TE Vfgh Erkenntnis 2004/2/23 G230/03 ua

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Veröffentlicht am 23.02.2004
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
Wr LandesvergabeG §1 Abs1 Z2

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit von Schwellenwertregelungen mangels sachlicher Rechtfertigung des Ausschlusses des vergabespezifischen Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich

Spruch

§1 Abs1 Z2 des Wiener Landesvergabegesetzes, LGBl. für Wien Nr. 36/1995, idF LGBl. Nr. 50/2000 war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler und der Landeshauptmann von Wien sind zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt I bzw. im Landesgesetzblatt für Wien verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu den Zahlen B1336/02, B1426/02 und B1565/02 Beschwerden gegen Bescheide des Vergabekontrollsenates beim Amt der Wiener Landesregierung (VKS) anhängig, mit denen dieser mehrere Anträge auf Durchführung von Nachprüfungsverfahren betreffend Vergabeverfahren der Stadt Wien zurückgewiesen und dies damit begründet hat, dass es sich bei den ausgeschriebenen Arbeiten jeweils um Aufträge im Rahmen von Bauaufträgen handle, die den in §1 Abs1 Z2 des Wiener Landesvergabegesetzes (WLVergG) idF LGBl. 50/2000 normierten Schwellenwert von 5 Millionen Euro nicht überschreiten würden. Der VKS sei zur Nachprüfung von "Unterschwellenwertverfahren" nicht zuständig.

2. In den gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden wird die Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaft in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt.

II. 1. Bei der Behandlung der Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Z2 des §1 Abs1 des Wiener Landesvergabegesetzes in der bezogenen Fassung entstanden, durch die die vergabeverfahrensrechtlichen Bestimmungen dieses Gesetzes sowie der vergabespezifische Rechtsschutz bei der Vergabe von Bauaufträgen auf Aufträge beschränkt wird, deren geschätztes Auftragsvolumen einen bestimmten Betrag übersteigt, weshalb er beschlossen hat, die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung von Amts wegen zu prüfen.

a) Der Verfassungsgerichtshof ist in seinem Einleitungsbeschluss vom 25. November 2003 vorläufig davon ausgegangen, dass die Beschwerden zulässig sind und er bei ihrer Überprüfung die in Prüfung gezogene Z2 des §1 Abs1 WLVergG anzuwenden hätte: Der VKS hat in den bezogenen Nachprüfungsverfahren §1 Abs1 Z2 WLVergG angewandt und seine Zuständigkeit zur Überprüfung der Vergabevorgänge verneint, da der in dieser Bestimmung normierte Schwellenwert für Bauaufträge nicht erreicht sei. Der Verfassungsgerichtshof ging daher davon aus, dass die in Prüfung genommene Bestimmung präjudiziell im Sinne des Art140 Abs1 B-VG sein dürfte.

b) Die Bestimmung steht in folgendem normativen Zusammenhang:

Das WLVergG regelt die Vergabe von Lieferaufträgen, Bauaufträgen, Baukonzessionsaufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch öffentliche (in §12 Abs1 aufgezählte) Auftraggeber oberhalb bestimmter Schwellenwerte. Für die in seinen Geltungsbereich fallenden Vergaben sieht das WLVergG in seinem zweiten Teil allgemeine Bestimmungen über das bei der Auftragsvergabe einzuhaltende Verfahren, in seinem dritten Teil besondere, gemeinschaftsrechtlich für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte gebotene Bestimmungen vor. Der vierte Teil des Gesetzes enthält Vorschriften über den Rechtsschutz, der fünfte Teil Schluss-, Straf- und Übergangsbestimmungen.

Hinsichtlich der Schwellenwerte bestimmt §1 Abs1 WLVergG in der vom VKS angewandten Fassung LGBl. 50/2000 (die als verfassungswidrig erkannte Z2 ist hervorgehoben):

"(1) Dieses Landesgesetz gilt für die entgeltliche Vergabe von Aufträgen über Lieferungen, Bauleistungen und Dienstleistungen (Vergabe von Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen) durch Auftraggeber im Sinne des §12, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer

1. bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen

a)

mindestens 200 000 Euro,

b)

im Zusammenhang mit in §80 Abs2 Z1, 2 und 4 angeführten Tätigkeiten mindestens 400 000 Euro und

c)

im Zusammenhang mit in §80 Abs2 Z3 angeführten Tätigkeiten mindestens 600 000 Euro

              2.              bei Bauaufträgen mindestens fünf Millionen Euro

beträgt."

c) Im Zusammenhang mit der am 1. Jänner 2003 in Kraft getretenen neuen Kompetenzverteilung in der Angelegenheit des öffentlichen Auftragswesens (vgl. Art14b B-VG) ordnet(e) Art151 Abs27 B-VG in Ansehung allfälliger zu diesem Zeitpunkt noch in Kraft stehender Landes(vergabe)gesetze - darunter das WLVergG - die sinngemäße Geltung der §§2, 4 Abs1, 5 und 6 Abs1 und 2 Übergangsgesetz 1920 an. Ein gemäß dieser Anordnung zu einem (partiellen) Bundesgesetz gewordenes Landesgesetz trat nach Art151 Abs27 dritter Satz B-VG mit dem In-Kraft-Treten eines auf Grund des Art14b Abs3 B-VG ergehenden Landesgesetzes, spätestens jedoch mit Ablauf des 30. Juni 2003 außer Kraft; gleichzeitig traten die entsprechenden Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes 2002, BGBl. I 99/2002, insoweit in Kraft.

Der Wiener Landesgesetzgeber hat - gestützt auf Art14b Abs3 B-VG - mit Wirksamkeit 1. Juli 2003 das Wiener Vergaberechtschutzgesetz, LGBl. 25/2003, erlassen, dessen §32 Abs2 das Außer-Kraft-Treten des WLVergG am selben Tag verfügt.

d) In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die "Schwellenwertregelung", wie sie in der bezogenen Gesetzesstelle enthalten ist, zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen den Rechtspositionen von Bewerbern und Bietern im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge führt, und führte dazu aus:

"Bereits in seiner Entscheidung VfSlg. 16.027/2000 hat der Verfassungsgerichtshof zum BVergG 1993, BGBl. 462/1993, ausgesprochen, dass es sachlich nicht gerechtfertigt ist, dass der Gesetzgeber im Unterschwellenwertbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich verzichtet, und Bewerber und Bieter sohin vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell ausgeschlossen sind. In seinen Entscheidungen VfSlg. 16.073/2001 und insbesondere VfSlg. 16.315/2001 hat der Verfassungsgerichtshof seine diesbezüglichen Bedenken auch hinsichtlich des BVergG 1997, das im Gegensatz zum hier in Prüfung stehenden WLVergG zwar in gewissem Ausmaß außenwirksame Regelungen für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte enthielt, vergabespezifischen Rechtsschutz aber weiterhin nicht zur Verfügung stellte, aufrecht erhalten.

Der Verfassungsgerichtshof sieht vorläufig keinen Grund, von seiner Ansicht abzugehen, dass der gänzliche Verzicht auf außenwirksame vergabeverfahrensrechtliche Regelungen und einen vergabespezifischen Rechtsschutz zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führt. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die zitierten Erkenntnisse verwiesen."

2. Die Bundesregierung hat mitgeteilt, am 20. Jänner 2004 beschlossen zu haben, von einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen; die unter Bedachtnahme auf Art151 Abs27 B-VG zur Äußerung aufgeforderte Wiener Landesregierung hat auf die Erstattung einer solchen ebenso verzichtet.

III. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich auch als begründet:

1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Beschwerden und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung in den Anlassverfahren zweifeln ließe, und auch sonst sind die Prozessvoraussetzungen gegeben.

2. In der Sache bleibt der Verfassungsgerichtshof bei seiner schon mehrfach vertretenen Auffassung (zB VfSlg. 16.027/2000, 16.073/2001 und 16.315/2001; vgl. auch VfSlg. 15.106/1998 und 15.204/1998), dass es dem Gleichheitssatz widerspricht, bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber im Unterschwellenwertbereich auf eine außenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich zu verzichten und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz generell auszuschließen.

Da sich sohin die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes als zutreffend erwiesen haben, die in Prüfung gezogene Bestimmung aber nicht mehr in Geltung steht, war auszusprechen, dass sie wegen Verstoßes gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz verfassungswidrig war.

3. Die Verpflichtung zur Kundmachung dieses Ausspruches sowohl des Bundeskanzlers als auch des Landeshauptmannes gründet auf Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG und erklärt sich daraus, dass die den Geltungsbereich des WLVergG festlegende Bestimmung des §1 Abs1 Z2 WLVergG (angesichts ihrer Bedeutung sowohl für das Vergabeverfahren als auch für die Nachprüfung) auf Grund des Art151 Abs27 zweiter Satz B-VG im Zeitpunkt ihres Außer-Kraft-Tretens sowohl als partielles, für das Land Wien geltendes Bundesrecht als auch als Landesrecht in Geltung stand.

IV. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsschutz, Vergabewesen, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Aufhebung Wirkung, Verweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:G230.2003

Dokumentnummer

JFT_09959777_03G00230_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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