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97 VergabewesenNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Gleichheitswidrigkeit auch des im Vergleich zum Bundesvergabegesetz 1993 modifizierten Schwellenwertsystems des Bundesvergabegesetzes 1997 aufgrund des gänzlichen Ausschlusses bestimmter öffentlicher Vergaben vom vergabespezifischen Rechtsschutz; Legitimation der beschwerdeführenden Gesellschaft im Anlaßverfahren mangels Zweifel an deren Auftraggebereigenschaft; Präjudizialität aufgrund denkmöglicher Anwendung der in Prüfung gezogenen Bestimmung durch die belangte BehördeSpruch
Die Wortfolge "dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 200 000 Euro beträgt" in §5 Abs2 Bundesvergabegesetz 1997, BGBl. I Nr. 56, idF BGBl. I Nr. 80/1999 war verfassungswidrig.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesvergabeamtes (BVA) vom 19. November 2001, Z N-45/01-14, anhängig. Mit diesem Bescheid wurde ein Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Feststellung, dass im Vergabeverfahren des Bundes betreffend die Lieferung und Herstellung einer Stahlschrankanlage der Zuschlag an einen Mitbieter rechtswidrig erfolgt sei, mangels Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes zurückgewiesen: Im vorliegenden Fall würde die Bestimmung des §5 Abs2 Bundesvergabegesetz 1997 (BVergG 1997) idF BGBl. I 80/1999 zur Anwendung gelangen, wonach die Vergabe von Lieferaufträgen - abgesehen von Fällen des §5 Abs1 - nur dann den Bestimmungen des Gesetzes unterliegen würde, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 200.000 Euro betrage. Da dies auf den zu beurteilenden Vergabesachverhalt nicht zuträfe, wäre der Antrag zurückzuweisen gewesen.
2. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaft in Rechten wegen Anwendung eines als verfassungswidrig erachteten Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt.
3. Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Bei Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der im Spruch genannten Wortfolge des §5 Abs2 BVergG 1997 entstanden, durch die die Bestimmungen des Gesetzes betreffend das Vergabeverfahren und den vergabespezifischen Rechtsschutz bei der Auftragsvergabe auf Aufträge beschränkt wird, deren geschätztes Auftragsvolumen den bezeichneten Betrag von 200.000 Euro übersteigt. Der Gerichtshof hat daher beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit dieser Wortfolge von Amts wegen zu prüfen.
III. Die in Prüfung gezogene Wortfolge des BVergG 1997 steht in folgendem normativen Zusammenhang:
1. a) Das BVergG 1997 idF BGBl. I 80/1999 enthielt gesetzliche Regelungen über das Vergabeverfahren und die Vergabekontrolle für die Vergabe von Lieferaufträgen, Bau- (einschließlich so genannten Baukonzessions-)Aufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch bestimmte öffentliche Auftraggeber oberhalb bestimmter Schwellenwerte. Für die Vergabe von Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte bestimmte §13 BVergG 1997 unter anderem:
"(1) Unterhalb der in den §§5 bis 8 festgelegten Schwellenwerte haben die in §11 Abs1 Z1 bis 4 genannten Auftraggeber die Bestimmungen der ÖNORM A 2050 'Vergabe von Aufträgen über Leistungen - Ausschreibung, Angebot und Zuschlag - Verfahrensnorm' vom 1. Jänner 1993, Anlage zur Allgemeinen Bundesvergabeverordnung - ABVV, BGBl Nr. 17/1994, bei der Vergabe von Aufträgen anzuwenden, soweit ihr Inhalt nicht gemeinschaftsrechtlichen oder bundesgesetzlichen Regelungen - abgesehen von den Bestimmungen des 3. Teiles dieses Bundesgesetzes - oder den auf Grund des 2. Teiles dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen widerspricht.
(2) Abs1 gilt nicht für Dienstleistungsaufträge gemäß Anhang IV und für Aufträge, die ein Auftraggeber zum Zweck der Durchführung einer in §84 Abs2 beschriebenen Tätigkeit im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vergibt.
(3)-(4) ..."
Der unter der Rubrik "Erweiterung des Rechtsschutzbereiches" stehende §14 BVergG 1997 bestimmte weiters auszugsweise:
"(1) Die Bundesregierung kann mit Verordnung das 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles dieses Bundesgesetzes für in §11 Abs1 Z1 bis 4 genannte Auftraggeber auch unterhalb der in den §§5 bis 8 festgelegten Schwellenwerte für bindend erklären, wenn dies im Interesse des Wettbewerbes, des Rechtsschutzes von Bewerbern oder Bietern und im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise bei der Vergabe von Aufträgen zweckmäßig ist und folgende Auftragswerte nicht unterschritten werden:
1.
bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen gemäß §§1 und 3 eine Million Schilling ohne Umsatzsteuer,
2.
bei Bau- und Baukonzessionsaufträgen gemäß §2 Abs1 Z2 und 3 und Abs3 sowie §11 Abs3 14 Millionen Schilling ohne Umsatzsteuer,
3.
bei Bau- und Baukonzessionsaufträgen gemäß §2 Abs1 Z1 sieben Millionen Schilling ohne Umsatzsteuer.
(2) Die Erweiterung gemäß Abs1 gilt nicht für Dienstleistungsaufträge gemäß Anhang IV und für Aufträge, die ein Auftraggeber zum Zweck der Durchführung einer in §84 Abs2 beschriebenen Tätigkeit im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vergibt.
(3) Bis zur Erlassung einer Verordnung der Bundesregierung gemäß Abs1 kann jeder Bundesminister für seinen Wirkungsbereich eine solche Verordnung erlassen."
Das 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles des BVergG 1997 enthielt Regelungen über den vergabespezifischen Rechtsschutz durch die Bundes-Vergabekontrollkommission und das BVA sowie zivilrechtliche Bestimmungen. Die in den bezogenen Ziffern des §11 Abs1 genannten öffentlichen Auftraggeber sind der Bund, bestimmte Einrichtungen des Bundes, bestimmte rechnungshofkontrollpflichtige Unternehmungen sowie die Sozialversicherungsträger und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.
b) Eine Erstreckungsverordnung im Sinne des §14 BVergG 1997 erließ der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Wirkung ab 1. März 2000 (BGBl. II 35/2000). Ihr unterlagen Bauleistungen im Bereich dieses Bundesministeriums (nunmehr: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit), solange bestimmte Auftragswerte nicht unterschritten werden.
c) §5 BVergG 1997 bestimmte betreffend Lieferaufträge folgende Schwellenwerte:
"(1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Lieferaufträgen durch die in Anhang V genannten Auftraggeber dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 130 000 SZR beträgt. Im Bereich des Bundesministeriums für Landesverteidigung gilt dies nur für Lieferaufträge betreffend Waren, die in Anhang VI enthalten sind."
[Die Wortfolge "dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 130 000 SZR beträgt" wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Februar 2002, G351-355/01, mit Ablauf des 31. August 2002 als verfassungswidrig aufgehoben.]
§5 Abs2 BVergG 1997 wurde mit BGBl. I 80/1999 novelliert und lautet in dieser Fassung (die als verfassungswidrig erkannte Wortfolge ist hervorgehoben):
"(2) Im übrigen gilt dieses Bundesgesetz für die Vergabe von Lieferaufträgen dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 200 000 Euro beträgt."
d) Mit In-Kraft-Treten des Bundesvergabegesetzes 2002, BGBl. I 99, ist gemäß dessen §188 Abs6 Z3 §5 Abs2 BVergG 1997 mit 1. September 2002 außer Kraft getreten.
2. Der Verfassungsgerichtshof ist in seinem Prüfungsbeschluss vorläufig davon ausgegangen, dass die Beschwerde zulässig ist und dass er bei ihrer Behandlung die in Prüfung gezogene Wortfolge anzuwenden hätte:
a) Das BVA hat in dem der vorliegenden Beschwerde zugrunde liegenden Nachprüfungsverfahren zur Beurteilung des Antrages die Bestimmung des §5 Abs2 BVergG 1997 in der geprüften Fassung angewandt und daraus seine Zuständigkeit verneint. Der Verfassungsgerichtshof ging daher davon aus, dass die in Prüfung gezogene Wortfolge präjudiziell im Sinne des Art140 Abs1 B-VG sein dürfte.
Diesen Annahmen ist die Bundesregierung nicht entgegengetreten.
b) In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass die in Prüfung gezogene Schwellenwertregelung zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen den Rechtspositionen von Bewerbern und Bietern im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge führt:
"In seinem Erkenntnis VfSlg. 16.027/2000 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Schwellenwertregelung des §3 Abs1 Bundesvergabegesetz, BGBl. 462/1993, durch die die in diesem Gesetz normierten Vergabeverfahrensregelungen und die vergabespezifischen Rechtsschutzinstrumentarien auf Aufträge beschränkt wurden, deren geschätztes Auftragsvolumen einen bestimmten Betrag überstiegen, dem Gleichheitsgrundsatz widersprochen hat: Eine sachliche Rechtfertigung dafür, dass der Gesetzgeber im Bereich unterhalb der in dieser Bestimmung normierten Schwellenwerte auf eine außenwirksame Regelung, die den Bietern und Bewerbern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellte, gänzlich verzichtete und die Bewerber und Bieter damit generell vom vergabespezifischen Rechtsschutz ausschloss, war nicht erkennbar. In diesem Sinne entschied der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis G43/00 vom 26. Februar 2001 auch hinsichtlich der Schwellenwertregelung im sog. Sektorenbereich.
Aufbauend auf dieser Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 9. Oktober 2001, G10/01, seine Bedenken gegenüber dem Schwellenwertsystem auch auf das BVergG 1997, BGBl. I 56/1997, erstreckt, das zwar (wenn auch unter bestimmten Einschränkungen, die etwa Vergaben in den sog. geschützten Sektoren betreffen) für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte eine verbindliche Geltung der ÖNORM A 2050 anordnet, zur effektiven Durchsetzung daraus abgeleiteter Rechte den im Oberschwellenbereich als notwendig erachteten vergabespezifischen Rechtsschutz aber nicht zur Verfügung stellt. Auch für dieses - im Vergleich zum BVergG 1993 also modifizierte - Schwellenwertsystem des BVergG 1997 könne eine sachliche Rechtfertigung nicht gefunden werden.
Der Verfassungsgerichtshof sieht vorläufig keinen Grund, von seiner Ansicht abzugehen. Er hat daher beschlossen, die im Spruch genannte Wortfolge auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Bei der Abgrenzung der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmung hat sich der Verfassungsgerichtshof von den bereits in den zitierten Vorentscheidungen zum Ausdruck gebrachten Erwägungen leiten lassen."
3. Die Bundesregierung teilte mit Schriftsatz vom 18. November 2003 mit, dass sie beschlossen habe, von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand zu nehmen.
IV. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich auch als begründet:
1. Es wurde nichts vorgebracht noch ist etwas hervorgekommen, was an der Zulässigkeit des Anlassbeschwerdeverfahrens und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Wortfolge zweifeln ließe. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen gegeben sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. Durch die in Prüfung gezogene Wortfolge wird der gesamte im 1., 2. und 4. Hauptstück des 4. Teiles des BVergG 1997 für die Vergabe von bestimmten Lieferaufträgen vorgesehene Rechtschutz auf den Bereich oberhalb des in §5 Abs2 BVergG 1997 normierten Schwellenwertes beschränkt. Dies ist - wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 16.315/2001, ausführlich dargelegt hat - verfassungswidrig (vgl. weiters die grundlegenden Entscheidungen VfSlg. 16.027/2000 und 16.073/2001 sowie VfSlg. 15.106/1998, 15.204/1998). Es ist nämlich sachlich nicht zu rechtfertigen, die Kontrolle der Einhaltung der (im Vergleich zu den Oberschwellenwertregelungen zulässigerweise vereinfachten) Vergabevorschriften der ÖNORM A 2050 aufwendiger zu gestalten, Provisorialentscheidungen zu erschweren und das Interesse des Auftraggebers an raschen Entscheidungen geringer zu veranschlagen.
Da sich die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sohin als zutreffend erwiesen haben, §5 Abs2 BVergG 1997 aber mit In-Kraft-Treten des Bundesvergabegesetzes 2002, BGBl. I 99/2002, außer Kraft getreten ist (§188 Abs6 Z3 leg.cit.), war nur mehr auszusprechen, dass die geprüfte Wortfolge verfassungswidrig war.
V. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung erfließt aus Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
VI. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Rechtsschutz, Vergabewesen, VfGH / Legitimation, VfGH / Präjudizialität, Selbstbindung, Geltung ÖNORM, VfGH / Anlaßverfahren, Rechte subjektive öffentlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:G216.2003Dokumentnummer
JFT_09959777_03G00216_00