TE Vfgh Beschluss 2003/12/11 G108/03

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Veröffentlicht am 11.12.2003
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Index

26 Gewerblicher Rechtsschutz
26/01 Wettbewerbsrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
EG Art81
KartellG 1988 §129 idF BGBl I 62/2002
WettbewerbsG ArtV Abs6

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags von (ehemaligen) Vorstandsvorsitzenden bzw Vorstandsmitgliedern von Banken auf Aufhebung der Übergangsbestimmung betreffend die Novellierung des Kartellmissbrauches im Kartellgesetz 1988 sowie der Neufassung der Bestimmung selbst im Gefolge der Verhängung von Geldbußen im so genannten Lombard-Club-Kartellfall durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften mangels Legitimation; keine aktuelle Betroffenheit im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes durch eine strafrechtliche Verfolgung bzw mangels Anhängigkeit einer Schadenersatzklage gegen die Antragsteller

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit ihrem auf Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG gestützten Individualantrag vom 10. Juni 2003 begehren die Einschreiter, ArtV Abs6 des Bundesgesetzes BGBl. I 62/2002 (von den Antragstellern fälschlicherweise als BGBl. I 2002/61 bezeichnet) zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben, in eventu festzustellen, dass §129 KartellG 1988 idF vor der Aufhebung durch ArtII Z32 BG BGBl. I 62/2002 zur Gänze, in eventu §129 Abs1 KartellG 1988 idF vor der Aufhebung durch ArtII Z32 BG BGBl. I 62/2002 zur Gänze, in eventu die Wortfolge "als Kartellmitglied oder" in §129 Abs1 KartellG idF vor der Aufhebung durch ArtII Z32 BG BGBl. I 62/2002 verfassungswidrig war, in eventu §129 KartellG 1988 idF der Übergangsbestimmung gemäß ArtV Abs6 BG BGBl. I 62/2002 zur Gänze, in eventu §129 Abs1 KartellG 1988 idF der Übergangsbestimmung gemäß ArtV Abs6 BG BGBl. I 62/2002 zur Gänze, in eventu die Wortfolge "als Kartellmitglied oder" in §129 Abs1 KartellG idF der Übergangsbestimmung gemäß ArtV Abs6 BG BGBl. I 62/2002, als verfassungswidrig aufzuheben.

2. §129 Kartellgesetz 1988 hatte in seiner Stammfassung, BGBl. I 600/1988, folgenden Wortlaut:

"Kartellmißbrauch

§129. (1) Wer als Kartellmitglied oder als Organ oder ausdrücklich oder stillschweigend Bevollmächtigter eines Kartells oder eines Kartellmitglieds mit dem Vorsatz, die Preise der Kartellwaren oder Kartelleistungen zu steigern oder ihr Sinken zu verhindern oder die Erzeugung oder den Absatz solcher Sachgüter oder die Erbringung solcher Leistungen zu beschränken, das Kartell in volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigter Weise (§23 Z3) benützt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Neben der Freiheitsstrafe kann auf eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen und, wenn dem Kartell die Voraussetzungen nach §23 fehlen, auf Widerruf der Genehmigung des Kartells oder auf Untersagung seiner Durchführung erkannt werden.

(2) Der Abs1 ist auf die Änderung von Preisen nach §18 Abs2 und auf Letztverkäufer als Mitglieder einer Preisbindung nicht anzuwenden.

(3) Hat das Strafgericht auf Widerruf der Genehmigung des Kartells oder auf Untersagung seiner Durchführung erkannt, so haben Rechtsmittel gegen das Urteil in Ansehung dieser Maßnahmen keine aufschiebende Wirkung. Das Strafgericht hat auf Antrag des Rechtsmittelwerbers dem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn dies unter Abwägung aller beteiligten Interessen gerechtfertigt ist."

Mit dem Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Einrichtung einer Bundeswettbewerbsbehörde (Wettbewerbsgesetz - WettbG) erlassen und das Kartellgesetz 1988, das Strafgesetzbuch und das Bundesfinanzgesetz 2002 geändert werden, BGBl. I 62/2002, wurden ua. die Sanktionen für Kartellverstöße neu geregelt. So wurde §129 Kartellgesetz 1988 durch ArtII Z32 aufgehoben, gemäß ArtV Abs6 ist diese Bestimmung jedoch auf strafbare Handlungen, die vor dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des ArtII begangen worden sind, weiter anzuwenden. ArtV des BGBl. I 62/2002 lautet folgendermaßen (die mit dem Hauptbegehren angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"In-Kraft-Treten und Übergangsbestimmungen

(1) (Verfassungsbestimmung) Artikel I dieses Bundesgesetzes tritt mit dem 1. Juli 2002 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz vom 18. Februar 1993, BGBl. Nr. 125/1993, über die Durchführung der Wettbewerbsregeln in der Europäischen Union (EU-Wettbewerbsgesetz/EU-WBG) außer Kraft. Die organisationsrechtlichen Vorschriften des ArtI §§6 bis 8 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft. Die ArtII und III treten ebenfalls mit 1. Juli 2002 in Kraft.

(2) Verordnungen auf Grund dieses Bundesgesetzes können bereits von dem seiner Kundmachung folgenden Tag an erlassen werden und Verwaltungsakte im Einzelfall, insbesondere Ernennungen, können von diesem Tag an vorgenommen werden; sie werden jedoch frühestens mit 1. Juli 2002 wirksam.

(3) Im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des ArtII beim Kartellgericht anhängige Verfahren, die auf Grund des §44a KartG in seiner geltenden Fassung von Amts wegen eingeleitet worden sind, können von Amts wegen weitergeführt werden.

(4) In Verfahren, die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des ArtII anhängig sind und die auf Antrag einer Amtspartei nach §44 KartG in seiner geltenden Fassung eingeleitet worden sind, behält die antragsstellende Amtspartei ihre Parteistellung.

(5) Das Amt der Mitglieder (Ersatzmitglieder) des Paritätischen Ausschusses nach §112 KartG in seiner geltenden Fassung endet sechs Monate nach dem In-Kraft-Treten des ArtII. Aufträge an den Paritätischen Ausschuss, Gutachten zu erstatten (§§49 und 112 Abs2 KartG in seiner geltenden Fassung), verlieren mit dem Ablauf dieser Frist ihre Wirksamkeit.

(6) Der XIV. Abschnitt des Kartellgesetzes 1988 (§§129 bis 141) ist auf strafbare Handlungen, die vor dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des ArtII begangen worden sind, weiter anzuwenden.

(7) §142 Z1 und Z2 lita KartellG 1988 in der Fassung dieses Bundesgesetzes ist auf Sachverhalte nicht anzuwenden, die vor dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des ArtII verwirklicht worden sind."

3. Zu ihrer Antragslegitimation bringen die Einschreiter vor, dass die Kommission der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden kurz: Kommission) mit ihrer Entscheidung vom 11. Juni 2002 im so genannten "Lombard-Club"-Kartellfall Geldbußen gegen acht österreichische Banken verhängt habe. Die Kommission habe es als erwiesen angesehen, dass diese Banken im Zeitraum vom 1. Jänner 1995 bis Juni 1998 ein Kartell iSd. Art81 des EG-Vertrages aufrechterhalten hätten. Die Antragsteller seien im selben Zeitraum Vorstandsvorsitzende bzw. Vorstandsmitglieder eben solcher Banken gewesen. Als Organe der von der Kommission verurteilten Banken sehen sich die Antragsteller der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung ausgesetzt. Sie führen dazu Folgendes aus:

"Aus der Entscheidung der Kommission könnte nämlich der Vorwurf abgeleitet werden, dass die Antragsteller gegen die in den Jahren 1995 bis 1998 in Geltung stehenden §§129 und 130 KartellG verstoßen haben. Gemäß dem bereits oben erwähnten §129 KartellG war damals gerichtlich strafbar, wer als Kartellmitglied oder als Organ oder ausdrücklich oder stillschweigend Bevollmächtigter eines Kartells oder eines Kartellmitglieds mit dem Vorsatz, die Preise der Kartellwaren oder Kartelleistungen zu steigern oder ihr Sinken zu verhindern oder die Erzeugung oder den Absatz solcher Sachgüter oder die Erbringung solcher Leistungen zu beschränken, das Kartell in volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigter Weise (§23 Z3) benützt. Gemäß §130 KartellG war zudem strafbar, wer wenn auch nur fahrlässig, ein Kartell, eine vertikale Vertriebsbindung oder einen Zusammenschluß in verbotener Weise durchführt (§§18, 42a Abs4, §59 Abs2) oder die Wirkung der Untersagung der Durchführung eines Kartells, einer vertikalen Vertriebsbindung oder eines Zusammenschlusses oder des Widerrufs der Genehmigung eines Kartells sonst vereitelt.

§135 KartellG sieht in diesem Zusammenhang vor, dass die Strafbestimmungen auf die nach dem Gesetz oder nach der Satzung zur Vertretung nach außen berufenen Organe anzuwenden sind, wenn eine Handlungs- oder Unterlassungspflicht, deren Nichterfüllung nach diesem Bundesgesetz mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, eine juristische Person oder eine Personengemeinschaft ohne Rechtspersönlichkeit trifft.

Die Entscheidung der Kommission vom 11.6.2002 bezieht sich auf Kartellverstöße in den Jahren 1995 bis 1998. Zwischenzeitig wurden die Strafbestimmungen des XIV. Abschnitts des KartellG mit Wirkung zum 1.7.2002 aufgehoben. Da die einschlägigen Strafbestimmungen des KartellG (§§129 bis 141) gemäß ArtV Abs6 des BG BGBl I 2002/61 auf strafbare Handlungen, die vor dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des ArtII BG BGBl I 2002/61 begangen wurden, weiter anzuwenden sind, ist die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung der Antragsteller ungeachtet der Aufhebung dieser Bestimmungen jedoch weiterhin gegeben.

Tatsächlich wurde gegen die Antragsteller bereits der Vorwurf erhoben, Verstöße gegen das KartellG begangen zu haben: So hat zB der Landeshauptmann von Kärnten am 27.6.2002 eine Sachverhaltsdarstellung gemäß §§129 und 130 KartellG an die Staatsanwaltschaft Wien geschickt, in welcher unbekannte Täter in den acht von der Entscheidung der Kommission vom 11.6.2002 betroffenen Banken als Verdächtigte bezeichnet werden. Diese Anzeige wurde durch die Staatsanwaltschaft Wien auch tatsächlich zum Anlass genommen, um gegen die Antragsteller Vorerhebungen einzuleiten.

...

Nach der ständigen Rsp des VfGH handelt es sich bei dem Individualantrag iSd Art140 Abs1 B-VG um einen subsidiären Rechtsbehelf. Ein Individualantrag gegen gerichtliche Strafbestimmungen kommt nach der Rsp des VfGH dann nicht in Betracht, wenn gegen den Antragsteller bereits ein gerichtliches Strafverfahren anhängig ist (zB VfSlg 14.672).

Gegen die Antragsteller zu 1. bis 4. ist jedoch noch kein gerichtliches Strafverfahren anhängig, sondern sind lediglich Vorerhebungen im Gange.

Aus dem bislang Dargelegten ergibt sich zunächst, dass die Antragsteller durch die Übergangsbestimmung des ArtV Abs6 BG BGBl I 2002/61 unmittelbar betroffen sind, wobei die Antragsteller mangels Anhängigkeit eines gerichtlichen Strafverfahrens gegen sie nicht die Möglichkeit haben, ihre Bedenken gegen ArtV Abs6 BG BGBl I 2002/61 in diesem Verfahren vorzubringen und die Anfechtung dieser Bestimmung durch das zweitinstanzliche Gericht anzuregen.

...

Im Hinblick auf den Vorwurf, an verbotenen Absprachen in den 'Lombard-Runden' beteiligt gewesen zu sein, sind die Antragsteller insbesondere einer strafrechtlichen Verfolgung nach §129 KartellG ausgesetzt. Gemäß §129 Abs1 KartellG ist strafbar, wer als Kartellmitglied oder als Organ oder ausdrücklich oder stillschweigend Bevollmächtigter eines Kartells oder eines Kartellmitglieds mit dem Vorsatz, die Preise der Kartellwaren oder Kartelleistungen zu steigern oder ihr Sinken zu verhindern oder die Erzeugung oder den Absatz solcher Sachgüter oder die Erbringung solcher Leistungen zu beschränken, das Kartell in volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigter Weise (§23 Z3) benützt.

Angemerkt sei überdies, dass die Antragsteller im Falle einer Verurteilung nach §129 KartellG auf Grund ihrer Haftung nach §84 AktG uU auch zur Verantwortung gezogen werden, obwohl sie persönlich in die behaupteten Karellabsprachen nicht involviert waren.

Daraus folgt, dass die Antragsteller auch durch §129 KartellG unmittelbar betroffen sind."

II. 1. Die zur Äußerung aufgeforderte Bundesregierung hat beschlossen, eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz zu übermitteln. Zur Antragslegitimation wird darin ausgeführt:

"Die Antragsteller führen selbst aus, dass es sich nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH bei einem Individualantrag um einen subsidiären Rechtsbehelf handle und ein Individualantrag gegen gerichtliche Strafbestimmungen nach der Rechtsprechung des VfGH dann nicht in Betracht komme, wenn gegen den Antragsteller bereits ein gerichtliches Strafverfahren anhängig ist. Die Antragsteller verweisen dazu selbst auf VfSlg 14.672.

In diesem Verfahren hat der Verfassungsgerichtshof über die Zulässigkeit des Antrages Folgendes erwogen:

Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht.

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 11481/1987 und 11684/1988) besteht ein die Antragslegitimation ausschließender zumutbarer Weg zur Abwehr des Eingriffes in die Rechtssphäre grundsätzlich dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von der generellen Rechtsnorm Betroffenen letztlich Gelegenheit bietet, die Einleitung eines amtswegigen Normenprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof anzuregen; eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, um der Partei des gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahrens trotz der dort offenstehenden Möglichkeiten das Recht auf Einbringung eines Normenprüfungsantrages einzuräumen (vgl. zB VfSlg. 11684/1988 mit weiteren Judikaturnachweisen).

In dem der Entscheidung VfSlg. 14.672 zugrunde liegenden Fall stellte der Verfassungsgerichtshof (gleichfalls) fest, dass nach dem Antragsvorbringen ein gerichtliches Strafverfahren bereits anhängig sei. Zumal der Verfassungsgerichtshof außergewöhnliche Umstände, die die Einbringung eines Individualantrages dennoch zulassen, nicht zu erkennen vermochte, verwies er den Einschreiter darauf, dass es ihm freistehe, im Zuge des anhängigen Verfahrens bei einem Gericht zweiter Instanz seine Bedenken gegen die bekämpfte Bestimmung darzulegen und dort einen Antrag auf Aufhebung der in Rede stehenden Strafbestimmung anzuregen. Damit stehe dem Einschreiter ein zumutbarer Weg zur Verfügung, seine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der von ihm für verfassungswidrig erachteten Bestimmung vorzubringen.

Im vorliegenden Fall bringen die Antragsteller selbst vor, dass gegen sie Vorerhebungen geführt werden (vgl. auch die dem Antrag beigeschlossenen Ablichtungen aus dem Strafakt, aus denen beispielsweise die Ladung der Antragsteller zur verantwortlichen Abhörung als Verdächtige nach §38 Abs3 StPO ersichtlich ist). Tatsächlich werden nach wie vor gegen sämtliche Antragsteller Vorerhebungen geführt.

Die Antragsteller irren jedoch, wenn sie meinen, dass 'lediglich Vorerhebungen', 'jedoch noch kein gerichtliches Strafverfahren anhängig' sei.

Abgesehen davon, dass der Verfassungsgerichtshof im Verfahren VfSlg. 14672 offenbar schon die bloße Anzeigeerstattung gegen den Einschreiter für die Konstatierung der Anhängigkeit eines Strafverfahrens genügen ließ, liegt dieses Stadium für eine betroffene Person jedenfalls vor, sobald Vorerhebungen gegen sie geführt werden. So hat der OGH zu §58 Abs2 Z3 StGB, wonach in die Verjährungsfrist die Zeit nicht eingerechnet wird, während der 'wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei Gericht anhängig ist', - zitiert nach Fabrizy, MKK StGB8, Rn 5 zu §58 - ausgesprochen, dass Gerichtsanhängigkeit gegeben ist, sobald irgendeine gerichtliche Maßnahme gegen einen bekannten oder unbekannten (EvBl 1993/142: bestimmten) Täter getroffen wird, insbesondere auch im Rahmen von Vorerhebungen (JBl 1976, 325 = RZ 1976/25, EvBl 1989/99 = JBl 1988, 454 mit Anm Liebscher = AnwBl 1989, 577 mit Anm Graff); die Anhängigkeit beginne dabei mit der ersten solchen Maßnahme (LSK 1976/232). Übereinstimmende Äußerungen dazu gibt es im Schrifttum etwa auch von Foregger im Wiener Kommentar zum StGB², Rn 13 zu §58, Mayerhofer, StGB5, Anm. 5 zu §58, und Leukauf/Steininger, StGB³, Rn 19 ff, allesamt mit Beispielen (wie etwa der Abhörung von Verdächtigen) und weiteren Nachweisen.

Es ist also auch im vorliegenden Verfahren von einem bereits anhängigen Verfahren auszugehen, so dass auch hier den Antragstellern im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes die Möglichkeit offen steht, im Zuge dieses anhängigen Verfahrens beim Gericht zweiter Instanz ihre Bedenken gegen die bekämpfte Bestimmung darzulegen und dort einen Antrag auf Aufhebung der in Rede stehenden Strafbestimmung anzuregen. Der Antrag ist daher schon aus diesen Gründen zurückzuweisen."

2. Mit ihrer Äußerung vom 13. November 2003 teilten die Antragsteller nach Aufforderung mit, dass der Erstantragsteller ein "Diversionsangebot" des Staatsanwalts, gegen Zahlung eines bestimmten Geldbetrages von der Verfolgung zurückzutreten, erhalten und angenommen habe. Nach Leistung des bestimmten Geldbetrages sei der Staatsanwalt gemäß §90c Abs5 StPO am 23. September 2003 von der Verfolgung zurückgetreten. Die Strafanzeigen gegen die Zweit- bis Viertantragsteller seien hingegen am 22. August 2003 jeweils zurückgelegt worden.

Nach Ansicht der Antragsteller sei dadurch aber nicht die Betroffenheit der Antragsteller in ihren Rechten durch die angefochtenen Normen beseitigt worden, da §129 Kartellgesetz 1988 nicht nur den Charakter einer Strafnorm habe, sondern iVm §1311 ABGB auch die Grundlage von Schadenersatzansprüchen gegen die Antragsteller sei. Die Antragsteller seien der konkreten Gefahr derartiger Schadenersatzansprüche ausgesetzt, da Medienberichten zufolge ein erheblicher Druck zur Leistung von Schadenersatz ausgeübt werde. So werde etwa vom Landeshauptmann von Kärnten "mit periodischer Regelmäßigkeit" Schadenersatz zugunsten der angeblich durch den "Lombard-Club" Geschädigten eingefordert. Auch hätten mehrere Personen das Begehren bekundet, sich einem Strafverfahren gegen die Antragsteller als Privatbeteiligte anschließen zu wollen. Die Annahme des Diversionsangebotes durch den Erstantragsteller habe keinerlei Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Geltendmachung dieser Schadenersatzansprüche, auch nicht dahingehend, dass der Antragsteller die vorgeworfenen Verstöße gegen §129 Kartellgesetz 1988 nicht begangen habe, da Diversion keinen Freispruch darstelle. Durch die Zurücklegung der Anzeigen gegen die Zweit- bis Viertantragsteller würden Schadenersatzansprüche hingegen schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil eine Bindungswirkung der Zurücklegung der Anzeigen nur inter partes bestünde und daher Anspruchsteller von Schadenersatzansprüchen nicht erfassen würde, - ganz abgesehen davon, dass eine Zurücklegung der Anzeigen nicht die rechtliche Qualität eines Freispruchs hätte. Die (teilweise) Aufhebung des §129 Kartellgesetz 1988 bzw. des ArtV Abs6 Wettbewerbsgesetz durch den Verfassungsgerichtshof sei daher für die Antragsteller die einzige Möglichkeit, um die konkrete Gefahr derartiger Schadenersatzansprüche gegen sie zu beseitigen. Weiters führten die Antragsteller aus:

"Den Antragstellern ist nicht zumutbar, warten zu müssen, bis die konkret drohenden Schadenersatzforderungen gegen die Antragsteller gerichtlich eingeklagt werden, um in diesen Prozessen vor dem in zweiter Instanz zuständigen Gericht anregen zu können, es möge gemäß Art89 Abs2 B-VG die im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bestimmungen vor dem VfGH anfechten. Angemerkt sei auch, dass der VfGH in seinem Erkenntnis VfSlg 11.551 die Zulässigkeit eines Individualantrages gegen Bestimmungen, welche die Grundlage für Schadenersatzansprüche sind, grundsätzlich bejaht hat.

Im übrigen ist der vorliegende Fall nicht mit jenen Fällen vergleichbar, in denen die Zulässigkeit von Individualanträgen mit der Begründung verneint wurde, dass ein gerichtliches Strafverfahren bereits abgeschlossen ist (zB VfSlg 11.315, 15.262). In den erwähnten Erkenntnissen wurde die Zulässigkeit des Individualantrags nämlich jeweils mit der Begründung verneint, der Antragsteller hätte im gerichtlichen Strafverfahren vor dem in zweiter Instanz zuständigen Gericht anregen können, dass dieses gemäß Art89 Abs2 B-VG die Aufhebung jener Bestimmungen beantragt, die der Antragsteller als verfassungswidrig ansieht.

Auf den vorliegenden Fall sind diese Überlegungen nicht übertragbar: Da die Diversion in die Zuständigkeit des Staatsanwalts fällt, hatte der Erstantragsteller gar keine Möglichkeit, seine verfassungsrechtlichen Bedenken an ein in Zweiter Instanz zuständiges Gericht heranzutragen.

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Erstantragsteller die Sache dadurch an ein in zweiter Instanz zuständiges Gericht herantragen hätte können, dass er das Diversionsangebot nicht annimmt. Insofern wäre nämlich der Erstantragsteller gezwungen gewesen, ein Strafverfahren zu provozieren und sich so der Gefahr einer Sanktion auszusetzen, die schwerer wiegt als der im Rahmen der Diversion zu zahlende Geldbetrag. Der VfGH hat aber mehrfach ausgesprochen, dass die Provozierung eines Strafverfahrens einen gegenüber einem Individualantrag nicht zumutbaren Umweg darstellt (VfSlg 8396, 9253, 9826, 11.481, 11.684, 13.886, 15.509).

Die Antragsteller halten ihren beim Verfassungsgerichtshof gestellten Antrag nach Art140 Abs1 B-VG daher weiterhin aufrecht."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

Soweit die Antragsteller eine Bestimmung des Wettbewerbsgesetzes (WettbG) anfechten und hiebei die Nummer des Bundesgesetzblattes mit "61" statt "62" bezeichnen, handelt es sich offensichtlich um ein Versehen. Da aus dem Zusammenhang eindeutig erkennbar ist, dass die mit dem Hauptbegehren angefochtene Bestimmung im WettbG und nicht im BGBl. I 61/2002, das die Kundmachung der Aufhebung von Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes durch den Verfassungsgerichtshof betrifft, steht, hält der Verfassungsgerichtshof den Antrag für ausreichend präzise. Er ist jedoch aus den nachstehenden Gründen zurückzuweisen:

1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt seit seinem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt, die Zulässigkeit eines Individualantrages nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG setze voraus, dass die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern auch aktuell beeinträchtigen muss und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 10.481/1985, 11.684/1988, 13.871/1994, 14.585/1996, 14.752/1997, 16.137/2001).

Es ist nach der Judikatur des Gerichtshofes weiters im Allgemeinen zumutbar, den Klagsweg zu beschreiten, im folgenden gerichtlichen Rechtsstreit Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften

vorzubringen und vor dem in zweiter Instanz zur Entscheidung berufenen Gericht die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages beim

Verfassungsgerichtshof anzuregen (vgl. zB VfSlg. 8979/1980, 9394/1982, 10.445/1985, 11.551/1987, 12.046/1989, 13.659/1993). Ob und inwieweit das Gericht auf die Kritik der Partei des Gerichtsverfahrens an der Verfassungsmäßigkeit von

Gesetzesbestimmungen eingeht, ist hiebei nicht ausschlaggebend (VfSlg. 8552/1979, 11.890/1988, 13.659/1993, 15.030/1997).

2. Sofern die Antragsteller in ihrer Äußerung darlegen, dass der Staatsanwalt im Hinblick auf den Erstantragsteller gemäß §90c Abs5 StPO von der Verfolgung zurückgetreten und die Strafanzeigen gegen die Zweit- bis Viertantragsteller jeweils zurückgelegt worden seien, ist der im Antrag ausgeführten Behauptung, die Antragsteller seien einer strafrechtlichen Verfolgung nach §129 Kartellgesetz ausgesetzt, der Boden entzogen. Eine aktuelle Betroffenheit durch eine strafgerichtliche Verfolgung ist damit jedenfalls derzeit nicht gegeben. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes muss die aktuelle Betroffenheit des Antragstellers aber nicht nur im Zeitpunkt der Einbringung des Antrages, sondern auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes gegeben sein (VfSlg. 9868/1983, 13.444/1993, 14.667/1996, 14.933/1997).

3. Da §129 Kartellgesetz 1988 iVm §1311 ABGB auch Grundlage für Schadenersatzansprüche sein könne, ergäbe sich nach Ansicht der Antragsteller ihre Betroffenheit durch die angefochtenen Normen nunmehr aus der Gefahr, dass auf dem Klagsweg Ansprüche auf Schadenersatz gegen sie erhoben werden könnten.

Die Antragsteller zeigen mit diesem Vorbringen selbst auf, dass sie von der angefochtenen Bestimmung derzeit (noch) nicht aktuell betroffen sind, weil gegen sie kein Verfahren über eine Klage auf Schadenersatz anhängig ist. Selbst wenn aber eine solche Klage gegen sie eingebracht werden sollte, würde ihnen dann der Weg offen stehen, ihre Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen dem ordentlichen Gericht vorzutragen, und es könnten die Rechtsmittelgerichte einen Gesetzesprüfungsantrag beim Verfassungsgerichtshof stellen. Ein solcher Weg ist den Antragstellern auch zumutbar.

Der Verfassungsgerichtshof hat zwar wiederholt ausgesprochen, dass einem Normunterworfenen nicht zumutbar sei, eine Klage und ein in der Folge eingeleitetes zivilgerichtliches Verfahren dadurch zu provozieren, dass er sich rechtswidrig verhält (VfSlg. 13.659/1993, 15.030/1997, 16.042/2000, VfGH 26.6.2003, G168/01, V51/01 ua.). Aus dieser Rechtsprechung ist jedoch für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen, da jenes Verhalten der Antragsteller, das gemäß ihrem Vorbringen zur Erhebung von Schadenersatzansprüchen gegen sie führen könnte, nämlich die von der Kommission in ihrer Entscheidung vom 11. Juni 2002 als erwiesen angenommene Aufrechterhaltung eines Kartells iSd. Art81 EG für den Zeitraum vom 1. Jänner 1995 bis Juni 1998, bereits gesetzt worden ist und die Antragsteller sich daher nicht erst rechtswidrig verhalten müssten, nur um die Frage an den Verfassungsgerichtshof herantragen zu können, ob die angefochtenen Bestimmungen verfassungswidrig sind.

Besondere, außergewöhnliche Umstände, aufgrund derer den Antragstellern trotz der in einem allfälligen zivilgerichtlichen Verfahren offen stehenden Möglichkeiten das Recht auf Einbringung eines individuellen Normenprüfungsantrages einzuräumen wäre (vgl. VfSlg. 13.871/1994, 14.752/1997, 15.786/2000, 16.212/2001, VfGH 26.11.2002, G61/02), haben die Antragsteller nicht vorgebracht.

Bei diesem Ergebnis war nicht zu prüfen, ob die Ausführungen in der Äußerung vom 13. November 2003 zur Betroffenheit der Antragsteller neu waren und nicht schon im Antrag hätten vorgebracht werden müssen.

IV. Aus den genannten Erwägungen war der Individualantrag als unzulässig zurückzuweisen.

Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

EU-Recht, Übergangsbestimmung, Kartellrecht, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G108.2003

Dokumentnummer

JFT_09968789_03G00108_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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