Gesellschaft im konkreten Rechtsfall ohne Belang sein. Denn auch bei Aufhebung des die Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abweisenden Bescheides durch den Verfassungsgerichtshof könnte das BVA diese Anträge im fortgesetzten Verwaltungsverfahren nicht inhaltlich erledigen, da es ihm nach erfolgter Zuschlagserteilung bzw. nach erfolgtem Widerruf an der Zuständigkeit mangelt, einstweilige Verfügungen in den jeweiligen Vergabeverfahren zu erlassen. Vermag aber selbst eine den angefochtenen Bescheid aufhebende Entscheidung keine Änderung der Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft zu bewirken, so kann durch den angefochtenen Bescheid auch keine fortwirkende Verletzung der geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte oder sonstiger Rechte durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm gegeben sein (VfSlg. 15.209/1998).

Solcherart ist die beschwerdeführende Gesellschaft aber durch den angefochtenen Bescheid nicht mehr beschwert, zumal sie sich in ihrer Äußerung vom 17. November 2003 durch den angefochtenen Bescheid selbst nicht mehr als beschwert erachtet. Die Beschwerde ist daher als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren hierüber in sinngemäßer Anwendung des §86 VfGG einzustellen (vgl. zB VfSlg. 12.503/1990, 15.209/1998).

IV. Diese Entscheidungen konnten gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG und in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs3 Z3 VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Kosten waren nicht zuzusprechen, weil eine Klaglosstellung iSd §88 VfGG nicht vorliegt (vgl. zB VfSlg. 15.209/1998 mwN und 15.310/1998).

Schlagworte

Vergabewesen, VfGH / Bedenken, VfGH / Gegenstandslosigkeit, VfGH / Individualantrag, VfGH / Klaglosstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B1094.2001

Dokumentnummer

JFT_09968790_01B01094_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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